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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Der Bopparder Rrieg

rannte er davon, seinen Spielgefährten nach, die schon gefürchtet hatten, ihr An¬
führer sei in die mütterliche Gefangenschaft geraten.

Seit das Mädchen wußte, daß sie in dem kleinen Bruder, der im Rebenstock
Regen und Sonnenschein machte und sogar dem strengen Vater gegenüber gelegentlich
mit kindlichem Eifer seine Meinung vertrat, einen Bundesgenossen hatte, ging ihr
die Arbeit leichter von der Hand. Sie ertappte sich sogar einmal zu ihrem eignen
Erstaunen dabei, daß sie, während sie vor dem Wäscheschränke stand und die lavendel¬
duftenden Bettlaken von feiner Klosterleinwand abzählte, ein Liedlein vor sich hin¬
summte.

Als der Vater kurz vor Mittag heimkam, war schon alles zur Aufnahme der
Gäste hergerichtet. Er ging von Gemach zu Gemach und prüfte die Vorbereitungen.
Zum Essen nahm er sich kaum Zeit, denn die Äbtissin hatte ihm aufgetragen, für
die Schwestern, die im Rebenstock nicht untergebracht werden konnten -- und das
waren im ganzen vierundachtzig --. in den angesehensten Bürgerhäusern der Stadt
Quartier zu machen. Das war keine leichte Arbeit, denn der Konvent wollte schon
am nächsten Tage in die Stadt ziehn. und der Häuser, die den adlichen Damen
standesgemäße Unterkunft bieten konnten, waren nicht allzu viele. Dazu kam, daß
auch die Klosterfrauen des Franziskanerstifts Se. Martin, das ebenfalls außerhalb
der Stadtmauern lag, in Boppard beherbergt werden mußten, und daß man über¬
dies in den nächsten Tagen den Adel aus der weitern Nachbarschaft, der in der
Stadt begütert war oder mit der Einwohnerschaft in Schutz- und Trutzbündnis
stand, samt einem großen Gefolge von Knechten erwartete.

In der Ratsversammlung, die heute schon kurz nach Sonnenaufgang zusammen¬
getreten war, hatte man beschlossen, die befreundeten Ritterbürtigen durch reitende
Boten nach Boppard laden zu lassen, auch Meister Mertloch den Austrag erteilt,
unverzüglich mit der Erhöhung der Mauer zu beginnen. So sah sich die ganze
Stadt mit einem Schlage in die lebhafteste Tätigkeit versetzt: überall wurde ge¬
schlachtet und gepökelt, gebraut und gebacken, gezimmert und getischlert; neben Meister
Mertloch und seinen Gesellen arbeiteten Ratsherren und Bürgersöhne freiwillig am
Neubau der Stadtmauer, schleppten trotz der sengenden Junisonne unverdrossen
Steine herbei und mengten den Mörtel. Andre erneuerten und verstärkten die Be¬
dachung des Wehrgangs, die Schuster trugen ihre Pechvorräte auf die Türme, und die
Steinmetzen hantierten Tag und Nacht mit Meißel und Schlägel, um die städtischen
Kartaunen mit Munition zu versehen.

Am Montag um die Mittagstunde hielten die Klosterfräulein von Marienberg
ihren Einzug in die Stadt. Zuerst kamen die Wagen mit der fahrenden Habe des
Stifts: die mächtigen Kasten aus Eichenholz, die den Silberschatz des Klosters, die
kostbaren Altargeräte und Meßgefäße, die massiven Statuetten der Heiligen, die
Leuchter und die Wandlichter, den großen Tafelaufsatz, die Karafinen, Waschbecken,
Gießkannen, Bratenschüsfeln, Suppenschalen. Kredenzplatten, Teller, Becher. Löffel
und Messer enthielten, dann das Klosterarchiv, die wertvollsten Stücke der Bibliothek,
die gewaltigen Lederbände mit den Antiphonaren und den Gradualen, endlich die
Borräte an selbstgewebten Linnen- und Wollenstoffen. Jeder Wagen wurde von
zwei bewaffneten Knechten eskortiert, denen sich die Holzfelder Bauern, die als des
Klosters Untertanen zur Hilfeleistung in außerordentlichen Fällen verpflichtet waren,
anschlössen. Dann folgte Pater Vincentius, der Propst, mit der goldnen Monstranz
und die beiden Mehrer mit dem Reliquienschrein, und ihnen schlossen sich in langem
Zuge die Chorfräulein. Laienschwestern und Novizen an. geführt von der Äbtissin,
der Wild- und Rheingräfin Margaretha, der das jüngste Chorfräulein, Anna von
Dalberg, den schweren, mit Edelsteinen besetzten Krummstab voraustrug.

An der Bcilzerpforte standen der Schultheiß, eine Deputation des Rates und
der Stiftsküfermeister Metzler zum Empfange der Flüchtlinge bereit und geleiteten
sie in ihre Quartiere. Auch wer von der Bürgerschaft gerade abkömmlich gewesen
war, hatte sich am Tore eingefunden und begrüßte die Gäste entweder mit respekt-


Der Bopparder Rrieg

rannte er davon, seinen Spielgefährten nach, die schon gefürchtet hatten, ihr An¬
führer sei in die mütterliche Gefangenschaft geraten.

Seit das Mädchen wußte, daß sie in dem kleinen Bruder, der im Rebenstock
Regen und Sonnenschein machte und sogar dem strengen Vater gegenüber gelegentlich
mit kindlichem Eifer seine Meinung vertrat, einen Bundesgenossen hatte, ging ihr
die Arbeit leichter von der Hand. Sie ertappte sich sogar einmal zu ihrem eignen
Erstaunen dabei, daß sie, während sie vor dem Wäscheschränke stand und die lavendel¬
duftenden Bettlaken von feiner Klosterleinwand abzählte, ein Liedlein vor sich hin¬
summte.

Als der Vater kurz vor Mittag heimkam, war schon alles zur Aufnahme der
Gäste hergerichtet. Er ging von Gemach zu Gemach und prüfte die Vorbereitungen.
Zum Essen nahm er sich kaum Zeit, denn die Äbtissin hatte ihm aufgetragen, für
die Schwestern, die im Rebenstock nicht untergebracht werden konnten — und das
waren im ganzen vierundachtzig —. in den angesehensten Bürgerhäusern der Stadt
Quartier zu machen. Das war keine leichte Arbeit, denn der Konvent wollte schon
am nächsten Tage in die Stadt ziehn. und der Häuser, die den adlichen Damen
standesgemäße Unterkunft bieten konnten, waren nicht allzu viele. Dazu kam, daß
auch die Klosterfrauen des Franziskanerstifts Se. Martin, das ebenfalls außerhalb
der Stadtmauern lag, in Boppard beherbergt werden mußten, und daß man über¬
dies in den nächsten Tagen den Adel aus der weitern Nachbarschaft, der in der
Stadt begütert war oder mit der Einwohnerschaft in Schutz- und Trutzbündnis
stand, samt einem großen Gefolge von Knechten erwartete.

In der Ratsversammlung, die heute schon kurz nach Sonnenaufgang zusammen¬
getreten war, hatte man beschlossen, die befreundeten Ritterbürtigen durch reitende
Boten nach Boppard laden zu lassen, auch Meister Mertloch den Austrag erteilt,
unverzüglich mit der Erhöhung der Mauer zu beginnen. So sah sich die ganze
Stadt mit einem Schlage in die lebhafteste Tätigkeit versetzt: überall wurde ge¬
schlachtet und gepökelt, gebraut und gebacken, gezimmert und getischlert; neben Meister
Mertloch und seinen Gesellen arbeiteten Ratsherren und Bürgersöhne freiwillig am
Neubau der Stadtmauer, schleppten trotz der sengenden Junisonne unverdrossen
Steine herbei und mengten den Mörtel. Andre erneuerten und verstärkten die Be¬
dachung des Wehrgangs, die Schuster trugen ihre Pechvorräte auf die Türme, und die
Steinmetzen hantierten Tag und Nacht mit Meißel und Schlägel, um die städtischen
Kartaunen mit Munition zu versehen.

Am Montag um die Mittagstunde hielten die Klosterfräulein von Marienberg
ihren Einzug in die Stadt. Zuerst kamen die Wagen mit der fahrenden Habe des
Stifts: die mächtigen Kasten aus Eichenholz, die den Silberschatz des Klosters, die
kostbaren Altargeräte und Meßgefäße, die massiven Statuetten der Heiligen, die
Leuchter und die Wandlichter, den großen Tafelaufsatz, die Karafinen, Waschbecken,
Gießkannen, Bratenschüsfeln, Suppenschalen. Kredenzplatten, Teller, Becher. Löffel
und Messer enthielten, dann das Klosterarchiv, die wertvollsten Stücke der Bibliothek,
die gewaltigen Lederbände mit den Antiphonaren und den Gradualen, endlich die
Borräte an selbstgewebten Linnen- und Wollenstoffen. Jeder Wagen wurde von
zwei bewaffneten Knechten eskortiert, denen sich die Holzfelder Bauern, die als des
Klosters Untertanen zur Hilfeleistung in außerordentlichen Fällen verpflichtet waren,
anschlössen. Dann folgte Pater Vincentius, der Propst, mit der goldnen Monstranz
und die beiden Mehrer mit dem Reliquienschrein, und ihnen schlossen sich in langem
Zuge die Chorfräulein. Laienschwestern und Novizen an. geführt von der Äbtissin,
der Wild- und Rheingräfin Margaretha, der das jüngste Chorfräulein, Anna von
Dalberg, den schweren, mit Edelsteinen besetzten Krummstab voraustrug.

An der Bcilzerpforte standen der Schultheiß, eine Deputation des Rates und
der Stiftsküfermeister Metzler zum Empfange der Flüchtlinge bereit und geleiteten
sie in ihre Quartiere. Auch wer von der Bürgerschaft gerade abkömmlich gewesen
war, hatte sich am Tore eingefunden und begrüßte die Gäste entweder mit respekt-


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[0669] Der Bopparder Rrieg rannte er davon, seinen Spielgefährten nach, die schon gefürchtet hatten, ihr An¬ führer sei in die mütterliche Gefangenschaft geraten. Seit das Mädchen wußte, daß sie in dem kleinen Bruder, der im Rebenstock Regen und Sonnenschein machte und sogar dem strengen Vater gegenüber gelegentlich mit kindlichem Eifer seine Meinung vertrat, einen Bundesgenossen hatte, ging ihr die Arbeit leichter von der Hand. Sie ertappte sich sogar einmal zu ihrem eignen Erstaunen dabei, daß sie, während sie vor dem Wäscheschränke stand und die lavendel¬ duftenden Bettlaken von feiner Klosterleinwand abzählte, ein Liedlein vor sich hin¬ summte. Als der Vater kurz vor Mittag heimkam, war schon alles zur Aufnahme der Gäste hergerichtet. Er ging von Gemach zu Gemach und prüfte die Vorbereitungen. Zum Essen nahm er sich kaum Zeit, denn die Äbtissin hatte ihm aufgetragen, für die Schwestern, die im Rebenstock nicht untergebracht werden konnten — und das waren im ganzen vierundachtzig —. in den angesehensten Bürgerhäusern der Stadt Quartier zu machen. Das war keine leichte Arbeit, denn der Konvent wollte schon am nächsten Tage in die Stadt ziehn. und der Häuser, die den adlichen Damen standesgemäße Unterkunft bieten konnten, waren nicht allzu viele. Dazu kam, daß auch die Klosterfrauen des Franziskanerstifts Se. Martin, das ebenfalls außerhalb der Stadtmauern lag, in Boppard beherbergt werden mußten, und daß man über¬ dies in den nächsten Tagen den Adel aus der weitern Nachbarschaft, der in der Stadt begütert war oder mit der Einwohnerschaft in Schutz- und Trutzbündnis stand, samt einem großen Gefolge von Knechten erwartete. In der Ratsversammlung, die heute schon kurz nach Sonnenaufgang zusammen¬ getreten war, hatte man beschlossen, die befreundeten Ritterbürtigen durch reitende Boten nach Boppard laden zu lassen, auch Meister Mertloch den Austrag erteilt, unverzüglich mit der Erhöhung der Mauer zu beginnen. So sah sich die ganze Stadt mit einem Schlage in die lebhafteste Tätigkeit versetzt: überall wurde ge¬ schlachtet und gepökelt, gebraut und gebacken, gezimmert und getischlert; neben Meister Mertloch und seinen Gesellen arbeiteten Ratsherren und Bürgersöhne freiwillig am Neubau der Stadtmauer, schleppten trotz der sengenden Junisonne unverdrossen Steine herbei und mengten den Mörtel. Andre erneuerten und verstärkten die Be¬ dachung des Wehrgangs, die Schuster trugen ihre Pechvorräte auf die Türme, und die Steinmetzen hantierten Tag und Nacht mit Meißel und Schlägel, um die städtischen Kartaunen mit Munition zu versehen. Am Montag um die Mittagstunde hielten die Klosterfräulein von Marienberg ihren Einzug in die Stadt. Zuerst kamen die Wagen mit der fahrenden Habe des Stifts: die mächtigen Kasten aus Eichenholz, die den Silberschatz des Klosters, die kostbaren Altargeräte und Meßgefäße, die massiven Statuetten der Heiligen, die Leuchter und die Wandlichter, den großen Tafelaufsatz, die Karafinen, Waschbecken, Gießkannen, Bratenschüsfeln, Suppenschalen. Kredenzplatten, Teller, Becher. Löffel und Messer enthielten, dann das Klosterarchiv, die wertvollsten Stücke der Bibliothek, die gewaltigen Lederbände mit den Antiphonaren und den Gradualen, endlich die Borräte an selbstgewebten Linnen- und Wollenstoffen. Jeder Wagen wurde von zwei bewaffneten Knechten eskortiert, denen sich die Holzfelder Bauern, die als des Klosters Untertanen zur Hilfeleistung in außerordentlichen Fällen verpflichtet waren, anschlössen. Dann folgte Pater Vincentius, der Propst, mit der goldnen Monstranz und die beiden Mehrer mit dem Reliquienschrein, und ihnen schlossen sich in langem Zuge die Chorfräulein. Laienschwestern und Novizen an. geführt von der Äbtissin, der Wild- und Rheingräfin Margaretha, der das jüngste Chorfräulein, Anna von Dalberg, den schweren, mit Edelsteinen besetzten Krummstab voraustrug. An der Bcilzerpforte standen der Schultheiß, eine Deputation des Rates und der Stiftsküfermeister Metzler zum Empfange der Flüchtlinge bereit und geleiteten sie in ihre Quartiere. Auch wer von der Bürgerschaft gerade abkömmlich gewesen war, hatte sich am Tore eingefunden und begrüßte die Gäste entweder mit respekt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/669>, abgerufen am 24.07.2024.