Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.vom jungen Dürer stand für Heller malte und in seinem Marienleben zeichnete; es ist noch keine Das Ergebnis der so erweiterten Weisbachschen Hypothese wäre also: in vom jungen Dürer stand für Heller malte und in seinem Marienleben zeichnete; es ist noch keine Das Ergebnis der so erweiterten Weisbachschen Hypothese wäre also: in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0539" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299580"/> <fw type="header" place="top"> vom jungen Dürer</fw><lb/> <p xml:id="ID_2391" prev="#ID_2390"> stand für Heller malte und in seinem Marienleben zeichnete; es ist noch keine<lb/> Vision. Rechts thront Christus, sehr feierlich und schön beabsichtigt, allein,<lb/> ohne Gottvater, etwa wie bei der Johcmnismarter der Apokalypse der Herrscher<lb/> links. Mit ungewöhnlicher Gewandtheit sind die knieenden Frauen um ihn<lb/> nach der Tiefe zu gruppiert und verkleinert, darunter eine wieder mit jenen<lb/> aufgelmndnen Zöpfen, Maria aber und ihre rechte Nachbarin mit dem reich<lb/> wallenden Haar von Dürers gezeichneter Madonna von 1485. Die vollen<lb/> untern Mantelpartien dieser beiden vorn Knieenden sind mit einem Interesse<lb/> und Schönheitssinn gezeichnet, sehr ähnlich dem, mit dem Dürer 1511 die<lb/> Mäntel Karls und Gregors auf dem Allerheiligenbild malte. Der leere Raum<lb/> links von dem Oberteil von Christi Thron ist mit drei schwebenden, singenden<lb/> Engeln ausgefüllt, wie auf dem Dreikönigsblatt und auf der Weihnacht des<lb/> Marienlebens ein Engelterzett und -auartett zu dem heiligen Vorgang ihre<lb/> Himmelsmusik in den Lüften erschallen lassen. So stellen sich auch hier die<lb/> Erinnerungen an Dürers Kunst und Art ungesucht ein. Und davon enthält<lb/> dieses Blatt nun noch ein ausschlaggebendes Motiv: über dem Ende des<lb/> Frauenchors ragen zwei Paar Männerköpfe herüber: wie Dürer und sein<lb/> Nachbar über dem Chor des Rosenkranzbildes, und wie sich Dürer selbander<lb/> mitten in der Zehntausendmarter angebracht hat. Denn von den beiden linken<lb/> Köpfen unsers Holzschnitts ist der junge eben auch wieder Dürer selbst, seinem<lb/> Alter nach genau in der Mitte zwischen der Zeichnung von 1484 und dein<lb/> Gemälde von 1493; den Bärtigen daneben, der ebenso porträtmäßig wirkt,<lb/> hat man vielleicht als den Formschneider anzusehen. Zur Deckung dieser<lb/> an sich zu auffülligen Porträts und zur Ausfüllung des letzten leeren Loches<lb/> des Blattes wiederholte Dürer dann das Zweimännermotiv noch einmal in<lb/> einem zweiten, sich unterhaltenden, allgemeiner und kleiner gegebnen Männcr-<lb/> oberkörperpaar.</p><lb/> <p xml:id="ID_2392" next="#ID_2393"> Das Ergebnis der so erweiterten Weisbachschen Hypothese wäre also: in<lb/> den drei Holzschnitten zu der Allerheilsamsten Warnung haben wir das Opus 1<lb/> des jungen Dürer vor uns. Das erschütternde Nebeneinander von Lebens¬<lb/> genuß nud Tod, die entsetzliche Strafe der Sünder im Jüngsten Gericht und<lb/> ein festliches Himmelsereignis, bei dem sich der Künstler, wie er es ja ehr¬<lb/> fürchtigen Geistes schaffend sieht, als Zuschauer anbringen und empfehlen<lb/> darf — das sind die Themen der drei Bilder, wie sie später in großen<lb/> Schöpfungen Dürers wiederkehren, wie sie ihn sein ganzes Künstlerleben lang<lb/> in der Tiefe seines Herzens begleitet haben. Von diesen drei Holzschnitten<lb/> aus, die prinzipiell noch nicht, leise aber doch schon über das hinausgehn,<lb/> was Dürer später ohne Verachtung „schlechtes" Holzschnittwerk nannte, fand<lb/> er einerseits bald den Weg hinauf in die gewaltige, großformige Schönheit<lb/> der Apokalypse und seiner weitern Holzschnittfolgen und später auch wieder<lb/> einmal zurück zu den einfachen Titelholzschnitten seiner eignen Gedichte. Der<lb/> 1492 in Basel von ihm auf den Holzstock gezeichnete Hieronymus schließt<lb/> sich, ein nächster Fortschritt, gut als zweites Glied auf diesem Wege an,<lb/> auf dem unsre drei Holzschnitte den ersten, vielhaltigen Knospenzustand be¬<lb/> zeichnen. Um die Vergleichung mit dem jungen Goethe einmal aufzunehmen,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0539]
vom jungen Dürer
stand für Heller malte und in seinem Marienleben zeichnete; es ist noch keine
Vision. Rechts thront Christus, sehr feierlich und schön beabsichtigt, allein,
ohne Gottvater, etwa wie bei der Johcmnismarter der Apokalypse der Herrscher
links. Mit ungewöhnlicher Gewandtheit sind die knieenden Frauen um ihn
nach der Tiefe zu gruppiert und verkleinert, darunter eine wieder mit jenen
aufgelmndnen Zöpfen, Maria aber und ihre rechte Nachbarin mit dem reich
wallenden Haar von Dürers gezeichneter Madonna von 1485. Die vollen
untern Mantelpartien dieser beiden vorn Knieenden sind mit einem Interesse
und Schönheitssinn gezeichnet, sehr ähnlich dem, mit dem Dürer 1511 die
Mäntel Karls und Gregors auf dem Allerheiligenbild malte. Der leere Raum
links von dem Oberteil von Christi Thron ist mit drei schwebenden, singenden
Engeln ausgefüllt, wie auf dem Dreikönigsblatt und auf der Weihnacht des
Marienlebens ein Engelterzett und -auartett zu dem heiligen Vorgang ihre
Himmelsmusik in den Lüften erschallen lassen. So stellen sich auch hier die
Erinnerungen an Dürers Kunst und Art ungesucht ein. Und davon enthält
dieses Blatt nun noch ein ausschlaggebendes Motiv: über dem Ende des
Frauenchors ragen zwei Paar Männerköpfe herüber: wie Dürer und sein
Nachbar über dem Chor des Rosenkranzbildes, und wie sich Dürer selbander
mitten in der Zehntausendmarter angebracht hat. Denn von den beiden linken
Köpfen unsers Holzschnitts ist der junge eben auch wieder Dürer selbst, seinem
Alter nach genau in der Mitte zwischen der Zeichnung von 1484 und dein
Gemälde von 1493; den Bärtigen daneben, der ebenso porträtmäßig wirkt,
hat man vielleicht als den Formschneider anzusehen. Zur Deckung dieser
an sich zu auffülligen Porträts und zur Ausfüllung des letzten leeren Loches
des Blattes wiederholte Dürer dann das Zweimännermotiv noch einmal in
einem zweiten, sich unterhaltenden, allgemeiner und kleiner gegebnen Männcr-
oberkörperpaar.
Das Ergebnis der so erweiterten Weisbachschen Hypothese wäre also: in
den drei Holzschnitten zu der Allerheilsamsten Warnung haben wir das Opus 1
des jungen Dürer vor uns. Das erschütternde Nebeneinander von Lebens¬
genuß nud Tod, die entsetzliche Strafe der Sünder im Jüngsten Gericht und
ein festliches Himmelsereignis, bei dem sich der Künstler, wie er es ja ehr¬
fürchtigen Geistes schaffend sieht, als Zuschauer anbringen und empfehlen
darf — das sind die Themen der drei Bilder, wie sie später in großen
Schöpfungen Dürers wiederkehren, wie sie ihn sein ganzes Künstlerleben lang
in der Tiefe seines Herzens begleitet haben. Von diesen drei Holzschnitten
aus, die prinzipiell noch nicht, leise aber doch schon über das hinausgehn,
was Dürer später ohne Verachtung „schlechtes" Holzschnittwerk nannte, fand
er einerseits bald den Weg hinauf in die gewaltige, großformige Schönheit
der Apokalypse und seiner weitern Holzschnittfolgen und später auch wieder
einmal zurück zu den einfachen Titelholzschnitten seiner eignen Gedichte. Der
1492 in Basel von ihm auf den Holzstock gezeichnete Hieronymus schließt
sich, ein nächster Fortschritt, gut als zweites Glied auf diesem Wege an,
auf dem unsre drei Holzschnitte den ersten, vielhaltigen Knospenzustand be¬
zeichnen. Um die Vergleichung mit dem jungen Goethe einmal aufzunehmen,
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