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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Anneli freute sich, daß sie ihn los war. Er war reizend, aber nach den
Schlittschuhen brauchte er nicht zu fragen. Sie hatte halb vergessen, wie sie sie
erworben hatte, und Onkel Willi war noch nicht da. Aber er würde zurückkehren,
morgen oder übermorgen, und dann würde Herr Peterlein auch ihn vielleicht nach
den Schlittschuhen fragen, und dann -- ja, was dann?

Schon lange lief Anneli wieder mit dem Winde. Er fegte hinter ihr her, und
sie ließ sich eigentlich nur von ihm treiben. Vom Ufer ab und auf den weiten,
großen See hinaus. Hier liefen die guten Fahrer, die Raum für ihre Kunststücke
haben wollten: Fred Roland schoß wie ein Pfeil an ihr vorüber, sagte Guten Tag
und flog dann weiter. Der Pastorenjunge folgte ihm, und der dritte Schnellläufer
war Haares Heß, der Anneli einen gnädigen Gruß zuteil werden ließ.

Mit diesen Schuhen gehts wirklich fein!

Er war hinter den andern verschwunden, und Anneli jagte plötzlich hinter ihm
her. Sie wollte ihm sagen, daß er niemals, unter keiner Bedingung, verraten
dürfte, daß sie ihm die Schlittschuhe geschenkt hätte. Fred durfte es nicht wissen,
und Herr Peterlein auch nicht, überhaupt kein Mensch. Die Schlittschuhe wollte
sie selbst bezahlen; sie hatte zwar kein Geld, aber vielleicht half der liebe Gott ihr.
daß sie etwas fand.

Doch Hannes Heß war in der Ferne verschwunden, und plötzlich sausten Herr
Peterlein und Fred Roland an ihr vorüber. Sie hatten sie angefaßt und machten
die tollsten Kunststücke. Dabei lachten und plauderten sie lustig. Wovon sprachen
sie? Von Anneli, und daß sie ihre Schlittschuhe auf die Rechnung ihres Onkels
hatte setzen lassen, der gar nicht hier war?

Anneli fuhr so zusammen, daß sie beinahe hingeschlagen wäre. Nun fiel ihr
ein, was Schwester Lene auch noch beim Essen gebrummt hatte, nämlich daß ein
Brief von Ehlers und Kompagnie an Herrn Hofrat gekommen wäre, daß er aus¬
sähe wie eine Rechnung, und daß Herr Hofrat doch immer bar bezahlte.

Bei Ehlers und Kompagnie hatte Anneli sich in ihrer Gedankenlosigkeit nichts
gedacht; nun wußte sie, daß Herr Peterlein die Geschäfte für Ehlers und Kompagnie
führte, fein und zierlich die Rechnung über die Schlittschuh mit allem Zubehör auf
em Blatt Papier geschrieben hatte, und daß Onkel Willi gleich nach seiner Rückkehr
erfahren würde, was Anneli für ein gewissenloses Geschöpf, für eine Diebin war.

Eine Diebin? Anneli fuhr rasend schnell in die neblige Ferne hinein. Sie
hatte doch nicht gestohlen! Wenn niemand ihr Schlittschuhe schenkte, dann konnte
sie sie kaufen, und wenn sie erst Geld hatte, dann wollte sie sie bezahlen. Andre
Leute ließen auch anschreiben.

Anneli, Anneli! rief es hinter ihr, und als sie sich umsah, winkte Fred Roland
mit beiden Armen. Herr Peterlein hob die Hände zum Munde und schrie etwas
mit gellender Stimme. Wollte er jetzt sein Geld haben, und sollte Fred ihm
dabei helfen?

Die alte Klatschliese! Anneli wurde zornig und so aufgeregt, daß sie sich
nicht mehr umsah. Die beiden sollten sie nicht kriegen, nein ganz gewiß nicht, sie
wollte ihnen schon ausreißen.

Stärker fuhr der Wind hinter ihr her, die Wolken wurden dunkler, die Luft
feucht und schwer. Endlos grau dehnte sich das Eisfeld vor ihr aus, hier und dort
kam es wie ein Binsenhalm aus der blanken Fläche, und manchmal war es, als
schaukelte sie hin und her.

Hier war Anneli noch nie gewesen; als sie sich jetzt umsah, war das Ufer
mit seinen Menschen, seinem Zelt, seiner Drehorgel verschwunden; ein grauer Schleier
wogte ihr entgegen, der alles einhüllte.

Anneli wandte sich wieder um und lief der Ferne zu, immer mit dem Winde,
bis sie einen lauten Schreckensruf ausstieß. Vor ihr erhob sich ein großer grauer
Vogel, ein zweiter folgte ihm mit heiseren Krächzen, und die Kleine taumelte zurück.
Dabei stolperte sie über einige steifgefrorne Schilfhalme, die wie Borsten aus'- dem


Menschenfrühling

Anneli freute sich, daß sie ihn los war. Er war reizend, aber nach den
Schlittschuhen brauchte er nicht zu fragen. Sie hatte halb vergessen, wie sie sie
erworben hatte, und Onkel Willi war noch nicht da. Aber er würde zurückkehren,
morgen oder übermorgen, und dann würde Herr Peterlein auch ihn vielleicht nach
den Schlittschuhen fragen, und dann — ja, was dann?

Schon lange lief Anneli wieder mit dem Winde. Er fegte hinter ihr her, und
sie ließ sich eigentlich nur von ihm treiben. Vom Ufer ab und auf den weiten,
großen See hinaus. Hier liefen die guten Fahrer, die Raum für ihre Kunststücke
haben wollten: Fred Roland schoß wie ein Pfeil an ihr vorüber, sagte Guten Tag
und flog dann weiter. Der Pastorenjunge folgte ihm, und der dritte Schnellläufer
war Haares Heß, der Anneli einen gnädigen Gruß zuteil werden ließ.

Mit diesen Schuhen gehts wirklich fein!

Er war hinter den andern verschwunden, und Anneli jagte plötzlich hinter ihm
her. Sie wollte ihm sagen, daß er niemals, unter keiner Bedingung, verraten
dürfte, daß sie ihm die Schlittschuhe geschenkt hätte. Fred durfte es nicht wissen,
und Herr Peterlein auch nicht, überhaupt kein Mensch. Die Schlittschuhe wollte
sie selbst bezahlen; sie hatte zwar kein Geld, aber vielleicht half der liebe Gott ihr.
daß sie etwas fand.

Doch Hannes Heß war in der Ferne verschwunden, und plötzlich sausten Herr
Peterlein und Fred Roland an ihr vorüber. Sie hatten sie angefaßt und machten
die tollsten Kunststücke. Dabei lachten und plauderten sie lustig. Wovon sprachen
sie? Von Anneli, und daß sie ihre Schlittschuhe auf die Rechnung ihres Onkels
hatte setzen lassen, der gar nicht hier war?

Anneli fuhr so zusammen, daß sie beinahe hingeschlagen wäre. Nun fiel ihr
ein, was Schwester Lene auch noch beim Essen gebrummt hatte, nämlich daß ein
Brief von Ehlers und Kompagnie an Herrn Hofrat gekommen wäre, daß er aus¬
sähe wie eine Rechnung, und daß Herr Hofrat doch immer bar bezahlte.

Bei Ehlers und Kompagnie hatte Anneli sich in ihrer Gedankenlosigkeit nichts
gedacht; nun wußte sie, daß Herr Peterlein die Geschäfte für Ehlers und Kompagnie
führte, fein und zierlich die Rechnung über die Schlittschuh mit allem Zubehör auf
em Blatt Papier geschrieben hatte, und daß Onkel Willi gleich nach seiner Rückkehr
erfahren würde, was Anneli für ein gewissenloses Geschöpf, für eine Diebin war.

Eine Diebin? Anneli fuhr rasend schnell in die neblige Ferne hinein. Sie
hatte doch nicht gestohlen! Wenn niemand ihr Schlittschuhe schenkte, dann konnte
sie sie kaufen, und wenn sie erst Geld hatte, dann wollte sie sie bezahlen. Andre
Leute ließen auch anschreiben.

Anneli, Anneli! rief es hinter ihr, und als sie sich umsah, winkte Fred Roland
mit beiden Armen. Herr Peterlein hob die Hände zum Munde und schrie etwas
mit gellender Stimme. Wollte er jetzt sein Geld haben, und sollte Fred ihm
dabei helfen?

Die alte Klatschliese! Anneli wurde zornig und so aufgeregt, daß sie sich
nicht mehr umsah. Die beiden sollten sie nicht kriegen, nein ganz gewiß nicht, sie
wollte ihnen schon ausreißen.

Stärker fuhr der Wind hinter ihr her, die Wolken wurden dunkler, die Luft
feucht und schwer. Endlos grau dehnte sich das Eisfeld vor ihr aus, hier und dort
kam es wie ein Binsenhalm aus der blanken Fläche, und manchmal war es, als
schaukelte sie hin und her.

Hier war Anneli noch nie gewesen; als sie sich jetzt umsah, war das Ufer
mit seinen Menschen, seinem Zelt, seiner Drehorgel verschwunden; ein grauer Schleier
wogte ihr entgegen, der alles einhüllte.

Anneli wandte sich wieder um und lief der Ferne zu, immer mit dem Winde,
bis sie einen lauten Schreckensruf ausstieß. Vor ihr erhob sich ein großer grauer
Vogel, ein zweiter folgte ihm mit heiseren Krächzen, und die Kleine taumelte zurück.
Dabei stolperte sie über einige steifgefrorne Schilfhalme, die wie Borsten aus'- dem


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[0511] Menschenfrühling Anneli freute sich, daß sie ihn los war. Er war reizend, aber nach den Schlittschuhen brauchte er nicht zu fragen. Sie hatte halb vergessen, wie sie sie erworben hatte, und Onkel Willi war noch nicht da. Aber er würde zurückkehren, morgen oder übermorgen, und dann würde Herr Peterlein auch ihn vielleicht nach den Schlittschuhen fragen, und dann — ja, was dann? Schon lange lief Anneli wieder mit dem Winde. Er fegte hinter ihr her, und sie ließ sich eigentlich nur von ihm treiben. Vom Ufer ab und auf den weiten, großen See hinaus. Hier liefen die guten Fahrer, die Raum für ihre Kunststücke haben wollten: Fred Roland schoß wie ein Pfeil an ihr vorüber, sagte Guten Tag und flog dann weiter. Der Pastorenjunge folgte ihm, und der dritte Schnellläufer war Haares Heß, der Anneli einen gnädigen Gruß zuteil werden ließ. Mit diesen Schuhen gehts wirklich fein! Er war hinter den andern verschwunden, und Anneli jagte plötzlich hinter ihm her. Sie wollte ihm sagen, daß er niemals, unter keiner Bedingung, verraten dürfte, daß sie ihm die Schlittschuhe geschenkt hätte. Fred durfte es nicht wissen, und Herr Peterlein auch nicht, überhaupt kein Mensch. Die Schlittschuhe wollte sie selbst bezahlen; sie hatte zwar kein Geld, aber vielleicht half der liebe Gott ihr. daß sie etwas fand. Doch Hannes Heß war in der Ferne verschwunden, und plötzlich sausten Herr Peterlein und Fred Roland an ihr vorüber. Sie hatten sie angefaßt und machten die tollsten Kunststücke. Dabei lachten und plauderten sie lustig. Wovon sprachen sie? Von Anneli, und daß sie ihre Schlittschuhe auf die Rechnung ihres Onkels hatte setzen lassen, der gar nicht hier war? Anneli fuhr so zusammen, daß sie beinahe hingeschlagen wäre. Nun fiel ihr ein, was Schwester Lene auch noch beim Essen gebrummt hatte, nämlich daß ein Brief von Ehlers und Kompagnie an Herrn Hofrat gekommen wäre, daß er aus¬ sähe wie eine Rechnung, und daß Herr Hofrat doch immer bar bezahlte. Bei Ehlers und Kompagnie hatte Anneli sich in ihrer Gedankenlosigkeit nichts gedacht; nun wußte sie, daß Herr Peterlein die Geschäfte für Ehlers und Kompagnie führte, fein und zierlich die Rechnung über die Schlittschuh mit allem Zubehör auf em Blatt Papier geschrieben hatte, und daß Onkel Willi gleich nach seiner Rückkehr erfahren würde, was Anneli für ein gewissenloses Geschöpf, für eine Diebin war. Eine Diebin? Anneli fuhr rasend schnell in die neblige Ferne hinein. Sie hatte doch nicht gestohlen! Wenn niemand ihr Schlittschuhe schenkte, dann konnte sie sie kaufen, und wenn sie erst Geld hatte, dann wollte sie sie bezahlen. Andre Leute ließen auch anschreiben. Anneli, Anneli! rief es hinter ihr, und als sie sich umsah, winkte Fred Roland mit beiden Armen. Herr Peterlein hob die Hände zum Munde und schrie etwas mit gellender Stimme. Wollte er jetzt sein Geld haben, und sollte Fred ihm dabei helfen? Die alte Klatschliese! Anneli wurde zornig und so aufgeregt, daß sie sich nicht mehr umsah. Die beiden sollten sie nicht kriegen, nein ganz gewiß nicht, sie wollte ihnen schon ausreißen. Stärker fuhr der Wind hinter ihr her, die Wolken wurden dunkler, die Luft feucht und schwer. Endlos grau dehnte sich das Eisfeld vor ihr aus, hier und dort kam es wie ein Binsenhalm aus der blanken Fläche, und manchmal war es, als schaukelte sie hin und her. Hier war Anneli noch nie gewesen; als sie sich jetzt umsah, war das Ufer mit seinen Menschen, seinem Zelt, seiner Drehorgel verschwunden; ein grauer Schleier wogte ihr entgegen, der alles einhüllte. Anneli wandte sich wieder um und lief der Ferne zu, immer mit dem Winde, bis sie einen lauten Schreckensruf ausstieß. Vor ihr erhob sich ein großer grauer Vogel, ein zweiter folgte ihm mit heiseren Krächzen, und die Kleine taumelte zurück. Dabei stolperte sie über einige steifgefrorne Schilfhalme, die wie Borsten aus'- dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/511>, abgerufen am 24.07.2024.