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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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maritimen Großmachtstellung Rußlands im fernen Osten nichts mehr Her¬
vorgehn.

Auch mit der einst so sehr gefürchteten Vormundschaft Rußlands über
China ist es auf absehbare Zeit aus. Man sagte: Die mandschurische Eisen¬
bahn vergegenwärtigt den Chinesen allezeit, wie leicht die Riesenmacht Nord-
asiens Kosakenschwärme bis vor die Tore Pekings bringen kann. Und das
wird schon ausreichen, den Hof und die Mandarinen zu gefügigen Dienern der
Petersburger Politik zu machen. Namentlich das chinesische Zollwesen wird sich
so gestalten, daß die russischen Kaufleute den Hauptvorteil haben, gerade wie in
Persien. Wie ist das alles anders gekommen! Der Sieg Japans hat Ru߬
lands Prestige schwer geschädigt; die Furcht vor den Kosaken ist dahin. Jetzt
muß eine japanische Vormundschaft über China gefürchtet werden. Wenn die
Russen wieder den Herrn spielen wollen, werden die Japaner Unterstützung
genug bei andern Mächten finden, das zu hindern. So kann man nur sagen:
in der Tat, der Umschwung ist von der allergrößten Bedeutung. Es ist so
weit, daß Europa und Amerika sich die Frage vorlegen können, ob es nicht
bald an der Zeit sein wird, Japan zu zügeln.

Das Ausscheiden Rußlands läßt nur drei pazifische Großmächte übrig:
Japan, England, die Vereinigten Staaten. Wer Deutschland und Frankreich
hinzurechnen wollte, würde sich irren. Beide haben zwar wichtige Stützpunkte
im Westen des großen Gewässers: Kiautschou, die Karolinen, Hinterindien, Neu-
kaledonien. Beide haben jedoch ihren Schwerpunkt so sehr in Europa und sind
durch die Politik unsers Weltteils so sehr in Anspruch genommen, daß sie sich
in pazifische Angelegenheiten entweder nur auf Grund von Bündnissen einlassen
könnten, oder wenn es sich mehr um eine Strafexekution gegen kleinere Mächte
handelt. Beide können ihre Landstreitkräfte dort so gut wie gar nicht ver¬
wenden, beide können nicht so viel von ihrer Marine dorthin senden, daß sie
es mit der japanischen, geschweige denn mit der amerikanischen oder der eng¬
lischen Flotte aufnehmen können. Von den drei andern Mächten formulieren
schon seit längerer Zeit -- neuerdings, seit dem Aufsteigen Japans zu einer
Rußland gewachsnen Macht jedoch in etwas gedämpfterm Ton -- die Amerikaner
den Anspruch auf eine Vormachtstellung in diesem größten Gewässer des Erd¬
balls. Denn von Mittel- und Südamerika abgesehen stoße nur in ihrem Lande
die kaukasische Rasse an seine Ufer; alle andern Mächte hätten dort nur
Kolonien, die von der Heimat weit abgelegen seien. Die Vereinigten Staaten
allein würden unmittelbar von den Wogen des Stillen Ozeans bespült. Kolonien
hätten sie obendrein, nämlich Hawai und die für Ostasien so wichtigen Philip¬
pinen. Die gelbe Rasse Japans zahle nicht mit. Wenn die Ostküste der nord¬
amerikanischen Republik jetzt auch noch durch das lange Rückgrat des Kontinents
von dem jenseitigen Ozean getrennt sei, so werde sich dies bald ändern. Der
Panamakanal mache Newyork gleichsam zu einem pazifischen Hafen. Keine
Macht habe dann eine ähnlich gute Verbindung.

In der Tat, die zukünftige zentralnmerikanische Wasserstraße hat den
Vereinigten Staaten einen früher nicht gekannten Vorsprung gegeben. Lauge
Zeit war sie ein frommer Wunsch geblieben; die Entwicklung der großen


Gstasien

maritimen Großmachtstellung Rußlands im fernen Osten nichts mehr Her¬
vorgehn.

Auch mit der einst so sehr gefürchteten Vormundschaft Rußlands über
China ist es auf absehbare Zeit aus. Man sagte: Die mandschurische Eisen¬
bahn vergegenwärtigt den Chinesen allezeit, wie leicht die Riesenmacht Nord-
asiens Kosakenschwärme bis vor die Tore Pekings bringen kann. Und das
wird schon ausreichen, den Hof und die Mandarinen zu gefügigen Dienern der
Petersburger Politik zu machen. Namentlich das chinesische Zollwesen wird sich
so gestalten, daß die russischen Kaufleute den Hauptvorteil haben, gerade wie in
Persien. Wie ist das alles anders gekommen! Der Sieg Japans hat Ru߬
lands Prestige schwer geschädigt; die Furcht vor den Kosaken ist dahin. Jetzt
muß eine japanische Vormundschaft über China gefürchtet werden. Wenn die
Russen wieder den Herrn spielen wollen, werden die Japaner Unterstützung
genug bei andern Mächten finden, das zu hindern. So kann man nur sagen:
in der Tat, der Umschwung ist von der allergrößten Bedeutung. Es ist so
weit, daß Europa und Amerika sich die Frage vorlegen können, ob es nicht
bald an der Zeit sein wird, Japan zu zügeln.

Das Ausscheiden Rußlands läßt nur drei pazifische Großmächte übrig:
Japan, England, die Vereinigten Staaten. Wer Deutschland und Frankreich
hinzurechnen wollte, würde sich irren. Beide haben zwar wichtige Stützpunkte
im Westen des großen Gewässers: Kiautschou, die Karolinen, Hinterindien, Neu-
kaledonien. Beide haben jedoch ihren Schwerpunkt so sehr in Europa und sind
durch die Politik unsers Weltteils so sehr in Anspruch genommen, daß sie sich
in pazifische Angelegenheiten entweder nur auf Grund von Bündnissen einlassen
könnten, oder wenn es sich mehr um eine Strafexekution gegen kleinere Mächte
handelt. Beide können ihre Landstreitkräfte dort so gut wie gar nicht ver¬
wenden, beide können nicht so viel von ihrer Marine dorthin senden, daß sie
es mit der japanischen, geschweige denn mit der amerikanischen oder der eng¬
lischen Flotte aufnehmen können. Von den drei andern Mächten formulieren
schon seit längerer Zeit — neuerdings, seit dem Aufsteigen Japans zu einer
Rußland gewachsnen Macht jedoch in etwas gedämpfterm Ton — die Amerikaner
den Anspruch auf eine Vormachtstellung in diesem größten Gewässer des Erd¬
balls. Denn von Mittel- und Südamerika abgesehen stoße nur in ihrem Lande
die kaukasische Rasse an seine Ufer; alle andern Mächte hätten dort nur
Kolonien, die von der Heimat weit abgelegen seien. Die Vereinigten Staaten
allein würden unmittelbar von den Wogen des Stillen Ozeans bespült. Kolonien
hätten sie obendrein, nämlich Hawai und die für Ostasien so wichtigen Philip¬
pinen. Die gelbe Rasse Japans zahle nicht mit. Wenn die Ostküste der nord¬
amerikanischen Republik jetzt auch noch durch das lange Rückgrat des Kontinents
von dem jenseitigen Ozean getrennt sei, so werde sich dies bald ändern. Der
Panamakanal mache Newyork gleichsam zu einem pazifischen Hafen. Keine
Macht habe dann eine ähnlich gute Verbindung.

In der Tat, die zukünftige zentralnmerikanische Wasserstraße hat den
Vereinigten Staaten einen früher nicht gekannten Vorsprung gegeben. Lauge
Zeit war sie ein frommer Wunsch geblieben; die Entwicklung der großen


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[0588] Gstasien maritimen Großmachtstellung Rußlands im fernen Osten nichts mehr Her¬ vorgehn. Auch mit der einst so sehr gefürchteten Vormundschaft Rußlands über China ist es auf absehbare Zeit aus. Man sagte: Die mandschurische Eisen¬ bahn vergegenwärtigt den Chinesen allezeit, wie leicht die Riesenmacht Nord- asiens Kosakenschwärme bis vor die Tore Pekings bringen kann. Und das wird schon ausreichen, den Hof und die Mandarinen zu gefügigen Dienern der Petersburger Politik zu machen. Namentlich das chinesische Zollwesen wird sich so gestalten, daß die russischen Kaufleute den Hauptvorteil haben, gerade wie in Persien. Wie ist das alles anders gekommen! Der Sieg Japans hat Ru߬ lands Prestige schwer geschädigt; die Furcht vor den Kosaken ist dahin. Jetzt muß eine japanische Vormundschaft über China gefürchtet werden. Wenn die Russen wieder den Herrn spielen wollen, werden die Japaner Unterstützung genug bei andern Mächten finden, das zu hindern. So kann man nur sagen: in der Tat, der Umschwung ist von der allergrößten Bedeutung. Es ist so weit, daß Europa und Amerika sich die Frage vorlegen können, ob es nicht bald an der Zeit sein wird, Japan zu zügeln. Das Ausscheiden Rußlands läßt nur drei pazifische Großmächte übrig: Japan, England, die Vereinigten Staaten. Wer Deutschland und Frankreich hinzurechnen wollte, würde sich irren. Beide haben zwar wichtige Stützpunkte im Westen des großen Gewässers: Kiautschou, die Karolinen, Hinterindien, Neu- kaledonien. Beide haben jedoch ihren Schwerpunkt so sehr in Europa und sind durch die Politik unsers Weltteils so sehr in Anspruch genommen, daß sie sich in pazifische Angelegenheiten entweder nur auf Grund von Bündnissen einlassen könnten, oder wenn es sich mehr um eine Strafexekution gegen kleinere Mächte handelt. Beide können ihre Landstreitkräfte dort so gut wie gar nicht ver¬ wenden, beide können nicht so viel von ihrer Marine dorthin senden, daß sie es mit der japanischen, geschweige denn mit der amerikanischen oder der eng¬ lischen Flotte aufnehmen können. Von den drei andern Mächten formulieren schon seit längerer Zeit — neuerdings, seit dem Aufsteigen Japans zu einer Rußland gewachsnen Macht jedoch in etwas gedämpfterm Ton — die Amerikaner den Anspruch auf eine Vormachtstellung in diesem größten Gewässer des Erd¬ balls. Denn von Mittel- und Südamerika abgesehen stoße nur in ihrem Lande die kaukasische Rasse an seine Ufer; alle andern Mächte hätten dort nur Kolonien, die von der Heimat weit abgelegen seien. Die Vereinigten Staaten allein würden unmittelbar von den Wogen des Stillen Ozeans bespült. Kolonien hätten sie obendrein, nämlich Hawai und die für Ostasien so wichtigen Philip¬ pinen. Die gelbe Rasse Japans zahle nicht mit. Wenn die Ostküste der nord¬ amerikanischen Republik jetzt auch noch durch das lange Rückgrat des Kontinents von dem jenseitigen Ozean getrennt sei, so werde sich dies bald ändern. Der Panamakanal mache Newyork gleichsam zu einem pazifischen Hafen. Keine Macht habe dann eine ähnlich gute Verbindung. In der Tat, die zukünftige zentralnmerikanische Wasserstraße hat den Vereinigten Staaten einen früher nicht gekannten Vorsprung gegeben. Lauge Zeit war sie ein frommer Wunsch geblieben; die Entwicklung der großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/588>, abgerufen am 23.07.2024.