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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen einer Lehrerin

Bedenken,*) war gleichfalls nicht von Anfang an da. Interessant ist es aber zu
bemerken, wie diese Ausbildung elegischer Partien so weit geht, daß sie, zunächst
um des Gegensatzes willen geschaffen, ihrerseits wieder nach krüftigerm Gegen¬
satz rufen, und Beethoven, um den Grundcharakter zu wahren, nun auch die
eigentlich heroischen Elemente wieder verstärkt und vermehrt. So sind die dem
zweiten Thema unmittelbar folgenden so wirksamen Synkopen erst entstanden,
als dessen Wendung in Moll beschlossen war. Schritt auf Schritt können wir
also verfolgen, wie ein Glied aus dem andern hervorwächst, das eine das
andre begründet, und das Ganze sich nach innern, streng logischen Gesetzen
langsam aufbaut Schluß folgt) .




Erinnerungen einer Lehrerin
(Schluß)

las Ideal eines Lehrers mit seinen Charakter- und Geisteseigen¬
schaften steht ja fest, darum will ich hier einmal von der Be¬
deutung der äußern Erscheinung einer Lehrerin reden, obgleich
viele denken werden, daß dies doch eben eine recht äußerliche
l und damit unwichtige Sache sei. Vielleicht gelingt es mir, vom
Gegenteil zu überzeugen. Man darf eben nicht vergessen, daß Kinder stark
für Äußerlichkeiten empfänglich sind und auch scharf auf diese achten. Leider
bedenken dies viele Volksschullehrerinnen noch viel zu wenig, denn sonst könnte
man nicht so unpassende Erscheinungen auf den Kathedern und den Schul¬
höfen sehen. Die Gestalten der verschroben aussehenden alten Jungfer, wie
man sie noch in meiner Schulzeit unter den Lehrerinnen finden konnte, sind
glücklicherweise ausgestorben. An Verschrobenheit leiden unsre ältern Lehrerinnen
nicht mehr. Im Gegenteil fällt es mir immer wohltuend auf, welchen frauen¬
haften, mütterlichen Eindruck unsre vierzig- bis funfzigjährigen Lehrerinnen
machen. Die ältern Kolleginnen hat das Amt schon erzogen, von denen
brauche ich hier nicht zu reden (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel).
Es sind gerade die jüngsten, die es nicht verstehn, ihr Äußeres in würdigen
Einklang mit der Volksschule zu setzen. (Ich spreche jetzt immer nur von der
Volksschule, denn für eine Lehrerin an einer höhern Mädchenschule gelten
zum Teil andre Regeln.) Wenn ein Lehrer mit Recht von einer "Vertreterin"
sagen kann: "Der sollte man doch einen Meter Stoff für ihren Ausschnitt
schenken," so ist das ein schlimmes Zeichen. Wie eine echte Hausfrau nicht
eine unsauber gewordne hellseidne Bluse im Hause bei häuslichen Arbeiten
auftragen, sondern ein dazu passendes, sauberes Hauskleid wühlen wird, so darf
auch eine Lehrerin nicht in den Fehler verfallen, solche Garderobestücke in der



*) H. Kretzschmar im Führer durch den Konzertsaal (I, 3. Aufl., Leipzig 1898, S. 142),
dessen tiefgründige Einführung in den Geist des Werkes man zu obigem vergleichen möge.
Erinnerungen einer Lehrerin

Bedenken,*) war gleichfalls nicht von Anfang an da. Interessant ist es aber zu
bemerken, wie diese Ausbildung elegischer Partien so weit geht, daß sie, zunächst
um des Gegensatzes willen geschaffen, ihrerseits wieder nach krüftigerm Gegen¬
satz rufen, und Beethoven, um den Grundcharakter zu wahren, nun auch die
eigentlich heroischen Elemente wieder verstärkt und vermehrt. So sind die dem
zweiten Thema unmittelbar folgenden so wirksamen Synkopen erst entstanden,
als dessen Wendung in Moll beschlossen war. Schritt auf Schritt können wir
also verfolgen, wie ein Glied aus dem andern hervorwächst, das eine das
andre begründet, und das Ganze sich nach innern, streng logischen Gesetzen
langsam aufbaut Schluß folgt) .




Erinnerungen einer Lehrerin
(Schluß)

las Ideal eines Lehrers mit seinen Charakter- und Geisteseigen¬
schaften steht ja fest, darum will ich hier einmal von der Be¬
deutung der äußern Erscheinung einer Lehrerin reden, obgleich
viele denken werden, daß dies doch eben eine recht äußerliche
l und damit unwichtige Sache sei. Vielleicht gelingt es mir, vom
Gegenteil zu überzeugen. Man darf eben nicht vergessen, daß Kinder stark
für Äußerlichkeiten empfänglich sind und auch scharf auf diese achten. Leider
bedenken dies viele Volksschullehrerinnen noch viel zu wenig, denn sonst könnte
man nicht so unpassende Erscheinungen auf den Kathedern und den Schul¬
höfen sehen. Die Gestalten der verschroben aussehenden alten Jungfer, wie
man sie noch in meiner Schulzeit unter den Lehrerinnen finden konnte, sind
glücklicherweise ausgestorben. An Verschrobenheit leiden unsre ältern Lehrerinnen
nicht mehr. Im Gegenteil fällt es mir immer wohltuend auf, welchen frauen¬
haften, mütterlichen Eindruck unsre vierzig- bis funfzigjährigen Lehrerinnen
machen. Die ältern Kolleginnen hat das Amt schon erzogen, von denen
brauche ich hier nicht zu reden (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel).
Es sind gerade die jüngsten, die es nicht verstehn, ihr Äußeres in würdigen
Einklang mit der Volksschule zu setzen. (Ich spreche jetzt immer nur von der
Volksschule, denn für eine Lehrerin an einer höhern Mädchenschule gelten
zum Teil andre Regeln.) Wenn ein Lehrer mit Recht von einer „Vertreterin"
sagen kann: „Der sollte man doch einen Meter Stoff für ihren Ausschnitt
schenken," so ist das ein schlimmes Zeichen. Wie eine echte Hausfrau nicht
eine unsauber gewordne hellseidne Bluse im Hause bei häuslichen Arbeiten
auftragen, sondern ein dazu passendes, sauberes Hauskleid wühlen wird, so darf
auch eine Lehrerin nicht in den Fehler verfallen, solche Garderobestücke in der



*) H. Kretzschmar im Führer durch den Konzertsaal (I, 3. Aufl., Leipzig 1898, S. 142),
dessen tiefgründige Einführung in den Geist des Werkes man zu obigem vergleichen möge.
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[0554] Erinnerungen einer Lehrerin Bedenken,*) war gleichfalls nicht von Anfang an da. Interessant ist es aber zu bemerken, wie diese Ausbildung elegischer Partien so weit geht, daß sie, zunächst um des Gegensatzes willen geschaffen, ihrerseits wieder nach krüftigerm Gegen¬ satz rufen, und Beethoven, um den Grundcharakter zu wahren, nun auch die eigentlich heroischen Elemente wieder verstärkt und vermehrt. So sind die dem zweiten Thema unmittelbar folgenden so wirksamen Synkopen erst entstanden, als dessen Wendung in Moll beschlossen war. Schritt auf Schritt können wir also verfolgen, wie ein Glied aus dem andern hervorwächst, das eine das andre begründet, und das Ganze sich nach innern, streng logischen Gesetzen langsam aufbaut Schluß folgt) . Erinnerungen einer Lehrerin (Schluß) las Ideal eines Lehrers mit seinen Charakter- und Geisteseigen¬ schaften steht ja fest, darum will ich hier einmal von der Be¬ deutung der äußern Erscheinung einer Lehrerin reden, obgleich viele denken werden, daß dies doch eben eine recht äußerliche l und damit unwichtige Sache sei. Vielleicht gelingt es mir, vom Gegenteil zu überzeugen. Man darf eben nicht vergessen, daß Kinder stark für Äußerlichkeiten empfänglich sind und auch scharf auf diese achten. Leider bedenken dies viele Volksschullehrerinnen noch viel zu wenig, denn sonst könnte man nicht so unpassende Erscheinungen auf den Kathedern und den Schul¬ höfen sehen. Die Gestalten der verschroben aussehenden alten Jungfer, wie man sie noch in meiner Schulzeit unter den Lehrerinnen finden konnte, sind glücklicherweise ausgestorben. An Verschrobenheit leiden unsre ältern Lehrerinnen nicht mehr. Im Gegenteil fällt es mir immer wohltuend auf, welchen frauen¬ haften, mütterlichen Eindruck unsre vierzig- bis funfzigjährigen Lehrerinnen machen. Die ältern Kolleginnen hat das Amt schon erzogen, von denen brauche ich hier nicht zu reden (Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel). Es sind gerade die jüngsten, die es nicht verstehn, ihr Äußeres in würdigen Einklang mit der Volksschule zu setzen. (Ich spreche jetzt immer nur von der Volksschule, denn für eine Lehrerin an einer höhern Mädchenschule gelten zum Teil andre Regeln.) Wenn ein Lehrer mit Recht von einer „Vertreterin" sagen kann: „Der sollte man doch einen Meter Stoff für ihren Ausschnitt schenken," so ist das ein schlimmes Zeichen. Wie eine echte Hausfrau nicht eine unsauber gewordne hellseidne Bluse im Hause bei häuslichen Arbeiten auftragen, sondern ein dazu passendes, sauberes Hauskleid wühlen wird, so darf auch eine Lehrerin nicht in den Fehler verfallen, solche Garderobestücke in der *) H. Kretzschmar im Führer durch den Konzertsaal (I, 3. Aufl., Leipzig 1898, S. 142), dessen tiefgründige Einführung in den Geist des Werkes man zu obigem vergleichen möge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/554>, abgerufen am 03.07.2024.