Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Menschenfrühling

Während Anneli noch immer im Garten umherstand, hier eine Blume be¬
trachtete, dort einen Stein aufnahm, den sie dann gleich wieder hinwarf, flüsterten
die andern hastig miteinander, schrien ein wenig, lachten gleich wieder und kniffen
sich gegenseitig in die Arme, als Christel, die einen Augenblick in das Hans ge¬
laufen war, jetzt mit lauter Stimme nach Anneli rief,

Anneli, wo bleibst du? Gefällt es dir hier nicht?

Die Gernfne trat langsam näher. Etwas wie Feindseligkeit wehte sie von
den großen Mädchen an, und ihre Augen bekamen einen trotzigen Ausdruck.

Ich möchte nach Hans, sagte sie.

Jetzt schon? Aber dn mußt doch noch Pudding essen, den es erst nachher
gibt. Nein, du darfst noch nicht gedul Willst du mir nicht ans dem Schuppen
eine Harke holen? Wir wollen mal an die Spatzennester hier an der Hauswart.

Wo ist der Schuppen? fragte Anneli mißtrauisch.

Christel zog einen Schlüssel aus der Tasche und gab ihn ihr in die Hand.
Dort, am Zaun, der alte Brctterschnppen, worin wir unsre Gartengeräte haben.
Du siehst doch, daß ich hier bei deu Gästen bleiben muß, setzte sie flüsternd hinzu.
Komm, Anneli, er mir den Gefallen.

Anneli begann zu ahnen, daß irgend etwas gegen sie im Schilde geführt
würde. Aber so schnell konnte sie sich nicht besinnen, und ungefällig wollte sie
auch nicht sein. Sie ging also auf die alte Holzbaracke zu, die abseits unter den
Bäumen hart an der kleinen Nebenstraße lag und einen unheimlichen Eindruck
machte. Aber Anneli war nicht ängstlich. Wohl empfand sie es als unangenehm,
daß die andern Mädchen plötzlich still wurden und ihr gespannt nachsähen. Doch
die dummen Dinger taugten nichts, und Anneli wollte sich niemals mehr um sie
bekümmern. Gegen Christel mußte sie immerhin gefällig sein, denn zu andern Zeiten
war sie doch nett mit ihr gewesen.

Unter diesen Gedanken mühte sich Anneli ub, das Schloß des Schuppens zu
öffnen. Es gelang bald; die Tür sprang auf, und eine schwere, sonderbare Luft tum
ihr aus dem eingeschlossenen Raum entgegen. Ganz dunkel war er übrigens nicht;
von oben her war ein Fenster in das Dach gelassen, und durch die Bretterwände
kamen ebenfalls Lichtstreifen. Der graue Tag hatte sich wahrscheinlich entschlossen,
der Sonne gegen Abend noch ein wenig Platz zu machen. Ein rosiger Schein
kam gerade jetzt von oben her, und an der einen Wand, wo ganz breite Spalten
waren, blitzte es auf.

Langsam ging Anneli in das düstere Innere. Sie sah sich nach den Garten¬
geräten um, aber es standen an den Wänden entlang nur rohgezimmerte Tische,
auf denen etwas stand, und in der einen Ecke erhob sich eine dunkle Gestalt mit
einem Hut auf dem Kopf und einem sonderbar sitzenden Rock.

Anneli schrie laut auf, wandte sich um und stürzte der Tür zu; sie war ge¬
schlossen. Als sie daran rüttelte, kam es ihr vor, als hörte sie Schritte, die sich
eilig entfernten, und ein Geräusch, das wie unterdrücktes Lachen klang. Es wurde
ihr klar, daß sie eingeschlossen worden war. Die großen Mädchen hatten sich einen
Spaß und ihr machen, und Rita Makler hatte sie wohl bestrafen wollen, weil sie
etwas vom Begraben gesagt hatte und von der Hölle.

Von der Hölle! Anneli lehnte noch immer um der Tür und starrte die schmutzigen
dunkeln Bretter der Wand an. Ihre Haare sträubten sich, und sie wagte nicht,
sich umzudrehn. Dorthin, wo der Mann stand und dem sonderbar sitzenden Rock,
der auf seinem kahlen Totenschädel einen Hut trug, und dessen Beine nnr aus
Knochen bestanden. Nein, sie wollte ihn nicht mehr ansehen, sondern hier stehn
bleiben, bis die Befreiung kam. Denn Christel konnte doch nicht zugeben, daß
sie immer hier blieb, bis die Nacht kam. Und wenn sie es tat, dann würde
Anneli morgen tot sein und begraben werden müssen, hier auf dem Kirchhof am
See, weit von dem Eckplatz in Virneburg, weit von Vater und Mutter. Doch für
die Toten gab es keine Entfernung; wenn sie in das Paradies kam, würde ihr


Menschenfrühling

Während Anneli noch immer im Garten umherstand, hier eine Blume be¬
trachtete, dort einen Stein aufnahm, den sie dann gleich wieder hinwarf, flüsterten
die andern hastig miteinander, schrien ein wenig, lachten gleich wieder und kniffen
sich gegenseitig in die Arme, als Christel, die einen Augenblick in das Hans ge¬
laufen war, jetzt mit lauter Stimme nach Anneli rief,

Anneli, wo bleibst du? Gefällt es dir hier nicht?

Die Gernfne trat langsam näher. Etwas wie Feindseligkeit wehte sie von
den großen Mädchen an, und ihre Augen bekamen einen trotzigen Ausdruck.

Ich möchte nach Hans, sagte sie.

Jetzt schon? Aber dn mußt doch noch Pudding essen, den es erst nachher
gibt. Nein, du darfst noch nicht gedul Willst du mir nicht ans dem Schuppen
eine Harke holen? Wir wollen mal an die Spatzennester hier an der Hauswart.

Wo ist der Schuppen? fragte Anneli mißtrauisch.

Christel zog einen Schlüssel aus der Tasche und gab ihn ihr in die Hand.
Dort, am Zaun, der alte Brctterschnppen, worin wir unsre Gartengeräte haben.
Du siehst doch, daß ich hier bei deu Gästen bleiben muß, setzte sie flüsternd hinzu.
Komm, Anneli, er mir den Gefallen.

Anneli begann zu ahnen, daß irgend etwas gegen sie im Schilde geführt
würde. Aber so schnell konnte sie sich nicht besinnen, und ungefällig wollte sie
auch nicht sein. Sie ging also auf die alte Holzbaracke zu, die abseits unter den
Bäumen hart an der kleinen Nebenstraße lag und einen unheimlichen Eindruck
machte. Aber Anneli war nicht ängstlich. Wohl empfand sie es als unangenehm,
daß die andern Mädchen plötzlich still wurden und ihr gespannt nachsähen. Doch
die dummen Dinger taugten nichts, und Anneli wollte sich niemals mehr um sie
bekümmern. Gegen Christel mußte sie immerhin gefällig sein, denn zu andern Zeiten
war sie doch nett mit ihr gewesen.

Unter diesen Gedanken mühte sich Anneli ub, das Schloß des Schuppens zu
öffnen. Es gelang bald; die Tür sprang auf, und eine schwere, sonderbare Luft tum
ihr aus dem eingeschlossenen Raum entgegen. Ganz dunkel war er übrigens nicht;
von oben her war ein Fenster in das Dach gelassen, und durch die Bretterwände
kamen ebenfalls Lichtstreifen. Der graue Tag hatte sich wahrscheinlich entschlossen,
der Sonne gegen Abend noch ein wenig Platz zu machen. Ein rosiger Schein
kam gerade jetzt von oben her, und an der einen Wand, wo ganz breite Spalten
waren, blitzte es auf.

Langsam ging Anneli in das düstere Innere. Sie sah sich nach den Garten¬
geräten um, aber es standen an den Wänden entlang nur rohgezimmerte Tische,
auf denen etwas stand, und in der einen Ecke erhob sich eine dunkle Gestalt mit
einem Hut auf dem Kopf und einem sonderbar sitzenden Rock.

Anneli schrie laut auf, wandte sich um und stürzte der Tür zu; sie war ge¬
schlossen. Als sie daran rüttelte, kam es ihr vor, als hörte sie Schritte, die sich
eilig entfernten, und ein Geräusch, das wie unterdrücktes Lachen klang. Es wurde
ihr klar, daß sie eingeschlossen worden war. Die großen Mädchen hatten sich einen
Spaß und ihr machen, und Rita Makler hatte sie wohl bestrafen wollen, weil sie
etwas vom Begraben gesagt hatte und von der Hölle.

Von der Hölle! Anneli lehnte noch immer um der Tür und starrte die schmutzigen
dunkeln Bretter der Wand an. Ihre Haare sträubten sich, und sie wagte nicht,
sich umzudrehn. Dorthin, wo der Mann stand und dem sonderbar sitzenden Rock,
der auf seinem kahlen Totenschädel einen Hut trug, und dessen Beine nnr aus
Knochen bestanden. Nein, sie wollte ihn nicht mehr ansehen, sondern hier stehn
bleiben, bis die Befreiung kam. Denn Christel konnte doch nicht zugeben, daß
sie immer hier blieb, bis die Nacht kam. Und wenn sie es tat, dann würde
Anneli morgen tot sein und begraben werden müssen, hier auf dem Kirchhof am
See, weit von dem Eckplatz in Virneburg, weit von Vater und Mutter. Doch für
die Toten gab es keine Entfernung; wenn sie in das Paradies kam, würde ihr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299151"/>
          <fw type="header" place="top"> Menschenfrühling</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_419"> Während Anneli noch immer im Garten umherstand, hier eine Blume be¬<lb/>
trachtete, dort einen Stein aufnahm, den sie dann gleich wieder hinwarf, flüsterten<lb/>
die andern hastig miteinander, schrien ein wenig, lachten gleich wieder und kniffen<lb/>
sich gegenseitig in die Arme, als Christel, die einen Augenblick in das Hans ge¬<lb/>
laufen war, jetzt mit lauter Stimme nach Anneli rief,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_420"> Anneli, wo bleibst du?  Gefällt es dir hier nicht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_421"> Die Gernfne trat langsam näher.  Etwas wie Feindseligkeit wehte sie von<lb/>
den großen Mädchen an, und ihre Augen bekamen einen trotzigen Ausdruck.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_422"> Ich möchte nach Hans, sagte sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_423"> Jetzt schon? Aber dn mußt doch noch Pudding essen, den es erst nachher<lb/>
gibt. Nein, du darfst noch nicht gedul Willst du mir nicht ans dem Schuppen<lb/>
eine Harke holen? Wir wollen mal an die Spatzennester hier an der Hauswart.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_424"> Wo ist der Schuppen? fragte Anneli mißtrauisch.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_425"> Christel zog einen Schlüssel aus der Tasche und gab ihn ihr in die Hand.<lb/>
Dort, am Zaun, der alte Brctterschnppen, worin wir unsre Gartengeräte haben.<lb/>
Du siehst doch, daß ich hier bei deu Gästen bleiben muß, setzte sie flüsternd hinzu.<lb/>
Komm, Anneli, er mir den Gefallen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_426"> Anneli begann zu ahnen, daß irgend etwas gegen sie im Schilde geführt<lb/>
würde. Aber so schnell konnte sie sich nicht besinnen, und ungefällig wollte sie<lb/>
auch nicht sein. Sie ging also auf die alte Holzbaracke zu, die abseits unter den<lb/>
Bäumen hart an der kleinen Nebenstraße lag und einen unheimlichen Eindruck<lb/>
machte. Aber Anneli war nicht ängstlich. Wohl empfand sie es als unangenehm,<lb/>
daß die andern Mädchen plötzlich still wurden und ihr gespannt nachsähen. Doch<lb/>
die dummen Dinger taugten nichts, und Anneli wollte sich niemals mehr um sie<lb/>
bekümmern. Gegen Christel mußte sie immerhin gefällig sein, denn zu andern Zeiten<lb/>
war sie doch nett mit ihr gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_427"> Unter diesen Gedanken mühte sich Anneli ub, das Schloß des Schuppens zu<lb/>
öffnen. Es gelang bald; die Tür sprang auf, und eine schwere, sonderbare Luft tum<lb/>
ihr aus dem eingeschlossenen Raum entgegen. Ganz dunkel war er übrigens nicht;<lb/>
von oben her war ein Fenster in das Dach gelassen, und durch die Bretterwände<lb/>
kamen ebenfalls Lichtstreifen. Der graue Tag hatte sich wahrscheinlich entschlossen,<lb/>
der Sonne gegen Abend noch ein wenig Platz zu machen. Ein rosiger Schein<lb/>
kam gerade jetzt von oben her, und an der einen Wand, wo ganz breite Spalten<lb/>
waren, blitzte es auf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_428"> Langsam ging Anneli in das düstere Innere. Sie sah sich nach den Garten¬<lb/>
geräten um, aber es standen an den Wänden entlang nur rohgezimmerte Tische,<lb/>
auf denen etwas stand, und in der einen Ecke erhob sich eine dunkle Gestalt mit<lb/>
einem Hut auf dem Kopf und einem sonderbar sitzenden Rock.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_429"> Anneli schrie laut auf, wandte sich um und stürzte der Tür zu; sie war ge¬<lb/>
schlossen. Als sie daran rüttelte, kam es ihr vor, als hörte sie Schritte, die sich<lb/>
eilig entfernten, und ein Geräusch, das wie unterdrücktes Lachen klang. Es wurde<lb/>
ihr klar, daß sie eingeschlossen worden war. Die großen Mädchen hatten sich einen<lb/>
Spaß und ihr machen, und Rita Makler hatte sie wohl bestrafen wollen, weil sie<lb/>
etwas vom Begraben gesagt hatte und von der Hölle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_430" next="#ID_431"> Von der Hölle! Anneli lehnte noch immer um der Tür und starrte die schmutzigen<lb/>
dunkeln Bretter der Wand an. Ihre Haare sträubten sich, und sie wagte nicht,<lb/>
sich umzudrehn. Dorthin, wo der Mann stand und dem sonderbar sitzenden Rock,<lb/>
der auf seinem kahlen Totenschädel einen Hut trug, und dessen Beine nnr aus<lb/>
Knochen bestanden. Nein, sie wollte ihn nicht mehr ansehen, sondern hier stehn<lb/>
bleiben, bis die Befreiung kam. Denn Christel konnte doch nicht zugeben, daß<lb/>
sie immer hier blieb, bis die Nacht kam. Und wenn sie es tat, dann würde<lb/>
Anneli morgen tot sein und begraben werden müssen, hier auf dem Kirchhof am<lb/>
See, weit von dem Eckplatz in Virneburg, weit von Vater und Mutter. Doch für<lb/>
die Toten gab es keine Entfernung; wenn sie in das Paradies kam, würde ihr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Menschenfrühling Während Anneli noch immer im Garten umherstand, hier eine Blume be¬ trachtete, dort einen Stein aufnahm, den sie dann gleich wieder hinwarf, flüsterten die andern hastig miteinander, schrien ein wenig, lachten gleich wieder und kniffen sich gegenseitig in die Arme, als Christel, die einen Augenblick in das Hans ge¬ laufen war, jetzt mit lauter Stimme nach Anneli rief, Anneli, wo bleibst du? Gefällt es dir hier nicht? Die Gernfne trat langsam näher. Etwas wie Feindseligkeit wehte sie von den großen Mädchen an, und ihre Augen bekamen einen trotzigen Ausdruck. Ich möchte nach Hans, sagte sie. Jetzt schon? Aber dn mußt doch noch Pudding essen, den es erst nachher gibt. Nein, du darfst noch nicht gedul Willst du mir nicht ans dem Schuppen eine Harke holen? Wir wollen mal an die Spatzennester hier an der Hauswart. Wo ist der Schuppen? fragte Anneli mißtrauisch. Christel zog einen Schlüssel aus der Tasche und gab ihn ihr in die Hand. Dort, am Zaun, der alte Brctterschnppen, worin wir unsre Gartengeräte haben. Du siehst doch, daß ich hier bei deu Gästen bleiben muß, setzte sie flüsternd hinzu. Komm, Anneli, er mir den Gefallen. Anneli begann zu ahnen, daß irgend etwas gegen sie im Schilde geführt würde. Aber so schnell konnte sie sich nicht besinnen, und ungefällig wollte sie auch nicht sein. Sie ging also auf die alte Holzbaracke zu, die abseits unter den Bäumen hart an der kleinen Nebenstraße lag und einen unheimlichen Eindruck machte. Aber Anneli war nicht ängstlich. Wohl empfand sie es als unangenehm, daß die andern Mädchen plötzlich still wurden und ihr gespannt nachsähen. Doch die dummen Dinger taugten nichts, und Anneli wollte sich niemals mehr um sie bekümmern. Gegen Christel mußte sie immerhin gefällig sein, denn zu andern Zeiten war sie doch nett mit ihr gewesen. Unter diesen Gedanken mühte sich Anneli ub, das Schloß des Schuppens zu öffnen. Es gelang bald; die Tür sprang auf, und eine schwere, sonderbare Luft tum ihr aus dem eingeschlossenen Raum entgegen. Ganz dunkel war er übrigens nicht; von oben her war ein Fenster in das Dach gelassen, und durch die Bretterwände kamen ebenfalls Lichtstreifen. Der graue Tag hatte sich wahrscheinlich entschlossen, der Sonne gegen Abend noch ein wenig Platz zu machen. Ein rosiger Schein kam gerade jetzt von oben her, und an der einen Wand, wo ganz breite Spalten waren, blitzte es auf. Langsam ging Anneli in das düstere Innere. Sie sah sich nach den Garten¬ geräten um, aber es standen an den Wänden entlang nur rohgezimmerte Tische, auf denen etwas stand, und in der einen Ecke erhob sich eine dunkle Gestalt mit einem Hut auf dem Kopf und einem sonderbar sitzenden Rock. Anneli schrie laut auf, wandte sich um und stürzte der Tür zu; sie war ge¬ schlossen. Als sie daran rüttelte, kam es ihr vor, als hörte sie Schritte, die sich eilig entfernten, und ein Geräusch, das wie unterdrücktes Lachen klang. Es wurde ihr klar, daß sie eingeschlossen worden war. Die großen Mädchen hatten sich einen Spaß und ihr machen, und Rita Makler hatte sie wohl bestrafen wollen, weil sie etwas vom Begraben gesagt hatte und von der Hölle. Von der Hölle! Anneli lehnte noch immer um der Tür und starrte die schmutzigen dunkeln Bretter der Wand an. Ihre Haare sträubten sich, und sie wagte nicht, sich umzudrehn. Dorthin, wo der Mann stand und dem sonderbar sitzenden Rock, der auf seinem kahlen Totenschädel einen Hut trug, und dessen Beine nnr aus Knochen bestanden. Nein, sie wollte ihn nicht mehr ansehen, sondern hier stehn bleiben, bis die Befreiung kam. Denn Christel konnte doch nicht zugeben, daß sie immer hier blieb, bis die Nacht kam. Und wenn sie es tat, dann würde Anneli morgen tot sein und begraben werden müssen, hier auf dem Kirchhof am See, weit von dem Eckplatz in Virneburg, weit von Vater und Mutter. Doch für die Toten gab es keine Entfernung; wenn sie in das Paradies kam, würde ihr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299040/110>, abgerufen am 24.07.2024.