Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.Menschenfrühling Aber wie sie im Kerzenlicht stand und mit klarer Stimme ihr Verslein sprach, Anneli achtete nicht auf die auf ihr ruhenden Augen. Als die Feier beendet war, Hallo! rief eine Stimme, und Fred Roland faßte sie am Arm. Bist du so Doch, doch! Mit rotem Kopf und aller Wildheit bar ging die Kleine neben dem Fred achtete nicht auf Aureus Wesen. Er war redselig wie niemals, und seine Ich habe ein gutes Zeugnis gekriegt, berichtete er, das beste in der Schule, und Was ist ein Stipendium? fragte Anneli, und nachdem Fred ihr das Wort Gibt das dir der vornehme Mann, der auch bei Onkel Willi war? Ich glaube, Fred blieb mit höhnischem Lachen stehn. Meinst du, daß Mutter von dem alten Nußknacker etwas nehmen würde? Ist er mit euch verwandt? Fred ging schon weiter. Sein Gesicht war unfreundlich geworden, und seine Was weiß ich von Verwandtschaft? Mutter und ich haben keine Verwandten. Aber -- Anneli wollte eine Einwendung machen, doch Fred schlug mit der Laß du das Fragen. Mädchen verstehn nichts von solchen Dingen. Komm Er wies auf einen großen Efeukranz, den er am Arme trug. Den soll Christel Christel! Über Anneli kam der Schreck, den sie vor Fred empfunden hatte, seitdem Ich war nicht böse; ich war nur gerecht! erwiderte er gleichmütig. Sie hatte Anneli sagte nichts. Wenn Fred sprach, dann merkte sie erst, wie dumm sie Schneeweiß hob sich Christels Kreuz aus der frostkalten Erde, und Fred legte Menschenfrühling Aber wie sie im Kerzenlicht stand und mit klarer Stimme ihr Verslein sprach, Anneli achtete nicht auf die auf ihr ruhenden Augen. Als die Feier beendet war, Hallo! rief eine Stimme, und Fred Roland faßte sie am Arm. Bist du so Doch, doch! Mit rotem Kopf und aller Wildheit bar ging die Kleine neben dem Fred achtete nicht auf Aureus Wesen. Er war redselig wie niemals, und seine Ich habe ein gutes Zeugnis gekriegt, berichtete er, das beste in der Schule, und Was ist ein Stipendium? fragte Anneli, und nachdem Fred ihr das Wort Gibt das dir der vornehme Mann, der auch bei Onkel Willi war? Ich glaube, Fred blieb mit höhnischem Lachen stehn. Meinst du, daß Mutter von dem alten Nußknacker etwas nehmen würde? Ist er mit euch verwandt? Fred ging schon weiter. Sein Gesicht war unfreundlich geworden, und seine Was weiß ich von Verwandtschaft? Mutter und ich haben keine Verwandten. Aber — Anneli wollte eine Einwendung machen, doch Fred schlug mit der Laß du das Fragen. Mädchen verstehn nichts von solchen Dingen. Komm Er wies auf einen großen Efeukranz, den er am Arme trug. Den soll Christel Christel! Über Anneli kam der Schreck, den sie vor Fred empfunden hatte, seitdem Ich war nicht böse; ich war nur gerecht! erwiderte er gleichmütig. Sie hatte Anneli sagte nichts. Wenn Fred sprach, dann merkte sie erst, wie dumm sie Schneeweiß hob sich Christels Kreuz aus der frostkalten Erde, und Fred legte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0452" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299493"/> <fw type="header" place="top"> Menschenfrühling</fw><lb/> <p xml:id="ID_2029"> Aber wie sie im Kerzenlicht stand und mit klarer Stimme ihr Verslein sprach,<lb/> da rückten die Mütter, die diesem Schulfest beiwohnten, auf ihren Plätzen hin und<lb/> her, und jede wünschte heimlich, auch ihr Kind möchte ein so süßes Gesicht und so<lb/> goldiges Haar haben wie diese Kleine im häßlichen Kleide.</p><lb/> <p xml:id="ID_2030"> Anneli achtete nicht auf die auf ihr ruhenden Augen. Als die Feier beendet war,<lb/> stürmte sie auf die Straße und freute sich, daß der Wind so kalt wehte. Morgen<lb/> war Weihnachten, da gab es Schlittschuhe!</p><lb/> <p xml:id="ID_2031"> Hallo! rief eine Stimme, und Fred Roland faßte sie am Arm. Bist du so<lb/> lang geworden, daß du mich nicht mehr sehen kannst?</p><lb/> <p xml:id="ID_2032"> Doch, doch! Mit rotem Kopf und aller Wildheit bar ging die Kleine neben dem<lb/> großen Jungen. Halb war sie scheu, und halbwegs kam über sie die Empfindung<lb/> der unbestimmten Angst, von damals her, als es noch Sommer gewesen und Cäsar<lb/> gestorben war.</p><lb/> <p xml:id="ID_2033"> Fred achtete nicht auf Aureus Wesen. Er war redselig wie niemals, und seine<lb/> Augen leuchteten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2034"> Ich habe ein gutes Zeugnis gekriegt, berichtete er, das beste in der Schule, und<lb/> von Ostern an gibts ein Stipendium. Da hat Mutter nicht mehr so viel Sorgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2035"> Was ist ein Stipendium? fragte Anneli, und nachdem Fred ihr das Wort<lb/> erklärt hatte, nickte sie weise.</p><lb/> <p xml:id="ID_2036"> Gibt das dir der vornehme Mann, der auch bei Onkel Willi war? Ich glaube,<lb/> es war ein Baron, und er sprach von Frau Roland.</p><lb/> <p xml:id="ID_2037"> Fred blieb mit höhnischem Lachen stehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_2038"> Meinst du, daß Mutter von dem alten Nußknacker etwas nehmen würde?<lb/> O ja, er ist bet uns gewesen und hat allerhand dummes Zeug gesprochen. Aber<lb/> Mutter hat gesagt, er sollte gehn, woher er gekommen wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_2039"> Ist er mit euch verwandt?</p><lb/> <p xml:id="ID_2040"> Fred ging schon weiter. Sein Gesicht war unfreundlich geworden, und seine<lb/> Stimme hart.</p><lb/> <p xml:id="ID_2041"> Was weiß ich von Verwandtschaft? Mutter und ich haben keine Verwandten.<lb/> Wir schlagen uns allein durch.</p><lb/> <p xml:id="ID_2042"> Aber — Anneli wollte eine Einwendung machen, doch Fred schlug mit der<lb/> Hand durch die Luft, weil er ein andres Gesprächsthema wünschte.</p><lb/> <p xml:id="ID_2043"> Laß du das Fragen. Mädchen verstehn nichts von solchen Dingen. Komm<lb/> lieber mit nach dem Kirchhof!</p><lb/> <p xml:id="ID_2044"> Er wies auf einen großen Efeukranz, den er am Arme trug. Den soll Christel<lb/> haben! setzte er hinzu und schlenkerte ihn lustig in der frostklaren Luft.</p><lb/> <p xml:id="ID_2045"> Christel! Über Anneli kam der Schreck, den sie vor Fred empfunden hatte, seitdem<lb/> Christel tot war. Du warst böse gegen sie, und nun bringst du ihr einen Kranz!</p><lb/> <p xml:id="ID_2046"> Ich war nicht böse; ich war nur gerecht! erwiderte er gleichmütig. Sie hatte<lb/> sich schlecht benommen, und ich mußte ihr sagen, was ich von ihr dachte. Nicht eine<lb/> Nacht mehr hätte ich schlafen können, wenn ich das nicht getan hätte. Deshalb aber<lb/> brauchte sie nicht ins Wasser zu gehn. Aber so sind die Mädchen. Dumme Streiche<lb/> wollen sie machen, aber nicht die Strafe dafür leiden. Wahrscheinlich wäre sie gar<lb/> nicht ins Gefängnis gekommen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2047"> Anneli sagte nichts. Wenn Fred sprach, dann merkte sie erst, wie dumm sie<lb/> war. Schweigend ging sie neben ihm her, bis der Friedhof erreicht war. Er<lb/> hatte ein winterliches Kleid angenommen, verdorrte Pflanzen und Grashalme krochen<lb/> niüde aus der Erde, nur die Tannen und Lebensbäume grünten wie im Sommer,<lb/> und über allem stand derselbe Himmel wie oft im Sommer: hellblauer Grund mit<lb/> grau abschattierten Wolken darauf, die der Wind durcheinanderwirbelte wie eine<lb/> Herde Schafe.</p><lb/> <p xml:id="ID_2048"> Schneeweiß hob sich Christels Kreuz aus der frostkalten Erde, und Fred legte<lb/> den Kranz am Postamente nieder. Dann nahm er die Mütze vom Kopf.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0452]
Menschenfrühling
Aber wie sie im Kerzenlicht stand und mit klarer Stimme ihr Verslein sprach,
da rückten die Mütter, die diesem Schulfest beiwohnten, auf ihren Plätzen hin und
her, und jede wünschte heimlich, auch ihr Kind möchte ein so süßes Gesicht und so
goldiges Haar haben wie diese Kleine im häßlichen Kleide.
Anneli achtete nicht auf die auf ihr ruhenden Augen. Als die Feier beendet war,
stürmte sie auf die Straße und freute sich, daß der Wind so kalt wehte. Morgen
war Weihnachten, da gab es Schlittschuhe!
Hallo! rief eine Stimme, und Fred Roland faßte sie am Arm. Bist du so
lang geworden, daß du mich nicht mehr sehen kannst?
Doch, doch! Mit rotem Kopf und aller Wildheit bar ging die Kleine neben dem
großen Jungen. Halb war sie scheu, und halbwegs kam über sie die Empfindung
der unbestimmten Angst, von damals her, als es noch Sommer gewesen und Cäsar
gestorben war.
Fred achtete nicht auf Aureus Wesen. Er war redselig wie niemals, und seine
Augen leuchteten.
Ich habe ein gutes Zeugnis gekriegt, berichtete er, das beste in der Schule, und
von Ostern an gibts ein Stipendium. Da hat Mutter nicht mehr so viel Sorgen.
Was ist ein Stipendium? fragte Anneli, und nachdem Fred ihr das Wort
erklärt hatte, nickte sie weise.
Gibt das dir der vornehme Mann, der auch bei Onkel Willi war? Ich glaube,
es war ein Baron, und er sprach von Frau Roland.
Fred blieb mit höhnischem Lachen stehn.
Meinst du, daß Mutter von dem alten Nußknacker etwas nehmen würde?
O ja, er ist bet uns gewesen und hat allerhand dummes Zeug gesprochen. Aber
Mutter hat gesagt, er sollte gehn, woher er gekommen wäre.
Ist er mit euch verwandt?
Fred ging schon weiter. Sein Gesicht war unfreundlich geworden, und seine
Stimme hart.
Was weiß ich von Verwandtschaft? Mutter und ich haben keine Verwandten.
Wir schlagen uns allein durch.
Aber — Anneli wollte eine Einwendung machen, doch Fred schlug mit der
Hand durch die Luft, weil er ein andres Gesprächsthema wünschte.
Laß du das Fragen. Mädchen verstehn nichts von solchen Dingen. Komm
lieber mit nach dem Kirchhof!
Er wies auf einen großen Efeukranz, den er am Arme trug. Den soll Christel
haben! setzte er hinzu und schlenkerte ihn lustig in der frostklaren Luft.
Christel! Über Anneli kam der Schreck, den sie vor Fred empfunden hatte, seitdem
Christel tot war. Du warst böse gegen sie, und nun bringst du ihr einen Kranz!
Ich war nicht böse; ich war nur gerecht! erwiderte er gleichmütig. Sie hatte
sich schlecht benommen, und ich mußte ihr sagen, was ich von ihr dachte. Nicht eine
Nacht mehr hätte ich schlafen können, wenn ich das nicht getan hätte. Deshalb aber
brauchte sie nicht ins Wasser zu gehn. Aber so sind die Mädchen. Dumme Streiche
wollen sie machen, aber nicht die Strafe dafür leiden. Wahrscheinlich wäre sie gar
nicht ins Gefängnis gekommen.
Anneli sagte nichts. Wenn Fred sprach, dann merkte sie erst, wie dumm sie
war. Schweigend ging sie neben ihm her, bis der Friedhof erreicht war. Er
hatte ein winterliches Kleid angenommen, verdorrte Pflanzen und Grashalme krochen
niüde aus der Erde, nur die Tannen und Lebensbäume grünten wie im Sommer,
und über allem stand derselbe Himmel wie oft im Sommer: hellblauer Grund mit
grau abschattierten Wolken darauf, die der Wind durcheinanderwirbelte wie eine
Herde Schafe.
Schneeweiß hob sich Christels Kreuz aus der frostkalten Erde, und Fred legte
den Kranz am Postamente nieder. Dann nahm er die Mütze vom Kopf.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |