Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Zwei kulturgeschichtliche Werke ist es nicht der Ackerbau, sondern, wie wir zuerst von Hugo Delff gelernt Die Wanderungen des nordischen Niesengeschlechts an den Küsten hin süd¬ Zwei kulturgeschichtliche Werke ist es nicht der Ackerbau, sondern, wie wir zuerst von Hugo Delff gelernt Die Wanderungen des nordischen Niesengeschlechts an den Küsten hin süd¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0650" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299691"/> <fw type="header" place="top"> Zwei kulturgeschichtliche Werke</fw><lb/> <p xml:id="ID_2832" prev="#ID_2831"> ist es nicht der Ackerbau, sondern, wie wir zuerst von Hugo Delff gelernt<lb/> haben, erst der Obst- oder Oliven- und Weinbau, der wirklich an die Scholle<lb/> fesselt, weil ja der einmal gepflanzte Baum und Weinstock viele Jahre hindurch,<lb/> in den ersten Jahren aber überhaupt noch keine Frucht gibt. Auf diese Stufe<lb/> mag der Hackbau gefolgt sein, der wohl auch die Baumpflege begleitet hat und<lb/> neben ihr aufgekommen ist.) Nun erst, als man Haustiere hatte, konnte sich<lb/> vom Ackerbau das Hirtenleben abzweigen, indem man größere Herden außerhalb<lb/> der Ansiedlungen weiden ließ, an Bergabhängen oder auf Steppen, die zum<lb/> Anbau nicht geeignet oder der Entfernung wegen unbequem zu bestellen waren.<lb/> Hahn scheint bis heute mit seiner Ansicht nicht durchgedrungen zu sein; Jones<lb/> zitiert ihn einmal, ohne seinen Grundgedanken zu erwähnen. Uns hat er über¬<lb/> zeugt, wenn wir auch nicht alle Einzelheiten seiner ausgesponnenen Hypothese<lb/> für unanfechtbar halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2833" next="#ID_2834"> Die Wanderungen des nordischen Niesengeschlechts an den Küsten hin süd¬<lb/> wärts verfolgt Pastor nach Krauses Vorgang an den Steindenkmälern, die sie<lb/> hinterlassen haben, den Megalithen: Baldersteinen, Menhirs, Cromlechs, Dolmen.<lb/> Von den ägyptischen Pyramiden, Tempeln, Grabkammern, den „Babylonen"<lb/> der Euphratniederung, den pelasgischen Bauten liest er ab, wie die Söhne des<lb/> Nordens die dunkelfarbigen Ureinwohner unterjocht Hütten, von ihnen hin¬<lb/> wiederum geistig unterjocht worden und dadurch — immer in Ausführung des<lb/> Planetenwillens — zur Staatengründung befähigt worden seien; denn, schreibt<lb/> er im Vorwort: „in einem Kunstwerk ist oft eine ganze Kultur auf eine knappe<lb/> Formel gebracht; wer die Formensprache der Kunst zu lesen weiß, zieht aus<lb/> dieser Lektüre reichern Gewinn als aus ganzen Bibliotheken voller Chroniken".<lb/> So findet er in dem Altar von Pergamon die Erklärung für die rasche Aus¬<lb/> breitung des Christentums. Die Skulpturen dieses berühmten Kunstwerks sollten<lb/> den Sieg des Attalus über die Gallier verherrlichen. Dem Künstler oder den<lb/> Künstlern war eine höfische Allegorie vorgeschrieben: die Sieger mußten die<lb/> Masken olympischer Götter tragen, die Besiegten, in Schlangenleiber auslaufend,<lb/> als Halbtiere erscheinen. Aber die unbekannten Künstler stehn auf der Seite<lb/> der Unterlegnen. „Die niedergeworfnen Gallier sind nicht verhöhnt, und die<lb/> Rauheit ihres Gesichts verklärt ein Adel, wie ihn nur ein mit ganzer Liebe<lb/> schaffender Künstler verleihen konnte.. .. Wer vermöchte das Gesicht des jungen,<lb/> schon hingesunknen Gegners der Athene zu vergessen. . . . Eine Allegorie ver¬<lb/> langten die Herrscher von Pergamon, und eine Allegorie gaben die pergamenischen<lb/> Künstler", außer der bestellten noch ihre eigne. „Dieser Schrei der Verzweiflung,<lb/> der da hundertstimmig hineingellt in die Pracht des Olympos, das ist der Ruf<lb/> einer andern, besser fühlenden Zeit, für den sie damals noch kein Ohr hatten,<lb/> die Herrscher nicht und das Volk nicht — nur die Namenlosen vom Pergamener<lb/> Altar, die einen so scharfen und mitfühlenden Blick hatten für leidende Menschen."<lb/> Sehr schön und sehr geistreich, aber lange vor diesen Künstlern haben doch die<lb/> drei großen athenischen Tragiker mit deutlichen Worten und durch den Erfolg<lb/> dieser Worte bewiesen, daß das Mitleid in der hellenischen Welt durchaus nichts<lb/> neues und unerhörtes war. Sehr schön, und wahr dazu, äußert sich Pastor<lb/> über Christus. Alle, die ihn deuten wollten, seien klüglich abgestürzt, die Strauß</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0650]
Zwei kulturgeschichtliche Werke
ist es nicht der Ackerbau, sondern, wie wir zuerst von Hugo Delff gelernt
haben, erst der Obst- oder Oliven- und Weinbau, der wirklich an die Scholle
fesselt, weil ja der einmal gepflanzte Baum und Weinstock viele Jahre hindurch,
in den ersten Jahren aber überhaupt noch keine Frucht gibt. Auf diese Stufe
mag der Hackbau gefolgt sein, der wohl auch die Baumpflege begleitet hat und
neben ihr aufgekommen ist.) Nun erst, als man Haustiere hatte, konnte sich
vom Ackerbau das Hirtenleben abzweigen, indem man größere Herden außerhalb
der Ansiedlungen weiden ließ, an Bergabhängen oder auf Steppen, die zum
Anbau nicht geeignet oder der Entfernung wegen unbequem zu bestellen waren.
Hahn scheint bis heute mit seiner Ansicht nicht durchgedrungen zu sein; Jones
zitiert ihn einmal, ohne seinen Grundgedanken zu erwähnen. Uns hat er über¬
zeugt, wenn wir auch nicht alle Einzelheiten seiner ausgesponnenen Hypothese
für unanfechtbar halten.
Die Wanderungen des nordischen Niesengeschlechts an den Küsten hin süd¬
wärts verfolgt Pastor nach Krauses Vorgang an den Steindenkmälern, die sie
hinterlassen haben, den Megalithen: Baldersteinen, Menhirs, Cromlechs, Dolmen.
Von den ägyptischen Pyramiden, Tempeln, Grabkammern, den „Babylonen"
der Euphratniederung, den pelasgischen Bauten liest er ab, wie die Söhne des
Nordens die dunkelfarbigen Ureinwohner unterjocht Hütten, von ihnen hin¬
wiederum geistig unterjocht worden und dadurch — immer in Ausführung des
Planetenwillens — zur Staatengründung befähigt worden seien; denn, schreibt
er im Vorwort: „in einem Kunstwerk ist oft eine ganze Kultur auf eine knappe
Formel gebracht; wer die Formensprache der Kunst zu lesen weiß, zieht aus
dieser Lektüre reichern Gewinn als aus ganzen Bibliotheken voller Chroniken".
So findet er in dem Altar von Pergamon die Erklärung für die rasche Aus¬
breitung des Christentums. Die Skulpturen dieses berühmten Kunstwerks sollten
den Sieg des Attalus über die Gallier verherrlichen. Dem Künstler oder den
Künstlern war eine höfische Allegorie vorgeschrieben: die Sieger mußten die
Masken olympischer Götter tragen, die Besiegten, in Schlangenleiber auslaufend,
als Halbtiere erscheinen. Aber die unbekannten Künstler stehn auf der Seite
der Unterlegnen. „Die niedergeworfnen Gallier sind nicht verhöhnt, und die
Rauheit ihres Gesichts verklärt ein Adel, wie ihn nur ein mit ganzer Liebe
schaffender Künstler verleihen konnte.. .. Wer vermöchte das Gesicht des jungen,
schon hingesunknen Gegners der Athene zu vergessen. . . . Eine Allegorie ver¬
langten die Herrscher von Pergamon, und eine Allegorie gaben die pergamenischen
Künstler", außer der bestellten noch ihre eigne. „Dieser Schrei der Verzweiflung,
der da hundertstimmig hineingellt in die Pracht des Olympos, das ist der Ruf
einer andern, besser fühlenden Zeit, für den sie damals noch kein Ohr hatten,
die Herrscher nicht und das Volk nicht — nur die Namenlosen vom Pergamener
Altar, die einen so scharfen und mitfühlenden Blick hatten für leidende Menschen."
Sehr schön und sehr geistreich, aber lange vor diesen Künstlern haben doch die
drei großen athenischen Tragiker mit deutlichen Worten und durch den Erfolg
dieser Worte bewiesen, daß das Mitleid in der hellenischen Welt durchaus nichts
neues und unerhörtes war. Sehr schön, und wahr dazu, äußert sich Pastor
über Christus. Alle, die ihn deuten wollten, seien klüglich abgestürzt, die Strauß
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