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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Lommatzscher Pflege und tels Geschlecht derer von Schleinitz

M. Valentin Lossius, von 1579 bis 1615 Pfarrer dort, in folgenden Sätzen
aus: "Die Stadt liegt sonst uns einem sehr guten und fruchtbaren Boden, welcher
Korn, Weizen, Gerste, Erbsen, Wicken, Hafer in Überfluß trägt, dessen sich die
Städte Freiberg, Siebenlehn, Roßwein und die meisten Bergstädte von hieraus
erholen. Die Stadt brant auch ein sehr gutes und gesundes Bier, und muß mau
sich verwundern, daß fast aller Bürger Keller in Lehm geschnitten, ohne Stein:
dahero das Bier im heißesten Sommer eiskalt bleibt, auch niemals wandelbar wird.
Hiernä'esse hält sich die Bürgerschaft vor recht glücklich, daß ihre Kiuder jederzeit
gerne studiret haben. ... Ja es hat auch die Stadt Lommitzsch vor vielen andern
diesen Ruhm, daß sie Kirchen- und Schul-Ämbter meist mit gebohrnen Stadtkindern
bestellen können."

Die Schicksale der Stadt und ihrer Umgegend im siebzehnten Jahrhundert
bieten nichts Besondres. Wohl aber spielte die Lommatzscher Pflege eine wichtige
strategische Rolle im siebenjährigen Kriege. Friedrichs des Großen Adlerauge
hatte gar bald herausgefunden, wie wichtig der Besitz des Meißen-Nossener Plateaus,
das bei den "Katzenhäusern" (jetzt Dorf Katzenberg) am Saume der Lommatzscher
Pflege die Höhe von 395 Metern erreicht, für die Behauptung ganz Sachsens
sei. Denn es liegt fast in der Mitte des Kurstaates und bildet, von dem
Lommatzscher Wasser, der Elbe und der Triebisch scharf umrissen, eine nach den
methodischen Grundsätzen jener Zeit von Norden, Osten und Süden her kaum an¬
greifbare Festung, die in den Dürfern der Lommatzscher Pflege ein sehr ergiebiges
Fvuragierungsgebiet hatte. Besonders in den Jahren 1761 und 1762 hat der
Bruder des Königs, Prinz Heinrich, der zwar als Feldherr das Genie seines
größer" Bruders nicht erreichte, aber doch ein Meister in der sogenannten me¬
thodischen Kriegführung war, mit zusammenschwindenden Mitteln die "Stellung
hinter der Triebsche" oder wie sie auch heißt: "die Stellung an den Katzenhäusern"
gegen alle Augriffe der Gegner gehalten, bis er endlich, die schwache Stunde der
Feinde erwartend, am 29. Oktober 1762 aus dieser sichern Position hervorbrechend
durch die Schlacht bei Freiberg den ganzen Krieg zugunsten Preußens entschied.
Welche wunderbaren Szenen müssen sich in diesen Jahren in dem Meißen-Lommatzscher
Ländchen abgespielt haben! Die Bauern, des letzten Viehstücks beraubt, hungernd
und frierend, neben ihnen die Soldaten in den verödeten Dörfern oder mich nur
in sogenannten Brandhütten, d. h. in überdachten Lehmgruben untergebracht, die durch
eine Herdstelle notdürftig erwärmt wurden, als Bespannung der Kanonen teilweise
Kühe statt der verendeten Pferde, das Hauptquartier des Prinzen in einem einfachen
Bauerugute in Schletta, während des Winters im ehedem Schleinitzschen Schlosse
Hof, dann wieder in Barnitz. Den äußersten linken Flügel bildeten vier Bataillone
auf der Albrechtsburg in Meißen und ein Freibataillon in der Stadt, das Zentrum
ein größeres Lager bei Schletta, den rechten Flügel das sehr starke Lager bei den
Katzenhäuseru; fast alle Dörfer der Pflege aber waren mit Schwadronen der
Reiterei besetzt, die Feldbäckerei war in Prositz und in Piskowitz, die Magazine in
Lommatzsch. Zur Rückendeckung waren auf dem im Eingange dieses Aufsatzes er¬
wähnten Radewitzer Berge Schanzen und auch an der wichtigen Straßenkreuzung
von Petersberg (fünf Kilometer östlich von den Radewitzer Schanzen) ein befestigtes
Lager errichtet. Im ganzen standen etwa 59999 Mann Preußen hier im Herzen
Sachsens.

Das wundersamste Bild aus dieser Zeit bewahrt das Kirchenbuch des Dorfes
Heynitz, zu dem sich vom Katzenberge östlich eine grüne Schlucht hinunterzieht.
Dort ist mitten in den Kriegswirren der Pfarrer Roller angetreten, der Vater
des aus Kügelgens Erinnerungen bekannten Samuel Roller. Aus der verwüsteten
Pfarre hat er sich in das alte Wasserschloß derer von Heynitz geflüchtet, die -- nebenbei
bemerkt -- noch heute auf ihrem alten Stammhaus sitzend zum meißnischen Ur-
adel gehören. Ein altes Mütterlein kocht ihm täglich eine Wassersuppe, das ist
sein Traktament. Sein Zimmernachbar aber ist der alte Husareugeneral Joachim


Die Lommatzscher Pflege und tels Geschlecht derer von Schleinitz

M. Valentin Lossius, von 1579 bis 1615 Pfarrer dort, in folgenden Sätzen
aus: „Die Stadt liegt sonst uns einem sehr guten und fruchtbaren Boden, welcher
Korn, Weizen, Gerste, Erbsen, Wicken, Hafer in Überfluß trägt, dessen sich die
Städte Freiberg, Siebenlehn, Roßwein und die meisten Bergstädte von hieraus
erholen. Die Stadt brant auch ein sehr gutes und gesundes Bier, und muß mau
sich verwundern, daß fast aller Bürger Keller in Lehm geschnitten, ohne Stein:
dahero das Bier im heißesten Sommer eiskalt bleibt, auch niemals wandelbar wird.
Hiernä'esse hält sich die Bürgerschaft vor recht glücklich, daß ihre Kiuder jederzeit
gerne studiret haben. ... Ja es hat auch die Stadt Lommitzsch vor vielen andern
diesen Ruhm, daß sie Kirchen- und Schul-Ämbter meist mit gebohrnen Stadtkindern
bestellen können."

Die Schicksale der Stadt und ihrer Umgegend im siebzehnten Jahrhundert
bieten nichts Besondres. Wohl aber spielte die Lommatzscher Pflege eine wichtige
strategische Rolle im siebenjährigen Kriege. Friedrichs des Großen Adlerauge
hatte gar bald herausgefunden, wie wichtig der Besitz des Meißen-Nossener Plateaus,
das bei den „Katzenhäusern" (jetzt Dorf Katzenberg) am Saume der Lommatzscher
Pflege die Höhe von 395 Metern erreicht, für die Behauptung ganz Sachsens
sei. Denn es liegt fast in der Mitte des Kurstaates und bildet, von dem
Lommatzscher Wasser, der Elbe und der Triebisch scharf umrissen, eine nach den
methodischen Grundsätzen jener Zeit von Norden, Osten und Süden her kaum an¬
greifbare Festung, die in den Dürfern der Lommatzscher Pflege ein sehr ergiebiges
Fvuragierungsgebiet hatte. Besonders in den Jahren 1761 und 1762 hat der
Bruder des Königs, Prinz Heinrich, der zwar als Feldherr das Genie seines
größer« Bruders nicht erreichte, aber doch ein Meister in der sogenannten me¬
thodischen Kriegführung war, mit zusammenschwindenden Mitteln die „Stellung
hinter der Triebsche" oder wie sie auch heißt: „die Stellung an den Katzenhäusern"
gegen alle Augriffe der Gegner gehalten, bis er endlich, die schwache Stunde der
Feinde erwartend, am 29. Oktober 1762 aus dieser sichern Position hervorbrechend
durch die Schlacht bei Freiberg den ganzen Krieg zugunsten Preußens entschied.
Welche wunderbaren Szenen müssen sich in diesen Jahren in dem Meißen-Lommatzscher
Ländchen abgespielt haben! Die Bauern, des letzten Viehstücks beraubt, hungernd
und frierend, neben ihnen die Soldaten in den verödeten Dörfern oder mich nur
in sogenannten Brandhütten, d. h. in überdachten Lehmgruben untergebracht, die durch
eine Herdstelle notdürftig erwärmt wurden, als Bespannung der Kanonen teilweise
Kühe statt der verendeten Pferde, das Hauptquartier des Prinzen in einem einfachen
Bauerugute in Schletta, während des Winters im ehedem Schleinitzschen Schlosse
Hof, dann wieder in Barnitz. Den äußersten linken Flügel bildeten vier Bataillone
auf der Albrechtsburg in Meißen und ein Freibataillon in der Stadt, das Zentrum
ein größeres Lager bei Schletta, den rechten Flügel das sehr starke Lager bei den
Katzenhäuseru; fast alle Dörfer der Pflege aber waren mit Schwadronen der
Reiterei besetzt, die Feldbäckerei war in Prositz und in Piskowitz, die Magazine in
Lommatzsch. Zur Rückendeckung waren auf dem im Eingange dieses Aufsatzes er¬
wähnten Radewitzer Berge Schanzen und auch an der wichtigen Straßenkreuzung
von Petersberg (fünf Kilometer östlich von den Radewitzer Schanzen) ein befestigtes
Lager errichtet. Im ganzen standen etwa 59999 Mann Preußen hier im Herzen
Sachsens.

Das wundersamste Bild aus dieser Zeit bewahrt das Kirchenbuch des Dorfes
Heynitz, zu dem sich vom Katzenberge östlich eine grüne Schlucht hinunterzieht.
Dort ist mitten in den Kriegswirren der Pfarrer Roller angetreten, der Vater
des aus Kügelgens Erinnerungen bekannten Samuel Roller. Aus der verwüsteten
Pfarre hat er sich in das alte Wasserschloß derer von Heynitz geflüchtet, die — nebenbei
bemerkt — noch heute auf ihrem alten Stammhaus sitzend zum meißnischen Ur-
adel gehören. Ein altes Mütterlein kocht ihm täglich eine Wassersuppe, das ist
sein Traktament. Sein Zimmernachbar aber ist der alte Husareugeneral Joachim


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[0567] Die Lommatzscher Pflege und tels Geschlecht derer von Schleinitz M. Valentin Lossius, von 1579 bis 1615 Pfarrer dort, in folgenden Sätzen aus: „Die Stadt liegt sonst uns einem sehr guten und fruchtbaren Boden, welcher Korn, Weizen, Gerste, Erbsen, Wicken, Hafer in Überfluß trägt, dessen sich die Städte Freiberg, Siebenlehn, Roßwein und die meisten Bergstädte von hieraus erholen. Die Stadt brant auch ein sehr gutes und gesundes Bier, und muß mau sich verwundern, daß fast aller Bürger Keller in Lehm geschnitten, ohne Stein: dahero das Bier im heißesten Sommer eiskalt bleibt, auch niemals wandelbar wird. Hiernä'esse hält sich die Bürgerschaft vor recht glücklich, daß ihre Kiuder jederzeit gerne studiret haben. ... Ja es hat auch die Stadt Lommitzsch vor vielen andern diesen Ruhm, daß sie Kirchen- und Schul-Ämbter meist mit gebohrnen Stadtkindern bestellen können." Die Schicksale der Stadt und ihrer Umgegend im siebzehnten Jahrhundert bieten nichts Besondres. Wohl aber spielte die Lommatzscher Pflege eine wichtige strategische Rolle im siebenjährigen Kriege. Friedrichs des Großen Adlerauge hatte gar bald herausgefunden, wie wichtig der Besitz des Meißen-Nossener Plateaus, das bei den „Katzenhäusern" (jetzt Dorf Katzenberg) am Saume der Lommatzscher Pflege die Höhe von 395 Metern erreicht, für die Behauptung ganz Sachsens sei. Denn es liegt fast in der Mitte des Kurstaates und bildet, von dem Lommatzscher Wasser, der Elbe und der Triebisch scharf umrissen, eine nach den methodischen Grundsätzen jener Zeit von Norden, Osten und Süden her kaum an¬ greifbare Festung, die in den Dürfern der Lommatzscher Pflege ein sehr ergiebiges Fvuragierungsgebiet hatte. Besonders in den Jahren 1761 und 1762 hat der Bruder des Königs, Prinz Heinrich, der zwar als Feldherr das Genie seines größer« Bruders nicht erreichte, aber doch ein Meister in der sogenannten me¬ thodischen Kriegführung war, mit zusammenschwindenden Mitteln die „Stellung hinter der Triebsche" oder wie sie auch heißt: „die Stellung an den Katzenhäusern" gegen alle Augriffe der Gegner gehalten, bis er endlich, die schwache Stunde der Feinde erwartend, am 29. Oktober 1762 aus dieser sichern Position hervorbrechend durch die Schlacht bei Freiberg den ganzen Krieg zugunsten Preußens entschied. Welche wunderbaren Szenen müssen sich in diesen Jahren in dem Meißen-Lommatzscher Ländchen abgespielt haben! Die Bauern, des letzten Viehstücks beraubt, hungernd und frierend, neben ihnen die Soldaten in den verödeten Dörfern oder mich nur in sogenannten Brandhütten, d. h. in überdachten Lehmgruben untergebracht, die durch eine Herdstelle notdürftig erwärmt wurden, als Bespannung der Kanonen teilweise Kühe statt der verendeten Pferde, das Hauptquartier des Prinzen in einem einfachen Bauerugute in Schletta, während des Winters im ehedem Schleinitzschen Schlosse Hof, dann wieder in Barnitz. Den äußersten linken Flügel bildeten vier Bataillone auf der Albrechtsburg in Meißen und ein Freibataillon in der Stadt, das Zentrum ein größeres Lager bei Schletta, den rechten Flügel das sehr starke Lager bei den Katzenhäuseru; fast alle Dörfer der Pflege aber waren mit Schwadronen der Reiterei besetzt, die Feldbäckerei war in Prositz und in Piskowitz, die Magazine in Lommatzsch. Zur Rückendeckung waren auf dem im Eingange dieses Aufsatzes er¬ wähnten Radewitzer Berge Schanzen und auch an der wichtigen Straßenkreuzung von Petersberg (fünf Kilometer östlich von den Radewitzer Schanzen) ein befestigtes Lager errichtet. Im ganzen standen etwa 59999 Mann Preußen hier im Herzen Sachsens. Das wundersamste Bild aus dieser Zeit bewahrt das Kirchenbuch des Dorfes Heynitz, zu dem sich vom Katzenberge östlich eine grüne Schlucht hinunterzieht. Dort ist mitten in den Kriegswirren der Pfarrer Roller angetreten, der Vater des aus Kügelgens Erinnerungen bekannten Samuel Roller. Aus der verwüsteten Pfarre hat er sich in das alte Wasserschloß derer von Heynitz geflüchtet, die — nebenbei bemerkt — noch heute auf ihrem alten Stammhaus sitzend zum meißnischen Ur- adel gehören. Ein altes Mütterlein kocht ihm täglich eine Wassersuppe, das ist sein Traktament. Sein Zimmernachbar aber ist der alte Husareugeneral Joachim

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/567>, abgerufen am 23.12.2024.