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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

mir." Wichtiger für die Entwicklungsgeschichte der Fürstin sind die Briefe, die
die Gräfin Potocka an sie nach Woronieee gerichtet hat. Den Schluß bilden wenige
Briefe der Fürstin selbst aus der Zeit der Resignation in Rom; auch aus den
Weimarischen Jahren enthält die Sammlung drei von ihr an Gottfried Semper ge¬
richtete. Nimmt man ihre an Berlioz und an P. Cornelius gesandten und schon
publizierten Schreiben hinzu, so ergibt das einen einigermaßen ausreichenden Be¬
griff von der Briefstellerkunst der Fürstin selbst. Doch wäre nach dieser Seite hin
eine Vermehrung des Materials sehr erwünscht.

Mit der Anzeige zweier Bagatellen schließen wir den Bericht. Die eine ist
ein Beitrag zur Brahmsliteratur von Dr. Wolfgang A. Thomas (Straßburg,
I. H. W. Heitz), ein Bändchen von 116 Seiten, das ziemlich großsprecherisch den An¬
spruch erhebt, zum erstenmal Johannes Brahms und seine Kunst "musikpsychologisch"
zu betrachten und zu beurteilen, aber weder neues noch wichtiges bietet. Die größere
und bessere Hälfte der "Arbeit" (von S. 53 ab) besteht aus "Aussprüchen von
Brahms", die aus Schriften andrer Autoren zusammengetragen sind. Wer sich
über den Verfasser schnell orientieren will, wird gut tun, vor der Lektüre einen
Blick in die Quellenangabe zu werfen. Da wird Hermann Deiters noch als Posener
Gymnasialdirektor angeführt, Morin zitiert, aber Spitta übergangen. Das vorge¬
druckte Bild sieht Hermann Ritter (in Würzburg) viel ähnlicher als Brahms. Das
andre kleine Stück sind Eugen Guras Erinnerungen aus meinem Leben.
(Leipzig, Breitkopf und Härtel.) Der prächtige Sänger und liebenswürdige Mensch
enttäuscht als Schriftsteller. Da hat ein Berater gefehlt. Dem reichen Erfahrungs¬
kreise Guras wären gehaltvollere Mitteilungen abzugewinnen, seinem starken künst¬
lerischen Sinn wäre eine geschmackvollere, bessere Form möglich gewesen.









Maßgebliches und Unmaßgebliches

mir." Wichtiger für die Entwicklungsgeschichte der Fürstin sind die Briefe, die
die Gräfin Potocka an sie nach Woronieee gerichtet hat. Den Schluß bilden wenige
Briefe der Fürstin selbst aus der Zeit der Resignation in Rom; auch aus den
Weimarischen Jahren enthält die Sammlung drei von ihr an Gottfried Semper ge¬
richtete. Nimmt man ihre an Berlioz und an P. Cornelius gesandten und schon
publizierten Schreiben hinzu, so ergibt das einen einigermaßen ausreichenden Be¬
griff von der Briefstellerkunst der Fürstin selbst. Doch wäre nach dieser Seite hin
eine Vermehrung des Materials sehr erwünscht.

Mit der Anzeige zweier Bagatellen schließen wir den Bericht. Die eine ist
ein Beitrag zur Brahmsliteratur von Dr. Wolfgang A. Thomas (Straßburg,
I. H. W. Heitz), ein Bändchen von 116 Seiten, das ziemlich großsprecherisch den An¬
spruch erhebt, zum erstenmal Johannes Brahms und seine Kunst „musikpsychologisch"
zu betrachten und zu beurteilen, aber weder neues noch wichtiges bietet. Die größere
und bessere Hälfte der „Arbeit" (von S. 53 ab) besteht aus „Aussprüchen von
Brahms", die aus Schriften andrer Autoren zusammengetragen sind. Wer sich
über den Verfasser schnell orientieren will, wird gut tun, vor der Lektüre einen
Blick in die Quellenangabe zu werfen. Da wird Hermann Deiters noch als Posener
Gymnasialdirektor angeführt, Morin zitiert, aber Spitta übergangen. Das vorge¬
druckte Bild sieht Hermann Ritter (in Würzburg) viel ähnlicher als Brahms. Das
andre kleine Stück sind Eugen Guras Erinnerungen aus meinem Leben.
(Leipzig, Breitkopf und Härtel.) Der prächtige Sänger und liebenswürdige Mensch
enttäuscht als Schriftsteller. Da hat ein Berater gefehlt. Dem reichen Erfahrungs¬
kreise Guras wären gehaltvollere Mitteilungen abzugewinnen, seinem starken künst¬
lerischen Sinn wäre eine geschmackvollere, bessere Form möglich gewesen.









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[0572] Maßgebliches und Unmaßgebliches mir." Wichtiger für die Entwicklungsgeschichte der Fürstin sind die Briefe, die die Gräfin Potocka an sie nach Woronieee gerichtet hat. Den Schluß bilden wenige Briefe der Fürstin selbst aus der Zeit der Resignation in Rom; auch aus den Weimarischen Jahren enthält die Sammlung drei von ihr an Gottfried Semper ge¬ richtete. Nimmt man ihre an Berlioz und an P. Cornelius gesandten und schon publizierten Schreiben hinzu, so ergibt das einen einigermaßen ausreichenden Be¬ griff von der Briefstellerkunst der Fürstin selbst. Doch wäre nach dieser Seite hin eine Vermehrung des Materials sehr erwünscht. Mit der Anzeige zweier Bagatellen schließen wir den Bericht. Die eine ist ein Beitrag zur Brahmsliteratur von Dr. Wolfgang A. Thomas (Straßburg, I. H. W. Heitz), ein Bändchen von 116 Seiten, das ziemlich großsprecherisch den An¬ spruch erhebt, zum erstenmal Johannes Brahms und seine Kunst „musikpsychologisch" zu betrachten und zu beurteilen, aber weder neues noch wichtiges bietet. Die größere und bessere Hälfte der „Arbeit" (von S. 53 ab) besteht aus „Aussprüchen von Brahms", die aus Schriften andrer Autoren zusammengetragen sind. Wer sich über den Verfasser schnell orientieren will, wird gut tun, vor der Lektüre einen Blick in die Quellenangabe zu werfen. Da wird Hermann Deiters noch als Posener Gymnasialdirektor angeführt, Morin zitiert, aber Spitta übergangen. Das vorge¬ druckte Bild sieht Hermann Ritter (in Würzburg) viel ähnlicher als Brahms. Das andre kleine Stück sind Eugen Guras Erinnerungen aus meinem Leben. (Leipzig, Breitkopf und Härtel.) Der prächtige Sänger und liebenswürdige Mensch enttäuscht als Schriftsteller. Da hat ein Berater gefehlt. Dem reichen Erfahrungs¬ kreise Guras wären gehaltvollere Mitteilungen abzugewinnen, seinem starken künst¬ lerischen Sinn wäre eine geschmackvollere, bessere Form möglich gewesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/572>, abgerufen am 27.12.2024.