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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Iahrhundertausstellung in der Nationalgalerie

zu haben, aber wenn nun dieses kleine, an das Rokoko erinnernde malerische
Witzchen mit der zarten Lichtverstreuung zweiundvierzigmal, wie auf der Aus¬
stellung, erzählt wird, dann fühlen wir uns gelangweilt. Hier hat man des
Guten zu viel getan: weniger wäre mehr gewesen. Das beste, sein Frauenbad
in Dieppe (1691), ist dazu ganz französisch in der Malweise. Auch der kindliche,
naive Ludwig Richter (1803 bis 1884) kann nur als Erzähler, nicht als Künstler
genannt werden. Ihm fehlt noch mehr als jenen die rein künstlerische Vor¬
stellung.

Zu den Romantikern der Erzählung kommen dann die Landschaftsroman¬
tiker, geführt von K. Fr. Lessing (1808 bis 1880), der wie alle seine Düsseldorfer
Genossen ganz ungenügend vertreten ist. Die Tendenz der Märchenromantik
herrscht auch hier vor. Weiterhin wandelt sich diese Romantik zu der großen
Geschichtsmalerei einerseits, zur Genremalerei und zur Stimmungslandschaft
andrerseits. Wieder ist es Düsseldorf, wo sich diese Wandlung am klarsten
vollzieht. Überhaupt nimmt Düsseldorf eine eigentümlich führende Stellung in
der rein historischen Entfaltung der Tendenzmalerei ein. Keine andre Schule
in Deutschland hat eine gleich klare, in ihrer Logik fast an Frankreich erinnernde
Entwicklung gehabt. Da gibt es keine Sprünge, sondern eins folgt aus
dem andern, und man begreift nicht so recht, warum man, wenn man einmal
die Aufstellung nach Schulen vornahm, nicht die Gelegenheit wahrgenommen
hat, alles das überall zerstreute unter Düsseldorf als große historische Schule
zu vereinen. Die Geschichtsmaler sind ganz weggelassen worden. Als guter
Porträtist tritt K. Sohn (1805 bis 1867) auf. Von den Genremalern ist Ludwig
Kraus (geb. 1829) mit einigen vorzüglich durchgearbeiteten Stücken voll feiner
Charakteristik (842, 844), ebenso Benjamin Vautier (1829 bis 1898) gut vertreten.
Als Genremaler müssen auch noch der Berliner Eduard Meyerheim (1808 bis 1879),
der etwas durchsichtiger in der Farbe ist, der Wiener Jos. Danhäuser (1805
bis 1845), der freilich mehr Portrütist bleibt -- Defregger ist als Genremaler
schlecht vertreten --, endlich unter den Humoristen der Düsseldorfer Hasenclever
(1810 bis 1853), der im allgemeinen derber und kräftiger ist, genannt werden. Die
realistische Tendenz nach niederländischen Muster kommt denn auch kleinlich zum
Durchbruch in der religiösen Malerei, bei E. Gebhardt (geb. 1838).

Kräftiger und natürlicher entwickelt sich die Landschaft. Die beiden Achen-
bachs sind dabei nicht genügend beachtet worden. Neben einigen interessanten
frühen Stücken von Andreas (geb. 1815), wo er noch als Nazarener auftritt, ist
nur ein einziges charakteristisches Werk da, und zwar eine schon aus dem Jahre
1834 stammende romantische Norwegische Küste, wo die durch dunkle Wolken¬
massen brechende Sonne das weite Meer magisch auflichtet (2).


Die realistischen Strömungen

Die große historische Entfaltung wäre damit erledigt: von dem Rokoko zum
Klassizismus, dann zum Präraffaelitentum und zur Romantik. In die Dar¬
stellung dringt mehr und mehr die Wirklichkeitserscheinung ein. Die Tendenz
geht von dem dekorativen Rokoko durch verschiedne idealistische Bestrebungen
hindurch schließlich zum Realismus. Aber dieser Realismus hatte inzwischen


Die deutsche Iahrhundertausstellung in der Nationalgalerie

zu haben, aber wenn nun dieses kleine, an das Rokoko erinnernde malerische
Witzchen mit der zarten Lichtverstreuung zweiundvierzigmal, wie auf der Aus¬
stellung, erzählt wird, dann fühlen wir uns gelangweilt. Hier hat man des
Guten zu viel getan: weniger wäre mehr gewesen. Das beste, sein Frauenbad
in Dieppe (1691), ist dazu ganz französisch in der Malweise. Auch der kindliche,
naive Ludwig Richter (1803 bis 1884) kann nur als Erzähler, nicht als Künstler
genannt werden. Ihm fehlt noch mehr als jenen die rein künstlerische Vor¬
stellung.

Zu den Romantikern der Erzählung kommen dann die Landschaftsroman¬
tiker, geführt von K. Fr. Lessing (1808 bis 1880), der wie alle seine Düsseldorfer
Genossen ganz ungenügend vertreten ist. Die Tendenz der Märchenromantik
herrscht auch hier vor. Weiterhin wandelt sich diese Romantik zu der großen
Geschichtsmalerei einerseits, zur Genremalerei und zur Stimmungslandschaft
andrerseits. Wieder ist es Düsseldorf, wo sich diese Wandlung am klarsten
vollzieht. Überhaupt nimmt Düsseldorf eine eigentümlich führende Stellung in
der rein historischen Entfaltung der Tendenzmalerei ein. Keine andre Schule
in Deutschland hat eine gleich klare, in ihrer Logik fast an Frankreich erinnernde
Entwicklung gehabt. Da gibt es keine Sprünge, sondern eins folgt aus
dem andern, und man begreift nicht so recht, warum man, wenn man einmal
die Aufstellung nach Schulen vornahm, nicht die Gelegenheit wahrgenommen
hat, alles das überall zerstreute unter Düsseldorf als große historische Schule
zu vereinen. Die Geschichtsmaler sind ganz weggelassen worden. Als guter
Porträtist tritt K. Sohn (1805 bis 1867) auf. Von den Genremalern ist Ludwig
Kraus (geb. 1829) mit einigen vorzüglich durchgearbeiteten Stücken voll feiner
Charakteristik (842, 844), ebenso Benjamin Vautier (1829 bis 1898) gut vertreten.
Als Genremaler müssen auch noch der Berliner Eduard Meyerheim (1808 bis 1879),
der etwas durchsichtiger in der Farbe ist, der Wiener Jos. Danhäuser (1805
bis 1845), der freilich mehr Portrütist bleibt — Defregger ist als Genremaler
schlecht vertreten —, endlich unter den Humoristen der Düsseldorfer Hasenclever
(1810 bis 1853), der im allgemeinen derber und kräftiger ist, genannt werden. Die
realistische Tendenz nach niederländischen Muster kommt denn auch kleinlich zum
Durchbruch in der religiösen Malerei, bei E. Gebhardt (geb. 1838).

Kräftiger und natürlicher entwickelt sich die Landschaft. Die beiden Achen-
bachs sind dabei nicht genügend beachtet worden. Neben einigen interessanten
frühen Stücken von Andreas (geb. 1815), wo er noch als Nazarener auftritt, ist
nur ein einziges charakteristisches Werk da, und zwar eine schon aus dem Jahre
1834 stammende romantische Norwegische Küste, wo die durch dunkle Wolken¬
massen brechende Sonne das weite Meer magisch auflichtet (2).


Die realistischen Strömungen

Die große historische Entfaltung wäre damit erledigt: von dem Rokoko zum
Klassizismus, dann zum Präraffaelitentum und zur Romantik. In die Dar¬
stellung dringt mehr und mehr die Wirklichkeitserscheinung ein. Die Tendenz
geht von dem dekorativen Rokoko durch verschiedne idealistische Bestrebungen
hindurch schließlich zum Realismus. Aber dieser Realismus hatte inzwischen


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[0483] Die deutsche Iahrhundertausstellung in der Nationalgalerie zu haben, aber wenn nun dieses kleine, an das Rokoko erinnernde malerische Witzchen mit der zarten Lichtverstreuung zweiundvierzigmal, wie auf der Aus¬ stellung, erzählt wird, dann fühlen wir uns gelangweilt. Hier hat man des Guten zu viel getan: weniger wäre mehr gewesen. Das beste, sein Frauenbad in Dieppe (1691), ist dazu ganz französisch in der Malweise. Auch der kindliche, naive Ludwig Richter (1803 bis 1884) kann nur als Erzähler, nicht als Künstler genannt werden. Ihm fehlt noch mehr als jenen die rein künstlerische Vor¬ stellung. Zu den Romantikern der Erzählung kommen dann die Landschaftsroman¬ tiker, geführt von K. Fr. Lessing (1808 bis 1880), der wie alle seine Düsseldorfer Genossen ganz ungenügend vertreten ist. Die Tendenz der Märchenromantik herrscht auch hier vor. Weiterhin wandelt sich diese Romantik zu der großen Geschichtsmalerei einerseits, zur Genremalerei und zur Stimmungslandschaft andrerseits. Wieder ist es Düsseldorf, wo sich diese Wandlung am klarsten vollzieht. Überhaupt nimmt Düsseldorf eine eigentümlich führende Stellung in der rein historischen Entfaltung der Tendenzmalerei ein. Keine andre Schule in Deutschland hat eine gleich klare, in ihrer Logik fast an Frankreich erinnernde Entwicklung gehabt. Da gibt es keine Sprünge, sondern eins folgt aus dem andern, und man begreift nicht so recht, warum man, wenn man einmal die Aufstellung nach Schulen vornahm, nicht die Gelegenheit wahrgenommen hat, alles das überall zerstreute unter Düsseldorf als große historische Schule zu vereinen. Die Geschichtsmaler sind ganz weggelassen worden. Als guter Porträtist tritt K. Sohn (1805 bis 1867) auf. Von den Genremalern ist Ludwig Kraus (geb. 1829) mit einigen vorzüglich durchgearbeiteten Stücken voll feiner Charakteristik (842, 844), ebenso Benjamin Vautier (1829 bis 1898) gut vertreten. Als Genremaler müssen auch noch der Berliner Eduard Meyerheim (1808 bis 1879), der etwas durchsichtiger in der Farbe ist, der Wiener Jos. Danhäuser (1805 bis 1845), der freilich mehr Portrütist bleibt — Defregger ist als Genremaler schlecht vertreten —, endlich unter den Humoristen der Düsseldorfer Hasenclever (1810 bis 1853), der im allgemeinen derber und kräftiger ist, genannt werden. Die realistische Tendenz nach niederländischen Muster kommt denn auch kleinlich zum Durchbruch in der religiösen Malerei, bei E. Gebhardt (geb. 1838). Kräftiger und natürlicher entwickelt sich die Landschaft. Die beiden Achen- bachs sind dabei nicht genügend beachtet worden. Neben einigen interessanten frühen Stücken von Andreas (geb. 1815), wo er noch als Nazarener auftritt, ist nur ein einziges charakteristisches Werk da, und zwar eine schon aus dem Jahre 1834 stammende romantische Norwegische Küste, wo die durch dunkle Wolken¬ massen brechende Sonne das weite Meer magisch auflichtet (2). Die realistischen Strömungen Die große historische Entfaltung wäre damit erledigt: von dem Rokoko zum Klassizismus, dann zum Präraffaelitentum und zur Romantik. In die Dar¬ stellung dringt mehr und mehr die Wirklichkeitserscheinung ein. Die Tendenz geht von dem dekorativen Rokoko durch verschiedne idealistische Bestrebungen hindurch schließlich zum Realismus. Aber dieser Realismus hatte inzwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/483>, abgerufen am 27.12.2024.