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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Beethovens Lroica

sei ein Meisterstück, das sei eben der wahre Stil für die höhere Musik, und
wenn sie nicht gefiele, so komme das nur daher, daß das Publikum nicht
kuustgebildet genug sei, alle diese hohen Schönheiten zu fassen; nach ein paar
tausend Jahren aber würde sie ihre Wirkung nicht verfehlen." Mit seinen
"Paar tausend Jahren" hatte es der Berichterstatter auf einen kleinen Hohn
abgesehen; wir freuen uns aber heute, daß die Eroica doch schon bei ihrem
ersten Schritt in die breite Öffentlichkeit ein Häuflein verständiger Bewundrer
fand. Die andern Gruppen bestanden aus solchen, die der Arbeit schlechter¬
dings allen Kunstwert absprachen und darin nur ein ganz ungebändigtes
Streben nach Auszeichnung und Sonderbarkeit sahen, und solchen, die zwar
manche Schönheiten anerkannten, aber von Beethoven doch lieber Werke im
Stile der beiden ersten Sinfonien, des Septetts usw. wünschten und von dem
Fortschreiten auf dem neuen Wege Unheil für die Kunst witterten. Bemerkens¬
wert ist noch der Schluß der Besprechung, der folgendermaßen lautet: "Das
Publikum und Herr van Beethoven waren an diesem Abend nicht miteinander
zufrieden. Dem Publikum war die Sinfonie zu schwer, zu lang, und Beet¬
hoven selbst zu unhöflich, weil er auch den beifallklatschenden Teil keines Kopf¬
nickens würdigte. Beethoven im Gegenteil fand den Beifall nicht auszeichnend
genug."

Der Meister ließ in solchen Fällen, im berechtigten Gefühl seiner Leistung,
nicht mit sich spaßen. Glaubwürdig ist darum auch die Anekdote, daß, als
man sich ihm gegenüber über die zu große Länge der Sinfonie beklagte, er
geantwortet habe, wenn er eine Sinfonie schreibe, die eine Stunde daure, so
werde man sie wohl kurz genug finden. Begreiflich erscheint uns, daß er
irgendwelche Änderungen vorzunehmen, wie man ihm mehrfach riet, entschieden
zurückwies. Das einzige, worin er der öffentlichen Meinung entgegen kam,
war, daß er, als die Sinfonie im Druck erschien, eine Bemerkung beifügte,
des Inhalts, sie werde, mit Rücksicht auf ihre große Länge, am besten im
Anfang eines Konzerts gespielt, ehe das Auditorium ermüdet sei. Die erste
Veröffentlichung erfolgte im Stimmendruck im Oktober 1806 durch das Wiener
Kunst- und Jndustriekontor mit der Widmung an den Fürsten Lobkowitz.

Es dauerte übrigens nicht mehr lange, bis aller ernstlichere Widerspruch
verstummte. Die Wendung ging von Leipzig aus, das Verdienst, sie herbei¬
geführt zu haben, ist wahrscheinlich dem als Freund Goethes bekannt ge¬
wordnen Hofrat Rochlitz zuzuschreiben. Er redigierte in verdienstvoller Weise
die schon genannte Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung und hat wahr¬
scheinlich selbst den Bericht über die mit Begeisterung aufgenommnen ersten
Aufführungen der Eroica in Leipzig im Winter 1806/07 geschrieben. Es
heißt darin (Jahrg. IX, 1806/07, S 497), daß man durch kurze Charakteristiken
jedes Satzes die Hörer vorbereitet hatte, daß die gebildetsten Kunstfreunde der
Stadt zahlreich versammelt waren, eine wirklich feierliche Spannung und
Totenstille herrschten und sich erhielten, nicht nur während der ersten Auf¬
führung, sondern auch während der zweiten und der dritten, die auf viel¬
fältiges Begehren in wenig Wochen erfolgten. Das Orchester hatte sich frei¬
willig und unvergolten zu außerordentlichen Proben vereinigt, zur genanen


Beethovens Lroica

sei ein Meisterstück, das sei eben der wahre Stil für die höhere Musik, und
wenn sie nicht gefiele, so komme das nur daher, daß das Publikum nicht
kuustgebildet genug sei, alle diese hohen Schönheiten zu fassen; nach ein paar
tausend Jahren aber würde sie ihre Wirkung nicht verfehlen." Mit seinen
„Paar tausend Jahren" hatte es der Berichterstatter auf einen kleinen Hohn
abgesehen; wir freuen uns aber heute, daß die Eroica doch schon bei ihrem
ersten Schritt in die breite Öffentlichkeit ein Häuflein verständiger Bewundrer
fand. Die andern Gruppen bestanden aus solchen, die der Arbeit schlechter¬
dings allen Kunstwert absprachen und darin nur ein ganz ungebändigtes
Streben nach Auszeichnung und Sonderbarkeit sahen, und solchen, die zwar
manche Schönheiten anerkannten, aber von Beethoven doch lieber Werke im
Stile der beiden ersten Sinfonien, des Septetts usw. wünschten und von dem
Fortschreiten auf dem neuen Wege Unheil für die Kunst witterten. Bemerkens¬
wert ist noch der Schluß der Besprechung, der folgendermaßen lautet: „Das
Publikum und Herr van Beethoven waren an diesem Abend nicht miteinander
zufrieden. Dem Publikum war die Sinfonie zu schwer, zu lang, und Beet¬
hoven selbst zu unhöflich, weil er auch den beifallklatschenden Teil keines Kopf¬
nickens würdigte. Beethoven im Gegenteil fand den Beifall nicht auszeichnend
genug."

Der Meister ließ in solchen Fällen, im berechtigten Gefühl seiner Leistung,
nicht mit sich spaßen. Glaubwürdig ist darum auch die Anekdote, daß, als
man sich ihm gegenüber über die zu große Länge der Sinfonie beklagte, er
geantwortet habe, wenn er eine Sinfonie schreibe, die eine Stunde daure, so
werde man sie wohl kurz genug finden. Begreiflich erscheint uns, daß er
irgendwelche Änderungen vorzunehmen, wie man ihm mehrfach riet, entschieden
zurückwies. Das einzige, worin er der öffentlichen Meinung entgegen kam,
war, daß er, als die Sinfonie im Druck erschien, eine Bemerkung beifügte,
des Inhalts, sie werde, mit Rücksicht auf ihre große Länge, am besten im
Anfang eines Konzerts gespielt, ehe das Auditorium ermüdet sei. Die erste
Veröffentlichung erfolgte im Stimmendruck im Oktober 1806 durch das Wiener
Kunst- und Jndustriekontor mit der Widmung an den Fürsten Lobkowitz.

Es dauerte übrigens nicht mehr lange, bis aller ernstlichere Widerspruch
verstummte. Die Wendung ging von Leipzig aus, das Verdienst, sie herbei¬
geführt zu haben, ist wahrscheinlich dem als Freund Goethes bekannt ge¬
wordnen Hofrat Rochlitz zuzuschreiben. Er redigierte in verdienstvoller Weise
die schon genannte Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung und hat wahr¬
scheinlich selbst den Bericht über die mit Begeisterung aufgenommnen ersten
Aufführungen der Eroica in Leipzig im Winter 1806/07 geschrieben. Es
heißt darin (Jahrg. IX, 1806/07, S 497), daß man durch kurze Charakteristiken
jedes Satzes die Hörer vorbereitet hatte, daß die gebildetsten Kunstfreunde der
Stadt zahlreich versammelt waren, eine wirklich feierliche Spannung und
Totenstille herrschten und sich erhielten, nicht nur während der ersten Auf¬
führung, sondern auch während der zweiten und der dritten, die auf viel¬
fältiges Begehren in wenig Wochen erfolgten. Das Orchester hatte sich frei¬
willig und unvergolten zu außerordentlichen Proben vereinigt, zur genanen


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[0624] Beethovens Lroica sei ein Meisterstück, das sei eben der wahre Stil für die höhere Musik, und wenn sie nicht gefiele, so komme das nur daher, daß das Publikum nicht kuustgebildet genug sei, alle diese hohen Schönheiten zu fassen; nach ein paar tausend Jahren aber würde sie ihre Wirkung nicht verfehlen." Mit seinen „Paar tausend Jahren" hatte es der Berichterstatter auf einen kleinen Hohn abgesehen; wir freuen uns aber heute, daß die Eroica doch schon bei ihrem ersten Schritt in die breite Öffentlichkeit ein Häuflein verständiger Bewundrer fand. Die andern Gruppen bestanden aus solchen, die der Arbeit schlechter¬ dings allen Kunstwert absprachen und darin nur ein ganz ungebändigtes Streben nach Auszeichnung und Sonderbarkeit sahen, und solchen, die zwar manche Schönheiten anerkannten, aber von Beethoven doch lieber Werke im Stile der beiden ersten Sinfonien, des Septetts usw. wünschten und von dem Fortschreiten auf dem neuen Wege Unheil für die Kunst witterten. Bemerkens¬ wert ist noch der Schluß der Besprechung, der folgendermaßen lautet: „Das Publikum und Herr van Beethoven waren an diesem Abend nicht miteinander zufrieden. Dem Publikum war die Sinfonie zu schwer, zu lang, und Beet¬ hoven selbst zu unhöflich, weil er auch den beifallklatschenden Teil keines Kopf¬ nickens würdigte. Beethoven im Gegenteil fand den Beifall nicht auszeichnend genug." Der Meister ließ in solchen Fällen, im berechtigten Gefühl seiner Leistung, nicht mit sich spaßen. Glaubwürdig ist darum auch die Anekdote, daß, als man sich ihm gegenüber über die zu große Länge der Sinfonie beklagte, er geantwortet habe, wenn er eine Sinfonie schreibe, die eine Stunde daure, so werde man sie wohl kurz genug finden. Begreiflich erscheint uns, daß er irgendwelche Änderungen vorzunehmen, wie man ihm mehrfach riet, entschieden zurückwies. Das einzige, worin er der öffentlichen Meinung entgegen kam, war, daß er, als die Sinfonie im Druck erschien, eine Bemerkung beifügte, des Inhalts, sie werde, mit Rücksicht auf ihre große Länge, am besten im Anfang eines Konzerts gespielt, ehe das Auditorium ermüdet sei. Die erste Veröffentlichung erfolgte im Stimmendruck im Oktober 1806 durch das Wiener Kunst- und Jndustriekontor mit der Widmung an den Fürsten Lobkowitz. Es dauerte übrigens nicht mehr lange, bis aller ernstlichere Widerspruch verstummte. Die Wendung ging von Leipzig aus, das Verdienst, sie herbei¬ geführt zu haben, ist wahrscheinlich dem als Freund Goethes bekannt ge¬ wordnen Hofrat Rochlitz zuzuschreiben. Er redigierte in verdienstvoller Weise die schon genannte Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung und hat wahr¬ scheinlich selbst den Bericht über die mit Begeisterung aufgenommnen ersten Aufführungen der Eroica in Leipzig im Winter 1806/07 geschrieben. Es heißt darin (Jahrg. IX, 1806/07, S 497), daß man durch kurze Charakteristiken jedes Satzes die Hörer vorbereitet hatte, daß die gebildetsten Kunstfreunde der Stadt zahlreich versammelt waren, eine wirklich feierliche Spannung und Totenstille herrschten und sich erhielten, nicht nur während der ersten Auf¬ führung, sondern auch während der zweiten und der dritten, die auf viel¬ fältiges Begehren in wenig Wochen erfolgten. Das Orchester hatte sich frei¬ willig und unvergolten zu außerordentlichen Proben vereinigt, zur genanen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/624>, abgerufen am 22.12.2024.