Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Berards Homerwerk Ägypten gäng und gäbe waren, und mit denen sich die zu langem Warten Odysseus fuhr von Ilion aus nach damaligem Brauch die Küste entlang Berards Homerwerk Ägypten gäng und gäbe waren, und mit denen sich die zu langem Warten Odysseus fuhr von Ilion aus nach damaligem Brauch die Küste entlang <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0088" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87565"/> <fw type="header" place="top"> Berards Homerwerk</fw><lb/> <p xml:id="ID_315" prev="#ID_314"> Ägypten gäng und gäbe waren, und mit denen sich die zu langem Warten<lb/> verurteilten Seeleute gern die Zeit vertrieben haben mögen. Die Ägypter waren<lb/> geschickte Erfinder amüsanter Geschichten, und das Zaubern wurde bei ihnen,<lb/> wie jedermann aus dem zweiten Buche Mosis weiß, als Kunst und als Wissen¬<lb/> schaft betrieben. Auch Pharaonen verlegten sich aufs Zaubern und vermochten<lb/> sogar Götter zu fesseln, was in der homerischen Fassung eines ägyptischen<lb/> Märchens Menelaus einem vergöttlichten Pharao gegenüber vermag. Und da<lb/> in den ägyptischen Fabeln Pharaonen als Beherrscher von Löwen, Katzen und<lb/> Ratten auftreten, warum sollte es nicht auch einen Robbenvater unter ihnen<lb/> gegeben haben? Besonders da Strabo im Roten Meere Robbeninseln kennt,<lb/> auf denen diese Seejungfern in rührender Freundschaft und Eintracht mit den<lb/> Menschen lebten. Weil diese gutmütigen und unbehilflichen Geschöpfe (ihren<lb/> homerischen Namen plioksl erklärt Berard aus dem Semitischen als die hinkenden<lb/> oder schwankenden) dem Menschen nichts zuleide tun, außer daß ihre Ausdünstung<lb/> die feine arische Nase beleidigt, so haben ihnen dort die Menschen auch nichts<lb/> getan, und jede der beiden Parteien hat das Jagd- oder vielmehr Fischereigebiet<lb/> der andern respektiert.</p><lb/> <p xml:id="ID_316"> Odysseus fuhr von Ilion aus nach damaligem Brauch die Küste entlang<lb/> und benutzte zunächst die günstige Gelegenheit zu einem Raubzuge gegen die<lb/> Kikonen. Die fruchtbare thrazische Ebne zwischen der Insel Thasos und der<lb/> Maritzamündung, die diese bewohnten, war äußerst einladend für Seeräuber, die<lb/> sich wohl hüteten, Einfälle an Küsten wie der cilicischen zu wagen, wo man<lb/> die wohlhabenden Bewohner erst hinter hohen Bergen gefunden hätte. Nur das<lb/> Nildelta war ein noch bequemeres und dabei viel ergiebigeres Ausbeutungs¬<lb/> gebiet, das denn auch in der Zeit des Niedergangs der ägyptischen Macht<lb/> fleißig heimgesucht wurde, wie eine der Inschriften von Karnak beweist. Der<lb/> Pharao Minephtha schilt da seine Paschas, daß sie vor den plündernden<lb/> Räubern wie Gänse zitterten, anstatt sie tapfer abzuwehren. Odysseus will in<lb/> der Lügengeschichte, die er XIV, 199 ff. dem Eumüus aufbindet, bei einem<lb/> solchen räuberischen Einfall in Ägypten sein Glück gemacht haben. Berard hebt<lb/> einen wesentlichen Unterschied zwischen den griechischen Abenteurerbanden und<lb/> den Piraten des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts hervor. Bei<lb/> diesen war der Kapitän der unumschränkte Herr. Ihm und seinem Leutnant<lb/> gehörte die Beute, und was er davon unter die Mannschaft verteilen wollte,<lb/> hing von seinem guten Willen ab. Die Mannschaft bestand nur zum kleinern<lb/> Teil aus wirklich Freiwilligen; die meisten Leute waren mit List oder Gewalt<lb/> gepreßt und wurden wie Sklaven behandelt. Eine altgriechische Bande dagegen<lb/> bestand aus gleichberechtigten Freiwilligen. Der Anführer oder Unternehmer<lb/> war nur xriinus mehr xg,rss, und bekam er bei der Benteteilung eine Doppel¬<lb/> portion, so wurde sie ihm in Anerkennung seiner Verdienste von der Mannschaft<lb/> freiwillig zugestanden. (Nach dem Abenteuer beim Zyklopen erhält Odysseus das<lb/> beste Stück, den Widder. IX, 547 bis 551.) Odysseus behandelt seine Mannen<lb/> als liebe Gefährten, hat beständig mit Opposition zu kämpfen und muß gute<lb/> Worte geben. Der Verdacht, er könne in dem von Äolos empfangner Schlauche<lb/> Gold und Silber bergen, wird den Widerspenstigen verhängnisvoll (X, 38 ff.).</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0088]
Berards Homerwerk
Ägypten gäng und gäbe waren, und mit denen sich die zu langem Warten
verurteilten Seeleute gern die Zeit vertrieben haben mögen. Die Ägypter waren
geschickte Erfinder amüsanter Geschichten, und das Zaubern wurde bei ihnen,
wie jedermann aus dem zweiten Buche Mosis weiß, als Kunst und als Wissen¬
schaft betrieben. Auch Pharaonen verlegten sich aufs Zaubern und vermochten
sogar Götter zu fesseln, was in der homerischen Fassung eines ägyptischen
Märchens Menelaus einem vergöttlichten Pharao gegenüber vermag. Und da
in den ägyptischen Fabeln Pharaonen als Beherrscher von Löwen, Katzen und
Ratten auftreten, warum sollte es nicht auch einen Robbenvater unter ihnen
gegeben haben? Besonders da Strabo im Roten Meere Robbeninseln kennt,
auf denen diese Seejungfern in rührender Freundschaft und Eintracht mit den
Menschen lebten. Weil diese gutmütigen und unbehilflichen Geschöpfe (ihren
homerischen Namen plioksl erklärt Berard aus dem Semitischen als die hinkenden
oder schwankenden) dem Menschen nichts zuleide tun, außer daß ihre Ausdünstung
die feine arische Nase beleidigt, so haben ihnen dort die Menschen auch nichts
getan, und jede der beiden Parteien hat das Jagd- oder vielmehr Fischereigebiet
der andern respektiert.
Odysseus fuhr von Ilion aus nach damaligem Brauch die Küste entlang
und benutzte zunächst die günstige Gelegenheit zu einem Raubzuge gegen die
Kikonen. Die fruchtbare thrazische Ebne zwischen der Insel Thasos und der
Maritzamündung, die diese bewohnten, war äußerst einladend für Seeräuber, die
sich wohl hüteten, Einfälle an Küsten wie der cilicischen zu wagen, wo man
die wohlhabenden Bewohner erst hinter hohen Bergen gefunden hätte. Nur das
Nildelta war ein noch bequemeres und dabei viel ergiebigeres Ausbeutungs¬
gebiet, das denn auch in der Zeit des Niedergangs der ägyptischen Macht
fleißig heimgesucht wurde, wie eine der Inschriften von Karnak beweist. Der
Pharao Minephtha schilt da seine Paschas, daß sie vor den plündernden
Räubern wie Gänse zitterten, anstatt sie tapfer abzuwehren. Odysseus will in
der Lügengeschichte, die er XIV, 199 ff. dem Eumüus aufbindet, bei einem
solchen räuberischen Einfall in Ägypten sein Glück gemacht haben. Berard hebt
einen wesentlichen Unterschied zwischen den griechischen Abenteurerbanden und
den Piraten des sechzehnten und des siebzehnten Jahrhunderts hervor. Bei
diesen war der Kapitän der unumschränkte Herr. Ihm und seinem Leutnant
gehörte die Beute, und was er davon unter die Mannschaft verteilen wollte,
hing von seinem guten Willen ab. Die Mannschaft bestand nur zum kleinern
Teil aus wirklich Freiwilligen; die meisten Leute waren mit List oder Gewalt
gepreßt und wurden wie Sklaven behandelt. Eine altgriechische Bande dagegen
bestand aus gleichberechtigten Freiwilligen. Der Anführer oder Unternehmer
war nur xriinus mehr xg,rss, und bekam er bei der Benteteilung eine Doppel¬
portion, so wurde sie ihm in Anerkennung seiner Verdienste von der Mannschaft
freiwillig zugestanden. (Nach dem Abenteuer beim Zyklopen erhält Odysseus das
beste Stück, den Widder. IX, 547 bis 551.) Odysseus behandelt seine Mannen
als liebe Gefährten, hat beständig mit Opposition zu kämpfen und muß gute
Worte geben. Der Verdacht, er könne in dem von Äolos empfangner Schlauche
Gold und Silber bergen, wird den Widerspenstigen verhängnisvoll (X, 38 ff.).
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