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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Herrenmenschen

viele Möwen dargestellt. Sauber gemalt, deutlich und ordentlich. Alles stand auf
dem Flecke, wo es hingehörte. Aber es waren eben nur Schilf, Wasser, Wiese,
Möwen und Wolken, es fehlte das Überzeugende der wirklichen lebenden Natur, es
fehlte die innere geistige Belebung.

El, fein! sagten die Mädchen und machten Miene, alle die Gegenstände, die
sie bewunderten, mit demi Finger zu berühren. Im Hintergrunde standen Ramborn
und Pogge.

Schade, sagte Pogge, daß Schwechtiug nicht mit der Zunge malen kann; er
wäre einer der allerersten von uns geworden. Versteh" Sie das, Doktor, daß ein
Mensch alles ganz genau weiß, wie es sein müßte, wenn er aber den Pinsel ansetzt,
dann wills nicht heraus?

O ja, entgegnete Ramborn. Ich habe einen Professor gekannt, der seineu
Shakespeare besser verstand als alle andern, wenn er aber zu lesen anfing, so klang
es wie ein alter Jude.

Darauf warf sich die Rotte Koräh auf den andern Maler. Onkel Faps, rief
man, wir wollen Ihr Bild auch sehen. Bitte, bitte, Onkel Faps!

Ist nichts für kleine Mädchen, antwortete dieser.

Alle Bitten waren vergeblich, und schmollend gingen die Mädchen ab, um das
Bild Von Onkel Faps, das eingeschnürt an der Wand lehnte, ohne Erlaubnis
zu betrachten. Sie lösten also den Bindfaden, nahmen den Deckel ab, stellten
das Bild auf den Tisch und bildeten einen dichten Kreis darum. Das Bild
stellte ungefähr dasselbe dar, was Schwechting gemalt hatte. Eine in scharfem
Saftgrün breit hingestrichne Wiese, eine blauschwarze Ferne, Wolken, dick weiß
hingesetzt und mit dem Finger in Form gebracht, ein paar weiße Birkenstämme mit
dem Pinselstiel aus dem nassen Grün herausgekratzt und ein grobes Schneegestöber
von Möwen. Aber auch in dieser flüchtigen Ausführung lag malerische Kraft und
Stimmung.

Ein kleiner wetßköpfiger Bengel war nnter dem Tische durchgekrochen und
mitten zwischen den betrachtenden, sich drängenden Mädchen aufgetaucht.

Hei, was für ein Schmieraksel! rief er.

Sogleich fuhren ihm ein paar Mädchenfänste auf deu Flachskopf. Pfui, Benno,
rief man, wie kannst du so ungezogen sein und so etwas sagen?

Benno tauchte sogleich wieder unter und riß aus. Als er in sicherer Ent¬
fernung war, steckte er die Zunge heraus und rief: Und es ist doch Schmieraksel!

Jetzt wurden die Mädchen von Onkel Faps schnell ans den Trab gebracht.
Weg da, sonst jibt et was aus der Armenkasse! rief er und packte sein Bild wieder
ein. Und der kleine Benno schrie aus sicherster Ferne: Schmieraksel! Schmieraksel!

Siehst du, da hast du es, sagte Schwechting zu Pogge.

O Ranke, erwiderte Pogge, wenn du nur halb so schön schmieren könntest
wie ich, du würdest die schönsten Hoffnungen erwecken.

Wer sagt euch denn, erwiderte Schwechting, daß ich es nicht kann? Geht mir
doch! Eure Bilder, vor denen ein dummes Publikum wie vor Offenbarungen auf
dem Bauche liegt, sind kinderleicht zu malen. Man muß nur die nötige Unver¬
schämtheit dazu haben, eine Farbenkarikatur -- man nennt das Stimmung, und
sie wirkt wie eine Trompete auf einen Schwerhörigen -- für ein Bild auszu¬
geben. Wetten, daß ich in einem Vormittag mit zwei Farben den schönsten Staffel¬
steiger male?

Sagen Sie selbst, sagte Pogge zu Ramborn, ob nicht unser Schwechting einen
gottgesegneten Schnabel hat.

Wetten, daß ich es kann? wiederholte Schwechting und packte seine Malgeräte
zusammen.

Wo willst du denn hin? fragte Pogge.

Nach Hause, mein Sohn, erwiderte Schwechting, und meine zwei Farben aus¬
suchen. Hier wird die Sache sowieso bald losgehn.


Herrenmenschen

viele Möwen dargestellt. Sauber gemalt, deutlich und ordentlich. Alles stand auf
dem Flecke, wo es hingehörte. Aber es waren eben nur Schilf, Wasser, Wiese,
Möwen und Wolken, es fehlte das Überzeugende der wirklichen lebenden Natur, es
fehlte die innere geistige Belebung.

El, fein! sagten die Mädchen und machten Miene, alle die Gegenstände, die
sie bewunderten, mit demi Finger zu berühren. Im Hintergrunde standen Ramborn
und Pogge.

Schade, sagte Pogge, daß Schwechtiug nicht mit der Zunge malen kann; er
wäre einer der allerersten von uns geworden. Versteh» Sie das, Doktor, daß ein
Mensch alles ganz genau weiß, wie es sein müßte, wenn er aber den Pinsel ansetzt,
dann wills nicht heraus?

O ja, entgegnete Ramborn. Ich habe einen Professor gekannt, der seineu
Shakespeare besser verstand als alle andern, wenn er aber zu lesen anfing, so klang
es wie ein alter Jude.

Darauf warf sich die Rotte Koräh auf den andern Maler. Onkel Faps, rief
man, wir wollen Ihr Bild auch sehen. Bitte, bitte, Onkel Faps!

Ist nichts für kleine Mädchen, antwortete dieser.

Alle Bitten waren vergeblich, und schmollend gingen die Mädchen ab, um das
Bild Von Onkel Faps, das eingeschnürt an der Wand lehnte, ohne Erlaubnis
zu betrachten. Sie lösten also den Bindfaden, nahmen den Deckel ab, stellten
das Bild auf den Tisch und bildeten einen dichten Kreis darum. Das Bild
stellte ungefähr dasselbe dar, was Schwechting gemalt hatte. Eine in scharfem
Saftgrün breit hingestrichne Wiese, eine blauschwarze Ferne, Wolken, dick weiß
hingesetzt und mit dem Finger in Form gebracht, ein paar weiße Birkenstämme mit
dem Pinselstiel aus dem nassen Grün herausgekratzt und ein grobes Schneegestöber
von Möwen. Aber auch in dieser flüchtigen Ausführung lag malerische Kraft und
Stimmung.

Ein kleiner wetßköpfiger Bengel war nnter dem Tische durchgekrochen und
mitten zwischen den betrachtenden, sich drängenden Mädchen aufgetaucht.

Hei, was für ein Schmieraksel! rief er.

Sogleich fuhren ihm ein paar Mädchenfänste auf deu Flachskopf. Pfui, Benno,
rief man, wie kannst du so ungezogen sein und so etwas sagen?

Benno tauchte sogleich wieder unter und riß aus. Als er in sicherer Ent¬
fernung war, steckte er die Zunge heraus und rief: Und es ist doch Schmieraksel!

Jetzt wurden die Mädchen von Onkel Faps schnell ans den Trab gebracht.
Weg da, sonst jibt et was aus der Armenkasse! rief er und packte sein Bild wieder
ein. Und der kleine Benno schrie aus sicherster Ferne: Schmieraksel! Schmieraksel!

Siehst du, da hast du es, sagte Schwechting zu Pogge.

O Ranke, erwiderte Pogge, wenn du nur halb so schön schmieren könntest
wie ich, du würdest die schönsten Hoffnungen erwecken.

Wer sagt euch denn, erwiderte Schwechting, daß ich es nicht kann? Geht mir
doch! Eure Bilder, vor denen ein dummes Publikum wie vor Offenbarungen auf
dem Bauche liegt, sind kinderleicht zu malen. Man muß nur die nötige Unver¬
schämtheit dazu haben, eine Farbenkarikatur — man nennt das Stimmung, und
sie wirkt wie eine Trompete auf einen Schwerhörigen — für ein Bild auszu¬
geben. Wetten, daß ich in einem Vormittag mit zwei Farben den schönsten Staffel¬
steiger male?

Sagen Sie selbst, sagte Pogge zu Ramborn, ob nicht unser Schwechting einen
gottgesegneten Schnabel hat.

Wetten, daß ich es kann? wiederholte Schwechting und packte seine Malgeräte
zusammen.

Wo willst du denn hin? fragte Pogge.

Nach Hause, mein Sohn, erwiderte Schwechting, und meine zwei Farben aus¬
suchen. Hier wird die Sache sowieso bald losgehn.


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[0684] Herrenmenschen viele Möwen dargestellt. Sauber gemalt, deutlich und ordentlich. Alles stand auf dem Flecke, wo es hingehörte. Aber es waren eben nur Schilf, Wasser, Wiese, Möwen und Wolken, es fehlte das Überzeugende der wirklichen lebenden Natur, es fehlte die innere geistige Belebung. El, fein! sagten die Mädchen und machten Miene, alle die Gegenstände, die sie bewunderten, mit demi Finger zu berühren. Im Hintergrunde standen Ramborn und Pogge. Schade, sagte Pogge, daß Schwechtiug nicht mit der Zunge malen kann; er wäre einer der allerersten von uns geworden. Versteh» Sie das, Doktor, daß ein Mensch alles ganz genau weiß, wie es sein müßte, wenn er aber den Pinsel ansetzt, dann wills nicht heraus? O ja, entgegnete Ramborn. Ich habe einen Professor gekannt, der seineu Shakespeare besser verstand als alle andern, wenn er aber zu lesen anfing, so klang es wie ein alter Jude. Darauf warf sich die Rotte Koräh auf den andern Maler. Onkel Faps, rief man, wir wollen Ihr Bild auch sehen. Bitte, bitte, Onkel Faps! Ist nichts für kleine Mädchen, antwortete dieser. Alle Bitten waren vergeblich, und schmollend gingen die Mädchen ab, um das Bild Von Onkel Faps, das eingeschnürt an der Wand lehnte, ohne Erlaubnis zu betrachten. Sie lösten also den Bindfaden, nahmen den Deckel ab, stellten das Bild auf den Tisch und bildeten einen dichten Kreis darum. Das Bild stellte ungefähr dasselbe dar, was Schwechting gemalt hatte. Eine in scharfem Saftgrün breit hingestrichne Wiese, eine blauschwarze Ferne, Wolken, dick weiß hingesetzt und mit dem Finger in Form gebracht, ein paar weiße Birkenstämme mit dem Pinselstiel aus dem nassen Grün herausgekratzt und ein grobes Schneegestöber von Möwen. Aber auch in dieser flüchtigen Ausführung lag malerische Kraft und Stimmung. Ein kleiner wetßköpfiger Bengel war nnter dem Tische durchgekrochen und mitten zwischen den betrachtenden, sich drängenden Mädchen aufgetaucht. Hei, was für ein Schmieraksel! rief er. Sogleich fuhren ihm ein paar Mädchenfänste auf deu Flachskopf. Pfui, Benno, rief man, wie kannst du so ungezogen sein und so etwas sagen? Benno tauchte sogleich wieder unter und riß aus. Als er in sicherer Ent¬ fernung war, steckte er die Zunge heraus und rief: Und es ist doch Schmieraksel! Jetzt wurden die Mädchen von Onkel Faps schnell ans den Trab gebracht. Weg da, sonst jibt et was aus der Armenkasse! rief er und packte sein Bild wieder ein. Und der kleine Benno schrie aus sicherster Ferne: Schmieraksel! Schmieraksel! Siehst du, da hast du es, sagte Schwechting zu Pogge. O Ranke, erwiderte Pogge, wenn du nur halb so schön schmieren könntest wie ich, du würdest die schönsten Hoffnungen erwecken. Wer sagt euch denn, erwiderte Schwechting, daß ich es nicht kann? Geht mir doch! Eure Bilder, vor denen ein dummes Publikum wie vor Offenbarungen auf dem Bauche liegt, sind kinderleicht zu malen. Man muß nur die nötige Unver¬ schämtheit dazu haben, eine Farbenkarikatur — man nennt das Stimmung, und sie wirkt wie eine Trompete auf einen Schwerhörigen — für ein Bild auszu¬ geben. Wetten, daß ich in einem Vormittag mit zwei Farben den schönsten Staffel¬ steiger male? Sagen Sie selbst, sagte Pogge zu Ramborn, ob nicht unser Schwechting einen gottgesegneten Schnabel hat. Wetten, daß ich es kann? wiederholte Schwechting und packte seine Malgeräte zusammen. Wo willst du denn hin? fragte Pogge. Nach Hause, mein Sohn, erwiderte Schwechting, und meine zwei Farben aus¬ suchen. Hier wird die Sache sowieso bald losgehn.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/684>, abgerufen am 23.12.2024.