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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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vom Zukunftsstaat

gegensatz schroffer als je zuvor sein würde. Der Vorwärts belehrt uns aber,
in solchen Einwendungen komme nur die ganz besondre Unwissenheit der fran¬
zösischen Bourgeoispolitiker in ökonomischen Dingen zum Ausdruck. "Der
Rentierverstand des französischen Normalbürgers, sagt das sozialdemokratische
Zentralorgan, hat eben keine Ahnung davon, daß aller Profit aus der Aus¬
beutung der Lohnarbeit stammt, und daß das schönste Kapital nichts nützt,
sobald die kapitalistische Mehrwertsproduktion aufhört." Mit andern Worten:
die vom Zukunftsstaate den alten Privateigentümern gewährten Entschädigungen
würden wertlos sein wie die Assignaten der französischen Revolution. Man
kann dem überschlauen Vorwärts für dieses Wort dankbar sein; er bekennt,
daß die Entschädigung bei der allgemeinen Expropriation nichts als eine
lächerliche Komödie sein würde.

Als Herr Jaures schließlich erklärte, ob es überhaupt eine Entschädigung
geben werde, sei heute unmöglich vorherzusagen, erhob sich ein ungeheurer
Lärm. Darauf bemerkte der Redner: "Was für ein lehrreiches Beispiel! So¬
lange mau Minister angreift, herrscht Stille und Aufmerksamkeit, sobald man
aber das Eigentum aufs Tapet bringt, geraten alle Fibern, die ganze Substanz
der Menschen in Erregung." Das ist die beachtenswerteste Stelle der ganzen
Rede. Herr Jaures sollte sich die Lehren dieser von ihm gemachten Erfahrung
zu Herzen nehmen. Solange die Menschen Menschen sind, wird das Eigentum
die empfindlichste Stelle bleiben, an der sie berührt werden können. Der
Versuch einer allgemeinen Expropriation ohne vollwertige Entschädigung -- und
eine solche ist nicht denkbar -- wäre gleichbedeutend mit der Entfesselung des
furchtbarsten Bürgerkriegs. Mehr brauchen wir von dem Zukunftsstaate nicht
zu wissen. Es ist unnütz, sich Hirngespinste bis ins kleinste auszumalen, die
mit dem innersten Wesen der Menschennatur in ewig unversöhnlichem Wider¬
spruche stehn werden. Eben weil das der Fall ist, ist es auch ausgeschlossen,
daß die Verfechter einer Gesellschaft ohne Privateigentum jemals auf die Dauer
die Oberhand gewinnen würden; in irgendeiner Form, am wahrscheinlichsten
in der einer scharfen Diktatur, würde der alte Zustand wiederhergestellt werden,
vielleicht aber erst, nachdem man durch Ströme von Menschenblut gewatet, und
nachdem unsre heutige Kultur um Jahrzehnte, wenn nicht um Jahrhunderte
zurückgeworfen wäre.

Der Minister Clemenceau hat mit seiner Verteidigung gegen die Jauresschen
Angriffe einen großen rednerischen Triumph davongetragen; aber er hat ihn nur
seiner witzigen Verspottung der Unfähigkeit und der Unfruchtbarkeit der Sozial¬
demokratie gegenüber den unabweisbar dringlichen Aufgaben der Gegenwart
zu danken, nicht etwa einer klaren und entschiednen Zurückweisung ihrer
Zukunftsbestrebungen. Die Expropriationstheorie des Herrn Jaures versprach
er sogar studieren zu wollen. Angesichts der auch von Herrn Clemenceau
nicht verleugneten Spekulation des bürgerlichen Radikalismus und seiner Re¬
gierung auf die gelegentliche Unterstützung der vereinigten Sozialdemokraten,


vom Zukunftsstaat

gegensatz schroffer als je zuvor sein würde. Der Vorwärts belehrt uns aber,
in solchen Einwendungen komme nur die ganz besondre Unwissenheit der fran¬
zösischen Bourgeoispolitiker in ökonomischen Dingen zum Ausdruck. „Der
Rentierverstand des französischen Normalbürgers, sagt das sozialdemokratische
Zentralorgan, hat eben keine Ahnung davon, daß aller Profit aus der Aus¬
beutung der Lohnarbeit stammt, und daß das schönste Kapital nichts nützt,
sobald die kapitalistische Mehrwertsproduktion aufhört." Mit andern Worten:
die vom Zukunftsstaate den alten Privateigentümern gewährten Entschädigungen
würden wertlos sein wie die Assignaten der französischen Revolution. Man
kann dem überschlauen Vorwärts für dieses Wort dankbar sein; er bekennt,
daß die Entschädigung bei der allgemeinen Expropriation nichts als eine
lächerliche Komödie sein würde.

Als Herr Jaures schließlich erklärte, ob es überhaupt eine Entschädigung
geben werde, sei heute unmöglich vorherzusagen, erhob sich ein ungeheurer
Lärm. Darauf bemerkte der Redner: „Was für ein lehrreiches Beispiel! So¬
lange mau Minister angreift, herrscht Stille und Aufmerksamkeit, sobald man
aber das Eigentum aufs Tapet bringt, geraten alle Fibern, die ganze Substanz
der Menschen in Erregung." Das ist die beachtenswerteste Stelle der ganzen
Rede. Herr Jaures sollte sich die Lehren dieser von ihm gemachten Erfahrung
zu Herzen nehmen. Solange die Menschen Menschen sind, wird das Eigentum
die empfindlichste Stelle bleiben, an der sie berührt werden können. Der
Versuch einer allgemeinen Expropriation ohne vollwertige Entschädigung — und
eine solche ist nicht denkbar — wäre gleichbedeutend mit der Entfesselung des
furchtbarsten Bürgerkriegs. Mehr brauchen wir von dem Zukunftsstaate nicht
zu wissen. Es ist unnütz, sich Hirngespinste bis ins kleinste auszumalen, die
mit dem innersten Wesen der Menschennatur in ewig unversöhnlichem Wider¬
spruche stehn werden. Eben weil das der Fall ist, ist es auch ausgeschlossen,
daß die Verfechter einer Gesellschaft ohne Privateigentum jemals auf die Dauer
die Oberhand gewinnen würden; in irgendeiner Form, am wahrscheinlichsten
in der einer scharfen Diktatur, würde der alte Zustand wiederhergestellt werden,
vielleicht aber erst, nachdem man durch Ströme von Menschenblut gewatet, und
nachdem unsre heutige Kultur um Jahrzehnte, wenn nicht um Jahrhunderte
zurückgeworfen wäre.

Der Minister Clemenceau hat mit seiner Verteidigung gegen die Jauresschen
Angriffe einen großen rednerischen Triumph davongetragen; aber er hat ihn nur
seiner witzigen Verspottung der Unfähigkeit und der Unfruchtbarkeit der Sozial¬
demokratie gegenüber den unabweisbar dringlichen Aufgaben der Gegenwart
zu danken, nicht etwa einer klaren und entschiednen Zurückweisung ihrer
Zukunftsbestrebungen. Die Expropriationstheorie des Herrn Jaures versprach
er sogar studieren zu wollen. Angesichts der auch von Herrn Clemenceau
nicht verleugneten Spekulation des bürgerlichen Radikalismus und seiner Re¬
gierung auf die gelegentliche Unterstützung der vereinigten Sozialdemokraten,


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[0132] vom Zukunftsstaat gegensatz schroffer als je zuvor sein würde. Der Vorwärts belehrt uns aber, in solchen Einwendungen komme nur die ganz besondre Unwissenheit der fran¬ zösischen Bourgeoispolitiker in ökonomischen Dingen zum Ausdruck. „Der Rentierverstand des französischen Normalbürgers, sagt das sozialdemokratische Zentralorgan, hat eben keine Ahnung davon, daß aller Profit aus der Aus¬ beutung der Lohnarbeit stammt, und daß das schönste Kapital nichts nützt, sobald die kapitalistische Mehrwertsproduktion aufhört." Mit andern Worten: die vom Zukunftsstaate den alten Privateigentümern gewährten Entschädigungen würden wertlos sein wie die Assignaten der französischen Revolution. Man kann dem überschlauen Vorwärts für dieses Wort dankbar sein; er bekennt, daß die Entschädigung bei der allgemeinen Expropriation nichts als eine lächerliche Komödie sein würde. Als Herr Jaures schließlich erklärte, ob es überhaupt eine Entschädigung geben werde, sei heute unmöglich vorherzusagen, erhob sich ein ungeheurer Lärm. Darauf bemerkte der Redner: „Was für ein lehrreiches Beispiel! So¬ lange mau Minister angreift, herrscht Stille und Aufmerksamkeit, sobald man aber das Eigentum aufs Tapet bringt, geraten alle Fibern, die ganze Substanz der Menschen in Erregung." Das ist die beachtenswerteste Stelle der ganzen Rede. Herr Jaures sollte sich die Lehren dieser von ihm gemachten Erfahrung zu Herzen nehmen. Solange die Menschen Menschen sind, wird das Eigentum die empfindlichste Stelle bleiben, an der sie berührt werden können. Der Versuch einer allgemeinen Expropriation ohne vollwertige Entschädigung — und eine solche ist nicht denkbar — wäre gleichbedeutend mit der Entfesselung des furchtbarsten Bürgerkriegs. Mehr brauchen wir von dem Zukunftsstaate nicht zu wissen. Es ist unnütz, sich Hirngespinste bis ins kleinste auszumalen, die mit dem innersten Wesen der Menschennatur in ewig unversöhnlichem Wider¬ spruche stehn werden. Eben weil das der Fall ist, ist es auch ausgeschlossen, daß die Verfechter einer Gesellschaft ohne Privateigentum jemals auf die Dauer die Oberhand gewinnen würden; in irgendeiner Form, am wahrscheinlichsten in der einer scharfen Diktatur, würde der alte Zustand wiederhergestellt werden, vielleicht aber erst, nachdem man durch Ströme von Menschenblut gewatet, und nachdem unsre heutige Kultur um Jahrzehnte, wenn nicht um Jahrhunderte zurückgeworfen wäre. Der Minister Clemenceau hat mit seiner Verteidigung gegen die Jauresschen Angriffe einen großen rednerischen Triumph davongetragen; aber er hat ihn nur seiner witzigen Verspottung der Unfähigkeit und der Unfruchtbarkeit der Sozial¬ demokratie gegenüber den unabweisbar dringlichen Aufgaben der Gegenwart zu danken, nicht etwa einer klaren und entschiednen Zurückweisung ihrer Zukunftsbestrebungen. Die Expropriationstheorie des Herrn Jaures versprach er sogar studieren zu wollen. Angesichts der auch von Herrn Clemenceau nicht verleugneten Spekulation des bürgerlichen Radikalismus und seiner Re¬ gierung auf die gelegentliche Unterstützung der vereinigten Sozialdemokraten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/132>, abgerufen am 23.07.2024.