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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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An Zommerritt auf den Pik von Teneriffa

nicht mehr allzu fern sein, da sich auf einmal Knaben mit gesammelten Reisig
einfanden. Es war schon zwei Uhr vorbei, also wohl Zeit zu einer Rast, wenn
man nicht etwa binnen kurzem die Talsohle erreichen konnte. Ich war geneigt,
dieses anzunehmen, weil wir schon so lange und so scharf bergab gestiegen waren
nud die Einzelheiten im Tale drunten schon recht gut unterscheiden konnten.
Aber die Steilheit des Abhangs täuschte über die Höhe: unser Höhenmesser
zeigte noch -- fast viertausend Fuß! Auch Ignacio stellte uns noch einen
zweieinhalbstündigen Ritt in Aussicht, und so wurde denn also Rast gemacht.
Wie eine Picknickgesellschaft lagerten wir uns auf dem grünen Rasen und
breiteten die uns verblichnen Schätze unsers schier unerschöpflichen Vorrath um
uns aus, wobei auch unsre Leute und die neugierig zuschauenden Buben nicht
zu kurz kamen; diese quittierten dankend mit dem Rufe Viva 1a rspuMog, as
^Ismanig,! (Es lebe die deutsche Republik!) und einigen Purzelbäumen. Mit
Wasser zum Wein versorgte uns reichlich die Quellnymphe der Puenw?säro,
die als reinlich und gesund einen guten Leumund in der Gegend genießt. So
durften wir wohl ein halbes Stündchen guter Dinge sein, zumal da wir auf
ein gutgelungnes Werk zurückblicken konnten.

Gegen drei Uhr ritten wir weiter, das heißt ich vorläufig noch immer auf
Schusters Rappen, und zu mir gesellte sich jetzt noch einer der Hamburger
Herren, der auch auf dem Rücken seines Maultieres ein Haar gefunden zu
haben schien. Der Weg trat nach kurzer Zeit aus dein Busche heraus und zog
sich durch abgemähte Weizenfelder und eine Art von groben Saubohnen. Die
ständigen Wegebegleiter, Kaktus und Agaven, fanden sich wieder ein, bald zeigten
sich auch die ersten Häuser. Wir befanden uns aber noch immer auf der Latern,
und an Schroffen und Klüften um uns herum fehlte es nicht; auch blieb der
Weg recht abschüssig. Schließlich wurde das erste Dorf erreicht -- looä el
^.Jto --, und hier entschlossen wir uns, da unsre Füße den scharfen Steinen
auf die Dauer doch nicht gewachsen waren, wieder aufzusteigen; auch wähnten
wir, daß nun das steile Gefälle in der Hauptsache vorüber sein müßte.

Hierin freilich irrten wir gründlich. Das erwähnte Dorf liegt nämlich
noch 1600 Fuß über dem Meere, genau am untern Ende des Kammes der
Latern, die hinter ihm ohne weitere Beschönigungen senkrecht zum Strande ab¬
stürzt; so muß der Weg ins Tal von Orotava sich an der Seitenwand einen
Platz suchen, so gut er kann. Besonders gut kann er dies anscheinend nicht,
denn er schlingt sich um den Fels wie ein sogenanntes "Band" im Gestein,
zum Gehn allerdings ohne Bedenken -- aber zum Reiten! Ein Fehltritt, ein
scheuen des Tieres kann Roß und Reiter zum Niemalswiedersehen verdammen.
Und mein müdes Tier stolperte mehrmals und brach einmal fast in die Knie.
Die steilsten Stellen waren mit Kopfsteinen gepflastert, üppige Ranken mit
Blumen und Beeren hingen überall von der Felswand herab, und drunten
breitete sich ein so entzückendes Bild eines Gartens Eden auf Erden aus, daß
man schier zwischen Himmel und Hölle zu schweben glaubte -- nur war die
Hölle oben und der Himniel unten! Es war schwer, hier die richtige Stimmung
zu finden, da Entzücken und Besorgnis sich schlecht vertragen, und ich beneidete
fast mein Mull, das beim Hinabstolpern immer noch Zeit fand, zu rupfen und


An Zommerritt auf den Pik von Teneriffa

nicht mehr allzu fern sein, da sich auf einmal Knaben mit gesammelten Reisig
einfanden. Es war schon zwei Uhr vorbei, also wohl Zeit zu einer Rast, wenn
man nicht etwa binnen kurzem die Talsohle erreichen konnte. Ich war geneigt,
dieses anzunehmen, weil wir schon so lange und so scharf bergab gestiegen waren
nud die Einzelheiten im Tale drunten schon recht gut unterscheiden konnten.
Aber die Steilheit des Abhangs täuschte über die Höhe: unser Höhenmesser
zeigte noch — fast viertausend Fuß! Auch Ignacio stellte uns noch einen
zweieinhalbstündigen Ritt in Aussicht, und so wurde denn also Rast gemacht.
Wie eine Picknickgesellschaft lagerten wir uns auf dem grünen Rasen und
breiteten die uns verblichnen Schätze unsers schier unerschöpflichen Vorrath um
uns aus, wobei auch unsre Leute und die neugierig zuschauenden Buben nicht
zu kurz kamen; diese quittierten dankend mit dem Rufe Viva 1a rspuMog, as
^Ismanig,! (Es lebe die deutsche Republik!) und einigen Purzelbäumen. Mit
Wasser zum Wein versorgte uns reichlich die Quellnymphe der Puenw?säro,
die als reinlich und gesund einen guten Leumund in der Gegend genießt. So
durften wir wohl ein halbes Stündchen guter Dinge sein, zumal da wir auf
ein gutgelungnes Werk zurückblicken konnten.

Gegen drei Uhr ritten wir weiter, das heißt ich vorläufig noch immer auf
Schusters Rappen, und zu mir gesellte sich jetzt noch einer der Hamburger
Herren, der auch auf dem Rücken seines Maultieres ein Haar gefunden zu
haben schien. Der Weg trat nach kurzer Zeit aus dein Busche heraus und zog
sich durch abgemähte Weizenfelder und eine Art von groben Saubohnen. Die
ständigen Wegebegleiter, Kaktus und Agaven, fanden sich wieder ein, bald zeigten
sich auch die ersten Häuser. Wir befanden uns aber noch immer auf der Latern,
und an Schroffen und Klüften um uns herum fehlte es nicht; auch blieb der
Weg recht abschüssig. Schließlich wurde das erste Dorf erreicht — looä el
^.Jto —, und hier entschlossen wir uns, da unsre Füße den scharfen Steinen
auf die Dauer doch nicht gewachsen waren, wieder aufzusteigen; auch wähnten
wir, daß nun das steile Gefälle in der Hauptsache vorüber sein müßte.

Hierin freilich irrten wir gründlich. Das erwähnte Dorf liegt nämlich
noch 1600 Fuß über dem Meere, genau am untern Ende des Kammes der
Latern, die hinter ihm ohne weitere Beschönigungen senkrecht zum Strande ab¬
stürzt; so muß der Weg ins Tal von Orotava sich an der Seitenwand einen
Platz suchen, so gut er kann. Besonders gut kann er dies anscheinend nicht,
denn er schlingt sich um den Fels wie ein sogenanntes „Band" im Gestein,
zum Gehn allerdings ohne Bedenken — aber zum Reiten! Ein Fehltritt, ein
scheuen des Tieres kann Roß und Reiter zum Niemalswiedersehen verdammen.
Und mein müdes Tier stolperte mehrmals und brach einmal fast in die Knie.
Die steilsten Stellen waren mit Kopfsteinen gepflastert, üppige Ranken mit
Blumen und Beeren hingen überall von der Felswand herab, und drunten
breitete sich ein so entzückendes Bild eines Gartens Eden auf Erden aus, daß
man schier zwischen Himmel und Hölle zu schweben glaubte — nur war die
Hölle oben und der Himniel unten! Es war schwer, hier die richtige Stimmung
zu finden, da Entzücken und Besorgnis sich schlecht vertragen, und ich beneidete
fast mein Mull, das beim Hinabstolpern immer noch Zeit fand, zu rupfen und


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[0735] An Zommerritt auf den Pik von Teneriffa nicht mehr allzu fern sein, da sich auf einmal Knaben mit gesammelten Reisig einfanden. Es war schon zwei Uhr vorbei, also wohl Zeit zu einer Rast, wenn man nicht etwa binnen kurzem die Talsohle erreichen konnte. Ich war geneigt, dieses anzunehmen, weil wir schon so lange und so scharf bergab gestiegen waren nud die Einzelheiten im Tale drunten schon recht gut unterscheiden konnten. Aber die Steilheit des Abhangs täuschte über die Höhe: unser Höhenmesser zeigte noch — fast viertausend Fuß! Auch Ignacio stellte uns noch einen zweieinhalbstündigen Ritt in Aussicht, und so wurde denn also Rast gemacht. Wie eine Picknickgesellschaft lagerten wir uns auf dem grünen Rasen und breiteten die uns verblichnen Schätze unsers schier unerschöpflichen Vorrath um uns aus, wobei auch unsre Leute und die neugierig zuschauenden Buben nicht zu kurz kamen; diese quittierten dankend mit dem Rufe Viva 1a rspuMog, as ^Ismanig,! (Es lebe die deutsche Republik!) und einigen Purzelbäumen. Mit Wasser zum Wein versorgte uns reichlich die Quellnymphe der Puenw?säro, die als reinlich und gesund einen guten Leumund in der Gegend genießt. So durften wir wohl ein halbes Stündchen guter Dinge sein, zumal da wir auf ein gutgelungnes Werk zurückblicken konnten. Gegen drei Uhr ritten wir weiter, das heißt ich vorläufig noch immer auf Schusters Rappen, und zu mir gesellte sich jetzt noch einer der Hamburger Herren, der auch auf dem Rücken seines Maultieres ein Haar gefunden zu haben schien. Der Weg trat nach kurzer Zeit aus dein Busche heraus und zog sich durch abgemähte Weizenfelder und eine Art von groben Saubohnen. Die ständigen Wegebegleiter, Kaktus und Agaven, fanden sich wieder ein, bald zeigten sich auch die ersten Häuser. Wir befanden uns aber noch immer auf der Latern, und an Schroffen und Klüften um uns herum fehlte es nicht; auch blieb der Weg recht abschüssig. Schließlich wurde das erste Dorf erreicht — looä el ^.Jto —, und hier entschlossen wir uns, da unsre Füße den scharfen Steinen auf die Dauer doch nicht gewachsen waren, wieder aufzusteigen; auch wähnten wir, daß nun das steile Gefälle in der Hauptsache vorüber sein müßte. Hierin freilich irrten wir gründlich. Das erwähnte Dorf liegt nämlich noch 1600 Fuß über dem Meere, genau am untern Ende des Kammes der Latern, die hinter ihm ohne weitere Beschönigungen senkrecht zum Strande ab¬ stürzt; so muß der Weg ins Tal von Orotava sich an der Seitenwand einen Platz suchen, so gut er kann. Besonders gut kann er dies anscheinend nicht, denn er schlingt sich um den Fels wie ein sogenanntes „Band" im Gestein, zum Gehn allerdings ohne Bedenken — aber zum Reiten! Ein Fehltritt, ein scheuen des Tieres kann Roß und Reiter zum Niemalswiedersehen verdammen. Und mein müdes Tier stolperte mehrmals und brach einmal fast in die Knie. Die steilsten Stellen waren mit Kopfsteinen gepflastert, üppige Ranken mit Blumen und Beeren hingen überall von der Felswand herab, und drunten breitete sich ein so entzückendes Bild eines Gartens Eden auf Erden aus, daß man schier zwischen Himmel und Hölle zu schweben glaubte — nur war die Hölle oben und der Himniel unten! Es war schwer, hier die richtige Stimmung zu finden, da Entzücken und Besorgnis sich schlecht vertragen, und ich beneidete fast mein Mull, das beim Hinabstolpern immer noch Zeit fand, zu rupfen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/735>, abgerufen am 23.12.2024.