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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

schieht ganz recht, wenn Ihr auf die Straße gesetzt werdet. Ihr haltet es auch
mit dem Heinemann.

Gott soll mich bewahren, rief Alus, daß ich von dem auch nur einen Finger¬
nagel an Wert annehme.

Aber den Mund könnt Ihr nicht auftun, wenn man Euch fragt. Wann
war das, als die drei Sack Korn neben dem Ziehbrunnen auf dem Hofe ge¬
standen haben?

Das war -- ja das war am Sonnabend vor Johannis. Der Mond schien hell,
ich habe es deutlich gesehen. Die Marike und die Pauline haben es auch gesehen.

Ja ja ja, sagten die beiden Margells, wir haben es ganz deutlich gesehen.
Wir lagen in der Kiele und haben auch gesehen, wie der Inspektor seine Pfeife
rauchte und zum Fenster raus sah.

Und Ihr habt auch gesehen, wie die Säcke weggefahren wurden, und wer es
getan hat? fuhr die Tante fort.

Ja ja ja, Fräuleinchen, das ist der Burpel gewesen. Und die Marike sagte
gleich: Sieh mal, Pauline, so unverschämt könnte ich nicht mausen.

Noch wurde erörtert, daß der Inspektor die Scheune offen stehn lasse, und
daß sich jeder, der Lust habe, Stroh hole, und daß er zugesehen habe, wie man
volle Garben vom Felde weggetragen habe. Aber dieses ließ sich nicht so bestimmt
feststellen wie die Sackgeschichte. Ramborn brachte alles zu Papier, ließ die Proto¬
kolle unterschreiben, und es wurde verabredet, daß die Schriften sogleich an den
Advokaten nach N. geschickt werden sollten, und daß beantragt werden solle, die
Nichtigkeit des Kontrakts wegen Untreue auszusprechen.

Diese Vernehmungen hatten sich bis in den Nachmittag hineingezogen. Nun
machten Ramborn und Tauenden noch einen Gang durch die Ställe und über die
Felder. Die Ställe waren leer, da das Vieh auf der Weide lag. Um so deut¬
licher war zu erkennen, wie nötig sie es hatten, neu gepflastert zu werden. Die
Felder bildeten ein großes Areal, aber sie lagen in endlos langen krummen Streifen
gemischt mit denen andrer Besitzer. Eine Separation war dringendes Bedürfnis,
aber davon wollte kein Mensch etwas wissen. Der Boden war gut und würde
noch besser gewesen sein, wenn man die moorigen Stellen mit den sandigen aus¬
gebessert hätte. Aber das kostete viel Geld. Hätte das preußische Schlößchen in
einer westlichen Provinz gelegen, so würde es ein wertvoller Besitz gewesen sein.
Man würde es dort auch in andrer Weise bewirtschaftet haben, als es hier geschah.
Die Bewirtschaftung war gänzlich veraltet. Billig in der Ausgabe, aber auch
gering in der Einnahme, keine Spur von dem intensiven Betriebe, ohne den es
heutzutage nicht mehr geht. Es war möglich, das Gut einträglich zu machen,
wenn es in eine feste Hand kam, und wenn es möglich war, die landesübliche
Schlumperei und Dieberei zu beseitigen. Tauenden war derselben Meinung und
zeigte, wie die dem Gute eigentümlichen Hilfsquellen erschlossen werden könnten,
wie man aus dem Verkaufe vou Möweneiern tausend Mark gewinnen könnte, wenn
die Sache kaufmännisch angefangen würde, wieviel eine rationelle Viehzucht ein¬
bringen würde, wenn man sich von dem Zwischenhandel der jüdischen Viehhändler
freimachen könnte, und daß man den besten Weizen ernten würde, wenn man die
sumpfigen Niederungen trocken legte.

Als sich Ramborn in herzlicher Weise wie von alten Bekannten verabschiedet,
den kleinen Wolf, der an ihm hing, als ob er sein Vater wäre, in die Höhe ge¬
nommen und geküßt hatte und auf dem Rückwege war, sagte er zu sich selbst
nachdenklich und verwundert: Das sind ja nette Sachen! Ich komme hierher, um
die Fäden zu lösen und mein Kapital herauszuziehn, und bin auf dem besten Wege,
mich selbst festzufahren. Aber sein ritterlicher Sinn gebot ihm, ohne Besinnen für
die Damen Partei zu nehmen gegen das Schokalgesindel, von dem sie umgeben
waren, ganz gleichgiltig, ob die Mary, seine Base und einstmalige Flamme, und
Tauenden ein Juwel sei, und ob es sich um sein eignes Geld handle oder nicht.


Grenzboten I 1905 96
Herrenmenschen

schieht ganz recht, wenn Ihr auf die Straße gesetzt werdet. Ihr haltet es auch
mit dem Heinemann.

Gott soll mich bewahren, rief Alus, daß ich von dem auch nur einen Finger¬
nagel an Wert annehme.

Aber den Mund könnt Ihr nicht auftun, wenn man Euch fragt. Wann
war das, als die drei Sack Korn neben dem Ziehbrunnen auf dem Hofe ge¬
standen haben?

Das war — ja das war am Sonnabend vor Johannis. Der Mond schien hell,
ich habe es deutlich gesehen. Die Marike und die Pauline haben es auch gesehen.

Ja ja ja, sagten die beiden Margells, wir haben es ganz deutlich gesehen.
Wir lagen in der Kiele und haben auch gesehen, wie der Inspektor seine Pfeife
rauchte und zum Fenster raus sah.

Und Ihr habt auch gesehen, wie die Säcke weggefahren wurden, und wer es
getan hat? fuhr die Tante fort.

Ja ja ja, Fräuleinchen, das ist der Burpel gewesen. Und die Marike sagte
gleich: Sieh mal, Pauline, so unverschämt könnte ich nicht mausen.

Noch wurde erörtert, daß der Inspektor die Scheune offen stehn lasse, und
daß sich jeder, der Lust habe, Stroh hole, und daß er zugesehen habe, wie man
volle Garben vom Felde weggetragen habe. Aber dieses ließ sich nicht so bestimmt
feststellen wie die Sackgeschichte. Ramborn brachte alles zu Papier, ließ die Proto¬
kolle unterschreiben, und es wurde verabredet, daß die Schriften sogleich an den
Advokaten nach N. geschickt werden sollten, und daß beantragt werden solle, die
Nichtigkeit des Kontrakts wegen Untreue auszusprechen.

Diese Vernehmungen hatten sich bis in den Nachmittag hineingezogen. Nun
machten Ramborn und Tauenden noch einen Gang durch die Ställe und über die
Felder. Die Ställe waren leer, da das Vieh auf der Weide lag. Um so deut¬
licher war zu erkennen, wie nötig sie es hatten, neu gepflastert zu werden. Die
Felder bildeten ein großes Areal, aber sie lagen in endlos langen krummen Streifen
gemischt mit denen andrer Besitzer. Eine Separation war dringendes Bedürfnis,
aber davon wollte kein Mensch etwas wissen. Der Boden war gut und würde
noch besser gewesen sein, wenn man die moorigen Stellen mit den sandigen aus¬
gebessert hätte. Aber das kostete viel Geld. Hätte das preußische Schlößchen in
einer westlichen Provinz gelegen, so würde es ein wertvoller Besitz gewesen sein.
Man würde es dort auch in andrer Weise bewirtschaftet haben, als es hier geschah.
Die Bewirtschaftung war gänzlich veraltet. Billig in der Ausgabe, aber auch
gering in der Einnahme, keine Spur von dem intensiven Betriebe, ohne den es
heutzutage nicht mehr geht. Es war möglich, das Gut einträglich zu machen,
wenn es in eine feste Hand kam, und wenn es möglich war, die landesübliche
Schlumperei und Dieberei zu beseitigen. Tauenden war derselben Meinung und
zeigte, wie die dem Gute eigentümlichen Hilfsquellen erschlossen werden könnten,
wie man aus dem Verkaufe vou Möweneiern tausend Mark gewinnen könnte, wenn
die Sache kaufmännisch angefangen würde, wieviel eine rationelle Viehzucht ein¬
bringen würde, wenn man sich von dem Zwischenhandel der jüdischen Viehhändler
freimachen könnte, und daß man den besten Weizen ernten würde, wenn man die
sumpfigen Niederungen trocken legte.

Als sich Ramborn in herzlicher Weise wie von alten Bekannten verabschiedet,
den kleinen Wolf, der an ihm hing, als ob er sein Vater wäre, in die Höhe ge¬
nommen und geküßt hatte und auf dem Rückwege war, sagte er zu sich selbst
nachdenklich und verwundert: Das sind ja nette Sachen! Ich komme hierher, um
die Fäden zu lösen und mein Kapital herauszuziehn, und bin auf dem besten Wege,
mich selbst festzufahren. Aber sein ritterlicher Sinn gebot ihm, ohne Besinnen für
die Damen Partei zu nehmen gegen das Schokalgesindel, von dem sie umgeben
waren, ganz gleichgiltig, ob die Mary, seine Base und einstmalige Flamme, und
Tauenden ein Juwel sei, und ob es sich um sein eignes Geld handle oder nicht.


Grenzboten I 1905 96
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[0745] Herrenmenschen schieht ganz recht, wenn Ihr auf die Straße gesetzt werdet. Ihr haltet es auch mit dem Heinemann. Gott soll mich bewahren, rief Alus, daß ich von dem auch nur einen Finger¬ nagel an Wert annehme. Aber den Mund könnt Ihr nicht auftun, wenn man Euch fragt. Wann war das, als die drei Sack Korn neben dem Ziehbrunnen auf dem Hofe ge¬ standen haben? Das war — ja das war am Sonnabend vor Johannis. Der Mond schien hell, ich habe es deutlich gesehen. Die Marike und die Pauline haben es auch gesehen. Ja ja ja, sagten die beiden Margells, wir haben es ganz deutlich gesehen. Wir lagen in der Kiele und haben auch gesehen, wie der Inspektor seine Pfeife rauchte und zum Fenster raus sah. Und Ihr habt auch gesehen, wie die Säcke weggefahren wurden, und wer es getan hat? fuhr die Tante fort. Ja ja ja, Fräuleinchen, das ist der Burpel gewesen. Und die Marike sagte gleich: Sieh mal, Pauline, so unverschämt könnte ich nicht mausen. Noch wurde erörtert, daß der Inspektor die Scheune offen stehn lasse, und daß sich jeder, der Lust habe, Stroh hole, und daß er zugesehen habe, wie man volle Garben vom Felde weggetragen habe. Aber dieses ließ sich nicht so bestimmt feststellen wie die Sackgeschichte. Ramborn brachte alles zu Papier, ließ die Proto¬ kolle unterschreiben, und es wurde verabredet, daß die Schriften sogleich an den Advokaten nach N. geschickt werden sollten, und daß beantragt werden solle, die Nichtigkeit des Kontrakts wegen Untreue auszusprechen. Diese Vernehmungen hatten sich bis in den Nachmittag hineingezogen. Nun machten Ramborn und Tauenden noch einen Gang durch die Ställe und über die Felder. Die Ställe waren leer, da das Vieh auf der Weide lag. Um so deut¬ licher war zu erkennen, wie nötig sie es hatten, neu gepflastert zu werden. Die Felder bildeten ein großes Areal, aber sie lagen in endlos langen krummen Streifen gemischt mit denen andrer Besitzer. Eine Separation war dringendes Bedürfnis, aber davon wollte kein Mensch etwas wissen. Der Boden war gut und würde noch besser gewesen sein, wenn man die moorigen Stellen mit den sandigen aus¬ gebessert hätte. Aber das kostete viel Geld. Hätte das preußische Schlößchen in einer westlichen Provinz gelegen, so würde es ein wertvoller Besitz gewesen sein. Man würde es dort auch in andrer Weise bewirtschaftet haben, als es hier geschah. Die Bewirtschaftung war gänzlich veraltet. Billig in der Ausgabe, aber auch gering in der Einnahme, keine Spur von dem intensiven Betriebe, ohne den es heutzutage nicht mehr geht. Es war möglich, das Gut einträglich zu machen, wenn es in eine feste Hand kam, und wenn es möglich war, die landesübliche Schlumperei und Dieberei zu beseitigen. Tauenden war derselben Meinung und zeigte, wie die dem Gute eigentümlichen Hilfsquellen erschlossen werden könnten, wie man aus dem Verkaufe vou Möweneiern tausend Mark gewinnen könnte, wenn die Sache kaufmännisch angefangen würde, wieviel eine rationelle Viehzucht ein¬ bringen würde, wenn man sich von dem Zwischenhandel der jüdischen Viehhändler freimachen könnte, und daß man den besten Weizen ernten würde, wenn man die sumpfigen Niederungen trocken legte. Als sich Ramborn in herzlicher Weise wie von alten Bekannten verabschiedet, den kleinen Wolf, der an ihm hing, als ob er sein Vater wäre, in die Höhe ge¬ nommen und geküßt hatte und auf dem Rückwege war, sagte er zu sich selbst nachdenklich und verwundert: Das sind ja nette Sachen! Ich komme hierher, um die Fäden zu lösen und mein Kapital herauszuziehn, und bin auf dem besten Wege, mich selbst festzufahren. Aber sein ritterlicher Sinn gebot ihm, ohne Besinnen für die Damen Partei zu nehmen gegen das Schokalgesindel, von dem sie umgeben waren, ganz gleichgiltig, ob die Mary, seine Base und einstmalige Flamme, und Tauenden ein Juwel sei, und ob es sich um sein eignes Geld handle oder nicht. Grenzboten I 1905 96

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/745>, abgerufen am 23.12.2024.