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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Anfang war. Im Anfang war die Tat. Im Anfang war der Wille, der Herren¬
wille, der sich selbst will. Er kann nicht überall voll zur Erscheinung kommen.
Die Natur begnügt sich damit, wenig Auserwählte zu schaffen, die zum Herrschen
geboren sind, die große Menge ist da zum Dienen, ist der Boden, aus dem die
wenigen edeln Pflanzen hervorwuchsen.

Das wäre also so, sagte Schwechting, wie im Meere: wenig Walfische und
viele Heringe. Und die Walfische fressen die Heringe auf nach dem Rechte des
Stärkern. Schlimm für die Heringe!

Können Sie es ändern? Es ist einmal so, es liegt in der Ökonomie des
Weltalls, antwortete Ramborn. Aber Sie brauchen doch nicht Hering zu bleiben.
Werden Sie doch selbst Herr. Wenn Sie die Kraft dazu haben, andre zu be¬
herrschen, so haben Sie auch das Recht dazu. Werfen Sie die Schranken, die sich
die Kleinen errichtet haben, mit Ihrer Herrenhand zu Boden, wenn Sie es ver¬
mögen, so ist es Ihr Recht. Schreiten Sie hinweg über das Volk der Pygmäen,
treten Sie dem, der liegt, auf den Nacken, es ist Ihr Recht. Napoleon fragte
verwundert: Wie kommen die Menschen dazu, mir Vorwürfe zu machen und mich
zu beurteilen wie jeden andern? Er hatte das Recht, für sich und seine Herren¬
moral eine eigne Beurteilung zu beanspruchen.

Ha! sagte Schwechting, nicht übel für die Herren Herren. Aber ist das ein
Grund, so zu grinsen, wie dieser Schlingel da?

Haben Sie noch nie etwas von dem goldnen Lachen gehört, Schwechting?
fuhr der Doktor fort. Ich meine nicht das Gelächter, das durch den Kitzel des
Lächerlichen entsteht, sondern das goldne, befreiende Lachen dessen, der sich über
den Wirrwarr der Tiefe emporgeschwungen hat, die eine große Wahrheit vor Augen,
den einen Herrenwillen in der Brust. Wenn es die Natur dem Adler verliehen
hätte, er müßte lachen, wenn er sich der Sonne entgegenschwingt. Der Löwe, der
mit blutiger Brust vom Siege über seinen Feind kommt, er müßte lachen, und wer
weiß, ob ers nicht tut. Dieses goldne Lachen ist es, das uns über den Weg
tröstet, das uns vergessen macht, was noch vor uns liegt, das das Leid vergoldet.
Meine Herren, lassen Sie uns den Schritten dieses Prometheus folgen. Das Auge
ausschauend nach dem Morgenröte des neuen Tages gerichtet, der der Herrenseele
scheinen wird. Sich selbst ausleben! Zu sich selbst Ja sagen! Herr sein über die
Kleinen und über das Kleine in uns selbst! Keine Halbheiten, kein Rückfall in
das Diesseitige, keine Selbstverkleinerung!

Der Doktor hatte mit edelm Feuer geredet, er war aufgestanden und hatte
zu seiner Zuhörerschaft geredet als Professor und Prophet. Staffelsteiger wühlte
mit beiden Händen in seinen Haaren, Pogge ließ seine Stirnlocke tief ins Gesicht
fallen und dicke Tabakswolken aus seiner Stummelpfeife aufsteigen. Groppoff
sah ganz merkwürdig aus und starrte mit weit geöffneten Augen bald auf den
Prometheus, bald auf seinen Propheten. Und Schwechting hockte auf seiner Stuhl¬
lehne und lachte.

Nicht übel! nicht übel! sagte er. Zu sich selber Ja sagen ist eine schöne Sache
für die, die sich nichts sagen lassen wollen. Der Liederjan sagt zu sich Ja, ist
gründlich liederlich und kommt sich dabei vor wie ein Held. Und schreibt wohl
gar noch Bücher, die gerade so reinlich sind wie er selbst. Pfui Kuckuck! Ist ja
ein wahres Evangelium für die, die Lust haben, mit dem bewußten Ärmel am
Zuchthaus vorbei zu streifen. Weiß Gott, fein ausgedacht! Ich will Ihnen was sagen,
Doktor, eure ganze Weisheit ist papierne Weisheit, ein bedrucktes Feigenblatt für
die Herren Schofelinskis, ausgesonnen von den Vielzuvielen, die viel zu viel Zeit
zum Tifteln haben. In den Romanen liest mens ja, aber in Wirklichkeit hat es
eure Herrenmenschen niemals gegeben und wirds auch nie geben.

Hals nie gegeben? rief Staffelsteiger. Schwechting, schlagen Sie die Blätter
der Geschichte auf, erblicken Sie sie, die herrlichen Gestalten der Renaissance, die
nordischen Helden, die Weltbezwinger aller Länder und Zeiten!


Anfang war. Im Anfang war die Tat. Im Anfang war der Wille, der Herren¬
wille, der sich selbst will. Er kann nicht überall voll zur Erscheinung kommen.
Die Natur begnügt sich damit, wenig Auserwählte zu schaffen, die zum Herrschen
geboren sind, die große Menge ist da zum Dienen, ist der Boden, aus dem die
wenigen edeln Pflanzen hervorwuchsen.

Das wäre also so, sagte Schwechting, wie im Meere: wenig Walfische und
viele Heringe. Und die Walfische fressen die Heringe auf nach dem Rechte des
Stärkern. Schlimm für die Heringe!

Können Sie es ändern? Es ist einmal so, es liegt in der Ökonomie des
Weltalls, antwortete Ramborn. Aber Sie brauchen doch nicht Hering zu bleiben.
Werden Sie doch selbst Herr. Wenn Sie die Kraft dazu haben, andre zu be¬
herrschen, so haben Sie auch das Recht dazu. Werfen Sie die Schranken, die sich
die Kleinen errichtet haben, mit Ihrer Herrenhand zu Boden, wenn Sie es ver¬
mögen, so ist es Ihr Recht. Schreiten Sie hinweg über das Volk der Pygmäen,
treten Sie dem, der liegt, auf den Nacken, es ist Ihr Recht. Napoleon fragte
verwundert: Wie kommen die Menschen dazu, mir Vorwürfe zu machen und mich
zu beurteilen wie jeden andern? Er hatte das Recht, für sich und seine Herren¬
moral eine eigne Beurteilung zu beanspruchen.

Ha! sagte Schwechting, nicht übel für die Herren Herren. Aber ist das ein
Grund, so zu grinsen, wie dieser Schlingel da?

Haben Sie noch nie etwas von dem goldnen Lachen gehört, Schwechting?
fuhr der Doktor fort. Ich meine nicht das Gelächter, das durch den Kitzel des
Lächerlichen entsteht, sondern das goldne, befreiende Lachen dessen, der sich über
den Wirrwarr der Tiefe emporgeschwungen hat, die eine große Wahrheit vor Augen,
den einen Herrenwillen in der Brust. Wenn es die Natur dem Adler verliehen
hätte, er müßte lachen, wenn er sich der Sonne entgegenschwingt. Der Löwe, der
mit blutiger Brust vom Siege über seinen Feind kommt, er müßte lachen, und wer
weiß, ob ers nicht tut. Dieses goldne Lachen ist es, das uns über den Weg
tröstet, das uns vergessen macht, was noch vor uns liegt, das das Leid vergoldet.
Meine Herren, lassen Sie uns den Schritten dieses Prometheus folgen. Das Auge
ausschauend nach dem Morgenröte des neuen Tages gerichtet, der der Herrenseele
scheinen wird. Sich selbst ausleben! Zu sich selbst Ja sagen! Herr sein über die
Kleinen und über das Kleine in uns selbst! Keine Halbheiten, kein Rückfall in
das Diesseitige, keine Selbstverkleinerung!

Der Doktor hatte mit edelm Feuer geredet, er war aufgestanden und hatte
zu seiner Zuhörerschaft geredet als Professor und Prophet. Staffelsteiger wühlte
mit beiden Händen in seinen Haaren, Pogge ließ seine Stirnlocke tief ins Gesicht
fallen und dicke Tabakswolken aus seiner Stummelpfeife aufsteigen. Groppoff
sah ganz merkwürdig aus und starrte mit weit geöffneten Augen bald auf den
Prometheus, bald auf seinen Propheten. Und Schwechting hockte auf seiner Stuhl¬
lehne und lachte.

Nicht übel! nicht übel! sagte er. Zu sich selber Ja sagen ist eine schöne Sache
für die, die sich nichts sagen lassen wollen. Der Liederjan sagt zu sich Ja, ist
gründlich liederlich und kommt sich dabei vor wie ein Held. Und schreibt wohl
gar noch Bücher, die gerade so reinlich sind wie er selbst. Pfui Kuckuck! Ist ja
ein wahres Evangelium für die, die Lust haben, mit dem bewußten Ärmel am
Zuchthaus vorbei zu streifen. Weiß Gott, fein ausgedacht! Ich will Ihnen was sagen,
Doktor, eure ganze Weisheit ist papierne Weisheit, ein bedrucktes Feigenblatt für
die Herren Schofelinskis, ausgesonnen von den Vielzuvielen, die viel zu viel Zeit
zum Tifteln haben. In den Romanen liest mens ja, aber in Wirklichkeit hat es
eure Herrenmenschen niemals gegeben und wirds auch nie geben.

Hals nie gegeben? rief Staffelsteiger. Schwechting, schlagen Sie die Blätter
der Geschichte auf, erblicken Sie sie, die herrlichen Gestalten der Renaissance, die
nordischen Helden, die Weltbezwinger aller Länder und Zeiten!


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[0628] Anfang war. Im Anfang war die Tat. Im Anfang war der Wille, der Herren¬ wille, der sich selbst will. Er kann nicht überall voll zur Erscheinung kommen. Die Natur begnügt sich damit, wenig Auserwählte zu schaffen, die zum Herrschen geboren sind, die große Menge ist da zum Dienen, ist der Boden, aus dem die wenigen edeln Pflanzen hervorwuchsen. Das wäre also so, sagte Schwechting, wie im Meere: wenig Walfische und viele Heringe. Und die Walfische fressen die Heringe auf nach dem Rechte des Stärkern. Schlimm für die Heringe! Können Sie es ändern? Es ist einmal so, es liegt in der Ökonomie des Weltalls, antwortete Ramborn. Aber Sie brauchen doch nicht Hering zu bleiben. Werden Sie doch selbst Herr. Wenn Sie die Kraft dazu haben, andre zu be¬ herrschen, so haben Sie auch das Recht dazu. Werfen Sie die Schranken, die sich die Kleinen errichtet haben, mit Ihrer Herrenhand zu Boden, wenn Sie es ver¬ mögen, so ist es Ihr Recht. Schreiten Sie hinweg über das Volk der Pygmäen, treten Sie dem, der liegt, auf den Nacken, es ist Ihr Recht. Napoleon fragte verwundert: Wie kommen die Menschen dazu, mir Vorwürfe zu machen und mich zu beurteilen wie jeden andern? Er hatte das Recht, für sich und seine Herren¬ moral eine eigne Beurteilung zu beanspruchen. Ha! sagte Schwechting, nicht übel für die Herren Herren. Aber ist das ein Grund, so zu grinsen, wie dieser Schlingel da? Haben Sie noch nie etwas von dem goldnen Lachen gehört, Schwechting? fuhr der Doktor fort. Ich meine nicht das Gelächter, das durch den Kitzel des Lächerlichen entsteht, sondern das goldne, befreiende Lachen dessen, der sich über den Wirrwarr der Tiefe emporgeschwungen hat, die eine große Wahrheit vor Augen, den einen Herrenwillen in der Brust. Wenn es die Natur dem Adler verliehen hätte, er müßte lachen, wenn er sich der Sonne entgegenschwingt. Der Löwe, der mit blutiger Brust vom Siege über seinen Feind kommt, er müßte lachen, und wer weiß, ob ers nicht tut. Dieses goldne Lachen ist es, das uns über den Weg tröstet, das uns vergessen macht, was noch vor uns liegt, das das Leid vergoldet. Meine Herren, lassen Sie uns den Schritten dieses Prometheus folgen. Das Auge ausschauend nach dem Morgenröte des neuen Tages gerichtet, der der Herrenseele scheinen wird. Sich selbst ausleben! Zu sich selbst Ja sagen! Herr sein über die Kleinen und über das Kleine in uns selbst! Keine Halbheiten, kein Rückfall in das Diesseitige, keine Selbstverkleinerung! Der Doktor hatte mit edelm Feuer geredet, er war aufgestanden und hatte zu seiner Zuhörerschaft geredet als Professor und Prophet. Staffelsteiger wühlte mit beiden Händen in seinen Haaren, Pogge ließ seine Stirnlocke tief ins Gesicht fallen und dicke Tabakswolken aus seiner Stummelpfeife aufsteigen. Groppoff sah ganz merkwürdig aus und starrte mit weit geöffneten Augen bald auf den Prometheus, bald auf seinen Propheten. Und Schwechting hockte auf seiner Stuhl¬ lehne und lachte. Nicht übel! nicht übel! sagte er. Zu sich selber Ja sagen ist eine schöne Sache für die, die sich nichts sagen lassen wollen. Der Liederjan sagt zu sich Ja, ist gründlich liederlich und kommt sich dabei vor wie ein Held. Und schreibt wohl gar noch Bücher, die gerade so reinlich sind wie er selbst. Pfui Kuckuck! Ist ja ein wahres Evangelium für die, die Lust haben, mit dem bewußten Ärmel am Zuchthaus vorbei zu streifen. Weiß Gott, fein ausgedacht! Ich will Ihnen was sagen, Doktor, eure ganze Weisheit ist papierne Weisheit, ein bedrucktes Feigenblatt für die Herren Schofelinskis, ausgesonnen von den Vielzuvielen, die viel zu viel Zeit zum Tifteln haben. In den Romanen liest mens ja, aber in Wirklichkeit hat es eure Herrenmenschen niemals gegeben und wirds auch nie geben. Hals nie gegeben? rief Staffelsteiger. Schwechting, schlagen Sie die Blätter der Geschichte auf, erblicken Sie sie, die herrlichen Gestalten der Renaissance, die nordischen Helden, die Weltbezwinger aller Länder und Zeiten!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/628>, abgerufen am 22.12.2024.