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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Aus der Hauptstadt des Sultans

Die Profanbauten in Stambul bieten nichts merkwürdiges und verschönern
das Stadtbild keineswegs. Dem Fremden sind sie inmitten des Gewirrs von
Häusern, Moscheen und Minaretts nützlich als Hilfsmittel für die Orientierung,
von welchem Punkt aus man auch das Stüdtebild auf sich einwirken läßt.
Besonders bemerkbar ist das Seraskierat, das Kriegsministerium, mit seinem
Turm, weithin zu erkennen, weil es auf einem der sogenannten sieben Hügel
erbaut ist, deren sich Konstantinopel ebenso wie Rom erfreuen soll. Um so
sehenswerter sind die Stätten des Kultes, der es fertig bekommen hat, das
lebenskräftige Christentum an einem seiner Zentren niederzukämpfen. So wenig
anheimelnd und erhebend allerdings das unverständliche Rezitieren von Koran¬
versen ist, so sehr muß der fromme Sinn anerkannt werden, der die Gläubigen
in großer Zahl in den Moscheen vereinigt und sie an strengem Ritus festhält.
Wenn ich während und außerhalb der Gebetszeit Moscheen besucht habe, mochte
ich mir immer von der ruhig ernsten Würde der Mullahs und der Gläubigen
ein klein wenig imponieren lassen.

Von den hauptsächlichsten Moscheen können die Achmedmoschee, Suleimauieh
und die Sophienmoschee miteinander in gewisser Beziehung wetteifern. Während
diese, einst das glänzendste Werk christlich-byzantinischer Baukunst, fast vierzehn
Jahrhunderte an sich hat vorüberziehn sehen und bei der Eroberung Konstan¬
tinopels durch ein entsetzliches Blutbad entweiht, schließlich zu einem Heiligtum
des Islams geworden ist, sind die beiden ersten hervorragende Denkmäler türkischer
Baukunst. In der Sophienmoschee, der Aja Sofia, hat der Glaubenseifer der
Moslems vernichtend gewirkt; die Ausstattung ist beseitigt, kostbarer Wandschmuck
übertüncht und durch vier gräßlich grüne Pappleinwandschilder mit den Namens¬
zügen der vier ersten Kalifen, jede Harmonie störend, verunziert. Um den
Gläubigen die Richtung nach Mekka zu weisen, liegen die den Fußboden be¬
deckenden Teppiche schräg zu den Wänden. Was sonst von türkischer Seite als
Schmuck angebracht ist, beschränkt sich auf die goldvergitterte Sultauslvge, die
Kanzel und die von der Decke herabhängenden Kronleuchter, die bei festlicher
Beleuchtung die Kirche in wunderbarem Licht erstrahlen lassen. Der Beschauer
wird doch vor allem gefesselt durch die ans übernatürliche grenzende Gestaltung
des Bauwerks, den verschlungnen Kuppelbau, der leider durch Erdbeben eine
gefährliche Eindeutung erhalten hat, durch mehrere Senkungen von Gebäudeteilen
bedroht scheint und schon außen durch Strebepfeiler hat abgestützt werden müssen-
Die nach dem Jahre 1600 erbaute Achmedmoschee sollte mit ihren sechs Minaretts
nach dem Befehl des Bauherrn die nahe Aja Sofia in ihrer Gesamtwirkung
äußerlich erreichen und gab deshalb Veranlassung, der Kaabamoschee in Mekka
ein siebentes Minarete anzuflicken, damit ihr auch äußerlich ein Vorrang gewahrt
bleibe. Auch sie ist ein hehres Bauwerk, das nur in den die äußern Halbkuppeln
abstützenden, den innern Kuppelring tragenden Säulen zu massig und in der Aus¬
stattung etwas kahl erscheint, aber in der Einheitlichkeit der reichen blauweißen
Fayencebekleidung im Innern vorzüglich wirkt. Die etwas ältere Suleimanieh gilt
als die schönste Moschee in der innern Ausstattung. Das hat sie außerdem voraus,
daß sie auf breiter Plattform auf einem Hügelrücken, das östliche Stambul be¬
herrschend, steht und in dieser Lage, weithin sichtbar, auch herrliche Rundblicke


Aus der Hauptstadt des Sultans

Die Profanbauten in Stambul bieten nichts merkwürdiges und verschönern
das Stadtbild keineswegs. Dem Fremden sind sie inmitten des Gewirrs von
Häusern, Moscheen und Minaretts nützlich als Hilfsmittel für die Orientierung,
von welchem Punkt aus man auch das Stüdtebild auf sich einwirken läßt.
Besonders bemerkbar ist das Seraskierat, das Kriegsministerium, mit seinem
Turm, weithin zu erkennen, weil es auf einem der sogenannten sieben Hügel
erbaut ist, deren sich Konstantinopel ebenso wie Rom erfreuen soll. Um so
sehenswerter sind die Stätten des Kultes, der es fertig bekommen hat, das
lebenskräftige Christentum an einem seiner Zentren niederzukämpfen. So wenig
anheimelnd und erhebend allerdings das unverständliche Rezitieren von Koran¬
versen ist, so sehr muß der fromme Sinn anerkannt werden, der die Gläubigen
in großer Zahl in den Moscheen vereinigt und sie an strengem Ritus festhält.
Wenn ich während und außerhalb der Gebetszeit Moscheen besucht habe, mochte
ich mir immer von der ruhig ernsten Würde der Mullahs und der Gläubigen
ein klein wenig imponieren lassen.

Von den hauptsächlichsten Moscheen können die Achmedmoschee, Suleimauieh
und die Sophienmoschee miteinander in gewisser Beziehung wetteifern. Während
diese, einst das glänzendste Werk christlich-byzantinischer Baukunst, fast vierzehn
Jahrhunderte an sich hat vorüberziehn sehen und bei der Eroberung Konstan¬
tinopels durch ein entsetzliches Blutbad entweiht, schließlich zu einem Heiligtum
des Islams geworden ist, sind die beiden ersten hervorragende Denkmäler türkischer
Baukunst. In der Sophienmoschee, der Aja Sofia, hat der Glaubenseifer der
Moslems vernichtend gewirkt; die Ausstattung ist beseitigt, kostbarer Wandschmuck
übertüncht und durch vier gräßlich grüne Pappleinwandschilder mit den Namens¬
zügen der vier ersten Kalifen, jede Harmonie störend, verunziert. Um den
Gläubigen die Richtung nach Mekka zu weisen, liegen die den Fußboden be¬
deckenden Teppiche schräg zu den Wänden. Was sonst von türkischer Seite als
Schmuck angebracht ist, beschränkt sich auf die goldvergitterte Sultauslvge, die
Kanzel und die von der Decke herabhängenden Kronleuchter, die bei festlicher
Beleuchtung die Kirche in wunderbarem Licht erstrahlen lassen. Der Beschauer
wird doch vor allem gefesselt durch die ans übernatürliche grenzende Gestaltung
des Bauwerks, den verschlungnen Kuppelbau, der leider durch Erdbeben eine
gefährliche Eindeutung erhalten hat, durch mehrere Senkungen von Gebäudeteilen
bedroht scheint und schon außen durch Strebepfeiler hat abgestützt werden müssen-
Die nach dem Jahre 1600 erbaute Achmedmoschee sollte mit ihren sechs Minaretts
nach dem Befehl des Bauherrn die nahe Aja Sofia in ihrer Gesamtwirkung
äußerlich erreichen und gab deshalb Veranlassung, der Kaabamoschee in Mekka
ein siebentes Minarete anzuflicken, damit ihr auch äußerlich ein Vorrang gewahrt
bleibe. Auch sie ist ein hehres Bauwerk, das nur in den die äußern Halbkuppeln
abstützenden, den innern Kuppelring tragenden Säulen zu massig und in der Aus¬
stattung etwas kahl erscheint, aber in der Einheitlichkeit der reichen blauweißen
Fayencebekleidung im Innern vorzüglich wirkt. Die etwas ältere Suleimanieh gilt
als die schönste Moschee in der innern Ausstattung. Das hat sie außerdem voraus,
daß sie auf breiter Plattform auf einem Hügelrücken, das östliche Stambul be¬
herrschend, steht und in dieser Lage, weithin sichtbar, auch herrliche Rundblicke


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[0716] Aus der Hauptstadt des Sultans Die Profanbauten in Stambul bieten nichts merkwürdiges und verschönern das Stadtbild keineswegs. Dem Fremden sind sie inmitten des Gewirrs von Häusern, Moscheen und Minaretts nützlich als Hilfsmittel für die Orientierung, von welchem Punkt aus man auch das Stüdtebild auf sich einwirken läßt. Besonders bemerkbar ist das Seraskierat, das Kriegsministerium, mit seinem Turm, weithin zu erkennen, weil es auf einem der sogenannten sieben Hügel erbaut ist, deren sich Konstantinopel ebenso wie Rom erfreuen soll. Um so sehenswerter sind die Stätten des Kultes, der es fertig bekommen hat, das lebenskräftige Christentum an einem seiner Zentren niederzukämpfen. So wenig anheimelnd und erhebend allerdings das unverständliche Rezitieren von Koran¬ versen ist, so sehr muß der fromme Sinn anerkannt werden, der die Gläubigen in großer Zahl in den Moscheen vereinigt und sie an strengem Ritus festhält. Wenn ich während und außerhalb der Gebetszeit Moscheen besucht habe, mochte ich mir immer von der ruhig ernsten Würde der Mullahs und der Gläubigen ein klein wenig imponieren lassen. Von den hauptsächlichsten Moscheen können die Achmedmoschee, Suleimauieh und die Sophienmoschee miteinander in gewisser Beziehung wetteifern. Während diese, einst das glänzendste Werk christlich-byzantinischer Baukunst, fast vierzehn Jahrhunderte an sich hat vorüberziehn sehen und bei der Eroberung Konstan¬ tinopels durch ein entsetzliches Blutbad entweiht, schließlich zu einem Heiligtum des Islams geworden ist, sind die beiden ersten hervorragende Denkmäler türkischer Baukunst. In der Sophienmoschee, der Aja Sofia, hat der Glaubenseifer der Moslems vernichtend gewirkt; die Ausstattung ist beseitigt, kostbarer Wandschmuck übertüncht und durch vier gräßlich grüne Pappleinwandschilder mit den Namens¬ zügen der vier ersten Kalifen, jede Harmonie störend, verunziert. Um den Gläubigen die Richtung nach Mekka zu weisen, liegen die den Fußboden be¬ deckenden Teppiche schräg zu den Wänden. Was sonst von türkischer Seite als Schmuck angebracht ist, beschränkt sich auf die goldvergitterte Sultauslvge, die Kanzel und die von der Decke herabhängenden Kronleuchter, die bei festlicher Beleuchtung die Kirche in wunderbarem Licht erstrahlen lassen. Der Beschauer wird doch vor allem gefesselt durch die ans übernatürliche grenzende Gestaltung des Bauwerks, den verschlungnen Kuppelbau, der leider durch Erdbeben eine gefährliche Eindeutung erhalten hat, durch mehrere Senkungen von Gebäudeteilen bedroht scheint und schon außen durch Strebepfeiler hat abgestützt werden müssen- Die nach dem Jahre 1600 erbaute Achmedmoschee sollte mit ihren sechs Minaretts nach dem Befehl des Bauherrn die nahe Aja Sofia in ihrer Gesamtwirkung äußerlich erreichen und gab deshalb Veranlassung, der Kaabamoschee in Mekka ein siebentes Minarete anzuflicken, damit ihr auch äußerlich ein Vorrang gewahrt bleibe. Auch sie ist ein hehres Bauwerk, das nur in den die äußern Halbkuppeln abstützenden, den innern Kuppelring tragenden Säulen zu massig und in der Aus¬ stattung etwas kahl erscheint, aber in der Einheitlichkeit der reichen blauweißen Fayencebekleidung im Innern vorzüglich wirkt. Die etwas ältere Suleimanieh gilt als die schönste Moschee in der innern Ausstattung. Das hat sie außerdem voraus, daß sie auf breiter Plattform auf einem Hügelrücken, das östliche Stambul be¬ herrschend, steht und in dieser Lage, weithin sichtbar, auch herrliche Rundblicke

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/716>, abgerufen am 29.12.2024.