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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina

Die osmanischen Offiziere, Beamten und sonstigen Lehenstrüger bewirt¬
schafteten sämtlich die ihnen statt barer Gehaltbezüge verliehenen Güter nicht
selbst, sondern konzentrierter sich in den Städten, wo die Errichtung von Be¬
festigungen, Moscheen, Schulen, Bädern, Karawanserais, Spitälern eine leb¬
hafte Bautätigkeit hervorrief und gerade wie jetzt zur Einwanderung vieler
Handwerker der verschiedensten Art aus den übrigen türkischen Ländern Ver¬
anlassungen gab.

Unter den Bauten von damals ragen besonders verschiedne an den Rialto
in Venedig erinnernde, in hohem Bogen geschwungne Brücken hervor, die
wegen ihrer konstruktiven Zweckmäßigkeit und originellen Schönheit bis in die
neueste Zeit für Römerwerke gehalten worden sind. Auffallend gering, nament¬
lich im Hinblick auf diese monumentalen Brücken, waren die Leistungen im
Straßenbau. Auch die übrigen Nutzbauten machen uns heutzutage keinen
großen Eindruck mehr, waren aber für ihre Zeit jedenfalls bedeutende
Schöpfungen, vor allem die große steinerne Kaufhalle von Sarajewo, der
Vesistan, mit seinen vier Flügeln in Gestalt eines griechischen Kreuzes, der
jedenfalls seinerzeit ebensoviel Aufsehen erregt hat wie später die Galeria
Vittorio Emanuele in Mailand.

Der Schöpfer der osmanischen Stadt, die den Namen Bosra-Serai,
Schloß von Bosnien, führte, war Chusrew Beg, durch seine Mutter ein Enkel
des Sultans Bajazid. An ihn, den Nationalheiligen Bosniens, der Sara¬
jewo zu einer der angesehensten Stätten des Islams gemacht hat, erinnert
dort vor allem die von ihm errichtete und nach ihm benannte schöne Moschee.
Ihr stimmungsvoller Vorhof, der von einer riesigen Linde beschattet wird, ist
der lauschigste Winkel in Sarajewo, wo der Pilger von der Fülle des Gesehenen
ausruhen und sich in die alten Zeiten zurückversetzen kann.

Chusrew Beg war ein außerordentlicher Mann. Mehr als zwanzig
Jahre Statthalter von Bosnien, verwandte er seine gesamten privaten Ein¬
künfte für religiöse und gemeinnützige Zwecke, gab viel Geld aus für Be¬
kehrung von Christen, und trotzdem erlaubte er, dessen Vater in Ägypten
gegen die Christen gefallen war, den Christen in Sarajewo den Bau einer
Kirche.

Überhaupt war, nachdem durch so und soviele Hinrichtungen der nötige
Schrecken verbreitet war, die Lage der Christen nicht gar so schlecht; es ist
nachgewiesen worden, daß sogar einzelne Christen ihre Güter als Leben be¬
halten durften. Im allgemeinen waren sie zwar rechtlos, aber als Nobot-
arbeiter und Steuerzahler dem Staate wertvoll und schützenswert. Schlimm
und schlimmer wurde ihre Lage erst, als fast das gesamte Beamtentum in die
Hände ihrer eignen, zum Islam übergetretncu Landsleute kam, die nach echter
Renegatenart mit ihnen umsprangen. Dies fing schon etwa siebzig Jahre nach
der Eroberung an, denn die Bosnier hatten sich so rasch in ihr Turkmenen
hineingefunden, daß sie bald in die höchsten Stellen im türkischen Heere, wieder¬
holt sogar in das Großwesirat einrückten. Die Sultane waren froh, ihnen
ruhig die Verteidigung des wichtigsten Grenzlandes überlassen zu können, um
so mehr, als sie für ihre fortwährenden Kriegszüge keinen Überfluß an


Bosnien und die Herzegowina

Die osmanischen Offiziere, Beamten und sonstigen Lehenstrüger bewirt¬
schafteten sämtlich die ihnen statt barer Gehaltbezüge verliehenen Güter nicht
selbst, sondern konzentrierter sich in den Städten, wo die Errichtung von Be¬
festigungen, Moscheen, Schulen, Bädern, Karawanserais, Spitälern eine leb¬
hafte Bautätigkeit hervorrief und gerade wie jetzt zur Einwanderung vieler
Handwerker der verschiedensten Art aus den übrigen türkischen Ländern Ver¬
anlassungen gab.

Unter den Bauten von damals ragen besonders verschiedne an den Rialto
in Venedig erinnernde, in hohem Bogen geschwungne Brücken hervor, die
wegen ihrer konstruktiven Zweckmäßigkeit und originellen Schönheit bis in die
neueste Zeit für Römerwerke gehalten worden sind. Auffallend gering, nament¬
lich im Hinblick auf diese monumentalen Brücken, waren die Leistungen im
Straßenbau. Auch die übrigen Nutzbauten machen uns heutzutage keinen
großen Eindruck mehr, waren aber für ihre Zeit jedenfalls bedeutende
Schöpfungen, vor allem die große steinerne Kaufhalle von Sarajewo, der
Vesistan, mit seinen vier Flügeln in Gestalt eines griechischen Kreuzes, der
jedenfalls seinerzeit ebensoviel Aufsehen erregt hat wie später die Galeria
Vittorio Emanuele in Mailand.

Der Schöpfer der osmanischen Stadt, die den Namen Bosra-Serai,
Schloß von Bosnien, führte, war Chusrew Beg, durch seine Mutter ein Enkel
des Sultans Bajazid. An ihn, den Nationalheiligen Bosniens, der Sara¬
jewo zu einer der angesehensten Stätten des Islams gemacht hat, erinnert
dort vor allem die von ihm errichtete und nach ihm benannte schöne Moschee.
Ihr stimmungsvoller Vorhof, der von einer riesigen Linde beschattet wird, ist
der lauschigste Winkel in Sarajewo, wo der Pilger von der Fülle des Gesehenen
ausruhen und sich in die alten Zeiten zurückversetzen kann.

Chusrew Beg war ein außerordentlicher Mann. Mehr als zwanzig
Jahre Statthalter von Bosnien, verwandte er seine gesamten privaten Ein¬
künfte für religiöse und gemeinnützige Zwecke, gab viel Geld aus für Be¬
kehrung von Christen, und trotzdem erlaubte er, dessen Vater in Ägypten
gegen die Christen gefallen war, den Christen in Sarajewo den Bau einer
Kirche.

Überhaupt war, nachdem durch so und soviele Hinrichtungen der nötige
Schrecken verbreitet war, die Lage der Christen nicht gar so schlecht; es ist
nachgewiesen worden, daß sogar einzelne Christen ihre Güter als Leben be¬
halten durften. Im allgemeinen waren sie zwar rechtlos, aber als Nobot-
arbeiter und Steuerzahler dem Staate wertvoll und schützenswert. Schlimm
und schlimmer wurde ihre Lage erst, als fast das gesamte Beamtentum in die
Hände ihrer eignen, zum Islam übergetretncu Landsleute kam, die nach echter
Renegatenart mit ihnen umsprangen. Dies fing schon etwa siebzig Jahre nach
der Eroberung an, denn die Bosnier hatten sich so rasch in ihr Turkmenen
hineingefunden, daß sie bald in die höchsten Stellen im türkischen Heere, wieder¬
holt sogar in das Großwesirat einrückten. Die Sultane waren froh, ihnen
ruhig die Verteidigung des wichtigsten Grenzlandes überlassen zu können, um
so mehr, als sie für ihre fortwährenden Kriegszüge keinen Überfluß an


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[0038] Bosnien und die Herzegowina Die osmanischen Offiziere, Beamten und sonstigen Lehenstrüger bewirt¬ schafteten sämtlich die ihnen statt barer Gehaltbezüge verliehenen Güter nicht selbst, sondern konzentrierter sich in den Städten, wo die Errichtung von Be¬ festigungen, Moscheen, Schulen, Bädern, Karawanserais, Spitälern eine leb¬ hafte Bautätigkeit hervorrief und gerade wie jetzt zur Einwanderung vieler Handwerker der verschiedensten Art aus den übrigen türkischen Ländern Ver¬ anlassungen gab. Unter den Bauten von damals ragen besonders verschiedne an den Rialto in Venedig erinnernde, in hohem Bogen geschwungne Brücken hervor, die wegen ihrer konstruktiven Zweckmäßigkeit und originellen Schönheit bis in die neueste Zeit für Römerwerke gehalten worden sind. Auffallend gering, nament¬ lich im Hinblick auf diese monumentalen Brücken, waren die Leistungen im Straßenbau. Auch die übrigen Nutzbauten machen uns heutzutage keinen großen Eindruck mehr, waren aber für ihre Zeit jedenfalls bedeutende Schöpfungen, vor allem die große steinerne Kaufhalle von Sarajewo, der Vesistan, mit seinen vier Flügeln in Gestalt eines griechischen Kreuzes, der jedenfalls seinerzeit ebensoviel Aufsehen erregt hat wie später die Galeria Vittorio Emanuele in Mailand. Der Schöpfer der osmanischen Stadt, die den Namen Bosra-Serai, Schloß von Bosnien, führte, war Chusrew Beg, durch seine Mutter ein Enkel des Sultans Bajazid. An ihn, den Nationalheiligen Bosniens, der Sara¬ jewo zu einer der angesehensten Stätten des Islams gemacht hat, erinnert dort vor allem die von ihm errichtete und nach ihm benannte schöne Moschee. Ihr stimmungsvoller Vorhof, der von einer riesigen Linde beschattet wird, ist der lauschigste Winkel in Sarajewo, wo der Pilger von der Fülle des Gesehenen ausruhen und sich in die alten Zeiten zurückversetzen kann. Chusrew Beg war ein außerordentlicher Mann. Mehr als zwanzig Jahre Statthalter von Bosnien, verwandte er seine gesamten privaten Ein¬ künfte für religiöse und gemeinnützige Zwecke, gab viel Geld aus für Be¬ kehrung von Christen, und trotzdem erlaubte er, dessen Vater in Ägypten gegen die Christen gefallen war, den Christen in Sarajewo den Bau einer Kirche. Überhaupt war, nachdem durch so und soviele Hinrichtungen der nötige Schrecken verbreitet war, die Lage der Christen nicht gar so schlecht; es ist nachgewiesen worden, daß sogar einzelne Christen ihre Güter als Leben be¬ halten durften. Im allgemeinen waren sie zwar rechtlos, aber als Nobot- arbeiter und Steuerzahler dem Staate wertvoll und schützenswert. Schlimm und schlimmer wurde ihre Lage erst, als fast das gesamte Beamtentum in die Hände ihrer eignen, zum Islam übergetretncu Landsleute kam, die nach echter Renegatenart mit ihnen umsprangen. Dies fing schon etwa siebzig Jahre nach der Eroberung an, denn die Bosnier hatten sich so rasch in ihr Turkmenen hineingefunden, daß sie bald in die höchsten Stellen im türkischen Heere, wieder¬ holt sogar in das Großwesirat einrückten. Die Sultane waren froh, ihnen ruhig die Verteidigung des wichtigsten Grenzlandes überlassen zu können, um so mehr, als sie für ihre fortwährenden Kriegszüge keinen Überfluß an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/38>, abgerufen am 24.07.2024.