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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Anastasius Grün

Die "Blätter der Liebe" blieben in der revolutionären Aufregung der Zeit
fast völlig unbeachtet. Der Dichter hat einzelne Stücke daraus später nach
gehöriger Sichtung und Durcharbeitung in seine Gedichte von 1837 auf¬
genommen.

Einen festern Boden für seine Begabung fand er schon in seinem nächsten
Werke, dem Romcmzcnkranze: "Der letzte Ritter," der noch in demselben
Jahre wie die "Blätter der Liebe" erschien und weit mehr Beachtung fand.
Ein moderner "Teuerdank" sollte das Werk sein. Wie seine erste Schöpfung,
so war auch diese die Arbeit langer Jahre, ja sie reicht zum Teil noch in die
Studienzeit zurück. So war zum Beispiel die Beschreibung des Maximilian-
denkmals in der Innsbrucker Hofkirche und die Feier des Tiroler Freiheits¬
kampfes gegen Frankreich schon 1829 fertig. Kaiser Maximilian der Erste,
der kühne Jäger und spintisierende, liebenswürdige Phantast, der alles Große
wollte, es aber nie erreichte, war ein Romanzenheld, wie ihn Anastasius Grün
gerade brauchen konnte. Der Stoff und die Zeit deuteten schon die Richtung
an, die der Dichter später so bestimmt einschlug. Nicht nur der erzgepanzcrte
Held sollte der verweichlichten Gegenwart, dem "seidnen Zeitalter," als ein
Musterbild entgegentreten, sondern die Zeit Maximilians schien auch der Zeit
des Vormärz zu ähneln. Es war eine Zeit der Vorbereitung wie diese, eine
Periode, in der alte, überlebte Formen mit neuen, nach fester Gestaltung
ringenden schon im Kampfe lagen. Aus der Schlaffheit und dem Dämmer¬
zustände der Gegenwart wollte der Dichter seine Zeitgenossen aufrütteln, denn

er klagt.

Die Himmelstochter Begeisterung soll herabsteigen, um den "Unhold unsrer
Zeit," das "schläfriglahme Scheusal, genannt Gleichgiltigkeit," zu bezwingen.
Uhlcmds Rauschebartrhapsodien mochten den Dichter zu seinem Noincmzenkrcii^e
angeregt haben. Wie dort, so findet sich auch hier, ja hier noch mehr, viel
echter, anmutiger süddeutscher Humor, wie zum Beispiel in der Zeichnung des
Hofnarren Kunz von Rosen, aus dem besonders des Dichters muntre Laune
spricht. Zwar zeigt sich noch nichts von der eigentlichen Tagesparole, noch
nichts von der leidenschaftlichen Sprache der freiheitbegeisterten Zeit, aber der
neue Geist regt doch auch hier schon die Schwingen, denn der sterbende letzte
Ritter weist seinen Erben Karl von Gent auf die reformatorischen Gedanken
hin, wenn er ihm zuruft:

Dich rufen andre Kämpfe, die Schwerter rösten ein,
Ein Kampf wirds der Gedanken, der Geist wird Kämpfer fein:
Ein schlichtes Mönchlein predigt zu Wittenberg im Dom,
Da bebt auf seinem Thronsitz der Mönche Fürst zu Rom.
Ein neuer Dom steigt herrlich in Deutschland dann empor,
Da wacht mit Lichteswaffen der Heilgen Streiter Chor:
An seinen Pforten möge der Spruch der Weisen stehn:
Jsts Gottes Werk, wirds bleiben, wo nicht, selbst untergehn!

Anastasius Grün

Die „Blätter der Liebe" blieben in der revolutionären Aufregung der Zeit
fast völlig unbeachtet. Der Dichter hat einzelne Stücke daraus später nach
gehöriger Sichtung und Durcharbeitung in seine Gedichte von 1837 auf¬
genommen.

Einen festern Boden für seine Begabung fand er schon in seinem nächsten
Werke, dem Romcmzcnkranze: „Der letzte Ritter," der noch in demselben
Jahre wie die „Blätter der Liebe" erschien und weit mehr Beachtung fand.
Ein moderner „Teuerdank" sollte das Werk sein. Wie seine erste Schöpfung,
so war auch diese die Arbeit langer Jahre, ja sie reicht zum Teil noch in die
Studienzeit zurück. So war zum Beispiel die Beschreibung des Maximilian-
denkmals in der Innsbrucker Hofkirche und die Feier des Tiroler Freiheits¬
kampfes gegen Frankreich schon 1829 fertig. Kaiser Maximilian der Erste,
der kühne Jäger und spintisierende, liebenswürdige Phantast, der alles Große
wollte, es aber nie erreichte, war ein Romanzenheld, wie ihn Anastasius Grün
gerade brauchen konnte. Der Stoff und die Zeit deuteten schon die Richtung
an, die der Dichter später so bestimmt einschlug. Nicht nur der erzgepanzcrte
Held sollte der verweichlichten Gegenwart, dem „seidnen Zeitalter," als ein
Musterbild entgegentreten, sondern die Zeit Maximilians schien auch der Zeit
des Vormärz zu ähneln. Es war eine Zeit der Vorbereitung wie diese, eine
Periode, in der alte, überlebte Formen mit neuen, nach fester Gestaltung
ringenden schon im Kampfe lagen. Aus der Schlaffheit und dem Dämmer¬
zustände der Gegenwart wollte der Dichter seine Zeitgenossen aufrütteln, denn

er klagt.

Die Himmelstochter Begeisterung soll herabsteigen, um den „Unhold unsrer
Zeit," das „schläfriglahme Scheusal, genannt Gleichgiltigkeit," zu bezwingen.
Uhlcmds Rauschebartrhapsodien mochten den Dichter zu seinem Noincmzenkrcii^e
angeregt haben. Wie dort, so findet sich auch hier, ja hier noch mehr, viel
echter, anmutiger süddeutscher Humor, wie zum Beispiel in der Zeichnung des
Hofnarren Kunz von Rosen, aus dem besonders des Dichters muntre Laune
spricht. Zwar zeigt sich noch nichts von der eigentlichen Tagesparole, noch
nichts von der leidenschaftlichen Sprache der freiheitbegeisterten Zeit, aber der
neue Geist regt doch auch hier schon die Schwingen, denn der sterbende letzte
Ritter weist seinen Erben Karl von Gent auf die reformatorischen Gedanken
hin, wenn er ihm zuruft:

Dich rufen andre Kämpfe, die Schwerter rösten ein,
Ein Kampf wirds der Gedanken, der Geist wird Kämpfer fein:
Ein schlichtes Mönchlein predigt zu Wittenberg im Dom,
Da bebt auf seinem Thronsitz der Mönche Fürst zu Rom.
Ein neuer Dom steigt herrlich in Deutschland dann empor,
Da wacht mit Lichteswaffen der Heilgen Streiter Chor:
An seinen Pforten möge der Spruch der Weisen stehn:
Jsts Gottes Werk, wirds bleiben, wo nicht, selbst untergehn!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/96>, abgerufen am 24.07.2024.