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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die zukünftige ZVclthandelslinie rund um die Erde

türmenden Sierra Madre, die bis jetzt nur auf einigen Saumpfaden und auf
diesen auch nur unter großen Mühen und Gefahren passiert werden kann.

Porfiriv Diaz, der seit einem Menschenalter mit der Staatsklugheit eines
Bismarck die Geschicke der Vereinigten Staaten von Mexiko lenkt, hat dem Stil-
wellschcn Unternehmen seine ganze Gunst zugewandt und ihm, zusammen mit
den mexikanischen Staaten Chihucchua und Sinaloa, deren Gebiet direkt durch¬
schnitten wird, eine Subvention von 3500000 Dollar gewährt, außer sehr wert¬
vollen Bergbaugerechtigkeiten und Holznutzungen. Als Don Porfirio vor dreißig
Jahren den Präsidentenstnhl bestieg, hatte das Land drei Jahrhunderte unter
dem grausamen Regiment der blutgierigen spanischen Unterdrücker geseufzt und
darauf sechzig Jahre Revolutionen und Bürgerkriege und endlich die französische
Invasion mit ihre" Folgen durchgemacht. Von einer mexikanischen Nation
als solcher konnte damals keine Rede sein. Zwanzig verschiedne Staaten, durch
sehr wenig gemeinsame Interessen aneinandergeknüpft, von den verschiedensten
Völkerstämmen bewohnt, standen infolge des Mangels fast jeder Verkehrswege
miteinander kaum in Verkehr. Reisen, sogar zwischen benachbarten Städten,
konnten nicht ohne bewaffnete Eskorte ausgeführt werden. Es herrschten Gewalt
lind Willkür, und die politische Macht lag in der Hand gewissenloser Räuber,
die die immer nur kurze Zeit ihrer Regierung benutzten, sich und die Ihrigen
zu bereichern. Die große Masse des Volkes war unwissend und abergläubisch;
es gab keine Schulen außer deu wenigen, die die katholischen Priester errichtet
hatten. Es gab keine moderne Industrie, und Landwirtschaft und Bergbau
wurden in der primitivsten Weise der Urväter ausgeübt.

Aus diesem Chaos hat ein einziger Mann das moderne Mexiko geschaffen
und in dreißig Jahren vier Jahrhunderte nachgeholt. Es kann allen Anhängern
der utopistischen Theorien, wonach die Masse und nicht die großen Männer die
Geschichte machen sollen, nur empfohlen werden, sich nach Mexiko zu begeben,
nachdem sie vorher die Werke von Humboldt, Prescott und Nichthvfen über die
dortigen Zustände vor 1875 gelesen haben. Kein einziger hat es damals für
möglich gehalten, daß das Land in absehbarer Zeit aus seinem politischen Jn-
triguenspiel herauskommen und sich wirtschaftlich entwickeln könnte. Jetzt ist nur
einer Herr im Lande, und niemand sonst darf sich mit Politik beschäftigen. Die
Sicherheit des Lebens und des Eigentums sind größer als in irgendeiner andern
amerikanischen Republik, die Union nicht ausgenommen, und rücksichtslos pflegt
Don Porfirio durchzugreifeu, wenn sich ein Beamter oder ein Richter erdreistet,
das Recht zu beugen. Die Landwirtschaft hat sich durch große Bewässerungs¬
anlagen quantitativ und qualitativ gehoben, viele neue Industrien sind entstanden,
der Bergbnn exportiert jährlich für 130 Millionen Pesos Produkte. Ein Eisen¬
bahnnetz von 12000 englischem Meilen Länge ist geschaffen und zum größten
Teil unter die Kontrolle der Regierung gebracht worden. Von den Seehäfen
sind Veracruz, Tampico und Cncchacualcos am Atlantischen und Salima Cruz
am Pazifischen Ozean für deu modernen Seeschiffverkehr eingerichtet worden.


Die zukünftige ZVclthandelslinie rund um die Erde

türmenden Sierra Madre, die bis jetzt nur auf einigen Saumpfaden und auf
diesen auch nur unter großen Mühen und Gefahren passiert werden kann.

Porfiriv Diaz, der seit einem Menschenalter mit der Staatsklugheit eines
Bismarck die Geschicke der Vereinigten Staaten von Mexiko lenkt, hat dem Stil-
wellschcn Unternehmen seine ganze Gunst zugewandt und ihm, zusammen mit
den mexikanischen Staaten Chihucchua und Sinaloa, deren Gebiet direkt durch¬
schnitten wird, eine Subvention von 3500000 Dollar gewährt, außer sehr wert¬
vollen Bergbaugerechtigkeiten und Holznutzungen. Als Don Porfirio vor dreißig
Jahren den Präsidentenstnhl bestieg, hatte das Land drei Jahrhunderte unter
dem grausamen Regiment der blutgierigen spanischen Unterdrücker geseufzt und
darauf sechzig Jahre Revolutionen und Bürgerkriege und endlich die französische
Invasion mit ihre» Folgen durchgemacht. Von einer mexikanischen Nation
als solcher konnte damals keine Rede sein. Zwanzig verschiedne Staaten, durch
sehr wenig gemeinsame Interessen aneinandergeknüpft, von den verschiedensten
Völkerstämmen bewohnt, standen infolge des Mangels fast jeder Verkehrswege
miteinander kaum in Verkehr. Reisen, sogar zwischen benachbarten Städten,
konnten nicht ohne bewaffnete Eskorte ausgeführt werden. Es herrschten Gewalt
lind Willkür, und die politische Macht lag in der Hand gewissenloser Räuber,
die die immer nur kurze Zeit ihrer Regierung benutzten, sich und die Ihrigen
zu bereichern. Die große Masse des Volkes war unwissend und abergläubisch;
es gab keine Schulen außer deu wenigen, die die katholischen Priester errichtet
hatten. Es gab keine moderne Industrie, und Landwirtschaft und Bergbau
wurden in der primitivsten Weise der Urväter ausgeübt.

Aus diesem Chaos hat ein einziger Mann das moderne Mexiko geschaffen
und in dreißig Jahren vier Jahrhunderte nachgeholt. Es kann allen Anhängern
der utopistischen Theorien, wonach die Masse und nicht die großen Männer die
Geschichte machen sollen, nur empfohlen werden, sich nach Mexiko zu begeben,
nachdem sie vorher die Werke von Humboldt, Prescott und Nichthvfen über die
dortigen Zustände vor 1875 gelesen haben. Kein einziger hat es damals für
möglich gehalten, daß das Land in absehbarer Zeit aus seinem politischen Jn-
triguenspiel herauskommen und sich wirtschaftlich entwickeln könnte. Jetzt ist nur
einer Herr im Lande, und niemand sonst darf sich mit Politik beschäftigen. Die
Sicherheit des Lebens und des Eigentums sind größer als in irgendeiner andern
amerikanischen Republik, die Union nicht ausgenommen, und rücksichtslos pflegt
Don Porfirio durchzugreifeu, wenn sich ein Beamter oder ein Richter erdreistet,
das Recht zu beugen. Die Landwirtschaft hat sich durch große Bewässerungs¬
anlagen quantitativ und qualitativ gehoben, viele neue Industrien sind entstanden,
der Bergbnn exportiert jährlich für 130 Millionen Pesos Produkte. Ein Eisen¬
bahnnetz von 12000 englischem Meilen Länge ist geschaffen und zum größten
Teil unter die Kontrolle der Regierung gebracht worden. Von den Seehäfen
sind Veracruz, Tampico und Cncchacualcos am Atlantischen und Salima Cruz
am Pazifischen Ozean für deu modernen Seeschiffverkehr eingerichtet worden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/10>, abgerufen am 25.08.2024.