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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

Anfange des vierten vorchristlichen Jahrhunderts die ganze Mitte der Potiefebene
zwischen den Ligurern im Westen, den (illyrischen) Venetern im Osten, südlich vom
Apennin Etrurien bis zum Tiber beherrschten; sie sind also längs jener großen
nordsüdlichen Linie vorgerückt, und einem der rätischen Stämme, den Breonen,
verdankt der Brenner seinen Namen, Die keltische Sturmflut, die seit dem
fünften Jahrhundert von Westen hereinbrach und den Etruskern das Poland
entriß, schob auch die Räder in das Hochgebirge zurück, nahm ihnen Verona
und Trident, In dieser Abgeschiedenheit aber behaupteten sie sich durch alle
Zeiten, und noch jetzt leben die Namen einiger ihrer Stämme in der Bezeichnung
tirolischer Landschaften fort: der Brenner heißt nach den Breonen, der Eisack
(Jsarcus) nach den Jsarkern, der Vintschgau nach den Venosten, das Nontal
(Val ti Non) nach den Anaunern, Ans dieser Abgeschiedenheit wurden die
Räder erst durch die Ausbreitung der römischen Herrschaft herausgerissen, als
diese um 200 v, Chr, das Keltenland am Po endlich bemeisterte und bis an den
Fuß der Alpen vordrang. Damit trat auch die Brennerstraße allmählich in den
Gesichtskreis der Römer, sehr nachdrücklich, als im Jahre 101 v. Chr. die Cimbern
auf ihr südwärts zogen und das römische Heer, das sie bei Trident erwartete,
zum eiligen Abzug zwangen. Aber erst die fortdauernden Raubzüge der Ruder,
die auch die Anlage der römischen Kolonie Cvmum (Como) veranlaßte, führte
im Jahre 15 v, Chr. zur Unterwerfung Rütiens. Die neue Provinz dieses Namens
reichte im Westen am Südufer des Bodensees bis Tasgcitium (Eschenz) bei Stein
am Rhein, umfaßte also uicht nur das Oberrheintal mit den Tälern des Vorder-
und Hinterrheins bis zum Gotthardstock samt dem Oberengadin, sondern auch
den obersten Teil des Reußwls und das ganze Wallis (Vallis Poenina) bis
an den Genfer See; im Norden dehnte sie sich bis zur obern Donau aus, im
Westen bis an den Jnn und den Ziller. Der Süden des Landes mit den nun
unter ladinischen Recht römisch organisierten Stadtgemeinden Verona, Trident
und Feltria (Feltre) war schon um 89 zum cisalpinischen Gallien geschlagen
und von Rätier losgerissen worden, sodaß die Grenze Rütiens seitdem bei
Klausen an der Etsch verlief. Kaiser Augustus zog endlich jenes ganze Gebiet,
nachdem schon Cäsar 4-9 dein cisalpinischen Gallien das römische Bürgerrecht
verliehen hatte, zu Italien.

Augustus war es auch, der die Brennerstraße eröffnete (Via Augusta).
Sie lief, wie natürlich, von Verona im Etschtcile über Trident nach Klausen,
wo die Zollgrenze war, bog bei Bozen (Bauzanum) in das Eisacktal ein, er¬
reichte, dessen Engen zuweilen umgehend, bei Vipitenum (Sterzing) den Fuß
des Brenners, beiVeldidena (Mitten südlich von Innsbruck) das Inntal. Aber
dessen breiter und damals wahrscheinlich versumpfter Sohle folgte sie nicht nach
Osten zu dem bequemsten Ausgange auf die oberbayrische Hochebene, womit sie
sich, wie die heutige Eisenbahn, jeden weitern Gebirgsübergcmg erspart hätte,
sondern sie zog ein Stück westwärts bis Zirl und erstieg dann die steile Wand der
Scharnitz, um von dort über Seefeld, Mittenwald und Partenkirchen (Partanum)


Über den Brenner

Anfange des vierten vorchristlichen Jahrhunderts die ganze Mitte der Potiefebene
zwischen den Ligurern im Westen, den (illyrischen) Venetern im Osten, südlich vom
Apennin Etrurien bis zum Tiber beherrschten; sie sind also längs jener großen
nordsüdlichen Linie vorgerückt, und einem der rätischen Stämme, den Breonen,
verdankt der Brenner seinen Namen, Die keltische Sturmflut, die seit dem
fünften Jahrhundert von Westen hereinbrach und den Etruskern das Poland
entriß, schob auch die Räder in das Hochgebirge zurück, nahm ihnen Verona
und Trident, In dieser Abgeschiedenheit aber behaupteten sie sich durch alle
Zeiten, und noch jetzt leben die Namen einiger ihrer Stämme in der Bezeichnung
tirolischer Landschaften fort: der Brenner heißt nach den Breonen, der Eisack
(Jsarcus) nach den Jsarkern, der Vintschgau nach den Venosten, das Nontal
(Val ti Non) nach den Anaunern, Ans dieser Abgeschiedenheit wurden die
Räder erst durch die Ausbreitung der römischen Herrschaft herausgerissen, als
diese um 200 v, Chr, das Keltenland am Po endlich bemeisterte und bis an den
Fuß der Alpen vordrang. Damit trat auch die Brennerstraße allmählich in den
Gesichtskreis der Römer, sehr nachdrücklich, als im Jahre 101 v. Chr. die Cimbern
auf ihr südwärts zogen und das römische Heer, das sie bei Trident erwartete,
zum eiligen Abzug zwangen. Aber erst die fortdauernden Raubzüge der Ruder,
die auch die Anlage der römischen Kolonie Cvmum (Como) veranlaßte, führte
im Jahre 15 v, Chr. zur Unterwerfung Rütiens. Die neue Provinz dieses Namens
reichte im Westen am Südufer des Bodensees bis Tasgcitium (Eschenz) bei Stein
am Rhein, umfaßte also uicht nur das Oberrheintal mit den Tälern des Vorder-
und Hinterrheins bis zum Gotthardstock samt dem Oberengadin, sondern auch
den obersten Teil des Reußwls und das ganze Wallis (Vallis Poenina) bis
an den Genfer See; im Norden dehnte sie sich bis zur obern Donau aus, im
Westen bis an den Jnn und den Ziller. Der Süden des Landes mit den nun
unter ladinischen Recht römisch organisierten Stadtgemeinden Verona, Trident
und Feltria (Feltre) war schon um 89 zum cisalpinischen Gallien geschlagen
und von Rätier losgerissen worden, sodaß die Grenze Rütiens seitdem bei
Klausen an der Etsch verlief. Kaiser Augustus zog endlich jenes ganze Gebiet,
nachdem schon Cäsar 4-9 dein cisalpinischen Gallien das römische Bürgerrecht
verliehen hatte, zu Italien.

Augustus war es auch, der die Brennerstraße eröffnete (Via Augusta).
Sie lief, wie natürlich, von Verona im Etschtcile über Trident nach Klausen,
wo die Zollgrenze war, bog bei Bozen (Bauzanum) in das Eisacktal ein, er¬
reichte, dessen Engen zuweilen umgehend, bei Vipitenum (Sterzing) den Fuß
des Brenners, beiVeldidena (Mitten südlich von Innsbruck) das Inntal. Aber
dessen breiter und damals wahrscheinlich versumpfter Sohle folgte sie nicht nach
Osten zu dem bequemsten Ausgange auf die oberbayrische Hochebene, womit sie
sich, wie die heutige Eisenbahn, jeden weitern Gebirgsübergcmg erspart hätte,
sondern sie zog ein Stück westwärts bis Zirl und erstieg dann die steile Wand der
Scharnitz, um von dort über Seefeld, Mittenwald und Partenkirchen (Partanum)


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/13>, abgerufen am 27.12.2024.