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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Bopvarder Krieg

Erst wenn der letzte Kampf des Halbmondes in Europa hier vor Konstan¬
tinopel ausgetragen sein wird, wo auch das christlich-byzantinische Kaiserreich
endgiltig erlag, erst dann wird eine in Jahrhunderten großgezogne Mißwirtschaft
geordneten Verhältnissen Platz machen. Wird Rußland, nachdem es die schweren
Stürme und Erschütterungen der Jetztzeit überwunden haben wird, zur Stelle
sein, um seine "historische Mission in Zargrad" aufzunehmen? Wird es Ordnung
schaffen können? Nachdem ich auf unsrer weiten Fahrt die Erfolge russischer
Kolonisation in Zentralasien kennen gelernt habe, stehe ich nicht an, die letzte
Frage trotz allem, was jetzt dagegen zu sprechen scheint, mit Ja zu beantworten.




Der Bopparder Krieg
Ei Julius R. Haarhaus ne rheinische Geschichte von
(Fortsetzung)

> in Spätnachmittage des fünfzehnten Juni saßen Herr Emmerich von
Nassau, der kurfürstliche Amtmann, und Herr Wygcmt von Moders¬
bach, der Schloßhauptmann, in dem nach dem Rheine zu liegenden
Hauptgemach der erzbischöflichen Burg und Vertrieben sich die Lange¬
weile beim Zabelspiel, wahrend Wygants Bruder, Herr Daniel, und
>der Schloßkaplan Heseler in einer der Fensternischen standen und auf
den Strom hinaussahen. Keiner der vier Männer sprach ein Wort. Über das,
was ihre Gedanken beschäftigte, was sie zu fürchten und zu hoffen hatten, brauchten
sie einander nichts mehr mitzuteilen, und so war es gekommen, daß ihnen der
Gesprächsstoff eher ausgegangen war als die Lebensmittel, die, wenn sie auch nur
noch aus einem kleinen Vorrat an Mehl und trocknen Erbsen bestanden, immerhin
noch für etliche Tage ausreichten. Allerdings machte die alte Billa, des Amtmanns
Magd, die in der belagerten Burg das einzige weibliche Wesen war, die Rationen
täglich kleiner, aber über diesen Mißstand half den Männern das wohlbestellte
Weinlager hinweg, das sie trotz der sauern Miene, die der kurfürstliche Kellner,
Herr Philipp von Heimersheim, dazu machte, nicht schonten. Die Lage der Ein¬
geschlossenen war verzweifelt genug, hauptsächlich deshalb, weil sie sich zur gänzlichen
Untätigkeit verdammt sahen. Es wäre ihnen nicht schwer gewesen, zu geeigneter
Zeit einen Ausfall zu machen und ihre Belagerer zu überrumpeln oder mit Hilfe
eines der Nachen, die in großer Anzahl unterhalb der Burg angekettet lagen, das
Weite zu suchen, aber dann wäre die Burg in die Hände der Städtischen gefallen,
und der Kurfürst hätte den letzten Stützpunkt verloren, über den er in der unbot¬
mäßigen Stadt noch verfügte. Es blieb ihnen also nichts andres übrig, als aus¬
zuharren, bis sie durch ihren Herrn, von dessen bevorstehendem Anmarsch sie durch
einen in die Burg geschossenen Brief Kunde erhalten hatten, entsetzt werden würden.
In der kommenden Nacht sollte Simon von Bacharach, ein Schutzjude des Kur¬
fürsten, noch einmal den Versuch machen, Vieh zu landen, aber da solche Versuche
bisher immer mißglückt waren, sah man dem großen Ereignis ohne sonderliche
Hoffnung auf Erfolg entgegen. Dieselbe schwüle Stille, die draußen in der Natur
herrschte, lag auch in den dumpfigen Räumen der Burg und über deu Gemütern
ihrer Bewohner.


Der Bopvarder Krieg

Erst wenn der letzte Kampf des Halbmondes in Europa hier vor Konstan¬
tinopel ausgetragen sein wird, wo auch das christlich-byzantinische Kaiserreich
endgiltig erlag, erst dann wird eine in Jahrhunderten großgezogne Mißwirtschaft
geordneten Verhältnissen Platz machen. Wird Rußland, nachdem es die schweren
Stürme und Erschütterungen der Jetztzeit überwunden haben wird, zur Stelle
sein, um seine „historische Mission in Zargrad" aufzunehmen? Wird es Ordnung
schaffen können? Nachdem ich auf unsrer weiten Fahrt die Erfolge russischer
Kolonisation in Zentralasien kennen gelernt habe, stehe ich nicht an, die letzte
Frage trotz allem, was jetzt dagegen zu sprechen scheint, mit Ja zu beantworten.




Der Bopparder Krieg
Ei Julius R. Haarhaus ne rheinische Geschichte von
(Fortsetzung)

> in Spätnachmittage des fünfzehnten Juni saßen Herr Emmerich von
Nassau, der kurfürstliche Amtmann, und Herr Wygcmt von Moders¬
bach, der Schloßhauptmann, in dem nach dem Rheine zu liegenden
Hauptgemach der erzbischöflichen Burg und Vertrieben sich die Lange¬
weile beim Zabelspiel, wahrend Wygants Bruder, Herr Daniel, und
>der Schloßkaplan Heseler in einer der Fensternischen standen und auf
den Strom hinaussahen. Keiner der vier Männer sprach ein Wort. Über das,
was ihre Gedanken beschäftigte, was sie zu fürchten und zu hoffen hatten, brauchten
sie einander nichts mehr mitzuteilen, und so war es gekommen, daß ihnen der
Gesprächsstoff eher ausgegangen war als die Lebensmittel, die, wenn sie auch nur
noch aus einem kleinen Vorrat an Mehl und trocknen Erbsen bestanden, immerhin
noch für etliche Tage ausreichten. Allerdings machte die alte Billa, des Amtmanns
Magd, die in der belagerten Burg das einzige weibliche Wesen war, die Rationen
täglich kleiner, aber über diesen Mißstand half den Männern das wohlbestellte
Weinlager hinweg, das sie trotz der sauern Miene, die der kurfürstliche Kellner,
Herr Philipp von Heimersheim, dazu machte, nicht schonten. Die Lage der Ein¬
geschlossenen war verzweifelt genug, hauptsächlich deshalb, weil sie sich zur gänzlichen
Untätigkeit verdammt sahen. Es wäre ihnen nicht schwer gewesen, zu geeigneter
Zeit einen Ausfall zu machen und ihre Belagerer zu überrumpeln oder mit Hilfe
eines der Nachen, die in großer Anzahl unterhalb der Burg angekettet lagen, das
Weite zu suchen, aber dann wäre die Burg in die Hände der Städtischen gefallen,
und der Kurfürst hätte den letzten Stützpunkt verloren, über den er in der unbot¬
mäßigen Stadt noch verfügte. Es blieb ihnen also nichts andres übrig, als aus¬
zuharren, bis sie durch ihren Herrn, von dessen bevorstehendem Anmarsch sie durch
einen in die Burg geschossenen Brief Kunde erhalten hatten, entsetzt werden würden.
In der kommenden Nacht sollte Simon von Bacharach, ein Schutzjude des Kur¬
fürsten, noch einmal den Versuch machen, Vieh zu landen, aber da solche Versuche
bisher immer mißglückt waren, sah man dem großen Ereignis ohne sonderliche
Hoffnung auf Erfolg entgegen. Dieselbe schwüle Stille, die draußen in der Natur
herrschte, lag auch in den dumpfigen Räumen der Burg und über deu Gemütern
ihrer Bewohner.


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[0722] Der Bopvarder Krieg Erst wenn der letzte Kampf des Halbmondes in Europa hier vor Konstan¬ tinopel ausgetragen sein wird, wo auch das christlich-byzantinische Kaiserreich endgiltig erlag, erst dann wird eine in Jahrhunderten großgezogne Mißwirtschaft geordneten Verhältnissen Platz machen. Wird Rußland, nachdem es die schweren Stürme und Erschütterungen der Jetztzeit überwunden haben wird, zur Stelle sein, um seine „historische Mission in Zargrad" aufzunehmen? Wird es Ordnung schaffen können? Nachdem ich auf unsrer weiten Fahrt die Erfolge russischer Kolonisation in Zentralasien kennen gelernt habe, stehe ich nicht an, die letzte Frage trotz allem, was jetzt dagegen zu sprechen scheint, mit Ja zu beantworten. Der Bopparder Krieg Ei Julius R. Haarhaus ne rheinische Geschichte von (Fortsetzung) > in Spätnachmittage des fünfzehnten Juni saßen Herr Emmerich von Nassau, der kurfürstliche Amtmann, und Herr Wygcmt von Moders¬ bach, der Schloßhauptmann, in dem nach dem Rheine zu liegenden Hauptgemach der erzbischöflichen Burg und Vertrieben sich die Lange¬ weile beim Zabelspiel, wahrend Wygants Bruder, Herr Daniel, und >der Schloßkaplan Heseler in einer der Fensternischen standen und auf den Strom hinaussahen. Keiner der vier Männer sprach ein Wort. Über das, was ihre Gedanken beschäftigte, was sie zu fürchten und zu hoffen hatten, brauchten sie einander nichts mehr mitzuteilen, und so war es gekommen, daß ihnen der Gesprächsstoff eher ausgegangen war als die Lebensmittel, die, wenn sie auch nur noch aus einem kleinen Vorrat an Mehl und trocknen Erbsen bestanden, immerhin noch für etliche Tage ausreichten. Allerdings machte die alte Billa, des Amtmanns Magd, die in der belagerten Burg das einzige weibliche Wesen war, die Rationen täglich kleiner, aber über diesen Mißstand half den Männern das wohlbestellte Weinlager hinweg, das sie trotz der sauern Miene, die der kurfürstliche Kellner, Herr Philipp von Heimersheim, dazu machte, nicht schonten. Die Lage der Ein¬ geschlossenen war verzweifelt genug, hauptsächlich deshalb, weil sie sich zur gänzlichen Untätigkeit verdammt sahen. Es wäre ihnen nicht schwer gewesen, zu geeigneter Zeit einen Ausfall zu machen und ihre Belagerer zu überrumpeln oder mit Hilfe eines der Nachen, die in großer Anzahl unterhalb der Burg angekettet lagen, das Weite zu suchen, aber dann wäre die Burg in die Hände der Städtischen gefallen, und der Kurfürst hätte den letzten Stützpunkt verloren, über den er in der unbot¬ mäßigen Stadt noch verfügte. Es blieb ihnen also nichts andres übrig, als aus¬ zuharren, bis sie durch ihren Herrn, von dessen bevorstehendem Anmarsch sie durch einen in die Burg geschossenen Brief Kunde erhalten hatten, entsetzt werden würden. In der kommenden Nacht sollte Simon von Bacharach, ein Schutzjude des Kur¬ fürsten, noch einmal den Versuch machen, Vieh zu landen, aber da solche Versuche bisher immer mißglückt waren, sah man dem großen Ereignis ohne sonderliche Hoffnung auf Erfolg entgegen. Dieselbe schwüle Stille, die draußen in der Natur herrschte, lag auch in den dumpfigen Räumen der Burg und über deu Gemütern ihrer Bewohner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/722>, abgerufen am 27.12.2024.