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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Hans von Zielen, dem muß er des Abends bei düstrer Öllampe ans dem Klave-
zimbel vorspielen, und dabei wandert der alte Recke in großen Schritten um den
Tisch und verzehrt eine Handvoll Semmelbrocken mit Rosinen. Da trällert das
Gewehrfeuer der Feldwachen unten bei Miltitz, die Österreicher versuchen wieder
einmal einen Überfall -- und das Stillleben ist zu Ende: der Alte muß hinaus,
die Posten zu revidieren.

Der Bauer, der jetzt noch hie und da eine Kugel cmspflügt, betrachtet sie
verwundert, er weiß nichts mehr vom siebenjährigen Kriege. Aber der ehemalige
Afraner Lessing wußte wohl, warum er vor unzähligen Schlachten den Just in
der "Minna von Barnhelm" gerade der "Affaire bei den Kntzenhänsern" gedenken
läßt, und als Kaiser Joseph der Zweite 1765 nach Meißen kam und über Löthain
und Pröda nach dem "Zehrner Ravin" ritt, ließ er sich wenigstens die Gegend
"nach denen Katzenhäusern" von fern zeigen. Die großen Schanzenanlagen der
Preußen bei diesem Orte sind fast verschwunden, aber die aussichtreiche Rndewitzer
Schanze ist erhalten, ein Vermächtnis aus verschollner Zeit. Drei schöne Linden
stehn darauf, sie sollen die Gräber dreier hier gefallner Soldaten bezeichnen. Wie
altväterlich und beinahe gemütlich mutet uns doch diese Kriegführung an, wo
manchmal jeder einzelne Soldat sein Grab und seine Linde erhielt im Vergleich
zu dem wüsten, armeenvertilgenden Massenmord der Russen und der Japaner.

Als die Kanonen des siebenjährigen Krieges verstummt waren, und auch die
Lommatzscher Pflege an der Straße bei Löthain ihre Friedenslinde empfangen hatte,
als der Bauer durch zähen Fleiß das Verlorne wieder ersetzte, begann hier eine
wichtige soziale Umwälzung. Der alte Adel hatte teils in dem verschwenderischen
höfischen Leben unter August dem Starken und seinem Sohne sein Vermögen ver¬
geudet, teils sich unter dem harten Drucke der Kontributionsforderungen des Königs
von Preußen in Schulden gestürzt, von denen er sich nicht mehr recht erholte. So
manches Rittergut der Lommatzscher Pflege ging nach dem Hnbertnsburger Frieden
in bürgerliche Hände über, zugleich aber wuchs unter der Herrschaft der Aufklärung
den Bauern das Selbstbewußtsein und der Widerwille gegen die ihnen während
der später" Jahrhunderte des Mittelalters auferlegte Gutsuntertänigkeit und die
mit ihr verbundnen Lasten. Die französische Revolution der Jahre 1789 und 1790
fand in Sachsen ein starkes Echo, das stärkste in der Lommatzscher Pflege, wo das
Selbstbewußtsein der Bauern infolge ihrer Wohlhäbigkeit am stärksten war. Denn
während sich die Hohensteiner und erzgebirgischen Bauern im Sommer 1790
eigentlich nur gegen den großen Wildstand der kurfürstlichen Forsten auflehnten
und bald beschwichtigt wurden, forderten die Lommatzscher nichts geringeres als die
Aufhebung aller Fronten, Dienste und Nciturallasten. Noch ist die Geschichte dieser
denkwürdigen Revolution nicht geschrieben, ein reiches Material dazu ist in den
Akten des Staatsarchivs in Dresden, des Meißner Gerichtsamtsarchivs und in vielen
privaten Aufzeichnungen vorhanden. Hier genügt es, einige für den ganzen Verlauf
charakteristische Szenen hervorzuheben. Hauptquartiere der revoltierenden Bauern
waren der Katzenberg und das Dorf Pinnewitz. Dort versuchte der kurfürstliche
Amtmann von Oschatz mit dreißig Mann Militär am 14. August die Ordnung
herzustellen. Er läßt die Gemeinde auf den Pinnewitzcr Herrenhof laden, aber die
Bauern lassen ihm sagen, wer mit ihnen verhandeln wolle, solle zu ihnen auf den
Dorfanger kommen. Schließlich kommt eine sechs- bis achthundert Mann starke,
aus der Umgegend anfgevotne Horde mit eisenbeschlaguen Stöcken, mißhandelt den
Amtmann und zwingt ihn, mitsamt seinen Soldaten abzuziehn. Zehn Tage später
wird der im Wagen flüchtende Erb- und Gerichtsherr von Pinncwitz, Keck von
Schwarzbach, von seinen Bauern eingeholt, zurücktransportiert und nur mit Mühe
durch dreinhanende Dragoner gerettet. Schlimmer noch erging es am 22. August
dem Erb- und Gerichtsherrn auf Schleinitz, Petzschwitz, Graupzig, Gödelitz und
Stauchitz, Friedrich von Zehner. Er hatte in seiner Not vierzig Mann von der
in Lommatzsch garnisonierenden Artillerie requiriert. Aber die Bauern entrissen


Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Hans von Zielen, dem muß er des Abends bei düstrer Öllampe ans dem Klave-
zimbel vorspielen, und dabei wandert der alte Recke in großen Schritten um den
Tisch und verzehrt eine Handvoll Semmelbrocken mit Rosinen. Da trällert das
Gewehrfeuer der Feldwachen unten bei Miltitz, die Österreicher versuchen wieder
einmal einen Überfall — und das Stillleben ist zu Ende: der Alte muß hinaus,
die Posten zu revidieren.

Der Bauer, der jetzt noch hie und da eine Kugel cmspflügt, betrachtet sie
verwundert, er weiß nichts mehr vom siebenjährigen Kriege. Aber der ehemalige
Afraner Lessing wußte wohl, warum er vor unzähligen Schlachten den Just in
der „Minna von Barnhelm" gerade der „Affaire bei den Kntzenhänsern" gedenken
läßt, und als Kaiser Joseph der Zweite 1765 nach Meißen kam und über Löthain
und Pröda nach dem „Zehrner Ravin" ritt, ließ er sich wenigstens die Gegend
„nach denen Katzenhäusern" von fern zeigen. Die großen Schanzenanlagen der
Preußen bei diesem Orte sind fast verschwunden, aber die aussichtreiche Rndewitzer
Schanze ist erhalten, ein Vermächtnis aus verschollner Zeit. Drei schöne Linden
stehn darauf, sie sollen die Gräber dreier hier gefallner Soldaten bezeichnen. Wie
altväterlich und beinahe gemütlich mutet uns doch diese Kriegführung an, wo
manchmal jeder einzelne Soldat sein Grab und seine Linde erhielt im Vergleich
zu dem wüsten, armeenvertilgenden Massenmord der Russen und der Japaner.

Als die Kanonen des siebenjährigen Krieges verstummt waren, und auch die
Lommatzscher Pflege an der Straße bei Löthain ihre Friedenslinde empfangen hatte,
als der Bauer durch zähen Fleiß das Verlorne wieder ersetzte, begann hier eine
wichtige soziale Umwälzung. Der alte Adel hatte teils in dem verschwenderischen
höfischen Leben unter August dem Starken und seinem Sohne sein Vermögen ver¬
geudet, teils sich unter dem harten Drucke der Kontributionsforderungen des Königs
von Preußen in Schulden gestürzt, von denen er sich nicht mehr recht erholte. So
manches Rittergut der Lommatzscher Pflege ging nach dem Hnbertnsburger Frieden
in bürgerliche Hände über, zugleich aber wuchs unter der Herrschaft der Aufklärung
den Bauern das Selbstbewußtsein und der Widerwille gegen die ihnen während
der später» Jahrhunderte des Mittelalters auferlegte Gutsuntertänigkeit und die
mit ihr verbundnen Lasten. Die französische Revolution der Jahre 1789 und 1790
fand in Sachsen ein starkes Echo, das stärkste in der Lommatzscher Pflege, wo das
Selbstbewußtsein der Bauern infolge ihrer Wohlhäbigkeit am stärksten war. Denn
während sich die Hohensteiner und erzgebirgischen Bauern im Sommer 1790
eigentlich nur gegen den großen Wildstand der kurfürstlichen Forsten auflehnten
und bald beschwichtigt wurden, forderten die Lommatzscher nichts geringeres als die
Aufhebung aller Fronten, Dienste und Nciturallasten. Noch ist die Geschichte dieser
denkwürdigen Revolution nicht geschrieben, ein reiches Material dazu ist in den
Akten des Staatsarchivs in Dresden, des Meißner Gerichtsamtsarchivs und in vielen
privaten Aufzeichnungen vorhanden. Hier genügt es, einige für den ganzen Verlauf
charakteristische Szenen hervorzuheben. Hauptquartiere der revoltierenden Bauern
waren der Katzenberg und das Dorf Pinnewitz. Dort versuchte der kurfürstliche
Amtmann von Oschatz mit dreißig Mann Militär am 14. August die Ordnung
herzustellen. Er läßt die Gemeinde auf den Pinnewitzcr Herrenhof laden, aber die
Bauern lassen ihm sagen, wer mit ihnen verhandeln wolle, solle zu ihnen auf den
Dorfanger kommen. Schließlich kommt eine sechs- bis achthundert Mann starke,
aus der Umgegend anfgevotne Horde mit eisenbeschlaguen Stöcken, mißhandelt den
Amtmann und zwingt ihn, mitsamt seinen Soldaten abzuziehn. Zehn Tage später
wird der im Wagen flüchtende Erb- und Gerichtsherr von Pinncwitz, Keck von
Schwarzbach, von seinen Bauern eingeholt, zurücktransportiert und nur mit Mühe
durch dreinhanende Dragoner gerettet. Schlimmer noch erging es am 22. August
dem Erb- und Gerichtsherrn auf Schleinitz, Petzschwitz, Graupzig, Gödelitz und
Stauchitz, Friedrich von Zehner. Er hatte in seiner Not vierzig Mann von der
in Lommatzsch garnisonierenden Artillerie requiriert. Aber die Bauern entrissen


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[0568] Die Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz Hans von Zielen, dem muß er des Abends bei düstrer Öllampe ans dem Klave- zimbel vorspielen, und dabei wandert der alte Recke in großen Schritten um den Tisch und verzehrt eine Handvoll Semmelbrocken mit Rosinen. Da trällert das Gewehrfeuer der Feldwachen unten bei Miltitz, die Österreicher versuchen wieder einmal einen Überfall — und das Stillleben ist zu Ende: der Alte muß hinaus, die Posten zu revidieren. Der Bauer, der jetzt noch hie und da eine Kugel cmspflügt, betrachtet sie verwundert, er weiß nichts mehr vom siebenjährigen Kriege. Aber der ehemalige Afraner Lessing wußte wohl, warum er vor unzähligen Schlachten den Just in der „Minna von Barnhelm" gerade der „Affaire bei den Kntzenhänsern" gedenken läßt, und als Kaiser Joseph der Zweite 1765 nach Meißen kam und über Löthain und Pröda nach dem „Zehrner Ravin" ritt, ließ er sich wenigstens die Gegend „nach denen Katzenhäusern" von fern zeigen. Die großen Schanzenanlagen der Preußen bei diesem Orte sind fast verschwunden, aber die aussichtreiche Rndewitzer Schanze ist erhalten, ein Vermächtnis aus verschollner Zeit. Drei schöne Linden stehn darauf, sie sollen die Gräber dreier hier gefallner Soldaten bezeichnen. Wie altväterlich und beinahe gemütlich mutet uns doch diese Kriegführung an, wo manchmal jeder einzelne Soldat sein Grab und seine Linde erhielt im Vergleich zu dem wüsten, armeenvertilgenden Massenmord der Russen und der Japaner. Als die Kanonen des siebenjährigen Krieges verstummt waren, und auch die Lommatzscher Pflege an der Straße bei Löthain ihre Friedenslinde empfangen hatte, als der Bauer durch zähen Fleiß das Verlorne wieder ersetzte, begann hier eine wichtige soziale Umwälzung. Der alte Adel hatte teils in dem verschwenderischen höfischen Leben unter August dem Starken und seinem Sohne sein Vermögen ver¬ geudet, teils sich unter dem harten Drucke der Kontributionsforderungen des Königs von Preußen in Schulden gestürzt, von denen er sich nicht mehr recht erholte. So manches Rittergut der Lommatzscher Pflege ging nach dem Hnbertnsburger Frieden in bürgerliche Hände über, zugleich aber wuchs unter der Herrschaft der Aufklärung den Bauern das Selbstbewußtsein und der Widerwille gegen die ihnen während der später» Jahrhunderte des Mittelalters auferlegte Gutsuntertänigkeit und die mit ihr verbundnen Lasten. Die französische Revolution der Jahre 1789 und 1790 fand in Sachsen ein starkes Echo, das stärkste in der Lommatzscher Pflege, wo das Selbstbewußtsein der Bauern infolge ihrer Wohlhäbigkeit am stärksten war. Denn während sich die Hohensteiner und erzgebirgischen Bauern im Sommer 1790 eigentlich nur gegen den großen Wildstand der kurfürstlichen Forsten auflehnten und bald beschwichtigt wurden, forderten die Lommatzscher nichts geringeres als die Aufhebung aller Fronten, Dienste und Nciturallasten. Noch ist die Geschichte dieser denkwürdigen Revolution nicht geschrieben, ein reiches Material dazu ist in den Akten des Staatsarchivs in Dresden, des Meißner Gerichtsamtsarchivs und in vielen privaten Aufzeichnungen vorhanden. Hier genügt es, einige für den ganzen Verlauf charakteristische Szenen hervorzuheben. Hauptquartiere der revoltierenden Bauern waren der Katzenberg und das Dorf Pinnewitz. Dort versuchte der kurfürstliche Amtmann von Oschatz mit dreißig Mann Militär am 14. August die Ordnung herzustellen. Er läßt die Gemeinde auf den Pinnewitzcr Herrenhof laden, aber die Bauern lassen ihm sagen, wer mit ihnen verhandeln wolle, solle zu ihnen auf den Dorfanger kommen. Schließlich kommt eine sechs- bis achthundert Mann starke, aus der Umgegend anfgevotne Horde mit eisenbeschlaguen Stöcken, mißhandelt den Amtmann und zwingt ihn, mitsamt seinen Soldaten abzuziehn. Zehn Tage später wird der im Wagen flüchtende Erb- und Gerichtsherr von Pinncwitz, Keck von Schwarzbach, von seinen Bauern eingeholt, zurücktransportiert und nur mit Mühe durch dreinhanende Dragoner gerettet. Schlimmer noch erging es am 22. August dem Erb- und Gerichtsherrn auf Schleinitz, Petzschwitz, Graupzig, Gödelitz und Stauchitz, Friedrich von Zehner. Er hatte in seiner Not vierzig Mann von der in Lommatzsch garnisonierenden Artillerie requiriert. Aber die Bauern entrissen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/568>, abgerufen am 23.07.2024.