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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

In der Tat, der Wind hatte schon eine ansehnliche Kraft gewonnen, und
drüben über dem Meere stiegen bedrohliche Wolken auf. Man befand sich im
Schutze des Hauses; wenn man um die Ecke sah, wollte der Hut davonfliegen, und
man bekam die Augen voll Sand. Durch diesen Wind kamen jetzt Nechnnngsrats
Willi und Oberkontrolleurs Feodor und andre angerast und berichteten atemlos,
daß das Sturmsignal auf dem Amtshorne gezogen sei. Sogleich richtete Herr
von Kügelchen sein Glas dahin und konstatierte, was auch mit bloßen Augen zu
sehen war, daß unter der Rabe des Signalmastes zwei schwarze Bälle gezogen
seien, und daß die Schifferkähne in voller Fahrt nach Hause führen. Zuletzt kam
der Herr Rechnungsrat mit dem Herrn Strandvogt, einem martialisch aussehenden
Manne, der halb Hecht und halb Hund, das heißt halb Fischer und halb Förster war.

Mein Gott, sagte Frau Nechnungsrat, hat doch mein Mann schon wieder
diesen Meuschen aufgegabelt. Und dann ist nie ein Ende zu finden. Ich begreife
gar nicht, was er daran hat.

Nicht wahr? fügte Fran Oberkontrolleur hinzu, und dann ist ohne die Flasche
Punschextrakt nicht loszukommen.

Man brach also auf, und die Rotte Korah flatterte davon wie ein Flug
Tauben im Winde.

Der Strandvogt machte, als er die Stätte leer fand, ein enttäuschtes Gesicht, nahm
aber gnädig von dem Herrn Nechnungsrat einige Zigarren entgegen und hatte auch
nichts dagegen, allein ein paar Glas Bier mit den zugehörigen schnapsen zu trinken.

Als man sich am Kreuzwege verabschiedete, geschah es in der Annahme, daß
man den Nachmittag zuhause zubringen werde. Aber so ein Sturm an der See
duldet keinen zuhause. Er ist aufregend, er verspricht allerlei romantische Ereignisse,
mindestens allerhand Unterhaltung. Am Nachmittage traf man sich wieder Vor der
Giftbude. Herr von Kügelchen hatte seinen Ölcmzug angezogen und einen Salon¬
südwester aufgesetzt und beobachtete mit angestrengtem Eifer durch sein Fernrohr
die zwei schwarzen Bälle am Signalmast. Onkel Fips und Onkel Faps hatten die
Kragen ihrer Überzieher hochgeschlagen, die Mützen bis an die Ohren gezogen und
ihre Hände in den Seitentaschen vergraben. Und der Herr Rechnungsrat war in
Sorge um seine Perücke und hörte nicht auf seine Brille zu putzen. Willi aber
und Feodor machten sich an den Strandvogt, der inzwischen seinen Posten nicht
verlassen und viele Glas Bier getrunken hatte. Der ließ denn auch seine Weisheit
als Sachverständiger in Sturmangelegenheiten leuchten.

Auch die Gaststube bei Lockens war mit Gästen besetzt. Aber es war nicht gut,
sich da hinein zu wagen der schauerlichen Luft wegen, die darin herrschte, und die
ein konzentriertes Gemisch von Tabaksqualm, Fuselduft und Transtiefelgerüchen war.
Hier saßen Friedrich Dnllies, der Führer des Rettungsbootes, und seiue Mannen,
sowie der Knecht des PostVerwalters und tranken einen Rum nach dem andern.

Der Knecht hatte ein Telegramm vom Leuchtturm auf Raster Ort gebracht.
Ein Schiff sei steuerlos in der Richtung auf Tapuicken vorübergetrieben worden.
Es war also klar, daß das Schiff in der Nähe von Tapnicken antreiben müsse.
Dies besprach man seit einer Stunde eingehend, aber sonst geschah nichts. Als
jedoch die Nachricht von dem bevorstehenden Schiffbruche zu dem draußen sitzenden
Publikum gelangte, erregte sie großes Aufsehen. Herr von Kügelchen setzte seinen
Südwester fest auf den Kopf und suchte mit seinem Glase die See ab, konnte aber
bei der dicken Luft nichts erkennen. Die Knaben setzten sich in Trab zum Schuppen
des Rettungsboots -- ganz vergeblicherweise, denn Dullies und seine Mannen
dachten gar nicht daran, ihren Sitz zu verlassen. Nach geraumer Zeit kehrten die
Knaben zurück und brachten die Nachricht mit, die Leute hätten gesagt, man habe es
auf See in der Richtung auf die steinige Platte schießen hören. Nun schickte man den
Päsch hinein, um Dullies mobil zu machen, aber Pcisch kam nicht wieder. Als sich
darauf Herr von Kügelchen selbst ausmachte, prallte er vor der "ganz unmöglichen
Atmosphäre" zurück und richtete auch nichts aus. Er verstand die Leute nicht,


Herrenmenschen

In der Tat, der Wind hatte schon eine ansehnliche Kraft gewonnen, und
drüben über dem Meere stiegen bedrohliche Wolken auf. Man befand sich im
Schutze des Hauses; wenn man um die Ecke sah, wollte der Hut davonfliegen, und
man bekam die Augen voll Sand. Durch diesen Wind kamen jetzt Nechnnngsrats
Willi und Oberkontrolleurs Feodor und andre angerast und berichteten atemlos,
daß das Sturmsignal auf dem Amtshorne gezogen sei. Sogleich richtete Herr
von Kügelchen sein Glas dahin und konstatierte, was auch mit bloßen Augen zu
sehen war, daß unter der Rabe des Signalmastes zwei schwarze Bälle gezogen
seien, und daß die Schifferkähne in voller Fahrt nach Hause führen. Zuletzt kam
der Herr Rechnungsrat mit dem Herrn Strandvogt, einem martialisch aussehenden
Manne, der halb Hecht und halb Hund, das heißt halb Fischer und halb Förster war.

Mein Gott, sagte Frau Nechnungsrat, hat doch mein Mann schon wieder
diesen Meuschen aufgegabelt. Und dann ist nie ein Ende zu finden. Ich begreife
gar nicht, was er daran hat.

Nicht wahr? fügte Fran Oberkontrolleur hinzu, und dann ist ohne die Flasche
Punschextrakt nicht loszukommen.

Man brach also auf, und die Rotte Korah flatterte davon wie ein Flug
Tauben im Winde.

Der Strandvogt machte, als er die Stätte leer fand, ein enttäuschtes Gesicht, nahm
aber gnädig von dem Herrn Nechnungsrat einige Zigarren entgegen und hatte auch
nichts dagegen, allein ein paar Glas Bier mit den zugehörigen schnapsen zu trinken.

Als man sich am Kreuzwege verabschiedete, geschah es in der Annahme, daß
man den Nachmittag zuhause zubringen werde. Aber so ein Sturm an der See
duldet keinen zuhause. Er ist aufregend, er verspricht allerlei romantische Ereignisse,
mindestens allerhand Unterhaltung. Am Nachmittage traf man sich wieder Vor der
Giftbude. Herr von Kügelchen hatte seinen Ölcmzug angezogen und einen Salon¬
südwester aufgesetzt und beobachtete mit angestrengtem Eifer durch sein Fernrohr
die zwei schwarzen Bälle am Signalmast. Onkel Fips und Onkel Faps hatten die
Kragen ihrer Überzieher hochgeschlagen, die Mützen bis an die Ohren gezogen und
ihre Hände in den Seitentaschen vergraben. Und der Herr Rechnungsrat war in
Sorge um seine Perücke und hörte nicht auf seine Brille zu putzen. Willi aber
und Feodor machten sich an den Strandvogt, der inzwischen seinen Posten nicht
verlassen und viele Glas Bier getrunken hatte. Der ließ denn auch seine Weisheit
als Sachverständiger in Sturmangelegenheiten leuchten.

Auch die Gaststube bei Lockens war mit Gästen besetzt. Aber es war nicht gut,
sich da hinein zu wagen der schauerlichen Luft wegen, die darin herrschte, und die
ein konzentriertes Gemisch von Tabaksqualm, Fuselduft und Transtiefelgerüchen war.
Hier saßen Friedrich Dnllies, der Führer des Rettungsbootes, und seiue Mannen,
sowie der Knecht des PostVerwalters und tranken einen Rum nach dem andern.

Der Knecht hatte ein Telegramm vom Leuchtturm auf Raster Ort gebracht.
Ein Schiff sei steuerlos in der Richtung auf Tapuicken vorübergetrieben worden.
Es war also klar, daß das Schiff in der Nähe von Tapnicken antreiben müsse.
Dies besprach man seit einer Stunde eingehend, aber sonst geschah nichts. Als
jedoch die Nachricht von dem bevorstehenden Schiffbruche zu dem draußen sitzenden
Publikum gelangte, erregte sie großes Aufsehen. Herr von Kügelchen setzte seinen
Südwester fest auf den Kopf und suchte mit seinem Glase die See ab, konnte aber
bei der dicken Luft nichts erkennen. Die Knaben setzten sich in Trab zum Schuppen
des Rettungsboots — ganz vergeblicherweise, denn Dullies und seine Mannen
dachten gar nicht daran, ihren Sitz zu verlassen. Nach geraumer Zeit kehrten die
Knaben zurück und brachten die Nachricht mit, die Leute hätten gesagt, man habe es
auf See in der Richtung auf die steinige Platte schießen hören. Nun schickte man den
Päsch hinein, um Dullies mobil zu machen, aber Pcisch kam nicht wieder. Als sich
darauf Herr von Kügelchen selbst ausmachte, prallte er vor der „ganz unmöglichen
Atmosphäre" zurück und richtete auch nichts aus. Er verstand die Leute nicht,


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[0685] Herrenmenschen In der Tat, der Wind hatte schon eine ansehnliche Kraft gewonnen, und drüben über dem Meere stiegen bedrohliche Wolken auf. Man befand sich im Schutze des Hauses; wenn man um die Ecke sah, wollte der Hut davonfliegen, und man bekam die Augen voll Sand. Durch diesen Wind kamen jetzt Nechnnngsrats Willi und Oberkontrolleurs Feodor und andre angerast und berichteten atemlos, daß das Sturmsignal auf dem Amtshorne gezogen sei. Sogleich richtete Herr von Kügelchen sein Glas dahin und konstatierte, was auch mit bloßen Augen zu sehen war, daß unter der Rabe des Signalmastes zwei schwarze Bälle gezogen seien, und daß die Schifferkähne in voller Fahrt nach Hause führen. Zuletzt kam der Herr Rechnungsrat mit dem Herrn Strandvogt, einem martialisch aussehenden Manne, der halb Hecht und halb Hund, das heißt halb Fischer und halb Förster war. Mein Gott, sagte Frau Nechnungsrat, hat doch mein Mann schon wieder diesen Meuschen aufgegabelt. Und dann ist nie ein Ende zu finden. Ich begreife gar nicht, was er daran hat. Nicht wahr? fügte Fran Oberkontrolleur hinzu, und dann ist ohne die Flasche Punschextrakt nicht loszukommen. Man brach also auf, und die Rotte Korah flatterte davon wie ein Flug Tauben im Winde. Der Strandvogt machte, als er die Stätte leer fand, ein enttäuschtes Gesicht, nahm aber gnädig von dem Herrn Nechnungsrat einige Zigarren entgegen und hatte auch nichts dagegen, allein ein paar Glas Bier mit den zugehörigen schnapsen zu trinken. Als man sich am Kreuzwege verabschiedete, geschah es in der Annahme, daß man den Nachmittag zuhause zubringen werde. Aber so ein Sturm an der See duldet keinen zuhause. Er ist aufregend, er verspricht allerlei romantische Ereignisse, mindestens allerhand Unterhaltung. Am Nachmittage traf man sich wieder Vor der Giftbude. Herr von Kügelchen hatte seinen Ölcmzug angezogen und einen Salon¬ südwester aufgesetzt und beobachtete mit angestrengtem Eifer durch sein Fernrohr die zwei schwarzen Bälle am Signalmast. Onkel Fips und Onkel Faps hatten die Kragen ihrer Überzieher hochgeschlagen, die Mützen bis an die Ohren gezogen und ihre Hände in den Seitentaschen vergraben. Und der Herr Rechnungsrat war in Sorge um seine Perücke und hörte nicht auf seine Brille zu putzen. Willi aber und Feodor machten sich an den Strandvogt, der inzwischen seinen Posten nicht verlassen und viele Glas Bier getrunken hatte. Der ließ denn auch seine Weisheit als Sachverständiger in Sturmangelegenheiten leuchten. Auch die Gaststube bei Lockens war mit Gästen besetzt. Aber es war nicht gut, sich da hinein zu wagen der schauerlichen Luft wegen, die darin herrschte, und die ein konzentriertes Gemisch von Tabaksqualm, Fuselduft und Transtiefelgerüchen war. Hier saßen Friedrich Dnllies, der Führer des Rettungsbootes, und seiue Mannen, sowie der Knecht des PostVerwalters und tranken einen Rum nach dem andern. Der Knecht hatte ein Telegramm vom Leuchtturm auf Raster Ort gebracht. Ein Schiff sei steuerlos in der Richtung auf Tapuicken vorübergetrieben worden. Es war also klar, daß das Schiff in der Nähe von Tapnicken antreiben müsse. Dies besprach man seit einer Stunde eingehend, aber sonst geschah nichts. Als jedoch die Nachricht von dem bevorstehenden Schiffbruche zu dem draußen sitzenden Publikum gelangte, erregte sie großes Aufsehen. Herr von Kügelchen setzte seinen Südwester fest auf den Kopf und suchte mit seinem Glase die See ab, konnte aber bei der dicken Luft nichts erkennen. Die Knaben setzten sich in Trab zum Schuppen des Rettungsboots — ganz vergeblicherweise, denn Dullies und seine Mannen dachten gar nicht daran, ihren Sitz zu verlassen. Nach geraumer Zeit kehrten die Knaben zurück und brachten die Nachricht mit, die Leute hätten gesagt, man habe es auf See in der Richtung auf die steinige Platte schießen hören. Nun schickte man den Päsch hinein, um Dullies mobil zu machen, aber Pcisch kam nicht wieder. Als sich darauf Herr von Kügelchen selbst ausmachte, prallte er vor der „ganz unmöglichen Atmosphäre" zurück und richtete auch nichts aus. Er verstand die Leute nicht,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/685>, abgerufen am 23.12.2024.