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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Reichstage zu suchen, und da auch dem Zentrum vor seinem "Erfolge" bange ge¬
worden zu sein scheint, so wird die Sache wohl im Herbst in Ordnung kommen.
Intsrim glioniä M. Vorausgesetzt freilich, daß Fürst Bülow dann wieder in alter
Rüstigkeit auf dem Posten ist, eine Annahme, zu der glücklicherweise alle Nachrichten
*H* aus Norderney berechtigen



Von nationalen Vereinen in Bayern.

Die bayrischen Zweige des
Flottenvereins und der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sind in
ihrer Entwicklung einander auffallend ähnlich. Der jüngere Verein kann von dem
altern, der ältere von dem jüngern lernen, und beide sollten einander mehr, als
es bisher geschehn ist, fördern. Ihr Mitgliederbestand deckt sich noch lange nicht
in dem Umfange, in dem es möglich wäre.

Lange Zeit war die Deutsche Gesellschaft das einzige, schwache Band zwischen
dem deutschen Süden und der Küste. Sie hat in Bayern mehr als im übrigen
Süddeutschland mit der Gleichgiltigkeit des Binnenländers gegen See- und Küsten¬
interessen zu kämpfen. Im Jahre 1865 zählte die Vertreterschaft München 7 Mit¬
glieder, im Jahre 1875 10, 1885 206, 1895 156. 1905 161. Im ersten
Jahre der Gesellschaft gab es in Bayern zwei Vertreterschaften (Deidesheim und
München). 1875 11, 1885 23, 1895 19. 1905 22. Im ersten Jahrzehnt stieg
die Zahl der bayrischen Mitglieder von 86 auf 565, im zweiten von 565 auf 1624,
im dritte" ging sie von 1624 auf 1350, im vierten von 1350 auf 1236 zurück.
Doch blieb die Summe der Beiträge ungefähr dieselbe wie im zweiten Jahrzehnt.

So langsam gewinnt im deutschen Südosten der schöne Gedanke Ehrgott
Friedrich Schaefers und George William Manbys Eingang. Die Herzen haben
sich ihm immer nur langsam geöffnet. An der pommerschen Küste geboren, dann
vergessen, an der englischen Küste wiedergeboren und sofort in seine Heimat, nach
Preußen übertragen, hat er fünfzig Jahre gebraucht, bis er anerkannt, und sechzig,
bis er verwirklicht wurde. Es wäre ein Wunder, wenn die Idee des Küsten¬
rettungswesens in einem Lande, dessen Bevölkerung zum größten Teile das Meer
nicht kennt, rasch aufgenommen worden wäre. In Bayern arbeitet zunächst das
Nationalgefühl, sodann die Humanität an der Ausbreitung der Rettungsgesellschaft,
an der Küste hat sie in der Kenntnis der Gefahren, die die Seeleute in den Küsten¬
gewässern bedrohen, und in dem Bestreben, den Gefährdeten zu helfen, viel mächtigere
Förderer.

Trotzdem hat die Rettungsgesellschaft dem Flottenverein in Bayern vorge¬
arbeitet und an manchen Orten die Cadres für diesen Verein geschaffen. Was sie
angebahnt, aber nicht erreicht hat, ist dem Flottenvercin gelungen: er hat den
Norden und den Süden Deutschlands in weniger als einem Jahrzehnt einander
näher gebracht, als es Jahrzehnte ruhiger, aber eines mächtigen einigenden Ge¬
dankens entbehrender Entwicklung vermocht hätten. Der Flottengedanke hat eine
weit größere Werbekraft bewährt als die Idee des Küstenrettungswesens. In Bayern
zeigt sich seine Kraft mehr in der Stetigkeit als in der Schnelligkeit seiner Aus¬
breitung.

Ich arbeite für die Rettungsgesellschaft seit meinem ersten Semester. Ein
Aufruf des Würzburger Vertreters der Gesellschaft, des Otologen von Tröltsch,
hat mich damals für ihre Bestrebungen gewonnen. An allen Dienststätten, die
ich dann auf einer Odysseusfahrt am Anfange meiner amtlichen Tätigkeit berührte,
suchte ich die Gesellschaft heimisch zu machen. Meist ohne Erfolg. Kurz bevor
sich der Flottengedanke in Süddeutschland verbreitete, gelang es mir, in einer kleinen
bayrischen Garnisonstadt eine Vertreterschaft zu gründen. Der Landwehrbezirks¬
kommandeur half mir dabei. Bald konnten wir um der Wand über dem Stamm¬
tisch, wo sich unsre Runde einigemal in der Woche zusammenfand, ein Sammel¬
schiffchen anbringen. Das erregte den Zorn Andersgesinnter. Wir hörten von
einem benachbarten Tische aus dem Munde eines Gebildeten das Wort: "Für das


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Reichstage zu suchen, und da auch dem Zentrum vor seinem „Erfolge" bange ge¬
worden zu sein scheint, so wird die Sache wohl im Herbst in Ordnung kommen.
Intsrim glioniä M. Vorausgesetzt freilich, daß Fürst Bülow dann wieder in alter
Rüstigkeit auf dem Posten ist, eine Annahme, zu der glücklicherweise alle Nachrichten
*H* aus Norderney berechtigen



Von nationalen Vereinen in Bayern.

Die bayrischen Zweige des
Flottenvereins und der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sind in
ihrer Entwicklung einander auffallend ähnlich. Der jüngere Verein kann von dem
altern, der ältere von dem jüngern lernen, und beide sollten einander mehr, als
es bisher geschehn ist, fördern. Ihr Mitgliederbestand deckt sich noch lange nicht
in dem Umfange, in dem es möglich wäre.

Lange Zeit war die Deutsche Gesellschaft das einzige, schwache Band zwischen
dem deutschen Süden und der Küste. Sie hat in Bayern mehr als im übrigen
Süddeutschland mit der Gleichgiltigkeit des Binnenländers gegen See- und Küsten¬
interessen zu kämpfen. Im Jahre 1865 zählte die Vertreterschaft München 7 Mit¬
glieder, im Jahre 1875 10, 1885 206, 1895 156. 1905 161. Im ersten
Jahre der Gesellschaft gab es in Bayern zwei Vertreterschaften (Deidesheim und
München). 1875 11, 1885 23, 1895 19. 1905 22. Im ersten Jahrzehnt stieg
die Zahl der bayrischen Mitglieder von 86 auf 565, im zweiten von 565 auf 1624,
im dritte» ging sie von 1624 auf 1350, im vierten von 1350 auf 1236 zurück.
Doch blieb die Summe der Beiträge ungefähr dieselbe wie im zweiten Jahrzehnt.

So langsam gewinnt im deutschen Südosten der schöne Gedanke Ehrgott
Friedrich Schaefers und George William Manbys Eingang. Die Herzen haben
sich ihm immer nur langsam geöffnet. An der pommerschen Küste geboren, dann
vergessen, an der englischen Küste wiedergeboren und sofort in seine Heimat, nach
Preußen übertragen, hat er fünfzig Jahre gebraucht, bis er anerkannt, und sechzig,
bis er verwirklicht wurde. Es wäre ein Wunder, wenn die Idee des Küsten¬
rettungswesens in einem Lande, dessen Bevölkerung zum größten Teile das Meer
nicht kennt, rasch aufgenommen worden wäre. In Bayern arbeitet zunächst das
Nationalgefühl, sodann die Humanität an der Ausbreitung der Rettungsgesellschaft,
an der Küste hat sie in der Kenntnis der Gefahren, die die Seeleute in den Küsten¬
gewässern bedrohen, und in dem Bestreben, den Gefährdeten zu helfen, viel mächtigere
Förderer.

Trotzdem hat die Rettungsgesellschaft dem Flottenverein in Bayern vorge¬
arbeitet und an manchen Orten die Cadres für diesen Verein geschaffen. Was sie
angebahnt, aber nicht erreicht hat, ist dem Flottenvercin gelungen: er hat den
Norden und den Süden Deutschlands in weniger als einem Jahrzehnt einander
näher gebracht, als es Jahrzehnte ruhiger, aber eines mächtigen einigenden Ge¬
dankens entbehrender Entwicklung vermocht hätten. Der Flottengedanke hat eine
weit größere Werbekraft bewährt als die Idee des Küstenrettungswesens. In Bayern
zeigt sich seine Kraft mehr in der Stetigkeit als in der Schnelligkeit seiner Aus¬
breitung.

Ich arbeite für die Rettungsgesellschaft seit meinem ersten Semester. Ein
Aufruf des Würzburger Vertreters der Gesellschaft, des Otologen von Tröltsch,
hat mich damals für ihre Bestrebungen gewonnen. An allen Dienststätten, die
ich dann auf einer Odysseusfahrt am Anfange meiner amtlichen Tätigkeit berührte,
suchte ich die Gesellschaft heimisch zu machen. Meist ohne Erfolg. Kurz bevor
sich der Flottengedanke in Süddeutschland verbreitete, gelang es mir, in einer kleinen
bayrischen Garnisonstadt eine Vertreterschaft zu gründen. Der Landwehrbezirks¬
kommandeur half mir dabei. Bald konnten wir um der Wand über dem Stamm¬
tisch, wo sich unsre Runde einigemal in der Woche zusammenfand, ein Sammel¬
schiffchen anbringen. Das erregte den Zorn Andersgesinnter. Wir hörten von
einem benachbarten Tische aus dem Munde eines Gebildeten das Wort: „Für das


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[0564] Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichstage zu suchen, und da auch dem Zentrum vor seinem „Erfolge" bange ge¬ worden zu sein scheint, so wird die Sache wohl im Herbst in Ordnung kommen. Intsrim glioniä M. Vorausgesetzt freilich, daß Fürst Bülow dann wieder in alter Rüstigkeit auf dem Posten ist, eine Annahme, zu der glücklicherweise alle Nachrichten *H* aus Norderney berechtigen Von nationalen Vereinen in Bayern. Die bayrischen Zweige des Flottenvereins und der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger sind in ihrer Entwicklung einander auffallend ähnlich. Der jüngere Verein kann von dem altern, der ältere von dem jüngern lernen, und beide sollten einander mehr, als es bisher geschehn ist, fördern. Ihr Mitgliederbestand deckt sich noch lange nicht in dem Umfange, in dem es möglich wäre. Lange Zeit war die Deutsche Gesellschaft das einzige, schwache Band zwischen dem deutschen Süden und der Küste. Sie hat in Bayern mehr als im übrigen Süddeutschland mit der Gleichgiltigkeit des Binnenländers gegen See- und Küsten¬ interessen zu kämpfen. Im Jahre 1865 zählte die Vertreterschaft München 7 Mit¬ glieder, im Jahre 1875 10, 1885 206, 1895 156. 1905 161. Im ersten Jahre der Gesellschaft gab es in Bayern zwei Vertreterschaften (Deidesheim und München). 1875 11, 1885 23, 1895 19. 1905 22. Im ersten Jahrzehnt stieg die Zahl der bayrischen Mitglieder von 86 auf 565, im zweiten von 565 auf 1624, im dritte» ging sie von 1624 auf 1350, im vierten von 1350 auf 1236 zurück. Doch blieb die Summe der Beiträge ungefähr dieselbe wie im zweiten Jahrzehnt. So langsam gewinnt im deutschen Südosten der schöne Gedanke Ehrgott Friedrich Schaefers und George William Manbys Eingang. Die Herzen haben sich ihm immer nur langsam geöffnet. An der pommerschen Küste geboren, dann vergessen, an der englischen Küste wiedergeboren und sofort in seine Heimat, nach Preußen übertragen, hat er fünfzig Jahre gebraucht, bis er anerkannt, und sechzig, bis er verwirklicht wurde. Es wäre ein Wunder, wenn die Idee des Küsten¬ rettungswesens in einem Lande, dessen Bevölkerung zum größten Teile das Meer nicht kennt, rasch aufgenommen worden wäre. In Bayern arbeitet zunächst das Nationalgefühl, sodann die Humanität an der Ausbreitung der Rettungsgesellschaft, an der Küste hat sie in der Kenntnis der Gefahren, die die Seeleute in den Küsten¬ gewässern bedrohen, und in dem Bestreben, den Gefährdeten zu helfen, viel mächtigere Förderer. Trotzdem hat die Rettungsgesellschaft dem Flottenverein in Bayern vorge¬ arbeitet und an manchen Orten die Cadres für diesen Verein geschaffen. Was sie angebahnt, aber nicht erreicht hat, ist dem Flottenvercin gelungen: er hat den Norden und den Süden Deutschlands in weniger als einem Jahrzehnt einander näher gebracht, als es Jahrzehnte ruhiger, aber eines mächtigen einigenden Ge¬ dankens entbehrender Entwicklung vermocht hätten. Der Flottengedanke hat eine weit größere Werbekraft bewährt als die Idee des Küstenrettungswesens. In Bayern zeigt sich seine Kraft mehr in der Stetigkeit als in der Schnelligkeit seiner Aus¬ breitung. Ich arbeite für die Rettungsgesellschaft seit meinem ersten Semester. Ein Aufruf des Würzburger Vertreters der Gesellschaft, des Otologen von Tröltsch, hat mich damals für ihre Bestrebungen gewonnen. An allen Dienststätten, die ich dann auf einer Odysseusfahrt am Anfange meiner amtlichen Tätigkeit berührte, suchte ich die Gesellschaft heimisch zu machen. Meist ohne Erfolg. Kurz bevor sich der Flottengedanke in Süddeutschland verbreitete, gelang es mir, in einer kleinen bayrischen Garnisonstadt eine Vertreterschaft zu gründen. Der Landwehrbezirks¬ kommandeur half mir dabei. Bald konnten wir um der Wand über dem Stamm¬ tisch, wo sich unsre Runde einigemal in der Woche zusammenfand, ein Sammel¬ schiffchen anbringen. Das erregte den Zorn Andersgesinnter. Wir hörten von einem benachbarten Tische aus dem Munde eines Gebildeten das Wort: „Für das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/564>, abgerufen am 27.12.2024.