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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Ausgestorbne und aussterbende Tiere

als veränderliches Menschenwerk, die drei Grunddogmen müssen als geoffen¬
barte Wahrheit anerkannt werden. Mit dem Schlußworte Holtzmcmns darf
man einverstanden sein. Er hat zuletzt von den sozialen Aufgaben des Christen¬
tums gesprochen und schreibt dann: "Dem buddhistischen Pessimismus gegen¬
über lebt der christliche Optimismus vom Glauben an die Möglichkeit einer
fortschreitenden sozialen Gesundung der Menschheit. Darum allein konnte die
eschatologische, auf das, was demnächst werden sollte, in ekstatischer Erregung
gespannte Weltuntergangsstimmung des Urchristentums jene große Metamorphose
erleben, daraus im Verlaufe von bald zwei Jahrtausenden die zukunftsfrohe
Richtung einer modern denkenden und handelnden, aber auch an Daseinswerr
und Lebenszweck gläubigen und insofern religiös empfindenden Menschheit er¬
wachsen ist und sicherlich noch weiterhin ausreifen will."

In einem klassisch schönen Antlitz stören auch die kleinsten Wärzchen,
darum merke ich ein paar Druckfehler an. Seite 536, sechste Zeile von unten
steht "anders" für "anderes", Seite 616, Zeile 14 von unten "entnommene"
für "entronnene", Seite 373 in der Mitte ist ein Satz nachlässig gebildet.
"Der ästhetische Geist verschwindet nun vollständig, er wird aggressiv usw."
Wenn er nicht mehr vorhanden ist, kann er nicht aggressiv werden. Der Ver¬
fasser hat in Gedanken das Subjekt gewechselt: der nun nicht mehr ästhetische
G L. I. eist der Renaissance wird aggressiv.




Ausgestorbne und aussterbende Tiere
v <v. von Linstow on

le Vier vorgeschichtlichen Perioden, die Eisenzeit, die Bronzezeit,
die jüngere und die ältere Steinzeit waren an Säugetieren viel
reicher als die Gegenwart, und zwar um so reicher, je weiter
sie zurückliegen. In der ältern Steinzeit trieben die Menschen
keinen Ackerbau, sie lebten nur von der Jagd, und aus den
Knochen der von ihnen erlegten Beutetiere lernen wir den großen Reichtum
der Tiere kennen, die sie umgaben. Es sind 167 Säugetierarten, und nicht
nur die Arten-, sondern auch die Jndividuenzahl der Tiere muß sehr groß ge¬
wesen sein; find doch an einer vorgeschichtlichen Fundstätte bei Solutrc in
Frankreich die Reste von etwa 2000 Wildpferden gefunden worden, die der
Mensch auf seinen Jagden erlegt hatte. Von diesen 167 Tierarten -- es
ist hier immer nur von Säugetieren die Rede -- ist etwa der dritte Teil,
56 Arten, in vorgeschichtlichen Zeiten ausgestorben. Das bekannteste ist wohl
das Mammut, eine große Elefantenart, die aber durch eine mächtige Pelz¬
bekleidung und eine gewaltige Specklage unter der Haut einem Leben in einem
kalten Klima angepaßt war. Das Mammut lebte herdenweise in ganz Europa
bis Oberitalien und Südfrankreich, in Nordamerika und im nördlichen Asien;
in Sibirien fand es sich massenhaft. Die Zahl der Stoßzähne, die in den


Grenzboten II 1906 4g
Ausgestorbne und aussterbende Tiere

als veränderliches Menschenwerk, die drei Grunddogmen müssen als geoffen¬
barte Wahrheit anerkannt werden. Mit dem Schlußworte Holtzmcmns darf
man einverstanden sein. Er hat zuletzt von den sozialen Aufgaben des Christen¬
tums gesprochen und schreibt dann: „Dem buddhistischen Pessimismus gegen¬
über lebt der christliche Optimismus vom Glauben an die Möglichkeit einer
fortschreitenden sozialen Gesundung der Menschheit. Darum allein konnte die
eschatologische, auf das, was demnächst werden sollte, in ekstatischer Erregung
gespannte Weltuntergangsstimmung des Urchristentums jene große Metamorphose
erleben, daraus im Verlaufe von bald zwei Jahrtausenden die zukunftsfrohe
Richtung einer modern denkenden und handelnden, aber auch an Daseinswerr
und Lebenszweck gläubigen und insofern religiös empfindenden Menschheit er¬
wachsen ist und sicherlich noch weiterhin ausreifen will."

In einem klassisch schönen Antlitz stören auch die kleinsten Wärzchen,
darum merke ich ein paar Druckfehler an. Seite 536, sechste Zeile von unten
steht „anders" für „anderes", Seite 616, Zeile 14 von unten „entnommene"
für „entronnene", Seite 373 in der Mitte ist ein Satz nachlässig gebildet.
„Der ästhetische Geist verschwindet nun vollständig, er wird aggressiv usw."
Wenn er nicht mehr vorhanden ist, kann er nicht aggressiv werden. Der Ver¬
fasser hat in Gedanken das Subjekt gewechselt: der nun nicht mehr ästhetische
G L. I. eist der Renaissance wird aggressiv.




Ausgestorbne und aussterbende Tiere
v <v. von Linstow on

le Vier vorgeschichtlichen Perioden, die Eisenzeit, die Bronzezeit,
die jüngere und die ältere Steinzeit waren an Säugetieren viel
reicher als die Gegenwart, und zwar um so reicher, je weiter
sie zurückliegen. In der ältern Steinzeit trieben die Menschen
keinen Ackerbau, sie lebten nur von der Jagd, und aus den
Knochen der von ihnen erlegten Beutetiere lernen wir den großen Reichtum
der Tiere kennen, die sie umgaben. Es sind 167 Säugetierarten, und nicht
nur die Arten-, sondern auch die Jndividuenzahl der Tiere muß sehr groß ge¬
wesen sein; find doch an einer vorgeschichtlichen Fundstätte bei Solutrc in
Frankreich die Reste von etwa 2000 Wildpferden gefunden worden, die der
Mensch auf seinen Jagden erlegt hatte. Von diesen 167 Tierarten — es
ist hier immer nur von Säugetieren die Rede — ist etwa der dritte Teil,
56 Arten, in vorgeschichtlichen Zeiten ausgestorben. Das bekannteste ist wohl
das Mammut, eine große Elefantenart, die aber durch eine mächtige Pelz¬
bekleidung und eine gewaltige Specklage unter der Haut einem Leben in einem
kalten Klima angepaßt war. Das Mammut lebte herdenweise in ganz Europa
bis Oberitalien und Südfrankreich, in Nordamerika und im nördlichen Asien;
in Sibirien fand es sich massenhaft. Die Zahl der Stoßzähne, die in den


Grenzboten II 1906 4g
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[0325] Ausgestorbne und aussterbende Tiere als veränderliches Menschenwerk, die drei Grunddogmen müssen als geoffen¬ barte Wahrheit anerkannt werden. Mit dem Schlußworte Holtzmcmns darf man einverstanden sein. Er hat zuletzt von den sozialen Aufgaben des Christen¬ tums gesprochen und schreibt dann: „Dem buddhistischen Pessimismus gegen¬ über lebt der christliche Optimismus vom Glauben an die Möglichkeit einer fortschreitenden sozialen Gesundung der Menschheit. Darum allein konnte die eschatologische, auf das, was demnächst werden sollte, in ekstatischer Erregung gespannte Weltuntergangsstimmung des Urchristentums jene große Metamorphose erleben, daraus im Verlaufe von bald zwei Jahrtausenden die zukunftsfrohe Richtung einer modern denkenden und handelnden, aber auch an Daseinswerr und Lebenszweck gläubigen und insofern religiös empfindenden Menschheit er¬ wachsen ist und sicherlich noch weiterhin ausreifen will." In einem klassisch schönen Antlitz stören auch die kleinsten Wärzchen, darum merke ich ein paar Druckfehler an. Seite 536, sechste Zeile von unten steht „anders" für „anderes", Seite 616, Zeile 14 von unten „entnommene" für „entronnene", Seite 373 in der Mitte ist ein Satz nachlässig gebildet. „Der ästhetische Geist verschwindet nun vollständig, er wird aggressiv usw." Wenn er nicht mehr vorhanden ist, kann er nicht aggressiv werden. Der Ver¬ fasser hat in Gedanken das Subjekt gewechselt: der nun nicht mehr ästhetische G L. I. eist der Renaissance wird aggressiv. Ausgestorbne und aussterbende Tiere v <v. von Linstow on le Vier vorgeschichtlichen Perioden, die Eisenzeit, die Bronzezeit, die jüngere und die ältere Steinzeit waren an Säugetieren viel reicher als die Gegenwart, und zwar um so reicher, je weiter sie zurückliegen. In der ältern Steinzeit trieben die Menschen keinen Ackerbau, sie lebten nur von der Jagd, und aus den Knochen der von ihnen erlegten Beutetiere lernen wir den großen Reichtum der Tiere kennen, die sie umgaben. Es sind 167 Säugetierarten, und nicht nur die Arten-, sondern auch die Jndividuenzahl der Tiere muß sehr groß ge¬ wesen sein; find doch an einer vorgeschichtlichen Fundstätte bei Solutrc in Frankreich die Reste von etwa 2000 Wildpferden gefunden worden, die der Mensch auf seinen Jagden erlegt hatte. Von diesen 167 Tierarten — es ist hier immer nur von Säugetieren die Rede — ist etwa der dritte Teil, 56 Arten, in vorgeschichtlichen Zeiten ausgestorben. Das bekannteste ist wohl das Mammut, eine große Elefantenart, die aber durch eine mächtige Pelz¬ bekleidung und eine gewaltige Specklage unter der Haut einem Leben in einem kalten Klima angepaßt war. Das Mammut lebte herdenweise in ganz Europa bis Oberitalien und Südfrankreich, in Nordamerika und im nördlichen Asien; in Sibirien fand es sich massenhaft. Die Zahl der Stoßzähne, die in den Grenzboten II 1906 4g

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/325>, abgerufen am 27.12.2024.