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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

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Karl der Erste. König von Rumänien

1866 und heute! Und in der innern Politik hat der König durch seine feste
aber auch versöhnliche Haltung ungemein viel dazu beigetragen, daß sich die
früher so ungebundnen politischen Leidenschaften dem Wohle des Landes unter¬
geordnet haben. Man muß das Temperament der Rumänen in Betracht
ziehn, wenn man Vergleiche anstellen will. Heute aber gibt es wohl noch
Heißsporne, wie überall, aber keine politischen Fanatiker, die nach dem Aus¬
lande schielen. Alle arbeiten sie mit am Wohle des Vaterlandes, und inmitten
dieser fluktuierenden Verhältnisse, dieser Politiker, die so gern auf ihre liberale
Konstitution hinweisen, hat König Karl einen persönlichen Einfluß und eine
Machtfülle erlangt, über die mancher sogenannte absolute Herrscher nicht ver¬
fügt. König Karl hat seinen Schwur und sein Versprechen als Fürst, als
Herrscher des Landes vollauf gehalten.

Als Fürst Karl im Mai 1866 auf seiner rasenden Fahrt von Turnn-
Severin nach Bukarest eilte, begegnete er bei Piteschti dem sich auf dem
Marsche befindenden zweiten rumänischen Linieninfanterieregiment. Er ließ
seinen Wagen halten und schritt, unter klingendem Spiel und begeistertem
Hurra der Soldaten, die Front ab. Als er dann mit Joan Brctticmu die
Reise fortsetzte, sagte er die sehr bezeichnenden Worte: "Die Freude, mit
der mich die Soldaten begrüßten, hat mich zwar gerührt, aber wenn ich erst
das Heer in die eigne Hand nehme, wird es bald ein andres Ansehen be¬
kommen."

Wie konnte auch den Offizier aus der strammen preußischen Schule,
die kaum drei Wochen später die tapfere, tüchtige österreichische Armee in
unerhörter Weise zerschmetterte, wobei der eigne Bruder des Fürsten, Prinz
Anton, sein junges Leben lassen mußte, diese schlechte Nachahmung der fran¬
zösischen Armee und die verwahrloste Haltung der Soldaten, sogar der Offi¬
ziere, befriedigen? Wenig Tage nachher nahm der Fürst Gelegenheit, eine
Anzahl von Offizieren, die in einer politischen Angelegenheit einen Kollektiv¬
wunsch ausgesprochen hatten, zu sich kommen zu lassen und zu ihnen unter
andern: zu sagen: "Der Schwur verpflichtet den Soldaten zum vollständigen
Gehorsam. Weder die Handlungen des obersten Kriegsherrn noch die ihn
leitenden Beweggründe dürfen einer Kritik unterworfen werden. Die Politik
muß dem Soldaten fernbleiben. Seine einzige Aufgabe ist die Verteidigung
seines Souveräns und seines Vaterlandes, und zwar bis zum letzten Atem¬
hauche gegen jeden Feind." Was hat nnn König Karl aus der kläglichen
rumänischen Armee gemacht? Es genügte eigentlich nur eine einzige Antwort,
und diese Antwort lautet: "Der russisch-türkische Feldzug von 1877/78 hat
den Beweis geliefert." Es ist nicht zuviel gesagt, daß damals die beobachtende
Welt über die hervorragenden Leistungen der von Karl geschaffnen rumänischen
Armee erstaunte, die vor Plewna die Feuertaufe erhielt, vor dem Plenum und
vor dem tapfern Osman Pascha, der den Russen so gefährlich geworden war,
daß sie ihren Stolz vergaßen und die Rumänen um Hilfe anriefen. Während
vor dem Jahre 1866 der rumänische Soldat nicht felddiensttüchtig war, stellte
Fürst Karl schon 1877 eine Armee von 114000 Mann und 200 Geschützen
gegen die Türken auf. An dem furchtbaren Tage von Griwitza duldete es


Karl der Erste. König von Rumänien

1866 und heute! Und in der innern Politik hat der König durch seine feste
aber auch versöhnliche Haltung ungemein viel dazu beigetragen, daß sich die
früher so ungebundnen politischen Leidenschaften dem Wohle des Landes unter¬
geordnet haben. Man muß das Temperament der Rumänen in Betracht
ziehn, wenn man Vergleiche anstellen will. Heute aber gibt es wohl noch
Heißsporne, wie überall, aber keine politischen Fanatiker, die nach dem Aus¬
lande schielen. Alle arbeiten sie mit am Wohle des Vaterlandes, und inmitten
dieser fluktuierenden Verhältnisse, dieser Politiker, die so gern auf ihre liberale
Konstitution hinweisen, hat König Karl einen persönlichen Einfluß und eine
Machtfülle erlangt, über die mancher sogenannte absolute Herrscher nicht ver¬
fügt. König Karl hat seinen Schwur und sein Versprechen als Fürst, als
Herrscher des Landes vollauf gehalten.

Als Fürst Karl im Mai 1866 auf seiner rasenden Fahrt von Turnn-
Severin nach Bukarest eilte, begegnete er bei Piteschti dem sich auf dem
Marsche befindenden zweiten rumänischen Linieninfanterieregiment. Er ließ
seinen Wagen halten und schritt, unter klingendem Spiel und begeistertem
Hurra der Soldaten, die Front ab. Als er dann mit Joan Brctticmu die
Reise fortsetzte, sagte er die sehr bezeichnenden Worte: „Die Freude, mit
der mich die Soldaten begrüßten, hat mich zwar gerührt, aber wenn ich erst
das Heer in die eigne Hand nehme, wird es bald ein andres Ansehen be¬
kommen."

Wie konnte auch den Offizier aus der strammen preußischen Schule,
die kaum drei Wochen später die tapfere, tüchtige österreichische Armee in
unerhörter Weise zerschmetterte, wobei der eigne Bruder des Fürsten, Prinz
Anton, sein junges Leben lassen mußte, diese schlechte Nachahmung der fran¬
zösischen Armee und die verwahrloste Haltung der Soldaten, sogar der Offi¬
ziere, befriedigen? Wenig Tage nachher nahm der Fürst Gelegenheit, eine
Anzahl von Offizieren, die in einer politischen Angelegenheit einen Kollektiv¬
wunsch ausgesprochen hatten, zu sich kommen zu lassen und zu ihnen unter
andern: zu sagen: „Der Schwur verpflichtet den Soldaten zum vollständigen
Gehorsam. Weder die Handlungen des obersten Kriegsherrn noch die ihn
leitenden Beweggründe dürfen einer Kritik unterworfen werden. Die Politik
muß dem Soldaten fernbleiben. Seine einzige Aufgabe ist die Verteidigung
seines Souveräns und seines Vaterlandes, und zwar bis zum letzten Atem¬
hauche gegen jeden Feind." Was hat nnn König Karl aus der kläglichen
rumänischen Armee gemacht? Es genügte eigentlich nur eine einzige Antwort,
und diese Antwort lautet: „Der russisch-türkische Feldzug von 1877/78 hat
den Beweis geliefert." Es ist nicht zuviel gesagt, daß damals die beobachtende
Welt über die hervorragenden Leistungen der von Karl geschaffnen rumänischen
Armee erstaunte, die vor Plewna die Feuertaufe erhielt, vor dem Plenum und
vor dem tapfern Osman Pascha, der den Russen so gefährlich geworden war,
daß sie ihren Stolz vergaßen und die Rumänen um Hilfe anriefen. Während
vor dem Jahre 1866 der rumänische Soldat nicht felddiensttüchtig war, stellte
Fürst Karl schon 1877 eine Armee von 114000 Mann und 200 Geschützen
gegen die Türken auf. An dem furchtbaren Tage von Griwitza duldete es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/192>, abgerufen am 24.07.2024.