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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche Iahrhundertausstellung in der Nationalgalerie

Das wäre eine Maßregel, die nicht einmal in Frankreich, dem Vaterlande der
Staatsanwaltschaft, getroffen ist, weder unter dem ersten noch unter dem dritten
Napoleon, die in der Staatsanwaltschaft ein Gegengewicht gegen die unab¬
hängigen Richter haben wollten, geschweige denn unter der Republik. Auch die
Staaten, in denen das Gefängniswesen unter den Justizminister gestellt ist, haben
die Staatsanwaltschaft nicht zu Herren des Strafvollzugs und der Untersuchungs¬
gefängnisse gemacht; soweit ist sogar Österreich nicht gegangen, das wenigstens
die Gerichtsgefängnisse -- große und kleine -- nur den Richtern, über denen
der Justizminister, nicht der Oberstaatsanwalt steht, belassen hat. Auch in den
deutschen Bundesstaaten, in denen das Gefängniswesen unter dem Justizminister
steht, ist die Staatsanwaltschaft von der Leitung des Strafvollzugs ausgeschlossen.
Und daran knüpft sich die weitere Frage: Ist es politisch richtig, die Macht der
Staatsanwaltschaft in unserm Nechtsorganismus durch Überweisung eiuer so
sehr in alle Verhältnisse unsers öffentlichen Lebens eingreifenden Verwaltung
noch weiter zu stärken?




T>le deutsche Iahrhundertausstellung in der National¬
galerie
Fritz Knapp von

och selten hat eine Ausstellung gleich wie diese das gemeinsame
Interesse aller Gebildeten in Anspruch genommen. Die Schärfe der
Kritik gegen manche Fehler, die immerhin begangen worden sind,
läßt nach, und man gewinnt mehr und mehr den Eindruck, daß hier
eine hohe nationale Tat vollbracht worden ist. Endlich hat man
uns Deutschen eine retrospektive Ausstellung über ein Jahrhundert deutscher Kunst,
das wie kaum ein andres voll Unbestimmtheit und Unklarheit ist, gegeben. Hat
man doch wie überall auch in der Kunst und in dem Ausstellungswesen dem
Auslande seine Huldigungen dargebracht. Das eigne Vaterland wurde vergessen
oder mit Verachtung gestraft. Die Gelehrten und die Kunstfreunde, die ihre
Hilfe geliehen haben, wird man sicherlich nicht vergessen. Besonders mag man
es loben, daß die Nationalgalerie dank den Bemühungen ihres Direktors ihre
Räume hergegeben hat. Sie macht damit ihrem Namen Ehre. Zum Lohne dafür
spricht denn auch die ganze Ausstellung genugsam Worte zu ihrem Ruhme. Fast
immer gehören gerade die besten Stücke der Nationalgalerie, und wir haben
durchaus Recht, sie als die beste Sammlung neuer Kunst zu bezeichnen. Ihr
Direktor H. von Tschudi hat es sich Mühe genug kosten lassen. So wird er
sich seinem bisherigen Schaffen entsprechend beeilen, Lücken, die gerade die Aus¬
stellung erwiesen hat, zu füllen.

Gegenüber den vielen Vorzügen und den tausendfältigen Anregungen, die
die Ausstellung geboten hat, verstummen denn auch allmählich die Stimmen
des Tadels. Über das "Wie" könnte man vielfach streiten. Der Vorwurf der
UnVollständigkeit bleibt bestehn, ebenso wie der der Einseitigkeit, aber das klingt


Die deutsche Iahrhundertausstellung in der Nationalgalerie

Das wäre eine Maßregel, die nicht einmal in Frankreich, dem Vaterlande der
Staatsanwaltschaft, getroffen ist, weder unter dem ersten noch unter dem dritten
Napoleon, die in der Staatsanwaltschaft ein Gegengewicht gegen die unab¬
hängigen Richter haben wollten, geschweige denn unter der Republik. Auch die
Staaten, in denen das Gefängniswesen unter den Justizminister gestellt ist, haben
die Staatsanwaltschaft nicht zu Herren des Strafvollzugs und der Untersuchungs¬
gefängnisse gemacht; soweit ist sogar Österreich nicht gegangen, das wenigstens
die Gerichtsgefängnisse — große und kleine — nur den Richtern, über denen
der Justizminister, nicht der Oberstaatsanwalt steht, belassen hat. Auch in den
deutschen Bundesstaaten, in denen das Gefängniswesen unter dem Justizminister
steht, ist die Staatsanwaltschaft von der Leitung des Strafvollzugs ausgeschlossen.
Und daran knüpft sich die weitere Frage: Ist es politisch richtig, die Macht der
Staatsanwaltschaft in unserm Nechtsorganismus durch Überweisung eiuer so
sehr in alle Verhältnisse unsers öffentlichen Lebens eingreifenden Verwaltung
noch weiter zu stärken?




T>le deutsche Iahrhundertausstellung in der National¬
galerie
Fritz Knapp von

och selten hat eine Ausstellung gleich wie diese das gemeinsame
Interesse aller Gebildeten in Anspruch genommen. Die Schärfe der
Kritik gegen manche Fehler, die immerhin begangen worden sind,
läßt nach, und man gewinnt mehr und mehr den Eindruck, daß hier
eine hohe nationale Tat vollbracht worden ist. Endlich hat man
uns Deutschen eine retrospektive Ausstellung über ein Jahrhundert deutscher Kunst,
das wie kaum ein andres voll Unbestimmtheit und Unklarheit ist, gegeben. Hat
man doch wie überall auch in der Kunst und in dem Ausstellungswesen dem
Auslande seine Huldigungen dargebracht. Das eigne Vaterland wurde vergessen
oder mit Verachtung gestraft. Die Gelehrten und die Kunstfreunde, die ihre
Hilfe geliehen haben, wird man sicherlich nicht vergessen. Besonders mag man
es loben, daß die Nationalgalerie dank den Bemühungen ihres Direktors ihre
Räume hergegeben hat. Sie macht damit ihrem Namen Ehre. Zum Lohne dafür
spricht denn auch die ganze Ausstellung genugsam Worte zu ihrem Ruhme. Fast
immer gehören gerade die besten Stücke der Nationalgalerie, und wir haben
durchaus Recht, sie als die beste Sammlung neuer Kunst zu bezeichnen. Ihr
Direktor H. von Tschudi hat es sich Mühe genug kosten lassen. So wird er
sich seinem bisherigen Schaffen entsprechend beeilen, Lücken, die gerade die Aus¬
stellung erwiesen hat, zu füllen.

Gegenüber den vielen Vorzügen und den tausendfältigen Anregungen, die
die Ausstellung geboten hat, verstummen denn auch allmählich die Stimmen
des Tadels. Über das „Wie" könnte man vielfach streiten. Der Vorwurf der
UnVollständigkeit bleibt bestehn, ebenso wie der der Einseitigkeit, aber das klingt


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[0476] Die deutsche Iahrhundertausstellung in der Nationalgalerie Das wäre eine Maßregel, die nicht einmal in Frankreich, dem Vaterlande der Staatsanwaltschaft, getroffen ist, weder unter dem ersten noch unter dem dritten Napoleon, die in der Staatsanwaltschaft ein Gegengewicht gegen die unab¬ hängigen Richter haben wollten, geschweige denn unter der Republik. Auch die Staaten, in denen das Gefängniswesen unter den Justizminister gestellt ist, haben die Staatsanwaltschaft nicht zu Herren des Strafvollzugs und der Untersuchungs¬ gefängnisse gemacht; soweit ist sogar Österreich nicht gegangen, das wenigstens die Gerichtsgefängnisse — große und kleine — nur den Richtern, über denen der Justizminister, nicht der Oberstaatsanwalt steht, belassen hat. Auch in den deutschen Bundesstaaten, in denen das Gefängniswesen unter dem Justizminister steht, ist die Staatsanwaltschaft von der Leitung des Strafvollzugs ausgeschlossen. Und daran knüpft sich die weitere Frage: Ist es politisch richtig, die Macht der Staatsanwaltschaft in unserm Nechtsorganismus durch Überweisung eiuer so sehr in alle Verhältnisse unsers öffentlichen Lebens eingreifenden Verwaltung noch weiter zu stärken? T>le deutsche Iahrhundertausstellung in der National¬ galerie Fritz Knapp von och selten hat eine Ausstellung gleich wie diese das gemeinsame Interesse aller Gebildeten in Anspruch genommen. Die Schärfe der Kritik gegen manche Fehler, die immerhin begangen worden sind, läßt nach, und man gewinnt mehr und mehr den Eindruck, daß hier eine hohe nationale Tat vollbracht worden ist. Endlich hat man uns Deutschen eine retrospektive Ausstellung über ein Jahrhundert deutscher Kunst, das wie kaum ein andres voll Unbestimmtheit und Unklarheit ist, gegeben. Hat man doch wie überall auch in der Kunst und in dem Ausstellungswesen dem Auslande seine Huldigungen dargebracht. Das eigne Vaterland wurde vergessen oder mit Verachtung gestraft. Die Gelehrten und die Kunstfreunde, die ihre Hilfe geliehen haben, wird man sicherlich nicht vergessen. Besonders mag man es loben, daß die Nationalgalerie dank den Bemühungen ihres Direktors ihre Räume hergegeben hat. Sie macht damit ihrem Namen Ehre. Zum Lohne dafür spricht denn auch die ganze Ausstellung genugsam Worte zu ihrem Ruhme. Fast immer gehören gerade die besten Stücke der Nationalgalerie, und wir haben durchaus Recht, sie als die beste Sammlung neuer Kunst zu bezeichnen. Ihr Direktor H. von Tschudi hat es sich Mühe genug kosten lassen. So wird er sich seinem bisherigen Schaffen entsprechend beeilen, Lücken, die gerade die Aus¬ stellung erwiesen hat, zu füllen. Gegenüber den vielen Vorzügen und den tausendfältigen Anregungen, die die Ausstellung geboten hat, verstummen denn auch allmählich die Stimmen des Tadels. Über das „Wie" könnte man vielfach streiten. Der Vorwurf der UnVollständigkeit bleibt bestehn, ebenso wie der der Einseitigkeit, aber das klingt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/476>, abgerufen am 04.07.2024.