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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Blücher und Bismarck

so sichtbarer Ehrerbietung auf den Schultern zu tragen verstünden." Sehr er¬
klärlich, daß die auf solche Weise tödlich verletzte Eitelkeit ihm weder die Gabe, auf
dem Grunde der Seele zu lesen, noch seine Offenheit jemals verzeihen wollte.
Koeble jedoch der Zorn in ihm, und es kam zu gewaltsam elementarem Aus¬
bruch, so erfolgte wohl eine unheilschwangre Szene wie die, als Laster ihn be¬
schuldigt hatte, er wolle sich mit seiner Verantwortlichkeit hinter dem Thron
verstecken. Da war er ganz und gar der berserkerhafte Niedersachse. Sonst ließ
er in Abwehr oder Angriff seine scharfen Erwiderungen und Ausfälle wie
Peitschenhiebe auf boshafte Gegner niedersausen.

Blüchers Beredsamkeit ist gemeinhin nur als eine volkstümliche bekannt.
Wohl wußte er wie keiner durch den Lapidarstil seiner Anreden und Zurufe
die Truppen zu begeistern, fortzureißen, oder wie bei den unerhörten An¬
strengungen auf dem Marsche zur Schlacht von Belle-Alliance den letzten Rest
menschlicher Willenskraft aus ihnen herauszuholen. Sie hatten ihm zugerufen:
"Et geiht nich mehr, Vatter Blücher; wat mal to veel is, is to veel!" --
"Tausend Donnerwetter! -- gab er zur Antwort -- es muß aber gehen,
Kinder; fürchtet ihr euch vor dem bißchen Dreck? Ich habe es doch dem
Wellington versprochen zu kommen, und ihr wollt doch nicht, daß ich wort¬
brüchig werde, ein Hundsfott, ein "Deplomatiquer", he, was?" -- "Nee nee,
tut Wüllen wi nich!" -- "Na, also." -- Nun schleppten sie sich ächzend weiter,
diese prächtigen Leute der Mark, durch den Lehm, worin sie mit jedem Schritte
bis über die Knöchel versanken, übernächtig, durchnäßt bis auf die Haut, mit
einem Kotüberzuge bedeckt und hungrig. Und sie siegten! -- Nur er durfte dem
"galligen" Jork den Standpunkt als Untergebner so klar machen, wie er es
tat; kein andrer hätte es gewagt, gegenüber einem hochverdienten, aber von Hä¬
morrhoiden, Gelehrsamkeit und des Gedankens Blässe häufig angekränkelten
General aus der Umgebung des Königs seiner Meinung über dessen Abneigung,
den Krieg nach Frankreich hinein zu tragen, so derben Ausdruck zu geben, wie es
geschehn ist. -- Auch seine kurzen, jedesmal den Nagel auf den Kopf treffenden
Toaste sind bekannt. Weniger wohl die geradezu glänzende Beredsamkeit, die er
bei besondern oder bei feierlichen Gelegenheiten entwickelte. Dann atmete seine
Rede bei klarem Gedankengange hohen, ja dichterischen Schwung; die Diktion
ist, von seinen grundsätzlichen Kasusentgleisungen abgesehen, tadellos, die Form
vollendet, der Aufbau logisch, und dabei hielt er seine Rede immer aus dem
Stegreif. Ein Beispiel dafür ist seine große Rede an die Vertreter von Nancy
im Januar 1814; ein weiteres die Tischrede bei dem von den höhern Offizieren
des Jorkischen Korps in Wiesbaden gegebnen Souper, woran der König, die
Prinzen und das diplomatische Korps teilnahmen. Zum erstenmal hatte der
Alte eine Rede schriftlich ausarbeiten zu müssen geglaubt und mit großer
Mühe unter seines Adjutanten Nostiz Beihilfe wacker auswendig gelernt.
Dieser sollte ihm dann, das Konzept in der Hand und hinter seinem Stuhle
stehend, nötigenfalls einhelfen. Die Rede rief stürmischen Jubel hervor; er
hatte meisterhaft gesprochen, ganz in der oben geschilderten Weise und ohne
Nostizens Nachhilfe. Auf seine Frage, wie es gegangen sei, mußte ihm dieser
der Wahrheit gemäß versichern, daß er von Anfang bis zu Ende eine völlig
andre Rede gehalten habe, was der Alte aber nicht glauben wollte.


Blücher und Bismarck

so sichtbarer Ehrerbietung auf den Schultern zu tragen verstünden." Sehr er¬
klärlich, daß die auf solche Weise tödlich verletzte Eitelkeit ihm weder die Gabe, auf
dem Grunde der Seele zu lesen, noch seine Offenheit jemals verzeihen wollte.
Koeble jedoch der Zorn in ihm, und es kam zu gewaltsam elementarem Aus¬
bruch, so erfolgte wohl eine unheilschwangre Szene wie die, als Laster ihn be¬
schuldigt hatte, er wolle sich mit seiner Verantwortlichkeit hinter dem Thron
verstecken. Da war er ganz und gar der berserkerhafte Niedersachse. Sonst ließ
er in Abwehr oder Angriff seine scharfen Erwiderungen und Ausfälle wie
Peitschenhiebe auf boshafte Gegner niedersausen.

Blüchers Beredsamkeit ist gemeinhin nur als eine volkstümliche bekannt.
Wohl wußte er wie keiner durch den Lapidarstil seiner Anreden und Zurufe
die Truppen zu begeistern, fortzureißen, oder wie bei den unerhörten An¬
strengungen auf dem Marsche zur Schlacht von Belle-Alliance den letzten Rest
menschlicher Willenskraft aus ihnen herauszuholen. Sie hatten ihm zugerufen:
„Et geiht nich mehr, Vatter Blücher; wat mal to veel is, is to veel!" —
„Tausend Donnerwetter! — gab er zur Antwort — es muß aber gehen,
Kinder; fürchtet ihr euch vor dem bißchen Dreck? Ich habe es doch dem
Wellington versprochen zu kommen, und ihr wollt doch nicht, daß ich wort¬
brüchig werde, ein Hundsfott, ein »Deplomatiquer«, he, was?" — „Nee nee,
tut Wüllen wi nich!" — „Na, also." — Nun schleppten sie sich ächzend weiter,
diese prächtigen Leute der Mark, durch den Lehm, worin sie mit jedem Schritte
bis über die Knöchel versanken, übernächtig, durchnäßt bis auf die Haut, mit
einem Kotüberzuge bedeckt und hungrig. Und sie siegten! — Nur er durfte dem
„galligen" Jork den Standpunkt als Untergebner so klar machen, wie er es
tat; kein andrer hätte es gewagt, gegenüber einem hochverdienten, aber von Hä¬
morrhoiden, Gelehrsamkeit und des Gedankens Blässe häufig angekränkelten
General aus der Umgebung des Königs seiner Meinung über dessen Abneigung,
den Krieg nach Frankreich hinein zu tragen, so derben Ausdruck zu geben, wie es
geschehn ist. — Auch seine kurzen, jedesmal den Nagel auf den Kopf treffenden
Toaste sind bekannt. Weniger wohl die geradezu glänzende Beredsamkeit, die er
bei besondern oder bei feierlichen Gelegenheiten entwickelte. Dann atmete seine
Rede bei klarem Gedankengange hohen, ja dichterischen Schwung; die Diktion
ist, von seinen grundsätzlichen Kasusentgleisungen abgesehen, tadellos, die Form
vollendet, der Aufbau logisch, und dabei hielt er seine Rede immer aus dem
Stegreif. Ein Beispiel dafür ist seine große Rede an die Vertreter von Nancy
im Januar 1814; ein weiteres die Tischrede bei dem von den höhern Offizieren
des Jorkischen Korps in Wiesbaden gegebnen Souper, woran der König, die
Prinzen und das diplomatische Korps teilnahmen. Zum erstenmal hatte der
Alte eine Rede schriftlich ausarbeiten zu müssen geglaubt und mit großer
Mühe unter seines Adjutanten Nostiz Beihilfe wacker auswendig gelernt.
Dieser sollte ihm dann, das Konzept in der Hand und hinter seinem Stuhle
stehend, nötigenfalls einhelfen. Die Rede rief stürmischen Jubel hervor; er
hatte meisterhaft gesprochen, ganz in der oben geschilderten Weise und ohne
Nostizens Nachhilfe. Auf seine Frage, wie es gegangen sei, mußte ihm dieser
der Wahrheit gemäß versichern, daß er von Anfang bis zu Ende eine völlig
andre Rede gehalten habe, was der Alte aber nicht glauben wollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/722>, abgerufen am 23.12.2024.