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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Reichstag und Verfassung

Im Osten harrt dem Deutschtum noch eine große -- vielleicht seine größte --
Aufgabe, Was nützt Deutschland die Sicherung seiner Grenze im Westen, was
nutzen ihm seine Kolonien, was seine aufstrebende Seemacht, wenn es im Osten
immer mehr zurückgedrängt wird und dort das an Besitz und Macht verliert,
was es an andern Stellen vielleicht gewinnt? Deutschlands östliche Grenze gleicht
einer Küste, deren Ufer slawische, besonders polnische und tschechische Hochfluten
unausgesetzt tosend umbranden, jahraus jahrein ganze Stücke davon abbröckeln
und in das slawische Völkermeer hiuabziehn. Wie außerordentlich gefährdet
hierdurch unsre Ostgrenze ist, wird im allgemeinen in Deutschland noch viel zu
wenig gewürdigt. Als bester Schutz gegen diese slawische Hochflut hat sich von
jeher ein großer, breiter, fester Damm deutscher Bauernkolonien mit deutschen
Stotter erwiesen. Solche Kolonien müssen mit aller Energie und so schnell
wie möglich geschaffen werden, nicht nur in Westpreußen und in Posen, auch in
andern bedrohten Gegenden, besonders in Ostpreußen, in Hinterpommern und in
Oberschlesien. Zu diesem Zwecke muß das Interesse der weitesten Kreise Deutsch¬
lands für die innere Kolonisation geweckt und unausgesetzt gefördert werden.

"Ich halte die Ostmarkenfragc, sagte Graf Bülow in seiner großen Polen¬
rede vom 13. Januar 1902, nicht nur für eine der wichtigsten Fragen unsrer
Politik, sondern geradezu für diejenige Frage, von deren Entwicklung die nächste
Zukunft unsers Vaterlandes abhängt. Die Ostmark ist mit preußischem Blute
getränkt; da sind wir, da bleiben wir, ob es andern Leuten unangenehm ist
oder nicht." Und in seiner Rede auf dem diesjährigen Festmahl des Deutschen
Landwirtschaftsrats am 9. Februar in Berlin sagte Graf Bülow u. a.: "Auf
vielen andern Gebieten wartet unser noch reichliche Arbeit für die Landwirt¬
schaft. . .. Ich will nur erinnern an die überaus wichtige innere Kolonisation,
für die ich mich besonders interessiere, und die ich planmäßig in Angriff ge¬
nommen und durchgeführt zu sehen wünsche."

Erst wenn dieses Interesse an der innern Kolonisation die weitesten Kreise
Preußens und Deutschlands ergriffen hat und sich in einer Kolonisation des
Ostens betätigt, die der großen, bewundernswerter Kolonisationspolitik und
Kvlonisationstätigkeit Friedrichs des Großen nacheifert, kann Deutschland auch
in bezug auf seine Ostgrenze beruhigt sein.




Reichstag und Verfassung
(Schluß)

iisher ist tatsächlich immer auf Grund der Versprechungen ge¬
wählt worden, die die Wahlbewerber, sei es von ihrem Partei¬
staudpunkt aus, sei es darüber hinaus, besondern sozialen und
wirtschaftlichen Gruppen, deren Unterstützung sie suchten, oft sehr
! reichlich zu macheu pflege". Mit solchen Versprechungen hat
es aber eine eigne Bewandtnis. Bismarck hat sich in seiner letzten parla¬
mentarischen Rede im Reichstag am 18. Mai 1889 auch über diesen Punkt


Reichstag und Verfassung

Im Osten harrt dem Deutschtum noch eine große — vielleicht seine größte —
Aufgabe, Was nützt Deutschland die Sicherung seiner Grenze im Westen, was
nutzen ihm seine Kolonien, was seine aufstrebende Seemacht, wenn es im Osten
immer mehr zurückgedrängt wird und dort das an Besitz und Macht verliert,
was es an andern Stellen vielleicht gewinnt? Deutschlands östliche Grenze gleicht
einer Küste, deren Ufer slawische, besonders polnische und tschechische Hochfluten
unausgesetzt tosend umbranden, jahraus jahrein ganze Stücke davon abbröckeln
und in das slawische Völkermeer hiuabziehn. Wie außerordentlich gefährdet
hierdurch unsre Ostgrenze ist, wird im allgemeinen in Deutschland noch viel zu
wenig gewürdigt. Als bester Schutz gegen diese slawische Hochflut hat sich von
jeher ein großer, breiter, fester Damm deutscher Bauernkolonien mit deutschen
Stotter erwiesen. Solche Kolonien müssen mit aller Energie und so schnell
wie möglich geschaffen werden, nicht nur in Westpreußen und in Posen, auch in
andern bedrohten Gegenden, besonders in Ostpreußen, in Hinterpommern und in
Oberschlesien. Zu diesem Zwecke muß das Interesse der weitesten Kreise Deutsch¬
lands für die innere Kolonisation geweckt und unausgesetzt gefördert werden.

„Ich halte die Ostmarkenfragc, sagte Graf Bülow in seiner großen Polen¬
rede vom 13. Januar 1902, nicht nur für eine der wichtigsten Fragen unsrer
Politik, sondern geradezu für diejenige Frage, von deren Entwicklung die nächste
Zukunft unsers Vaterlandes abhängt. Die Ostmark ist mit preußischem Blute
getränkt; da sind wir, da bleiben wir, ob es andern Leuten unangenehm ist
oder nicht." Und in seiner Rede auf dem diesjährigen Festmahl des Deutschen
Landwirtschaftsrats am 9. Februar in Berlin sagte Graf Bülow u. a.: „Auf
vielen andern Gebieten wartet unser noch reichliche Arbeit für die Landwirt¬
schaft. . .. Ich will nur erinnern an die überaus wichtige innere Kolonisation,
für die ich mich besonders interessiere, und die ich planmäßig in Angriff ge¬
nommen und durchgeführt zu sehen wünsche."

Erst wenn dieses Interesse an der innern Kolonisation die weitesten Kreise
Preußens und Deutschlands ergriffen hat und sich in einer Kolonisation des
Ostens betätigt, die der großen, bewundernswerter Kolonisationspolitik und
Kvlonisationstätigkeit Friedrichs des Großen nacheifert, kann Deutschland auch
in bezug auf seine Ostgrenze beruhigt sein.




Reichstag und Verfassung
(Schluß)

iisher ist tatsächlich immer auf Grund der Versprechungen ge¬
wählt worden, die die Wahlbewerber, sei es von ihrem Partei¬
staudpunkt aus, sei es darüber hinaus, besondern sozialen und
wirtschaftlichen Gruppen, deren Unterstützung sie suchten, oft sehr
! reichlich zu macheu pflege». Mit solchen Versprechungen hat
es aber eine eigne Bewandtnis. Bismarck hat sich in seiner letzten parla¬
mentarischen Rede im Reichstag am 18. Mai 1889 auch über diesen Punkt


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[0704] Reichstag und Verfassung Im Osten harrt dem Deutschtum noch eine große — vielleicht seine größte — Aufgabe, Was nützt Deutschland die Sicherung seiner Grenze im Westen, was nutzen ihm seine Kolonien, was seine aufstrebende Seemacht, wenn es im Osten immer mehr zurückgedrängt wird und dort das an Besitz und Macht verliert, was es an andern Stellen vielleicht gewinnt? Deutschlands östliche Grenze gleicht einer Küste, deren Ufer slawische, besonders polnische und tschechische Hochfluten unausgesetzt tosend umbranden, jahraus jahrein ganze Stücke davon abbröckeln und in das slawische Völkermeer hiuabziehn. Wie außerordentlich gefährdet hierdurch unsre Ostgrenze ist, wird im allgemeinen in Deutschland noch viel zu wenig gewürdigt. Als bester Schutz gegen diese slawische Hochflut hat sich von jeher ein großer, breiter, fester Damm deutscher Bauernkolonien mit deutschen Stotter erwiesen. Solche Kolonien müssen mit aller Energie und so schnell wie möglich geschaffen werden, nicht nur in Westpreußen und in Posen, auch in andern bedrohten Gegenden, besonders in Ostpreußen, in Hinterpommern und in Oberschlesien. Zu diesem Zwecke muß das Interesse der weitesten Kreise Deutsch¬ lands für die innere Kolonisation geweckt und unausgesetzt gefördert werden. „Ich halte die Ostmarkenfragc, sagte Graf Bülow in seiner großen Polen¬ rede vom 13. Januar 1902, nicht nur für eine der wichtigsten Fragen unsrer Politik, sondern geradezu für diejenige Frage, von deren Entwicklung die nächste Zukunft unsers Vaterlandes abhängt. Die Ostmark ist mit preußischem Blute getränkt; da sind wir, da bleiben wir, ob es andern Leuten unangenehm ist oder nicht." Und in seiner Rede auf dem diesjährigen Festmahl des Deutschen Landwirtschaftsrats am 9. Februar in Berlin sagte Graf Bülow u. a.: „Auf vielen andern Gebieten wartet unser noch reichliche Arbeit für die Landwirt¬ schaft. . .. Ich will nur erinnern an die überaus wichtige innere Kolonisation, für die ich mich besonders interessiere, und die ich planmäßig in Angriff ge¬ nommen und durchgeführt zu sehen wünsche." Erst wenn dieses Interesse an der innern Kolonisation die weitesten Kreise Preußens und Deutschlands ergriffen hat und sich in einer Kolonisation des Ostens betätigt, die der großen, bewundernswerter Kolonisationspolitik und Kvlonisationstätigkeit Friedrichs des Großen nacheifert, kann Deutschland auch in bezug auf seine Ostgrenze beruhigt sein. Reichstag und Verfassung (Schluß) iisher ist tatsächlich immer auf Grund der Versprechungen ge¬ wählt worden, die die Wahlbewerber, sei es von ihrem Partei¬ staudpunkt aus, sei es darüber hinaus, besondern sozialen und wirtschaftlichen Gruppen, deren Unterstützung sie suchten, oft sehr ! reichlich zu macheu pflege». Mit solchen Versprechungen hat es aber eine eigne Bewandtnis. Bismarck hat sich in seiner letzten parla¬ mentarischen Rede im Reichstag am 18. Mai 1889 auch über diesen Punkt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/704>, abgerufen am 22.12.2024.