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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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subalterne Juristen

Er rechnet auf sehr junge und sehr vergeßliche Leser. Bekanntlich ist es
Bismarck gewesen, der die ganze unbrauchbare und für das Reich verderbliche
Kulturkampfmaschinerie zerschlagen und zum alten Eisen geworfen und seitdem
zum Papste die besten Beziehungen unterhalten hat.

(Schluß folgt)




subalterne Juristen
Lügen Josef i von n Freiburg im Breisgau
(Schluß)

> as vom Vormuudschaftsrichter gesagt worden ist, gilt in noch
viel höherm Maße vom Prozeßrichter, und keineswegs von
den Richtern der Kollegialgerichte in wesentlich geringerm Maße
als von den Einzelrichtern. Sogar Rechtsfragen, deren Be¬
antwortung gar nicht die Hernussiuduug von "Rechtsgedanken"
verlangt, sondern von der Auslegung einer einzelnen gesetzlichen Bestimmung
abhängt, sind oft so schwierig zu beantworten, daß eine gründliche Ent¬
scheidung, wie man sie von wissenschaftlich gebildeten Männern erwarten
kann, die eingehendsten Untersuchungen, die Anwendung des vollen "wissen¬
schaftlichen Rüstzeugs" in dem oben dargelegten Sinn und Umfang ver¬
langt. Man denke hier an den Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
den man mit Recht als einen "erbarmuugslosen," als den "mitleidlosen"
bezeichnet hat; es ist der Paragraph 833, der von der Haftung für Tier-
schüden handelt und lautet: "Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder
der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt, oder eine Sache be¬
schädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten
den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen." Schon das älteste uns be¬
kannte Gesetzgebungswerk, das um das Jahr 2250 vor Christus entstandne
Gesetzbuch des babylonischen Königs Hammnrabi behandelt diese Frage*) und
entscheidet sie in der Art, wie das Rechtsgefühl es fordert: Gegen die Eigen¬
tümlichkeit der Tiere, die dem Menschen nun einmal unentbehrlich sind, mag
sich jeder selbst schützen, und nur für außergewöhnliche Unart und Gefährlich¬
keit eiues Tieres haftet der Besitzer, der ja regelmüßig darum wissen muß
und Beschädigungen also vorbeugen kann. So entschieden auch das Römische
Recht und die meisten Landesrechte die Frage, und der dem Reichstage vor¬
gelegte Entwurf zum Bürgerliche,: Gesetzbuch schlug zu der oben mitgeteilten
Bestimmung des jetzigen Paragraphen 833 als Absatz 2 folgende Bestimmung
vor: "Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier
verursacht wird und derjenige, welcher das Tier hält, bei dessen Beauf¬
sichtigung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, oder wenn der



") Satz 2S0 bis 251 der Übersetzung von Hugo Winkler ("Der alte Orient," Jahrg. IV).
Grenzboten I 1905 78
subalterne Juristen

Er rechnet auf sehr junge und sehr vergeßliche Leser. Bekanntlich ist es
Bismarck gewesen, der die ganze unbrauchbare und für das Reich verderbliche
Kulturkampfmaschinerie zerschlagen und zum alten Eisen geworfen und seitdem
zum Papste die besten Beziehungen unterhalten hat.

(Schluß folgt)




subalterne Juristen
Lügen Josef i von n Freiburg im Breisgau
(Schluß)

> as vom Vormuudschaftsrichter gesagt worden ist, gilt in noch
viel höherm Maße vom Prozeßrichter, und keineswegs von
den Richtern der Kollegialgerichte in wesentlich geringerm Maße
als von den Einzelrichtern. Sogar Rechtsfragen, deren Be¬
antwortung gar nicht die Hernussiuduug von „Rechtsgedanken"
verlangt, sondern von der Auslegung einer einzelnen gesetzlichen Bestimmung
abhängt, sind oft so schwierig zu beantworten, daß eine gründliche Ent¬
scheidung, wie man sie von wissenschaftlich gebildeten Männern erwarten
kann, die eingehendsten Untersuchungen, die Anwendung des vollen „wissen¬
schaftlichen Rüstzeugs" in dem oben dargelegten Sinn und Umfang ver¬
langt. Man denke hier an den Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
den man mit Recht als einen „erbarmuugslosen," als den „mitleidlosen"
bezeichnet hat; es ist der Paragraph 833, der von der Haftung für Tier-
schüden handelt und lautet: „Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder
der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt, oder eine Sache be¬
schädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten
den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen." Schon das älteste uns be¬
kannte Gesetzgebungswerk, das um das Jahr 2250 vor Christus entstandne
Gesetzbuch des babylonischen Königs Hammnrabi behandelt diese Frage*) und
entscheidet sie in der Art, wie das Rechtsgefühl es fordert: Gegen die Eigen¬
tümlichkeit der Tiere, die dem Menschen nun einmal unentbehrlich sind, mag
sich jeder selbst schützen, und nur für außergewöhnliche Unart und Gefährlich¬
keit eiues Tieres haftet der Besitzer, der ja regelmüßig darum wissen muß
und Beschädigungen also vorbeugen kann. So entschieden auch das Römische
Recht und die meisten Landesrechte die Frage, und der dem Reichstage vor¬
gelegte Entwurf zum Bürgerliche,: Gesetzbuch schlug zu der oben mitgeteilten
Bestimmung des jetzigen Paragraphen 833 als Absatz 2 folgende Bestimmung
vor: „Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier
verursacht wird und derjenige, welcher das Tier hält, bei dessen Beauf¬
sichtigung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, oder wenn der



») Satz 2S0 bis 251 der Übersetzung von Hugo Winkler („Der alte Orient," Jahrg. IV).
Grenzboten I 1905 78
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[0601] subalterne Juristen Er rechnet auf sehr junge und sehr vergeßliche Leser. Bekanntlich ist es Bismarck gewesen, der die ganze unbrauchbare und für das Reich verderbliche Kulturkampfmaschinerie zerschlagen und zum alten Eisen geworfen und seitdem zum Papste die besten Beziehungen unterhalten hat. (Schluß folgt) subalterne Juristen Lügen Josef i von n Freiburg im Breisgau (Schluß) > as vom Vormuudschaftsrichter gesagt worden ist, gilt in noch viel höherm Maße vom Prozeßrichter, und keineswegs von den Richtern der Kollegialgerichte in wesentlich geringerm Maße als von den Einzelrichtern. Sogar Rechtsfragen, deren Be¬ antwortung gar nicht die Hernussiuduug von „Rechtsgedanken" verlangt, sondern von der Auslegung einer einzelnen gesetzlichen Bestimmung abhängt, sind oft so schwierig zu beantworten, daß eine gründliche Ent¬ scheidung, wie man sie von wissenschaftlich gebildeten Männern erwarten kann, die eingehendsten Untersuchungen, die Anwendung des vollen „wissen¬ schaftlichen Rüstzeugs" in dem oben dargelegten Sinn und Umfang ver¬ langt. Man denke hier an den Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, den man mit Recht als einen „erbarmuugslosen," als den „mitleidlosen" bezeichnet hat; es ist der Paragraph 833, der von der Haftung für Tier- schüden handelt und lautet: „Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt, oder eine Sache be¬ schädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen." Schon das älteste uns be¬ kannte Gesetzgebungswerk, das um das Jahr 2250 vor Christus entstandne Gesetzbuch des babylonischen Königs Hammnrabi behandelt diese Frage*) und entscheidet sie in der Art, wie das Rechtsgefühl es fordert: Gegen die Eigen¬ tümlichkeit der Tiere, die dem Menschen nun einmal unentbehrlich sind, mag sich jeder selbst schützen, und nur für außergewöhnliche Unart und Gefährlich¬ keit eiues Tieres haftet der Besitzer, der ja regelmüßig darum wissen muß und Beschädigungen also vorbeugen kann. So entschieden auch das Römische Recht und die meisten Landesrechte die Frage, und der dem Reichstage vor¬ gelegte Entwurf zum Bürgerliche,: Gesetzbuch schlug zu der oben mitgeteilten Bestimmung des jetzigen Paragraphen 833 als Absatz 2 folgende Bestimmung vor: „Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird und derjenige, welcher das Tier hält, bei dessen Beauf¬ sichtigung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet, oder wenn der ») Satz 2S0 bis 251 der Übersetzung von Hugo Winkler („Der alte Orient," Jahrg. IV). Grenzboten I 1905 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/601>, abgerufen am 22.12.2024.