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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Doktor Sudeck hat die Scheibe bezahlt, tröstete ihr Mann. Laß nur, Lise,
laß nur. Die Christel kann noch brav werden.

Er wär gutmütiger als die Alte, die immer noch leise vor sich hin schalt.
Beide aber sprachen gütig mit Anneli, die sich kaum mehr erinnerte, wie sie eigent¬
lich in den Petersschen Garten gekommen war. Vielleicht waren die Stachelbeeren
schuld daran, vielleicht die duftenden Blumen, die sie aus der Ferne bewundert
hatte. Nun durfte sie auch das Haus, einen alten, winkligen Kasten, und das böse
Klavier bewundern, über das der Streit mit Christel entstanden war. Es war ein
rostbraunes Pianino mit einem gemalten Rosenbukett auf dem Aufsatz. Darauf zu
spielen war nicht erlaubt, dazu war das Klavier zu schade, nur an Sonntagnach¬
mittagen rückte die alte Fran Peters den Schlüssel heraus, und ihr Mann durfte
mit einem Finger auf den Tasten herumtippen. Er konnte ebensowenig spielen
wie sie, aber sie saß dann am Fenster und horchte andächtig auf die einzelnen Töne.

Musik ist doch etwas Schönes, sagte sie dabei.

Anneli lernte die Alten bald sehr gut kennen. Niemand fragte danach, wie
sie die langen Sommertage verbrachte. Bei Nike Blüthen nähte und strickte sie
wohl, und bei ihrem Onkel saß sie Nachmittags in der kleinen Nische. Es gab
aber noch viele Stunden, wo sie sich einsam fühlte.

Rike Blüthen hatte oft rote Augen, nud Onkel Willi saß über seinen be-
schriebnen Bogen.

Im Garten bei Peters war es warm, die Blumen dufteten, die Früchte
reiften. Die Alten hatten nichts zu tun. Sie sprachen freundlich mit dem ein¬
samen Kinde, und wenn es regnete, durfte sie mit ihnen in dem Wohnzimmerchen
sitzen, worin sich das rostrote Pianino wie ein Fremdling ausnahm, und durfte
hören, was Herr Peters alles erlebt hatte. Als er noch jung gewesen war und
vom Kopf bis zu den Füßen schwarz. Wie er in die düstern, schwarzen Kamine
klettern mußte und einmal ein schreckliches Abenteuer dabei erlebte. Als er in
einem Kamin, der immer rauchte, einen halbverbrannten Leichnam fand, der nachher
als der eines reichen und vornehmen Mannes erkannt wurde.

Wie war der in den Kamin eines Hanfes gekommen, das ihm nicht gehörte,
und worin nur ein junges Ehepaar wohnte?

Frau Peters hüstelte, wenn Anneli zu fragen begann, und ihr Mann hielt
mit Erzählen inne, beschäftigte sich mit seiner Pfeife und sagte, auf dieser Welt
könnte man nicht alles versteh".

Frau Peters hüstelte viel. Sie hatte es auf der Brust und mußte sich in
acht nehmen. Ihre Mutter war an der Schwindsucht gestorben, und sie würde
es auch einmal tun. Aber sie war doch gut bis an die Siebzig gekommen und
hoffte, es noch bis auf achtzig zu bringen. Das Gespenst am Sudeckschen Garten
hatte ihr zuerst Todesgedanken verursacht, aber nun dachte sie nicht mehr daran.

Gortsetzuna. folgt)




Menschenfrühling

Doktor Sudeck hat die Scheibe bezahlt, tröstete ihr Mann. Laß nur, Lise,
laß nur. Die Christel kann noch brav werden.

Er wär gutmütiger als die Alte, die immer noch leise vor sich hin schalt.
Beide aber sprachen gütig mit Anneli, die sich kaum mehr erinnerte, wie sie eigent¬
lich in den Petersschen Garten gekommen war. Vielleicht waren die Stachelbeeren
schuld daran, vielleicht die duftenden Blumen, die sie aus der Ferne bewundert
hatte. Nun durfte sie auch das Haus, einen alten, winkligen Kasten, und das böse
Klavier bewundern, über das der Streit mit Christel entstanden war. Es war ein
rostbraunes Pianino mit einem gemalten Rosenbukett auf dem Aufsatz. Darauf zu
spielen war nicht erlaubt, dazu war das Klavier zu schade, nur an Sonntagnach¬
mittagen rückte die alte Fran Peters den Schlüssel heraus, und ihr Mann durfte
mit einem Finger auf den Tasten herumtippen. Er konnte ebensowenig spielen
wie sie, aber sie saß dann am Fenster und horchte andächtig auf die einzelnen Töne.

Musik ist doch etwas Schönes, sagte sie dabei.

Anneli lernte die Alten bald sehr gut kennen. Niemand fragte danach, wie
sie die langen Sommertage verbrachte. Bei Nike Blüthen nähte und strickte sie
wohl, und bei ihrem Onkel saß sie Nachmittags in der kleinen Nische. Es gab
aber noch viele Stunden, wo sie sich einsam fühlte.

Rike Blüthen hatte oft rote Augen, nud Onkel Willi saß über seinen be-
schriebnen Bogen.

Im Garten bei Peters war es warm, die Blumen dufteten, die Früchte
reiften. Die Alten hatten nichts zu tun. Sie sprachen freundlich mit dem ein¬
samen Kinde, und wenn es regnete, durfte sie mit ihnen in dem Wohnzimmerchen
sitzen, worin sich das rostrote Pianino wie ein Fremdling ausnahm, und durfte
hören, was Herr Peters alles erlebt hatte. Als er noch jung gewesen war und
vom Kopf bis zu den Füßen schwarz. Wie er in die düstern, schwarzen Kamine
klettern mußte und einmal ein schreckliches Abenteuer dabei erlebte. Als er in
einem Kamin, der immer rauchte, einen halbverbrannten Leichnam fand, der nachher
als der eines reichen und vornehmen Mannes erkannt wurde.

Wie war der in den Kamin eines Hanfes gekommen, das ihm nicht gehörte,
und worin nur ein junges Ehepaar wohnte?

Frau Peters hüstelte, wenn Anneli zu fragen begann, und ihr Mann hielt
mit Erzählen inne, beschäftigte sich mit seiner Pfeife und sagte, auf dieser Welt
könnte man nicht alles versteh».

Frau Peters hüstelte viel. Sie hatte es auf der Brust und mußte sich in
acht nehmen. Ihre Mutter war an der Schwindsucht gestorben, und sie würde
es auch einmal tun. Aber sie war doch gut bis an die Siebzig gekommen und
hoffte, es noch bis auf achtzig zu bringen. Das Gespenst am Sudeckschen Garten
hatte ihr zuerst Todesgedanken verursacht, aber nun dachte sie nicht mehr daran.

Gortsetzuna. folgt)




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[0291] Menschenfrühling Doktor Sudeck hat die Scheibe bezahlt, tröstete ihr Mann. Laß nur, Lise, laß nur. Die Christel kann noch brav werden. Er wär gutmütiger als die Alte, die immer noch leise vor sich hin schalt. Beide aber sprachen gütig mit Anneli, die sich kaum mehr erinnerte, wie sie eigent¬ lich in den Petersschen Garten gekommen war. Vielleicht waren die Stachelbeeren schuld daran, vielleicht die duftenden Blumen, die sie aus der Ferne bewundert hatte. Nun durfte sie auch das Haus, einen alten, winkligen Kasten, und das böse Klavier bewundern, über das der Streit mit Christel entstanden war. Es war ein rostbraunes Pianino mit einem gemalten Rosenbukett auf dem Aufsatz. Darauf zu spielen war nicht erlaubt, dazu war das Klavier zu schade, nur an Sonntagnach¬ mittagen rückte die alte Fran Peters den Schlüssel heraus, und ihr Mann durfte mit einem Finger auf den Tasten herumtippen. Er konnte ebensowenig spielen wie sie, aber sie saß dann am Fenster und horchte andächtig auf die einzelnen Töne. Musik ist doch etwas Schönes, sagte sie dabei. Anneli lernte die Alten bald sehr gut kennen. Niemand fragte danach, wie sie die langen Sommertage verbrachte. Bei Nike Blüthen nähte und strickte sie wohl, und bei ihrem Onkel saß sie Nachmittags in der kleinen Nische. Es gab aber noch viele Stunden, wo sie sich einsam fühlte. Rike Blüthen hatte oft rote Augen, nud Onkel Willi saß über seinen be- schriebnen Bogen. Im Garten bei Peters war es warm, die Blumen dufteten, die Früchte reiften. Die Alten hatten nichts zu tun. Sie sprachen freundlich mit dem ein¬ samen Kinde, und wenn es regnete, durfte sie mit ihnen in dem Wohnzimmerchen sitzen, worin sich das rostrote Pianino wie ein Fremdling ausnahm, und durfte hören, was Herr Peters alles erlebt hatte. Als er noch jung gewesen war und vom Kopf bis zu den Füßen schwarz. Wie er in die düstern, schwarzen Kamine klettern mußte und einmal ein schreckliches Abenteuer dabei erlebte. Als er in einem Kamin, der immer rauchte, einen halbverbrannten Leichnam fand, der nachher als der eines reichen und vornehmen Mannes erkannt wurde. Wie war der in den Kamin eines Hanfes gekommen, das ihm nicht gehörte, und worin nur ein junges Ehepaar wohnte? Frau Peters hüstelte, wenn Anneli zu fragen begann, und ihr Mann hielt mit Erzählen inne, beschäftigte sich mit seiner Pfeife und sagte, auf dieser Welt könnte man nicht alles versteh». Frau Peters hüstelte viel. Sie hatte es auf der Brust und mußte sich in acht nehmen. Ihre Mutter war an der Schwindsucht gestorben, und sie würde es auch einmal tun. Aber sie war doch gut bis an die Siebzig gekommen und hoffte, es noch bis auf achtzig zu bringen. Das Gespenst am Sudeckschen Garten hatte ihr zuerst Todesgedanken verursacht, aber nun dachte sie nicht mehr daran. Gortsetzuna. folgt)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/291>, abgerufen am 27.12.2024.