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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Menschenfrühling

Unsereins nichtI versicherte Bernb. Wenn man von guter Familie ist und Geld
hat, dann kann man alles werden. Sogar Herr Lindemann sagt es, obgleich er
manchmal etwas gegen den Adel hat. Adel allein macht es auch nicht mehr, das
Geld gehört dazu. Es ist gottlob durch Mama in die Familie gekommen. Sie war
viel jünger als Papa, aber sie hat ihn doch geheiratet, vielleicht deswegen, weil
er Exzellenz war und ein Gesandter. Aber sie sind sehr glücklich geworden, und
ich werde auch glücklich werden.

Behaglich aß Bernb die roten Erdbeeren, steckte hin und wieder eine der
schönsten in Aureus Mund, nickte ihr zu und sprach dann weiter.

Eigentlich ist es schade, daß du kein Junge geworden bist, dann könnte ich
noch besser mit dir spielen. Aber Mama sagte gestern zu Papa, es sei gut, daß
du ein Mädchen wärest. Da könntest du Gouvernante in feinen Häusern werden.

Gouvernante? Anneli schob die ihr gebotne Erdbeere zur Seite. Was ist das?

Das weißt du nicht? Gouvernante ist so etwas wie Herr Lindemann, nur
eine Dame. Das heißt, beinahe eine Dame. Bei Schlinskis ist eine, weil dort
drei Komtessen sind. Sie unterrichtet und darf, wenn kein Besuch da ist, mit am
Tisch essen, und vielleicht darf sie nachher den Lehrer oder den Inspektor heiraten.
Es ist eine sehr nette Stellung.

Ich will keine Gouvernante werden! rief Anneli empört. Ich will einen Ge¬
sandten heiraten und Exzellenz genannt werden!

Bernb lachte, dann wurde er halb mitleidig.

Das geht nicht. Deine Mutter hat keine gute Heirat gemacht, du bist bürger¬
lich und hast kein Geld, dn bist also wirklich nichts. Es tut mir leid, und wenn
ich erst das Gut habe, will ich dir jährlich gern etwas geben, aber möglicherweise
wird es meine Frau nicht zugeben. Jedenfalls mußt du doch Gouvernante werden.

Herr Lindemann erschien im Garten, um nach Bernb zu suchen, der noch eine
Arbeit zu machen hatte, und Anneli blieb allein zwischen den Erdbeeren. Aber der
Appetit auf die köstlichen roten Früchte war ihr vergangen.

Seit diesem Tage öffnete sie die Augen mehr als bisher, dachte nicht immer
an die Tiere im Stall oder um den kleinen braunen Cäsar, den sie anfing, sehr zu
lieben, sie saß manchmal bei Mutter Mciren in ihrer kleinen, saubern Stube und
sah zu, wie diese einen feinen Faden an ihrem schnurrenden Rädchen spann, und
sie versuchte gelegentlich auch, mit ihrer Großmutter zu sprechen.

Der Verkehr mit Mutter Mciren war nicht schwer. Wohl war es eine schweig¬
same Frau, die nicht ungefragt den Mund öffnete; aber wenn zwei klare Kinder¬
augen sie forschend betrachteten, und eine bittende Stimme sie ausfragte, dann mußte
sie doch antworten.

Ganz allein am Spinnrad zu sitzen ist langweilig. Da kommen die Gedanken
und huschen in die Ferne -- in die Zeit, wo man jung und nicht einsam war,
als in der Welt noch allerhand passierte, und man es mit erlebte. Die Jugend
hat einen goldnen Schimmer, besonders wenn sie schon in weiter Ferne liegt, und
kommt ein holdes Sümmchen und fragt nach der goldnen Zeit, da vergißt man,
daß es nur ein Kind ist, dem dieses Stimmchen gehört.

Von Mutter Maren hörte Anneli viel über ihre Mutter. Sie war jung ge¬
wesen und schön und eigenwillig. Die Familie Falkenberg hatte damals am Hofe
des Königs gelebt, und ein vornehmer Hofherr hatte Annaluise Falkenberg zur Frau
begehrt. Sie aber hatte ihr Herz an Harald Pankow gehängt, den jungen Bruder
des Hofrats, der auf seine Kosten studierte, und der auf besondre Erlaubnis seinen
Bruder Willi im königlichen Schloß besuchen durfte. Wie es gekommen war, konnte
Mutter Maren nicht sagen, aber eines Tages waren der Student Pankow und ihr
schönes gnädiges Fräulein miteinander davongegangen und hatten nach einigen Tagen
gemeldet, daß sie den Ehebund geschlossen hätten.

Wenn Mutter Maren an diesen Bericht kam, dann hielt sie mit Spinnen inne,
seufzte, schaute aus dem Fenster in den grünen Garten und besann sich eine Weile,
ehe sie weiter sprach.


Menschenfrühling

Unsereins nichtI versicherte Bernb. Wenn man von guter Familie ist und Geld
hat, dann kann man alles werden. Sogar Herr Lindemann sagt es, obgleich er
manchmal etwas gegen den Adel hat. Adel allein macht es auch nicht mehr, das
Geld gehört dazu. Es ist gottlob durch Mama in die Familie gekommen. Sie war
viel jünger als Papa, aber sie hat ihn doch geheiratet, vielleicht deswegen, weil
er Exzellenz war und ein Gesandter. Aber sie sind sehr glücklich geworden, und
ich werde auch glücklich werden.

Behaglich aß Bernb die roten Erdbeeren, steckte hin und wieder eine der
schönsten in Aureus Mund, nickte ihr zu und sprach dann weiter.

Eigentlich ist es schade, daß du kein Junge geworden bist, dann könnte ich
noch besser mit dir spielen. Aber Mama sagte gestern zu Papa, es sei gut, daß
du ein Mädchen wärest. Da könntest du Gouvernante in feinen Häusern werden.

Gouvernante? Anneli schob die ihr gebotne Erdbeere zur Seite. Was ist das?

Das weißt du nicht? Gouvernante ist so etwas wie Herr Lindemann, nur
eine Dame. Das heißt, beinahe eine Dame. Bei Schlinskis ist eine, weil dort
drei Komtessen sind. Sie unterrichtet und darf, wenn kein Besuch da ist, mit am
Tisch essen, und vielleicht darf sie nachher den Lehrer oder den Inspektor heiraten.
Es ist eine sehr nette Stellung.

Ich will keine Gouvernante werden! rief Anneli empört. Ich will einen Ge¬
sandten heiraten und Exzellenz genannt werden!

Bernb lachte, dann wurde er halb mitleidig.

Das geht nicht. Deine Mutter hat keine gute Heirat gemacht, du bist bürger¬
lich und hast kein Geld, dn bist also wirklich nichts. Es tut mir leid, und wenn
ich erst das Gut habe, will ich dir jährlich gern etwas geben, aber möglicherweise
wird es meine Frau nicht zugeben. Jedenfalls mußt du doch Gouvernante werden.

Herr Lindemann erschien im Garten, um nach Bernb zu suchen, der noch eine
Arbeit zu machen hatte, und Anneli blieb allein zwischen den Erdbeeren. Aber der
Appetit auf die köstlichen roten Früchte war ihr vergangen.

Seit diesem Tage öffnete sie die Augen mehr als bisher, dachte nicht immer
an die Tiere im Stall oder um den kleinen braunen Cäsar, den sie anfing, sehr zu
lieben, sie saß manchmal bei Mutter Mciren in ihrer kleinen, saubern Stube und
sah zu, wie diese einen feinen Faden an ihrem schnurrenden Rädchen spann, und
sie versuchte gelegentlich auch, mit ihrer Großmutter zu sprechen.

Der Verkehr mit Mutter Mciren war nicht schwer. Wohl war es eine schweig¬
same Frau, die nicht ungefragt den Mund öffnete; aber wenn zwei klare Kinder¬
augen sie forschend betrachteten, und eine bittende Stimme sie ausfragte, dann mußte
sie doch antworten.

Ganz allein am Spinnrad zu sitzen ist langweilig. Da kommen die Gedanken
und huschen in die Ferne — in die Zeit, wo man jung und nicht einsam war,
als in der Welt noch allerhand passierte, und man es mit erlebte. Die Jugend
hat einen goldnen Schimmer, besonders wenn sie schon in weiter Ferne liegt, und
kommt ein holdes Sümmchen und fragt nach der goldnen Zeit, da vergißt man,
daß es nur ein Kind ist, dem dieses Stimmchen gehört.

Von Mutter Maren hörte Anneli viel über ihre Mutter. Sie war jung ge¬
wesen und schön und eigenwillig. Die Familie Falkenberg hatte damals am Hofe
des Königs gelebt, und ein vornehmer Hofherr hatte Annaluise Falkenberg zur Frau
begehrt. Sie aber hatte ihr Herz an Harald Pankow gehängt, den jungen Bruder
des Hofrats, der auf seine Kosten studierte, und der auf besondre Erlaubnis seinen
Bruder Willi im königlichen Schloß besuchen durfte. Wie es gekommen war, konnte
Mutter Maren nicht sagen, aber eines Tages waren der Student Pankow und ihr
schönes gnädiges Fräulein miteinander davongegangen und hatten nach einigen Tagen
gemeldet, daß sie den Ehebund geschlossen hätten.

Wenn Mutter Maren an diesen Bericht kam, dann hielt sie mit Spinnen inne,
seufzte, schaute aus dem Fenster in den grünen Garten und besann sich eine Weile,
ehe sie weiter sprach.


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[0224] Menschenfrühling Unsereins nichtI versicherte Bernb. Wenn man von guter Familie ist und Geld hat, dann kann man alles werden. Sogar Herr Lindemann sagt es, obgleich er manchmal etwas gegen den Adel hat. Adel allein macht es auch nicht mehr, das Geld gehört dazu. Es ist gottlob durch Mama in die Familie gekommen. Sie war viel jünger als Papa, aber sie hat ihn doch geheiratet, vielleicht deswegen, weil er Exzellenz war und ein Gesandter. Aber sie sind sehr glücklich geworden, und ich werde auch glücklich werden. Behaglich aß Bernb die roten Erdbeeren, steckte hin und wieder eine der schönsten in Aureus Mund, nickte ihr zu und sprach dann weiter. Eigentlich ist es schade, daß du kein Junge geworden bist, dann könnte ich noch besser mit dir spielen. Aber Mama sagte gestern zu Papa, es sei gut, daß du ein Mädchen wärest. Da könntest du Gouvernante in feinen Häusern werden. Gouvernante? Anneli schob die ihr gebotne Erdbeere zur Seite. Was ist das? Das weißt du nicht? Gouvernante ist so etwas wie Herr Lindemann, nur eine Dame. Das heißt, beinahe eine Dame. Bei Schlinskis ist eine, weil dort drei Komtessen sind. Sie unterrichtet und darf, wenn kein Besuch da ist, mit am Tisch essen, und vielleicht darf sie nachher den Lehrer oder den Inspektor heiraten. Es ist eine sehr nette Stellung. Ich will keine Gouvernante werden! rief Anneli empört. Ich will einen Ge¬ sandten heiraten und Exzellenz genannt werden! Bernb lachte, dann wurde er halb mitleidig. Das geht nicht. Deine Mutter hat keine gute Heirat gemacht, du bist bürger¬ lich und hast kein Geld, dn bist also wirklich nichts. Es tut mir leid, und wenn ich erst das Gut habe, will ich dir jährlich gern etwas geben, aber möglicherweise wird es meine Frau nicht zugeben. Jedenfalls mußt du doch Gouvernante werden. Herr Lindemann erschien im Garten, um nach Bernb zu suchen, der noch eine Arbeit zu machen hatte, und Anneli blieb allein zwischen den Erdbeeren. Aber der Appetit auf die köstlichen roten Früchte war ihr vergangen. Seit diesem Tage öffnete sie die Augen mehr als bisher, dachte nicht immer an die Tiere im Stall oder um den kleinen braunen Cäsar, den sie anfing, sehr zu lieben, sie saß manchmal bei Mutter Mciren in ihrer kleinen, saubern Stube und sah zu, wie diese einen feinen Faden an ihrem schnurrenden Rädchen spann, und sie versuchte gelegentlich auch, mit ihrer Großmutter zu sprechen. Der Verkehr mit Mutter Mciren war nicht schwer. Wohl war es eine schweig¬ same Frau, die nicht ungefragt den Mund öffnete; aber wenn zwei klare Kinder¬ augen sie forschend betrachteten, und eine bittende Stimme sie ausfragte, dann mußte sie doch antworten. Ganz allein am Spinnrad zu sitzen ist langweilig. Da kommen die Gedanken und huschen in die Ferne — in die Zeit, wo man jung und nicht einsam war, als in der Welt noch allerhand passierte, und man es mit erlebte. Die Jugend hat einen goldnen Schimmer, besonders wenn sie schon in weiter Ferne liegt, und kommt ein holdes Sümmchen und fragt nach der goldnen Zeit, da vergißt man, daß es nur ein Kind ist, dem dieses Stimmchen gehört. Von Mutter Maren hörte Anneli viel über ihre Mutter. Sie war jung ge¬ wesen und schön und eigenwillig. Die Familie Falkenberg hatte damals am Hofe des Königs gelebt, und ein vornehmer Hofherr hatte Annaluise Falkenberg zur Frau begehrt. Sie aber hatte ihr Herz an Harald Pankow gehängt, den jungen Bruder des Hofrats, der auf seine Kosten studierte, und der auf besondre Erlaubnis seinen Bruder Willi im königlichen Schloß besuchen durfte. Wie es gekommen war, konnte Mutter Maren nicht sagen, aber eines Tages waren der Student Pankow und ihr schönes gnädiges Fräulein miteinander davongegangen und hatten nach einigen Tagen gemeldet, daß sie den Ehebund geschlossen hätten. Wenn Mutter Maren an diesen Bericht kam, dann hielt sie mit Spinnen inne, seufzte, schaute aus dem Fenster in den grünen Garten und besann sich eine Weile, ehe sie weiter sprach.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/224>, abgerufen am 24.07.2024.