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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Bosnien und die Herzegowina

Der hervorstechendste Zug im Charakter der Bosnier, der ihre ganze
Geschichte bestimmt hat, ist schrankenloser Unabhängigkeitssinn. Für diese
stolzen Herren war eine Religion wie geschaffen, die weder eine Hierarchie
noch eine strenge Moral kennt, und die namentlich im Punkt des Ewigweib¬
lichen keine Schwierigkeiten machte. Das Bogumilentum, das übrigens zu den
christlichen Sekten gerechnet werden wollte und gerechnet wird, blieb deshalb
auch die Religion des Adels bis auf die Türkenzcit.

Während die stolzen Germanenvölker bekanntlich schon auf der Völker¬
wanderung ihre freilich von den Asen abstammenden Heerkönige hatten, aus
denen dann Gewaltherrscher wie Chlodwig und Karl der Große hervorgingen,
beugten sich die Bosnier nur vor den Oberhäuptern der Familie und der
Sippe und brachten es deshalb trotz ihrer kriegerischen Tüchtigkeit zu keiner
geschlossenen Macht. So konnte es nicht ausbleiben, daß die verschiednen
Stämme unter die Oberherrschaft des nächsten fremden Herrschers kamen, der
stark genug war, sie einzeln zu bezwingen. Das gelang zum erstenmal dem
Ungarnkönig Bela dem Zweiten, der sich im Jahre 1037 auch König von Rama
nennen konnte, wie die alte Bezeichnung für Bosnien lautet. Diese Ober¬
herrschaft stand freilich auf schwachen Füßen, wurde aber immer wieder auf¬
gefrischt, bis Ungarn selbst den Türken erlag.

Mit derselben Hartnäckigkeit verfolgte die Kurie ihre Bekehrungsabsichten.
Die böhmische Mission wurde den zwei dalmatischen Erzbistümern sehr ans
Herz gelegt, desgleichen dem ungarischen Erzbistum Kalvcsa. Von diesem
wurde denn auch, wie berichtet wird, das Kreuz mit dem Schwert gepredigt,
während sich die Dalmatiner die Sache weniger angelegen sein ließen. Auch ihren
getreuen Vexillifer oder Fahnenträger, den apostolischen König von Ungarn,
suchten die Päpste immer wieder für die böhmische Mission zu gewinnen, aber
dieser hütete sich aus guten Gründen, zu strenge gegen so unsichre Gefolgs¬
leute aufzutreten. Am meiste" Erfolg hatten die Franziskaner, allerdings vor¬
wiegend unter dem niedern Volk, dem mit der Herrenreligion des Adels nicht
gedient war.

Was den Adel betrifft, so füllten Jagd und Tanz, dazwischen ein gelegent¬
licher Beutezug gegen die Raguscmer Kaufleute seine Zeit aus, auch eine kleine
Fehde wurde nicht als ein Unglück betrachtet, wenn es auch am Schluß heißen
konnte: "Wehe dem Helden aus schwachem Stamme." Viel anders trieben
es wenigstens zur Zeit der Blüte des Faustrechts die frommen Ritter bei uns
auch nicht. Eins aber hatte der bogumilische Ritter vor seinen christlichen
Standesgenossen voraus.

Wenn bei diesem die Kräfte nachließen, der Wein nicht mehr schmecken
wollte, und die Gicht sich einstellte, dann kam auch der Abt von den Benedik¬
tinern oder der Prior von den Zisterziensern, um die Rechnung mit dem
Himmel in Ordnung zu bringen, und ohne ein schönes Stück vom Erbgut
ging es nicht ab, wenn der alte Sünder an bevorzugter Stelle in der Nähe
des gnadenverheißenden Altars begraben sein wollte. Das brauchte der
Bogumile nicht. Wenn er tot war, wurde er unter freiem Himmel begraben,
und eine Steinplatte oder ein großer Quader oder ein roher Sarkophag wurde


Bosnien und die Herzegowina

Der hervorstechendste Zug im Charakter der Bosnier, der ihre ganze
Geschichte bestimmt hat, ist schrankenloser Unabhängigkeitssinn. Für diese
stolzen Herren war eine Religion wie geschaffen, die weder eine Hierarchie
noch eine strenge Moral kennt, und die namentlich im Punkt des Ewigweib¬
lichen keine Schwierigkeiten machte. Das Bogumilentum, das übrigens zu den
christlichen Sekten gerechnet werden wollte und gerechnet wird, blieb deshalb
auch die Religion des Adels bis auf die Türkenzcit.

Während die stolzen Germanenvölker bekanntlich schon auf der Völker¬
wanderung ihre freilich von den Asen abstammenden Heerkönige hatten, aus
denen dann Gewaltherrscher wie Chlodwig und Karl der Große hervorgingen,
beugten sich die Bosnier nur vor den Oberhäuptern der Familie und der
Sippe und brachten es deshalb trotz ihrer kriegerischen Tüchtigkeit zu keiner
geschlossenen Macht. So konnte es nicht ausbleiben, daß die verschiednen
Stämme unter die Oberherrschaft des nächsten fremden Herrschers kamen, der
stark genug war, sie einzeln zu bezwingen. Das gelang zum erstenmal dem
Ungarnkönig Bela dem Zweiten, der sich im Jahre 1037 auch König von Rama
nennen konnte, wie die alte Bezeichnung für Bosnien lautet. Diese Ober¬
herrschaft stand freilich auf schwachen Füßen, wurde aber immer wieder auf¬
gefrischt, bis Ungarn selbst den Türken erlag.

Mit derselben Hartnäckigkeit verfolgte die Kurie ihre Bekehrungsabsichten.
Die böhmische Mission wurde den zwei dalmatischen Erzbistümern sehr ans
Herz gelegt, desgleichen dem ungarischen Erzbistum Kalvcsa. Von diesem
wurde denn auch, wie berichtet wird, das Kreuz mit dem Schwert gepredigt,
während sich die Dalmatiner die Sache weniger angelegen sein ließen. Auch ihren
getreuen Vexillifer oder Fahnenträger, den apostolischen König von Ungarn,
suchten die Päpste immer wieder für die böhmische Mission zu gewinnen, aber
dieser hütete sich aus guten Gründen, zu strenge gegen so unsichre Gefolgs¬
leute aufzutreten. Am meiste« Erfolg hatten die Franziskaner, allerdings vor¬
wiegend unter dem niedern Volk, dem mit der Herrenreligion des Adels nicht
gedient war.

Was den Adel betrifft, so füllten Jagd und Tanz, dazwischen ein gelegent¬
licher Beutezug gegen die Raguscmer Kaufleute seine Zeit aus, auch eine kleine
Fehde wurde nicht als ein Unglück betrachtet, wenn es auch am Schluß heißen
konnte: „Wehe dem Helden aus schwachem Stamme." Viel anders trieben
es wenigstens zur Zeit der Blüte des Faustrechts die frommen Ritter bei uns
auch nicht. Eins aber hatte der bogumilische Ritter vor seinen christlichen
Standesgenossen voraus.

Wenn bei diesem die Kräfte nachließen, der Wein nicht mehr schmecken
wollte, und die Gicht sich einstellte, dann kam auch der Abt von den Benedik¬
tinern oder der Prior von den Zisterziensern, um die Rechnung mit dem
Himmel in Ordnung zu bringen, und ohne ein schönes Stück vom Erbgut
ging es nicht ab, wenn der alte Sünder an bevorzugter Stelle in der Nähe
des gnadenverheißenden Altars begraben sein wollte. Das brauchte der
Bogumile nicht. Wenn er tot war, wurde er unter freiem Himmel begraben,
und eine Steinplatte oder ein großer Quader oder ein roher Sarkophag wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/34>, abgerufen am 24.07.2024.