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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Beethovens Groica
Zu ihrer Jahrhundertfeier

AM>s ist hundert Jahre her, daß Beethoven seine heroische Sinfonie
der Welt übergeben hat. Trotz dem Säkulum, das über sie
hingegangen ist, empfinden wir sie heute noch als modern.
Beethovens große Meisterwerke überhaupt haben noch nichts
> historisches an sich; sie entsprechen noch vollkommen unserm
Denken und Fühlen; sie bilden noch immer das Fundament, auf dem unsre
ganze Musik ruht. Während des neunzehnten Jahrhunderts ist nur eine einzige
Erscheinung hervorgetreten, die an Bedeutung und Wirkungskraft der Beethovens
gleichkommt: Johann Sebastian Bach, dessen Werke erst in diesem Zeitraum
zum Leben erweckt worden sind. Bach und Beethoven sind die beiden Pole,
um die sich die moderne Musikentwicklung dreht.

Die Eroica ist bekanntlich das Werk, worin uns Beethoven zum erstenmal
auf der Höhe seines Schaffens entgegentritt. Dadurch erregt sie besondres
Interesse, und dieses wird noch gesteigert durch den Umstand, daß sie in einem
engen Verhältnis zu großen Zeiterscheinungen steht. Über ihre Entstehung und
die mannigfachen Beziehungen, die sie mit der Außenwelt verknüpfen, sind wir
verhältnismäßig gut unterrichtet. Durch G. Nottebohm sind die musikalischen
Entwürfe im Druck allgemein zugänglich gemacht worden, in ihren Erinnerungen
haben namentlich mehrere Schüler Beethovens, Ries, Schindler, Czerny u. a.,
manchen interessanten Zug überliefert. Es liegt darum nahe, bei Anlaß der
Jahrhundertfeier einmal Werden und Schicksale der Eroica im Zusammenhang
zu verfolgen. Wenn der emsige Biograph Thayer auch die meisten einzelnen
Notizen zusammengetragen hat, so bietet er doch keine zusammenhängende Ge¬
schichte des Werkes; eine solche soll nachstehend versucht werden.

1*)

Die erste Idee zu einer Sinfonie auf Napoleon soll Beethoven schon im
Jahre 1798 gefaßt haben. Sie war ihm nicht selbst gekommen, sondern soll
von dem jungen französischen General Bernadotte angeregt morden sein. Im
Februar des Jahres 1798 kam dieser als Gesandter Frankreichs nach Wien.
Aus verschiednen Gründen dauerte es beinahe zwei Monate, bis er bei Hofe
vorgestellt wurde, und infolge davon lebte er, dem Zwange der Etikette folgend,
über diese Zeit "ganz stille." Er hatte Muße, seinen Neigungen entsprechenden
Verkehr zu suchen. Die Verbindung mit Beethoven dürfte der Violinist Rudolf



*) Vgl. zu diesem Abschnitt A. W. Thayer, L. van Beethovens Leben, 11 (Berlin, 1872),
S. 19 ff., 233 ff., 236, 247 ff., 261, 331 ff.


Beethovens Groica
Zu ihrer Jahrhundertfeier

AM>s ist hundert Jahre her, daß Beethoven seine heroische Sinfonie
der Welt übergeben hat. Trotz dem Säkulum, das über sie
hingegangen ist, empfinden wir sie heute noch als modern.
Beethovens große Meisterwerke überhaupt haben noch nichts
> historisches an sich; sie entsprechen noch vollkommen unserm
Denken und Fühlen; sie bilden noch immer das Fundament, auf dem unsre
ganze Musik ruht. Während des neunzehnten Jahrhunderts ist nur eine einzige
Erscheinung hervorgetreten, die an Bedeutung und Wirkungskraft der Beethovens
gleichkommt: Johann Sebastian Bach, dessen Werke erst in diesem Zeitraum
zum Leben erweckt worden sind. Bach und Beethoven sind die beiden Pole,
um die sich die moderne Musikentwicklung dreht.

Die Eroica ist bekanntlich das Werk, worin uns Beethoven zum erstenmal
auf der Höhe seines Schaffens entgegentritt. Dadurch erregt sie besondres
Interesse, und dieses wird noch gesteigert durch den Umstand, daß sie in einem
engen Verhältnis zu großen Zeiterscheinungen steht. Über ihre Entstehung und
die mannigfachen Beziehungen, die sie mit der Außenwelt verknüpfen, sind wir
verhältnismäßig gut unterrichtet. Durch G. Nottebohm sind die musikalischen
Entwürfe im Druck allgemein zugänglich gemacht worden, in ihren Erinnerungen
haben namentlich mehrere Schüler Beethovens, Ries, Schindler, Czerny u. a.,
manchen interessanten Zug überliefert. Es liegt darum nahe, bei Anlaß der
Jahrhundertfeier einmal Werden und Schicksale der Eroica im Zusammenhang
zu verfolgen. Wenn der emsige Biograph Thayer auch die meisten einzelnen
Notizen zusammengetragen hat, so bietet er doch keine zusammenhängende Ge¬
schichte des Werkes; eine solche soll nachstehend versucht werden.

1*)

Die erste Idee zu einer Sinfonie auf Napoleon soll Beethoven schon im
Jahre 1798 gefaßt haben. Sie war ihm nicht selbst gekommen, sondern soll
von dem jungen französischen General Bernadotte angeregt morden sein. Im
Februar des Jahres 1798 kam dieser als Gesandter Frankreichs nach Wien.
Aus verschiednen Gründen dauerte es beinahe zwei Monate, bis er bei Hofe
vorgestellt wurde, und infolge davon lebte er, dem Zwange der Etikette folgend,
über diese Zeit „ganz stille." Er hatte Muße, seinen Neigungen entsprechenden
Verkehr zu suchen. Die Verbindung mit Beethoven dürfte der Violinist Rudolf



*) Vgl. zu diesem Abschnitt A. W. Thayer, L. van Beethovens Leben, 11 (Berlin, 1872),
S. 19 ff., 233 ff., 236, 247 ff., 261, 331 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/547>, abgerufen am 22.12.2024.