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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Die Lommatzsch" Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Schwiegersohn Christos von Löß, den Hofmarschnll und Freund Christians des Zweiten,
über. Danach erklangen gar oft die Schleinitzer Reviere von den kurfürstlichen Jagd¬
hörnern. An Stelle der Herren von Löß traten 1664 die von Bose. Der zweite
Besitzer aus dieser Familie, Joachim Dietrich von Bose, besaß außer Schleinitz auch
Petzschwitz, das Stammhaus derer von Beschwitz, Graupzig und Gödelitz. Er War
ein Freund von Kunst und Wissenschaft. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts
erbaute er in Schleinitz etwas oberhalb des Schlosses das noch vorhnndne große
Gartenhaus mit einer ansehnlichen Bibliothek und Bildersammlung. Endlich im
Jahre 1773 fielen die vier genannten Güter dnrch Erbschaft an Friedrich von Zehner
auf Stauchitz, dessen Nachkommen den reichen Besitz noch heute innehaben, aber
freilich unter merkwürdigen Umständen. Der jetzige Herr von Zehner ans Schleinitz
ist vor vielen Jahren aus der Heimat, die ihm aus irgendeinem Gründe verleidet
worden war, fortgegangen und lebt seitdem angeblich in London, ohne daß jemand
seinen Aufenthaltsort genauer kennt. Die reichen Einkünfte der Güter werden seit
Jahren für ihn aufgesammelt, ohne daß er sie erhebt; dagegen erschien vor einigen
Jahren in seinem Auftrage ein Engländer mit nicht anzufechtender Vollmacht und
entführte in einer rasch zusammengezimmerten Kiste aus Schleinitz das ganze alte wert¬
volle Familiensilber. Aber seit Jahren bessert keine sorgsame Hand des Besitzers das
Erbe der Vorzeit, das dnrch strengen Befehl mit allen seinen literarischen und herrlichen
künstlerischen Schätzen auch der Mitwelt verschlossen ist. Darum ist von allen den
stillen Wasserschlössern der Mark Meißen Schleinitz das stillste. Hier weben die
Spinnen ungestört ihre Netze, der Holzwurm pocht in dem vermürbenden Getäfel,
und dem seltnen Wandrer, den sein Weg vorüberführt, erscheint es wie ein ver-
wunschnes Schloß, wo die böse Fee alles in hundertjährigen Schlummer gewiegt
hat. Nur weil ich vom Vermögensverwalter des abwesenden Herrn zur Begut¬
achtung der Maßregeln aufgefordert worden war, die mau für die Erhaltung des
Besitzes getroffen, hatte ich das Glück, die Räume des Schlosses und des Garten¬
hauses betreten zu dürfen.

Das Gartenhaus schaut auf weitläuftige, ursprünglich in französischem Geschmack
eingerichtete Anlagen hinaus, an deren Ende noch heute verschrieene Heckenzüge eine
grüne Architektur bilden. Das Untergeschoß zeigt Reste einer Bühneneinrichtung,
die obern Zimmer enthalten eine Bibliothek und eine Bildersammlung. Magisches
Dunkel herrscht überall, bis die knarrenden Fensterladen aufgestoßen sind, an denen
die Hornissen ihre Nester bauen. Daun fällt der Blick auf Urväterhausrat, Bild
und Buch scheinen nnter der dicken Staubschicht zu seufzen. Kinderspielzeug, wie
es vor zwei Jahrhunderten Mode war, steht neben gewaltigen, altertümlichen
Elektrisiermaschinen und Leidener Flaschen. In den anstoßenden Zimmern füllen
alte Folianten aller Wissenszweige in kostbaren Lederbänden die Regale an den
Wänden, kein Geringerer hat sie einst geordnet als der gelehrte Polyhistor der
Gegend, Ursinus, als er noch Pfarrer in Betcha war. Besonders bemerkenswert
sind die großen Bibeln der ehemaligen Schloßherrschaft, darunter eine von Hans
Lufft 1561 in Wittenberg auf Pergament gedruckt mit wundervollen, durch die
Zeit nicht ini mindesten verblaßten Holzschnitten. Auf dem ersten Blatte steht ein
langer eigenhändiger Brief des evangelischen Liederdichters Nikolaus sekreter
(1558 bis 1561 Hofprediger in Dresden). Diese Bibel war wohl die Hausbibel
des Hans von Schleinitz und seiner Gattin Ursula, hier suchten sie Trost, als ihr
Sohn Haubold 1562 bei Dreux gefallen war. Es folgt nun wieder ein Zimmer,
wo eingelegte Armbrüste, alte Reiterpistolen, Reiterstiefeln, Morgensterne auf dem
Boden ein malerisches Chaos bilden, auf das von den Wänden gut und minder
gut erhaltne Ölgemälde aller Kunstperioden herunterschauen. Eine bemalte Holz¬
tafel, die an der Wand lehnte, entpuppte sich als eine sehr schöne, lebensgroße
"Venus rin dem Schleier" vou Lukas Cranach, dessen bekanntes Malerzeichen, die
geflügelte Schlange, deutlich in der untern linken Ecke zu erkennen ist.

Von dem Gartenhause wenden wir uns zum Schlosse selbst. Durch einen


Die Lommatzsch« Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz

Schwiegersohn Christos von Löß, den Hofmarschnll und Freund Christians des Zweiten,
über. Danach erklangen gar oft die Schleinitzer Reviere von den kurfürstlichen Jagd¬
hörnern. An Stelle der Herren von Löß traten 1664 die von Bose. Der zweite
Besitzer aus dieser Familie, Joachim Dietrich von Bose, besaß außer Schleinitz auch
Petzschwitz, das Stammhaus derer von Beschwitz, Graupzig und Gödelitz. Er War
ein Freund von Kunst und Wissenschaft. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts
erbaute er in Schleinitz etwas oberhalb des Schlosses das noch vorhnndne große
Gartenhaus mit einer ansehnlichen Bibliothek und Bildersammlung. Endlich im
Jahre 1773 fielen die vier genannten Güter dnrch Erbschaft an Friedrich von Zehner
auf Stauchitz, dessen Nachkommen den reichen Besitz noch heute innehaben, aber
freilich unter merkwürdigen Umständen. Der jetzige Herr von Zehner ans Schleinitz
ist vor vielen Jahren aus der Heimat, die ihm aus irgendeinem Gründe verleidet
worden war, fortgegangen und lebt seitdem angeblich in London, ohne daß jemand
seinen Aufenthaltsort genauer kennt. Die reichen Einkünfte der Güter werden seit
Jahren für ihn aufgesammelt, ohne daß er sie erhebt; dagegen erschien vor einigen
Jahren in seinem Auftrage ein Engländer mit nicht anzufechtender Vollmacht und
entführte in einer rasch zusammengezimmerten Kiste aus Schleinitz das ganze alte wert¬
volle Familiensilber. Aber seit Jahren bessert keine sorgsame Hand des Besitzers das
Erbe der Vorzeit, das dnrch strengen Befehl mit allen seinen literarischen und herrlichen
künstlerischen Schätzen auch der Mitwelt verschlossen ist. Darum ist von allen den
stillen Wasserschlössern der Mark Meißen Schleinitz das stillste. Hier weben die
Spinnen ungestört ihre Netze, der Holzwurm pocht in dem vermürbenden Getäfel,
und dem seltnen Wandrer, den sein Weg vorüberführt, erscheint es wie ein ver-
wunschnes Schloß, wo die böse Fee alles in hundertjährigen Schlummer gewiegt
hat. Nur weil ich vom Vermögensverwalter des abwesenden Herrn zur Begut¬
achtung der Maßregeln aufgefordert worden war, die mau für die Erhaltung des
Besitzes getroffen, hatte ich das Glück, die Räume des Schlosses und des Garten¬
hauses betreten zu dürfen.

Das Gartenhaus schaut auf weitläuftige, ursprünglich in französischem Geschmack
eingerichtete Anlagen hinaus, an deren Ende noch heute verschrieene Heckenzüge eine
grüne Architektur bilden. Das Untergeschoß zeigt Reste einer Bühneneinrichtung,
die obern Zimmer enthalten eine Bibliothek und eine Bildersammlung. Magisches
Dunkel herrscht überall, bis die knarrenden Fensterladen aufgestoßen sind, an denen
die Hornissen ihre Nester bauen. Daun fällt der Blick auf Urväterhausrat, Bild
und Buch scheinen nnter der dicken Staubschicht zu seufzen. Kinderspielzeug, wie
es vor zwei Jahrhunderten Mode war, steht neben gewaltigen, altertümlichen
Elektrisiermaschinen und Leidener Flaschen. In den anstoßenden Zimmern füllen
alte Folianten aller Wissenszweige in kostbaren Lederbänden die Regale an den
Wänden, kein Geringerer hat sie einst geordnet als der gelehrte Polyhistor der
Gegend, Ursinus, als er noch Pfarrer in Betcha war. Besonders bemerkenswert
sind die großen Bibeln der ehemaligen Schloßherrschaft, darunter eine von Hans
Lufft 1561 in Wittenberg auf Pergament gedruckt mit wundervollen, durch die
Zeit nicht ini mindesten verblaßten Holzschnitten. Auf dem ersten Blatte steht ein
langer eigenhändiger Brief des evangelischen Liederdichters Nikolaus sekreter
(1558 bis 1561 Hofprediger in Dresden). Diese Bibel war wohl die Hausbibel
des Hans von Schleinitz und seiner Gattin Ursula, hier suchten sie Trost, als ihr
Sohn Haubold 1562 bei Dreux gefallen war. Es folgt nun wieder ein Zimmer,
wo eingelegte Armbrüste, alte Reiterpistolen, Reiterstiefeln, Morgensterne auf dem
Boden ein malerisches Chaos bilden, auf das von den Wänden gut und minder
gut erhaltne Ölgemälde aller Kunstperioden herunterschauen. Eine bemalte Holz¬
tafel, die an der Wand lehnte, entpuppte sich als eine sehr schöne, lebensgroße
„Venus rin dem Schleier" vou Lukas Cranach, dessen bekanntes Malerzeichen, die
geflügelte Schlange, deutlich in der untern linken Ecke zu erkennen ist.

Von dem Gartenhause wenden wir uns zum Schlosse selbst. Durch einen


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[0562] Die Lommatzsch« Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz Schwiegersohn Christos von Löß, den Hofmarschnll und Freund Christians des Zweiten, über. Danach erklangen gar oft die Schleinitzer Reviere von den kurfürstlichen Jagd¬ hörnern. An Stelle der Herren von Löß traten 1664 die von Bose. Der zweite Besitzer aus dieser Familie, Joachim Dietrich von Bose, besaß außer Schleinitz auch Petzschwitz, das Stammhaus derer von Beschwitz, Graupzig und Gödelitz. Er War ein Freund von Kunst und Wissenschaft. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts erbaute er in Schleinitz etwas oberhalb des Schlosses das noch vorhnndne große Gartenhaus mit einer ansehnlichen Bibliothek und Bildersammlung. Endlich im Jahre 1773 fielen die vier genannten Güter dnrch Erbschaft an Friedrich von Zehner auf Stauchitz, dessen Nachkommen den reichen Besitz noch heute innehaben, aber freilich unter merkwürdigen Umständen. Der jetzige Herr von Zehner ans Schleinitz ist vor vielen Jahren aus der Heimat, die ihm aus irgendeinem Gründe verleidet worden war, fortgegangen und lebt seitdem angeblich in London, ohne daß jemand seinen Aufenthaltsort genauer kennt. Die reichen Einkünfte der Güter werden seit Jahren für ihn aufgesammelt, ohne daß er sie erhebt; dagegen erschien vor einigen Jahren in seinem Auftrage ein Engländer mit nicht anzufechtender Vollmacht und entführte in einer rasch zusammengezimmerten Kiste aus Schleinitz das ganze alte wert¬ volle Familiensilber. Aber seit Jahren bessert keine sorgsame Hand des Besitzers das Erbe der Vorzeit, das dnrch strengen Befehl mit allen seinen literarischen und herrlichen künstlerischen Schätzen auch der Mitwelt verschlossen ist. Darum ist von allen den stillen Wasserschlössern der Mark Meißen Schleinitz das stillste. Hier weben die Spinnen ungestört ihre Netze, der Holzwurm pocht in dem vermürbenden Getäfel, und dem seltnen Wandrer, den sein Weg vorüberführt, erscheint es wie ein ver- wunschnes Schloß, wo die böse Fee alles in hundertjährigen Schlummer gewiegt hat. Nur weil ich vom Vermögensverwalter des abwesenden Herrn zur Begut¬ achtung der Maßregeln aufgefordert worden war, die mau für die Erhaltung des Besitzes getroffen, hatte ich das Glück, die Räume des Schlosses und des Garten¬ hauses betreten zu dürfen. Das Gartenhaus schaut auf weitläuftige, ursprünglich in französischem Geschmack eingerichtete Anlagen hinaus, an deren Ende noch heute verschrieene Heckenzüge eine grüne Architektur bilden. Das Untergeschoß zeigt Reste einer Bühneneinrichtung, die obern Zimmer enthalten eine Bibliothek und eine Bildersammlung. Magisches Dunkel herrscht überall, bis die knarrenden Fensterladen aufgestoßen sind, an denen die Hornissen ihre Nester bauen. Daun fällt der Blick auf Urväterhausrat, Bild und Buch scheinen nnter der dicken Staubschicht zu seufzen. Kinderspielzeug, wie es vor zwei Jahrhunderten Mode war, steht neben gewaltigen, altertümlichen Elektrisiermaschinen und Leidener Flaschen. In den anstoßenden Zimmern füllen alte Folianten aller Wissenszweige in kostbaren Lederbänden die Regale an den Wänden, kein Geringerer hat sie einst geordnet als der gelehrte Polyhistor der Gegend, Ursinus, als er noch Pfarrer in Betcha war. Besonders bemerkenswert sind die großen Bibeln der ehemaligen Schloßherrschaft, darunter eine von Hans Lufft 1561 in Wittenberg auf Pergament gedruckt mit wundervollen, durch die Zeit nicht ini mindesten verblaßten Holzschnitten. Auf dem ersten Blatte steht ein langer eigenhändiger Brief des evangelischen Liederdichters Nikolaus sekreter (1558 bis 1561 Hofprediger in Dresden). Diese Bibel war wohl die Hausbibel des Hans von Schleinitz und seiner Gattin Ursula, hier suchten sie Trost, als ihr Sohn Haubold 1562 bei Dreux gefallen war. Es folgt nun wieder ein Zimmer, wo eingelegte Armbrüste, alte Reiterpistolen, Reiterstiefeln, Morgensterne auf dem Boden ein malerisches Chaos bilden, auf das von den Wänden gut und minder gut erhaltne Ölgemälde aller Kunstperioden herunterschauen. Eine bemalte Holz¬ tafel, die an der Wand lehnte, entpuppte sich als eine sehr schöne, lebensgroße „Venus rin dem Schleier" vou Lukas Cranach, dessen bekanntes Malerzeichen, die geflügelte Schlange, deutlich in der untern linken Ecke zu erkennen ist. Von dem Gartenhause wenden wir uns zum Schlosse selbst. Durch einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/562>, abgerufen am 23.07.2024.