Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Menschenfrnhliug

Vater dort sein und sich freuen. Und dann war alles vorüber: das Leben hier,
die Sehnsucht nach dem Vater und nach der grauen kleinen Stadt; und vielleicht
würde Tante Fritze, wenn sie später auch kam, im Paradiese viel netter sein als
auf der Erde. Und das Kleid mit den Drachen würden die Engel nicht so häßlich
finden wie Rita Makler und die andern Mädchen, und vielleicht --

Hinter Arrete huschte etwas. Sie mußte den Kopf wenden und sah ein
großes schwarzes Tier an der Wand entlang laufen. Es war wohl eine Ratte.
In der Backstube in Virneburg waren auch Ratten gewesen, und die Frau Väcker-
meisterin hatte Fallen aufgestellt und Jesses Maria Joseph gesagt, wenn sie eine
gefangen hatte. Ja, die Frau Bäckermeisterin! Was sie wohl sagen würde, wenn
sie wüßte, daß Anneli mit einem Manne zusammen eingesperrt war, der nur aus
Knochen bestand! Aber waren Männer aus Knochen böse? Konnten sie fluchen und
schlagen wie wirkliche schlechte Menschen?

Anneli stand jetzt vor dem Skelett und betrachtete es aufmerksam. Es war
nicht so schlimm. Der Hut saß ihm schief auf dem Schädel, es hatte eine kurze
Pfeife ini Munde, und der Rock wies unendlich viele Löcher uns. Armer Toten¬
mann! Warum liegst dn nicht ruhig in deinem Sarge und mußt hier in der
häßlichen Scheune stehn? Was hast du verbrochen, daß du einen löchrigen Rock
tragen und immer eine kalte Pfeife zwischen den Zähnen halten mußt? Diese
Fragen hatte Anneli auf den Lippen, doch der arme Mann rührte sich nicht, noch
antwortete er. Aber es kam der Kleinen vor, als machte er ein betrübtes Gesicht.

In dem Holzwerk raschelte es von neuem, und Anneli sah sich um. Nichts
war zu entdecken, nur von oben her kam ein rotgoldner Strahl und spiegelte sich
in allerlei Flaschen und Gläsern, die auf deu rohgezimmerten Tischen standen.
Und dann machte Anneli einen Sprung, durch den sie vor einen großen Glns-
hnfen gelaugte, worin ein Kind stand. Ja, ganz gewiß, es war ein Kind! Es
war klein und hatte ein vertrocknetes Gesichtchen, aber ein Paar ernsthafte offne
Augen schauten in die Aureus, die eine wahnsinnige Angst packte, daß sie fast
aufgeschrien hätte. Aber nein, die großen Mädchen, die vielleicht draußen auf ihr
Geschrei warteten, die sollten den Spaß nicht haben. Mit zusammengepreßten
Kippen stand sie, sah das Kind a" und entdeckte, daß neben ihm noch ein kleines
Wesen in einem andern Glase schwamm. Das hatte die Augen geschlossen und
neigte das Köpfchen ans die Brust. Was ging hier vor? War hier ein König
Herodes, der, wie in der Bibel, die Kinder tötete? Arme kleine Kinder, die sich
nicht wehren konnten und nun in einem Glashäfen verwahrt wurden? Wiederum
hatte Anneli so viel zu denken, daß die Angst verschwand; aber sie wäre lieber
ini Freien gewesen als iir dieser stillen Gesellschaft. Sie taten ihr nichts: weder
der Mann noch die Kinder, sie waren so still, so sehr still, aber die Ratten
raschelten von neuem, und die Sonnenstrahlen glitten von dem Dachfenster hinunter,
zum Zeichen, daß der Tag zu Ende ging. Das Dachfenster gab Anneli einen
Gedanken. Eine lange Leiter stand darunter, wahrscheinlich für den, der es öffnen
mußte. Anneli lief hinauf, konnte das Fenster in die Höhe heben und steckte dann
den Kopf in die frische Luft. Das tat gut, und sie konnte sich zugleich umsehen.
Allerdings nur nach der kleinen Seitenstraße hin, wo Fred Roland wohnte. In
diesem Augenblick kam er gerade aus seinem Häuschen, und Anneli nannte seinen
Namen. Erstaunt blieb er stehn, und sie mußte lauter rufen, bis er sie aus dem
Dachfenster lugen sah. Dann bedürfte es nur weniger bittender Worte, da war
er behende zum Dach hinauf und zu ihr hinunter geklettert.

So -- das ist also hier darin! sagte er, sich zufrieden umsehend. Ich habe
es mir schon gedacht, ein Doktor muß immer solchen Kram haben!

Kram -- Anneli war entsetzt. Fred, es sind tote Kinder und ein toter
Mann. Hat Herr Doktor sie selbst totgemacht?

Dumme Gans! Fred lachte geringschätzig, aber dann sah er sich um, und
seine Stimme wurde milder. Haben die Kränzchengänse dich hier vielleicht ein-


Menschenfrnhliug

Vater dort sein und sich freuen. Und dann war alles vorüber: das Leben hier,
die Sehnsucht nach dem Vater und nach der grauen kleinen Stadt; und vielleicht
würde Tante Fritze, wenn sie später auch kam, im Paradiese viel netter sein als
auf der Erde. Und das Kleid mit den Drachen würden die Engel nicht so häßlich
finden wie Rita Makler und die andern Mädchen, und vielleicht —

Hinter Arrete huschte etwas. Sie mußte den Kopf wenden und sah ein
großes schwarzes Tier an der Wand entlang laufen. Es war wohl eine Ratte.
In der Backstube in Virneburg waren auch Ratten gewesen, und die Frau Väcker-
meisterin hatte Fallen aufgestellt und Jesses Maria Joseph gesagt, wenn sie eine
gefangen hatte. Ja, die Frau Bäckermeisterin! Was sie wohl sagen würde, wenn
sie wüßte, daß Anneli mit einem Manne zusammen eingesperrt war, der nur aus
Knochen bestand! Aber waren Männer aus Knochen böse? Konnten sie fluchen und
schlagen wie wirkliche schlechte Menschen?

Anneli stand jetzt vor dem Skelett und betrachtete es aufmerksam. Es war
nicht so schlimm. Der Hut saß ihm schief auf dem Schädel, es hatte eine kurze
Pfeife ini Munde, und der Rock wies unendlich viele Löcher uns. Armer Toten¬
mann! Warum liegst dn nicht ruhig in deinem Sarge und mußt hier in der
häßlichen Scheune stehn? Was hast du verbrochen, daß du einen löchrigen Rock
tragen und immer eine kalte Pfeife zwischen den Zähnen halten mußt? Diese
Fragen hatte Anneli auf den Lippen, doch der arme Mann rührte sich nicht, noch
antwortete er. Aber es kam der Kleinen vor, als machte er ein betrübtes Gesicht.

In dem Holzwerk raschelte es von neuem, und Anneli sah sich um. Nichts
war zu entdecken, nur von oben her kam ein rotgoldner Strahl und spiegelte sich
in allerlei Flaschen und Gläsern, die auf deu rohgezimmerten Tischen standen.
Und dann machte Anneli einen Sprung, durch den sie vor einen großen Glns-
hnfen gelaugte, worin ein Kind stand. Ja, ganz gewiß, es war ein Kind! Es
war klein und hatte ein vertrocknetes Gesichtchen, aber ein Paar ernsthafte offne
Augen schauten in die Aureus, die eine wahnsinnige Angst packte, daß sie fast
aufgeschrien hätte. Aber nein, die großen Mädchen, die vielleicht draußen auf ihr
Geschrei warteten, die sollten den Spaß nicht haben. Mit zusammengepreßten
Kippen stand sie, sah das Kind a» und entdeckte, daß neben ihm noch ein kleines
Wesen in einem andern Glase schwamm. Das hatte die Augen geschlossen und
neigte das Köpfchen ans die Brust. Was ging hier vor? War hier ein König
Herodes, der, wie in der Bibel, die Kinder tötete? Arme kleine Kinder, die sich
nicht wehren konnten und nun in einem Glashäfen verwahrt wurden? Wiederum
hatte Anneli so viel zu denken, daß die Angst verschwand; aber sie wäre lieber
ini Freien gewesen als iir dieser stillen Gesellschaft. Sie taten ihr nichts: weder
der Mann noch die Kinder, sie waren so still, so sehr still, aber die Ratten
raschelten von neuem, und die Sonnenstrahlen glitten von dem Dachfenster hinunter,
zum Zeichen, daß der Tag zu Ende ging. Das Dachfenster gab Anneli einen
Gedanken. Eine lange Leiter stand darunter, wahrscheinlich für den, der es öffnen
mußte. Anneli lief hinauf, konnte das Fenster in die Höhe heben und steckte dann
den Kopf in die frische Luft. Das tat gut, und sie konnte sich zugleich umsehen.
Allerdings nur nach der kleinen Seitenstraße hin, wo Fred Roland wohnte. In
diesem Augenblick kam er gerade aus seinem Häuschen, und Anneli nannte seinen
Namen. Erstaunt blieb er stehn, und sie mußte lauter rufen, bis er sie aus dem
Dachfenster lugen sah. Dann bedürfte es nur weniger bittender Worte, da war
er behende zum Dach hinauf und zu ihr hinunter geklettert.

So — das ist also hier darin! sagte er, sich zufrieden umsehend. Ich habe
es mir schon gedacht, ein Doktor muß immer solchen Kram haben!

Kram — Anneli war entsetzt. Fred, es sind tote Kinder und ein toter
Mann. Hat Herr Doktor sie selbst totgemacht?

Dumme Gans! Fred lachte geringschätzig, aber dann sah er sich um, und
seine Stimme wurde milder. Haben die Kränzchengänse dich hier vielleicht ein-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0111" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299152"/>
          <fw type="header" place="top"> Menschenfrnhliug</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_431" prev="#ID_430"> Vater dort sein und sich freuen. Und dann war alles vorüber: das Leben hier,<lb/>
die Sehnsucht nach dem Vater und nach der grauen kleinen Stadt; und vielleicht<lb/>
würde Tante Fritze, wenn sie später auch kam, im Paradiese viel netter sein als<lb/>
auf der Erde. Und das Kleid mit den Drachen würden die Engel nicht so häßlich<lb/>
finden wie Rita Makler und die andern Mädchen, und vielleicht &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_432"> Hinter Arrete huschte etwas. Sie mußte den Kopf wenden und sah ein<lb/>
großes schwarzes Tier an der Wand entlang laufen. Es war wohl eine Ratte.<lb/>
In der Backstube in Virneburg waren auch Ratten gewesen, und die Frau Väcker-<lb/>
meisterin hatte Fallen aufgestellt und Jesses Maria Joseph gesagt, wenn sie eine<lb/>
gefangen hatte. Ja, die Frau Bäckermeisterin! Was sie wohl sagen würde, wenn<lb/>
sie wüßte, daß Anneli mit einem Manne zusammen eingesperrt war, der nur aus<lb/>
Knochen bestand! Aber waren Männer aus Knochen böse? Konnten sie fluchen und<lb/>
schlagen wie wirkliche schlechte Menschen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_433"> Anneli stand jetzt vor dem Skelett und betrachtete es aufmerksam. Es war<lb/>
nicht so schlimm. Der Hut saß ihm schief auf dem Schädel, es hatte eine kurze<lb/>
Pfeife ini Munde, und der Rock wies unendlich viele Löcher uns. Armer Toten¬<lb/>
mann! Warum liegst dn nicht ruhig in deinem Sarge und mußt hier in der<lb/>
häßlichen Scheune stehn? Was hast du verbrochen, daß du einen löchrigen Rock<lb/>
tragen und immer eine kalte Pfeife zwischen den Zähnen halten mußt? Diese<lb/>
Fragen hatte Anneli auf den Lippen, doch der arme Mann rührte sich nicht, noch<lb/>
antwortete er. Aber es kam der Kleinen vor, als machte er ein betrübtes Gesicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_434"> In dem Holzwerk raschelte es von neuem, und Anneli sah sich um. Nichts<lb/>
war zu entdecken, nur von oben her kam ein rotgoldner Strahl und spiegelte sich<lb/>
in allerlei Flaschen und Gläsern, die auf deu rohgezimmerten Tischen standen.<lb/>
Und dann machte Anneli einen Sprung, durch den sie vor einen großen Glns-<lb/>
hnfen gelaugte, worin ein Kind stand. Ja, ganz gewiß, es war ein Kind! Es<lb/>
war klein und hatte ein vertrocknetes Gesichtchen, aber ein Paar ernsthafte offne<lb/>
Augen schauten in die Aureus, die eine wahnsinnige Angst packte, daß sie fast<lb/>
aufgeschrien hätte. Aber nein, die großen Mädchen, die vielleicht draußen auf ihr<lb/>
Geschrei warteten, die sollten den Spaß nicht haben. Mit zusammengepreßten<lb/>
Kippen stand sie, sah das Kind a» und entdeckte, daß neben ihm noch ein kleines<lb/>
Wesen in einem andern Glase schwamm. Das hatte die Augen geschlossen und<lb/>
neigte das Köpfchen ans die Brust. Was ging hier vor? War hier ein König<lb/>
Herodes, der, wie in der Bibel, die Kinder tötete? Arme kleine Kinder, die sich<lb/>
nicht wehren konnten und nun in einem Glashäfen verwahrt wurden? Wiederum<lb/>
hatte Anneli so viel zu denken, daß die Angst verschwand; aber sie wäre lieber<lb/>
ini Freien gewesen als iir dieser stillen Gesellschaft. Sie taten ihr nichts: weder<lb/>
der Mann noch die Kinder, sie waren so still, so sehr still, aber die Ratten<lb/>
raschelten von neuem, und die Sonnenstrahlen glitten von dem Dachfenster hinunter,<lb/>
zum Zeichen, daß der Tag zu Ende ging. Das Dachfenster gab Anneli einen<lb/>
Gedanken. Eine lange Leiter stand darunter, wahrscheinlich für den, der es öffnen<lb/>
mußte. Anneli lief hinauf, konnte das Fenster in die Höhe heben und steckte dann<lb/>
den Kopf in die frische Luft. Das tat gut, und sie konnte sich zugleich umsehen.<lb/>
Allerdings nur nach der kleinen Seitenstraße hin, wo Fred Roland wohnte. In<lb/>
diesem Augenblick kam er gerade aus seinem Häuschen, und Anneli nannte seinen<lb/>
Namen. Erstaunt blieb er stehn, und sie mußte lauter rufen, bis er sie aus dem<lb/>
Dachfenster lugen sah. Dann bedürfte es nur weniger bittender Worte, da war<lb/>
er behende zum Dach hinauf und zu ihr hinunter geklettert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_435"> So &#x2014; das ist also hier darin! sagte er, sich zufrieden umsehend. Ich habe<lb/>
es mir schon gedacht, ein Doktor muß immer solchen Kram haben!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_436"> Kram &#x2014; Anneli war entsetzt. Fred, es sind tote Kinder und ein toter<lb/>
Mann.  Hat Herr Doktor sie selbst totgemacht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_437" next="#ID_438"> Dumme Gans! Fred lachte geringschätzig, aber dann sah er sich um, und<lb/>
seine Stimme wurde milder.  Haben die Kränzchengänse dich hier vielleicht ein-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0111] Menschenfrnhliug Vater dort sein und sich freuen. Und dann war alles vorüber: das Leben hier, die Sehnsucht nach dem Vater und nach der grauen kleinen Stadt; und vielleicht würde Tante Fritze, wenn sie später auch kam, im Paradiese viel netter sein als auf der Erde. Und das Kleid mit den Drachen würden die Engel nicht so häßlich finden wie Rita Makler und die andern Mädchen, und vielleicht — Hinter Arrete huschte etwas. Sie mußte den Kopf wenden und sah ein großes schwarzes Tier an der Wand entlang laufen. Es war wohl eine Ratte. In der Backstube in Virneburg waren auch Ratten gewesen, und die Frau Väcker- meisterin hatte Fallen aufgestellt und Jesses Maria Joseph gesagt, wenn sie eine gefangen hatte. Ja, die Frau Bäckermeisterin! Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüßte, daß Anneli mit einem Manne zusammen eingesperrt war, der nur aus Knochen bestand! Aber waren Männer aus Knochen böse? Konnten sie fluchen und schlagen wie wirkliche schlechte Menschen? Anneli stand jetzt vor dem Skelett und betrachtete es aufmerksam. Es war nicht so schlimm. Der Hut saß ihm schief auf dem Schädel, es hatte eine kurze Pfeife ini Munde, und der Rock wies unendlich viele Löcher uns. Armer Toten¬ mann! Warum liegst dn nicht ruhig in deinem Sarge und mußt hier in der häßlichen Scheune stehn? Was hast du verbrochen, daß du einen löchrigen Rock tragen und immer eine kalte Pfeife zwischen den Zähnen halten mußt? Diese Fragen hatte Anneli auf den Lippen, doch der arme Mann rührte sich nicht, noch antwortete er. Aber es kam der Kleinen vor, als machte er ein betrübtes Gesicht. In dem Holzwerk raschelte es von neuem, und Anneli sah sich um. Nichts war zu entdecken, nur von oben her kam ein rotgoldner Strahl und spiegelte sich in allerlei Flaschen und Gläsern, die auf deu rohgezimmerten Tischen standen. Und dann machte Anneli einen Sprung, durch den sie vor einen großen Glns- hnfen gelaugte, worin ein Kind stand. Ja, ganz gewiß, es war ein Kind! Es war klein und hatte ein vertrocknetes Gesichtchen, aber ein Paar ernsthafte offne Augen schauten in die Aureus, die eine wahnsinnige Angst packte, daß sie fast aufgeschrien hätte. Aber nein, die großen Mädchen, die vielleicht draußen auf ihr Geschrei warteten, die sollten den Spaß nicht haben. Mit zusammengepreßten Kippen stand sie, sah das Kind a» und entdeckte, daß neben ihm noch ein kleines Wesen in einem andern Glase schwamm. Das hatte die Augen geschlossen und neigte das Köpfchen ans die Brust. Was ging hier vor? War hier ein König Herodes, der, wie in der Bibel, die Kinder tötete? Arme kleine Kinder, die sich nicht wehren konnten und nun in einem Glashäfen verwahrt wurden? Wiederum hatte Anneli so viel zu denken, daß die Angst verschwand; aber sie wäre lieber ini Freien gewesen als iir dieser stillen Gesellschaft. Sie taten ihr nichts: weder der Mann noch die Kinder, sie waren so still, so sehr still, aber die Ratten raschelten von neuem, und die Sonnenstrahlen glitten von dem Dachfenster hinunter, zum Zeichen, daß der Tag zu Ende ging. Das Dachfenster gab Anneli einen Gedanken. Eine lange Leiter stand darunter, wahrscheinlich für den, der es öffnen mußte. Anneli lief hinauf, konnte das Fenster in die Höhe heben und steckte dann den Kopf in die frische Luft. Das tat gut, und sie konnte sich zugleich umsehen. Allerdings nur nach der kleinen Seitenstraße hin, wo Fred Roland wohnte. In diesem Augenblick kam er gerade aus seinem Häuschen, und Anneli nannte seinen Namen. Erstaunt blieb er stehn, und sie mußte lauter rufen, bis er sie aus dem Dachfenster lugen sah. Dann bedürfte es nur weniger bittender Worte, da war er behende zum Dach hinauf und zu ihr hinunter geklettert. So — das ist also hier darin! sagte er, sich zufrieden umsehend. Ich habe es mir schon gedacht, ein Doktor muß immer solchen Kram haben! Kram — Anneli war entsetzt. Fred, es sind tote Kinder und ein toter Mann. Hat Herr Doktor sie selbst totgemacht? Dumme Gans! Fred lachte geringschätzig, aber dann sah er sich um, und seine Stimme wurde milder. Haben die Kränzchengänse dich hier vielleicht ein-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/111
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/111>, abgerufen am 24.07.2024.