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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

kann das Kompliment nicht versagt werden, daß sie in der Hauptstadt in sehr
eleganter Verfassung erscheint. Tief eingeschnitten, die schrägen Uferflächen mit
Quadern bekleidet, zieht sie in sanften, die Schiffahrt nicht hindernden Win¬
dungen durch das Weichbild.

Unser Mittagsmahl nahmen wir in einer uns empfohlnen Weinstube ein,
speisten rumänische Nationalgerichte und tranken rumänischen Wein, alles nicht
übel. Auch den Siegeszug des Bieres durch Europa zu konstatieren, haben
wir mit Erfolg versucht. Als wir uns im Hotel empfahlen, beliebte man unsre
Koffer ausnahmslos mit blau und roten Plataeer und entließ uns als reisende
Reklame des Hotels Frascati. das wenigstens den Vorzug hat, neu möblierte
gute Zimmer für mäßige Preise abzugeben, was man von andern nicht soll
behaupten können. (Fortsetzung folgt)




Menschenfrühling
Charlotte Niese von (Fortsetzung)

in Schloßberg stand Rike Blüthen mit einem Päckchen in der Hand.

Ich wollte dir ein paar Kuchen schenken, Kind. Du bekommst
wohl nicht allzuviel, und Stinas Kandidat ist ja nun auch weg.

Onkel Aurelius wird schon wiederkommen, entgegnete Anneli, die
Rikes Bezeichnung des Kandidaten ganz überhörte.

Glaubst du das? Wie ich höre, ist seine Cousine eine reiche
Witwe und noch ziemlich jung. Junge Frauen hatte Herr Bergheim immer lieber
als alte, und für Geld war er sehr empfänglich. Ich kenne ihn von früher her,
Anneli, er war nicht schlecht, aber seine Gedanken gingen immer zu sich selbst.
Sage das alles nur Slina Böteführ, damit sie sich nicht ihr Hochzeitskleid näht,
das sie doch nicht anzuziehn braucht.

Da Anneli gleich darauf im Schloßhofe Slina begegnete, so konnte sie ihre Be¬
stellung sogleich ausrichten. Wieviel sie sagte, wußte sie nicht, es war aber auch kaum
nötig. Slina nickte nur, und der Ausdruck ihres Gesichts war düsterer als jemals.

Laß man, Kind. Ich weiß all. Wie es ist, so ist es, und ich kann nix dabei
wachen. Was die Manners sind, die sind einmal so; und ich hoffe bloß, daß die
neue Madnmm ein büschen schlecht beim Kochen ist. Denn ist da doch noch himm¬
lische Gerechtigkeit bei.

Himmlische Gerechtigkeit. An das Wort mußte Anneli am nächsten Abend
denken, der in der Christenheit der Weihnachtsabend hieß, und an dem alle Wünsche
der Menschheit in Erfüllung gehn sollten. So wenigstens sagten die Leute, die
"was von diesen Dingen versteh" wollten, und die sicherlich nicht ahnten, wie bitter¬
lich enttäuscht man auch an diesem Abend sein kann.

In des Hofrats Zimmer brannte ein kleiner Tannenbaum, und er selbst sah
""t seinen Träumercmgen in die leise verglimmenden Lichtchen, ohne auf Anneli zu
achten, die vor einem Haufen von Kleidungsstücken und Schulbüchern stand. Alles
nützliche Gaben, von Stiefeln und Strümpfen aufwärts zu einem blauen Tuchkleid
"'it gleichfarbiger warm gefütterter Jacke und dazu passendem Pelzkcippchen. "Von
der Großmutter" stand auf einem Zettel an diesem Anzüge, und manches kleine
Mädchen würde Anneli um dies hübsche und nützliche Geschenk beneidet haben.


Menschenfrühling

kann das Kompliment nicht versagt werden, daß sie in der Hauptstadt in sehr
eleganter Verfassung erscheint. Tief eingeschnitten, die schrägen Uferflächen mit
Quadern bekleidet, zieht sie in sanften, die Schiffahrt nicht hindernden Win¬
dungen durch das Weichbild.

Unser Mittagsmahl nahmen wir in einer uns empfohlnen Weinstube ein,
speisten rumänische Nationalgerichte und tranken rumänischen Wein, alles nicht
übel. Auch den Siegeszug des Bieres durch Europa zu konstatieren, haben
wir mit Erfolg versucht. Als wir uns im Hotel empfahlen, beliebte man unsre
Koffer ausnahmslos mit blau und roten Plataeer und entließ uns als reisende
Reklame des Hotels Frascati. das wenigstens den Vorzug hat, neu möblierte
gute Zimmer für mäßige Preise abzugeben, was man von andern nicht soll
behaupten können. (Fortsetzung folgt)




Menschenfrühling
Charlotte Niese von (Fortsetzung)

in Schloßberg stand Rike Blüthen mit einem Päckchen in der Hand.

Ich wollte dir ein paar Kuchen schenken, Kind. Du bekommst
wohl nicht allzuviel, und Stinas Kandidat ist ja nun auch weg.

Onkel Aurelius wird schon wiederkommen, entgegnete Anneli, die
Rikes Bezeichnung des Kandidaten ganz überhörte.

Glaubst du das? Wie ich höre, ist seine Cousine eine reiche
Witwe und noch ziemlich jung. Junge Frauen hatte Herr Bergheim immer lieber
als alte, und für Geld war er sehr empfänglich. Ich kenne ihn von früher her,
Anneli, er war nicht schlecht, aber seine Gedanken gingen immer zu sich selbst.
Sage das alles nur Slina Böteführ, damit sie sich nicht ihr Hochzeitskleid näht,
das sie doch nicht anzuziehn braucht.

Da Anneli gleich darauf im Schloßhofe Slina begegnete, so konnte sie ihre Be¬
stellung sogleich ausrichten. Wieviel sie sagte, wußte sie nicht, es war aber auch kaum
nötig. Slina nickte nur, und der Ausdruck ihres Gesichts war düsterer als jemals.

Laß man, Kind. Ich weiß all. Wie es ist, so ist es, und ich kann nix dabei
wachen. Was die Manners sind, die sind einmal so; und ich hoffe bloß, daß die
neue Madnmm ein büschen schlecht beim Kochen ist. Denn ist da doch noch himm¬
lische Gerechtigkeit bei.

Himmlische Gerechtigkeit. An das Wort mußte Anneli am nächsten Abend
denken, der in der Christenheit der Weihnachtsabend hieß, und an dem alle Wünsche
der Menschheit in Erfüllung gehn sollten. So wenigstens sagten die Leute, die
«was von diesen Dingen versteh« wollten, und die sicherlich nicht ahnten, wie bitter¬
lich enttäuscht man auch an diesem Abend sein kann.

In des Hofrats Zimmer brannte ein kleiner Tannenbaum, und er selbst sah
""t seinen Träumercmgen in die leise verglimmenden Lichtchen, ohne auf Anneli zu
achten, die vor einem Haufen von Kleidungsstücken und Schulbüchern stand. Alles
nützliche Gaben, von Stiefeln und Strümpfen aufwärts zu einem blauen Tuchkleid
"'it gleichfarbiger warm gefütterter Jacke und dazu passendem Pelzkcippchen. „Von
der Großmutter" stand auf einem Zettel an diesem Anzüge, und manches kleine
Mädchen würde Anneli um dies hübsche und nützliche Geschenk beneidet haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/505>, abgerufen am 24.07.2024.