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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

sprühendes Wasser weit hin über Land. Und diese Wassertropfen verwandelten
sich in Sand, der den Hang heranfwcinderte, als wollte er heute noch hundert
Meilen Wegs machen. Jedes Blatt, jeder Zweig, alles, was irgend locker war,
mußte mit. Und was festwurzelte, das mußte sich wenigstens vor jener Kraft ver¬
neigen, die übermächtig und unableukbar ihre Richtung hielt.

Aber der Mensch, so dachte Namborn, lehnt sich mit Brust und Haupt da¬
gegen und spricht: Ich will nicht. Mich zwingst du nicht. Ich will, was ich selbst
will. Die geistige Kraft gegen die Naturgewalt. Die geistige Kraft kann den Sturm
nicht meistern, aber sie kann sich gegen ihn behaupten. Sie kann das Gemein-
menschliche, das von Hunger und Durst getrieben wird, nicht aufhalten, aber sich
gegen sie behaupten, über sie dahinschreiten nach eigner Kraft und zu eignem Ziel.
Das ist der Herrenwille. Das ist der Adel der Auserwählten.

Die Aussicht nach rechts wurde von dem Walle, neben dem Ramborn stand,
beschränkt. Da oben mußte der Blick noch besser sein. Er begann also den Wall
zu ersteigen, während er mit tief gesenktem Kopfe wider den Sturm rang. Als
er oben angekommen war, stand er neben einem jungen Mädchen, das ebenfalls
das Gesicht gegen den Wind gerichtet hielt. Da ihn aber in diesem Augenblick
unerwartet der Sturm faßte, so hätte er den Platz wieder räumen müssen, wenn
ihn" die Dame nicht die Hand geboten hätte. Es war eine prachtvolle Erscheinung.
Sie stand da mit hellen Angen und fest auf den Füßen in jugendlicher Kraft.
Die krausen, goldblonden Haare flogen im Winde. In der runden kleinen Faust
hielt sie eine Art Bergstock. Auf dem Kopfe trug sie eine rote Mütze, an der ein
paar Adlerfedern befestigt waren, und an deu Füßen kräftige rohlederne Schnür¬
stiesel. Der Wind, der ihr kurzes graues Kleid mit sich nahm, ließ einen Wuchs
von Schönheit und Kraft erkennen.

Der Doktor beeilte sich zu grüßen und seinen Dank auszusprechen.

Ob das junge Mädchen beim Brausen des Windes die Worte verstanden
hatte, schien zweifelhaft. Es trat lachend und errötend einen Schritt zurück und
sagte etwas, was der Doktor nicht verstand. Dieser hielt seine Hand an die Ohr¬
muschel, und nun lachten beide.

Das junge Mädchen wies auf die Hütte mit der Laterne, die in der Nähe
stand, und sie traten in ihren Schutz.

Ist es nicht wundervoll, Herr Doktor, sagte das junge Mädchen -- sie sagte
Herr Doktor --, so in den Sturm hinauszusehen? So atmet das Meer, wenn
es zornig ist, aber man lacht darüber.

Das will ich Ihnen wohl glauben, mein gnädiges Fräulein, entgegnete Ramborn.
Wenn ich mir Ihre Mütze als Helm denke, mit zwei Adlerflügeln daran, und Ihr
Jackett als Brünne, und Ihren Alpenstock als Ger, so steh" Sie vor mir als eine
junge Walküre, wie man sie sich echter und schöner nicht denken kann.

Was ist eine Walküre? fragte das junge Mädchen unbefangen. Ach jn, ich
weiß es, das sind Hoiottohohjuugfrauen zu Pferde. Aber diesesmcil habe ich leider
mein Hoiohottochen nicht bei mir. Es steht im Stall und frißt Hottoheu. Es
hat ja doch wohl auch Walküren zu Fuß gegeben?

Ich glaube nicht, sagte Ramborn. Wenn ich nicht irre, so nimmt eine echte
Walküre ihr Hoiohotto sogar mit ins Bad. Sie wird dann Froschkönigin und
führt ihre Rotte Korns in den Kampf gegen Nixen und Wassergreise. Die Sache
ist zwar mythologisch nicht nachzuweisen, soll aber in Wirklichkeit vorkommen.

Das wissen Sie auch schon, Herr Doktor? rief die junge Walküre. Wer von
den Plappermäulchen hat Ihnen denn das verraten?

Das kann ich nicht sagen, gnädiges Fräulein, erwiderte der Doktor. Hohen¬
liede Persönlichkeiten müssen sich gefallen lassen, daß allerlei Hofberichte über sie
ausgegeben werden. Übrigens habe ich mir die Sache nicht erzählen lassen, ich
selbst habe den Vorzug gehabt, den Vorgang aus der Ferne zu beobachten.

Die Walküre nahm es nicht übel und tat auch nicht verlegen, sondern lachte


Herrenmenschen

sprühendes Wasser weit hin über Land. Und diese Wassertropfen verwandelten
sich in Sand, der den Hang heranfwcinderte, als wollte er heute noch hundert
Meilen Wegs machen. Jedes Blatt, jeder Zweig, alles, was irgend locker war,
mußte mit. Und was festwurzelte, das mußte sich wenigstens vor jener Kraft ver¬
neigen, die übermächtig und unableukbar ihre Richtung hielt.

Aber der Mensch, so dachte Namborn, lehnt sich mit Brust und Haupt da¬
gegen und spricht: Ich will nicht. Mich zwingst du nicht. Ich will, was ich selbst
will. Die geistige Kraft gegen die Naturgewalt. Die geistige Kraft kann den Sturm
nicht meistern, aber sie kann sich gegen ihn behaupten. Sie kann das Gemein-
menschliche, das von Hunger und Durst getrieben wird, nicht aufhalten, aber sich
gegen sie behaupten, über sie dahinschreiten nach eigner Kraft und zu eignem Ziel.
Das ist der Herrenwille. Das ist der Adel der Auserwählten.

Die Aussicht nach rechts wurde von dem Walle, neben dem Ramborn stand,
beschränkt. Da oben mußte der Blick noch besser sein. Er begann also den Wall
zu ersteigen, während er mit tief gesenktem Kopfe wider den Sturm rang. Als
er oben angekommen war, stand er neben einem jungen Mädchen, das ebenfalls
das Gesicht gegen den Wind gerichtet hielt. Da ihn aber in diesem Augenblick
unerwartet der Sturm faßte, so hätte er den Platz wieder räumen müssen, wenn
ihn« die Dame nicht die Hand geboten hätte. Es war eine prachtvolle Erscheinung.
Sie stand da mit hellen Angen und fest auf den Füßen in jugendlicher Kraft.
Die krausen, goldblonden Haare flogen im Winde. In der runden kleinen Faust
hielt sie eine Art Bergstock. Auf dem Kopfe trug sie eine rote Mütze, an der ein
paar Adlerfedern befestigt waren, und an deu Füßen kräftige rohlederne Schnür¬
stiesel. Der Wind, der ihr kurzes graues Kleid mit sich nahm, ließ einen Wuchs
von Schönheit und Kraft erkennen.

Der Doktor beeilte sich zu grüßen und seinen Dank auszusprechen.

Ob das junge Mädchen beim Brausen des Windes die Worte verstanden
hatte, schien zweifelhaft. Es trat lachend und errötend einen Schritt zurück und
sagte etwas, was der Doktor nicht verstand. Dieser hielt seine Hand an die Ohr¬
muschel, und nun lachten beide.

Das junge Mädchen wies auf die Hütte mit der Laterne, die in der Nähe
stand, und sie traten in ihren Schutz.

Ist es nicht wundervoll, Herr Doktor, sagte das junge Mädchen — sie sagte
Herr Doktor —, so in den Sturm hinauszusehen? So atmet das Meer, wenn
es zornig ist, aber man lacht darüber.

Das will ich Ihnen wohl glauben, mein gnädiges Fräulein, entgegnete Ramborn.
Wenn ich mir Ihre Mütze als Helm denke, mit zwei Adlerflügeln daran, und Ihr
Jackett als Brünne, und Ihren Alpenstock als Ger, so steh» Sie vor mir als eine
junge Walküre, wie man sie sich echter und schöner nicht denken kann.

Was ist eine Walküre? fragte das junge Mädchen unbefangen. Ach jn, ich
weiß es, das sind Hoiottohohjuugfrauen zu Pferde. Aber diesesmcil habe ich leider
mein Hoiohottochen nicht bei mir. Es steht im Stall und frißt Hottoheu. Es
hat ja doch wohl auch Walküren zu Fuß gegeben?

Ich glaube nicht, sagte Ramborn. Wenn ich nicht irre, so nimmt eine echte
Walküre ihr Hoiohotto sogar mit ins Bad. Sie wird dann Froschkönigin und
führt ihre Rotte Korns in den Kampf gegen Nixen und Wassergreise. Die Sache
ist zwar mythologisch nicht nachzuweisen, soll aber in Wirklichkeit vorkommen.

Das wissen Sie auch schon, Herr Doktor? rief die junge Walküre. Wer von
den Plappermäulchen hat Ihnen denn das verraten?

Das kann ich nicht sagen, gnädiges Fräulein, erwiderte der Doktor. Hohen¬
liede Persönlichkeiten müssen sich gefallen lassen, daß allerlei Hofberichte über sie
ausgegeben werden. Übrigens habe ich mir die Sache nicht erzählen lassen, ich
selbst habe den Vorzug gehabt, den Vorgang aus der Ferne zu beobachten.

Die Walküre nahm es nicht übel und tat auch nicht verlegen, sondern lachte


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[0690] Herrenmenschen sprühendes Wasser weit hin über Land. Und diese Wassertropfen verwandelten sich in Sand, der den Hang heranfwcinderte, als wollte er heute noch hundert Meilen Wegs machen. Jedes Blatt, jeder Zweig, alles, was irgend locker war, mußte mit. Und was festwurzelte, das mußte sich wenigstens vor jener Kraft ver¬ neigen, die übermächtig und unableukbar ihre Richtung hielt. Aber der Mensch, so dachte Namborn, lehnt sich mit Brust und Haupt da¬ gegen und spricht: Ich will nicht. Mich zwingst du nicht. Ich will, was ich selbst will. Die geistige Kraft gegen die Naturgewalt. Die geistige Kraft kann den Sturm nicht meistern, aber sie kann sich gegen ihn behaupten. Sie kann das Gemein- menschliche, das von Hunger und Durst getrieben wird, nicht aufhalten, aber sich gegen sie behaupten, über sie dahinschreiten nach eigner Kraft und zu eignem Ziel. Das ist der Herrenwille. Das ist der Adel der Auserwählten. Die Aussicht nach rechts wurde von dem Walle, neben dem Ramborn stand, beschränkt. Da oben mußte der Blick noch besser sein. Er begann also den Wall zu ersteigen, während er mit tief gesenktem Kopfe wider den Sturm rang. Als er oben angekommen war, stand er neben einem jungen Mädchen, das ebenfalls das Gesicht gegen den Wind gerichtet hielt. Da ihn aber in diesem Augenblick unerwartet der Sturm faßte, so hätte er den Platz wieder räumen müssen, wenn ihn« die Dame nicht die Hand geboten hätte. Es war eine prachtvolle Erscheinung. Sie stand da mit hellen Angen und fest auf den Füßen in jugendlicher Kraft. Die krausen, goldblonden Haare flogen im Winde. In der runden kleinen Faust hielt sie eine Art Bergstock. Auf dem Kopfe trug sie eine rote Mütze, an der ein paar Adlerfedern befestigt waren, und an deu Füßen kräftige rohlederne Schnür¬ stiesel. Der Wind, der ihr kurzes graues Kleid mit sich nahm, ließ einen Wuchs von Schönheit und Kraft erkennen. Der Doktor beeilte sich zu grüßen und seinen Dank auszusprechen. Ob das junge Mädchen beim Brausen des Windes die Worte verstanden hatte, schien zweifelhaft. Es trat lachend und errötend einen Schritt zurück und sagte etwas, was der Doktor nicht verstand. Dieser hielt seine Hand an die Ohr¬ muschel, und nun lachten beide. Das junge Mädchen wies auf die Hütte mit der Laterne, die in der Nähe stand, und sie traten in ihren Schutz. Ist es nicht wundervoll, Herr Doktor, sagte das junge Mädchen — sie sagte Herr Doktor —, so in den Sturm hinauszusehen? So atmet das Meer, wenn es zornig ist, aber man lacht darüber. Das will ich Ihnen wohl glauben, mein gnädiges Fräulein, entgegnete Ramborn. Wenn ich mir Ihre Mütze als Helm denke, mit zwei Adlerflügeln daran, und Ihr Jackett als Brünne, und Ihren Alpenstock als Ger, so steh» Sie vor mir als eine junge Walküre, wie man sie sich echter und schöner nicht denken kann. Was ist eine Walküre? fragte das junge Mädchen unbefangen. Ach jn, ich weiß es, das sind Hoiottohohjuugfrauen zu Pferde. Aber diesesmcil habe ich leider mein Hoiohottochen nicht bei mir. Es steht im Stall und frißt Hottoheu. Es hat ja doch wohl auch Walküren zu Fuß gegeben? Ich glaube nicht, sagte Ramborn. Wenn ich nicht irre, so nimmt eine echte Walküre ihr Hoiohotto sogar mit ins Bad. Sie wird dann Froschkönigin und führt ihre Rotte Korns in den Kampf gegen Nixen und Wassergreise. Die Sache ist zwar mythologisch nicht nachzuweisen, soll aber in Wirklichkeit vorkommen. Das wissen Sie auch schon, Herr Doktor? rief die junge Walküre. Wer von den Plappermäulchen hat Ihnen denn das verraten? Das kann ich nicht sagen, gnädiges Fräulein, erwiderte der Doktor. Hohen¬ liede Persönlichkeiten müssen sich gefallen lassen, daß allerlei Hofberichte über sie ausgegeben werden. Übrigens habe ich mir die Sache nicht erzählen lassen, ich selbst habe den Vorzug gehabt, den Vorgang aus der Ferne zu beobachten. Die Walküre nahm es nicht übel und tat auch nicht verlegen, sondern lachte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/690>, abgerufen am 22.12.2024.