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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Subalterne Juristen

führen konnte; deshalb war der Vormund in aller und jeder Beziehung den
Anordnungen des Vormundschaftsgerichts zu gehorchen verbunden. Das
Preußische Landrecht drückte dies aus durch die Vorschriften der Para¬
graphen 235 bis 237II18: "Dem Vormund hat der Staat die Sorge für
den Pflegebefohlnen aufgetragen. Der Vormund ist der Bevollmächtigte des
Staats; er ist also schuldig, sich bei Führung seines Amts nach den Vor¬
schriften der Gesetze und den besondern Anweisungen des vormundschaftlichen
Gerichts zu richten. Das letzte ist ihn zu dirigieren und unter bestündiger
Aufsicht zu halten verpflichtet." Diesem Rechtsgrundsatz entsprechen seine
Folgen: das bare Vermögen des Mündels wurde nicht vom Vormund zinsbar
angelegt, sondern von ihm an das gerichtliche Pupillendepositorinm eingezahlt
und von diesem verwaltet; dem Vormund blieb von Geldern nur, was zu
laufenden Ausgaben nötig war, und für diese stand er unter der ständigen
und geregelten Aufsicht des Vormundschaftsgerichts. Hielt der Vormund den
Mündel für musikalisch so begabt, daß ihm eine besondre musikalische Aus¬
bildung angemessen erschien, so mußte er das Vormundschaftsgericht bitten,
dieses möge genehmigen, daß auf den Klavierunterricht des Mündels eine
höhere Summe als die allgemein übliche verwandt werden dürfe. Als in den
Jahren 1858 bis 1866 infolge der damals herrschenden Überfüllung des
Juristenstandes die Gerichtsassessoren sechs bis acht Jahre ohne Besoldung
auf Erlangung einer Richterstelle warten mußten, wurden die Vormünder
wiederholt angewiesen, ihre Mündel nicht die Rechtswissenschaft studieren zu
lassen. Gegenwärtig sind nach Zeitungsnachrichten in Berlin viertausend
stellenlose Handlungsgehilfen; in andern großen Städten soll die Sache nicht
viel anders sein. Die Aussichten, im kaufmännischen Beruf ein Unterkommen
oder gar eine selbständige Stellung zu erlangen, sind heute infolge des überaus
großen Wettbewerbs für unbemittelte Handlungsgehilfen sehr gering; dagegen
herrscht heute Mangel an Volksschullehrern, an Unteroffizieren und an tüch¬
tigen Handwerkern. Würde heute noch das altpreußische Vormundschaftsrecht
gelten, so müßte der Vormundschaftsrichter dem Vormund verbieten, das Mündel
in die Kaufmannslehre zu geben; das Gericht müßte dem Vormund den Beruf
eines Volksschullehrers oder Unteroffiziers oder Handwerkers für den Mündel
vorschreiben. So lag die Sache nach den Vorschriften des hier überaus
klaren Preußischen Landrechts.

Anders nach heutigem Recht. Das Bürgerliche Gesetzbuch geht von der
Grundanschauung aus, daß der Vormund frei und selbständig sei. Vergeblich
aber sucht man einen Paragraphen, der diese Grundanschauung ausdrücklich
vorschriebe; es ist dies eben nur ein Grundgedanke, der das ganze Vor¬
mundschaftsrecht beherrscht und sich wie ein roter Faden durch das Gesetz
zieht. Dieser Grundgedanke folgt ans Bestimmungen wie denen, wonach der
Vormund den Mündel zu vertreten, für die Person und das Vermögen des
Mündels zu sorgen, ihn zu erziehn, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt
zu bestimmen hat. Dieser Grundgedanke ergibt sich ferner aus den Vor¬
schriften, wonach der Vormund bei der Verwaltung des Mündelvermögens
gewisse genau bestimmte Anordnungen des Vormundschaftsgerichts zu befolgen


Subalterne Juristen

führen konnte; deshalb war der Vormund in aller und jeder Beziehung den
Anordnungen des Vormundschaftsgerichts zu gehorchen verbunden. Das
Preußische Landrecht drückte dies aus durch die Vorschriften der Para¬
graphen 235 bis 237II18: „Dem Vormund hat der Staat die Sorge für
den Pflegebefohlnen aufgetragen. Der Vormund ist der Bevollmächtigte des
Staats; er ist also schuldig, sich bei Führung seines Amts nach den Vor¬
schriften der Gesetze und den besondern Anweisungen des vormundschaftlichen
Gerichts zu richten. Das letzte ist ihn zu dirigieren und unter bestündiger
Aufsicht zu halten verpflichtet." Diesem Rechtsgrundsatz entsprechen seine
Folgen: das bare Vermögen des Mündels wurde nicht vom Vormund zinsbar
angelegt, sondern von ihm an das gerichtliche Pupillendepositorinm eingezahlt
und von diesem verwaltet; dem Vormund blieb von Geldern nur, was zu
laufenden Ausgaben nötig war, und für diese stand er unter der ständigen
und geregelten Aufsicht des Vormundschaftsgerichts. Hielt der Vormund den
Mündel für musikalisch so begabt, daß ihm eine besondre musikalische Aus¬
bildung angemessen erschien, so mußte er das Vormundschaftsgericht bitten,
dieses möge genehmigen, daß auf den Klavierunterricht des Mündels eine
höhere Summe als die allgemein übliche verwandt werden dürfe. Als in den
Jahren 1858 bis 1866 infolge der damals herrschenden Überfüllung des
Juristenstandes die Gerichtsassessoren sechs bis acht Jahre ohne Besoldung
auf Erlangung einer Richterstelle warten mußten, wurden die Vormünder
wiederholt angewiesen, ihre Mündel nicht die Rechtswissenschaft studieren zu
lassen. Gegenwärtig sind nach Zeitungsnachrichten in Berlin viertausend
stellenlose Handlungsgehilfen; in andern großen Städten soll die Sache nicht
viel anders sein. Die Aussichten, im kaufmännischen Beruf ein Unterkommen
oder gar eine selbständige Stellung zu erlangen, sind heute infolge des überaus
großen Wettbewerbs für unbemittelte Handlungsgehilfen sehr gering; dagegen
herrscht heute Mangel an Volksschullehrern, an Unteroffizieren und an tüch¬
tigen Handwerkern. Würde heute noch das altpreußische Vormundschaftsrecht
gelten, so müßte der Vormundschaftsrichter dem Vormund verbieten, das Mündel
in die Kaufmannslehre zu geben; das Gericht müßte dem Vormund den Beruf
eines Volksschullehrers oder Unteroffiziers oder Handwerkers für den Mündel
vorschreiben. So lag die Sache nach den Vorschriften des hier überaus
klaren Preußischen Landrechts.

Anders nach heutigem Recht. Das Bürgerliche Gesetzbuch geht von der
Grundanschauung aus, daß der Vormund frei und selbständig sei. Vergeblich
aber sucht man einen Paragraphen, der diese Grundanschauung ausdrücklich
vorschriebe; es ist dies eben nur ein Grundgedanke, der das ganze Vor¬
mundschaftsrecht beherrscht und sich wie ein roter Faden durch das Gesetz
zieht. Dieser Grundgedanke folgt ans Bestimmungen wie denen, wonach der
Vormund den Mündel zu vertreten, für die Person und das Vermögen des
Mündels zu sorgen, ihn zu erziehn, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt
zu bestimmen hat. Dieser Grundgedanke ergibt sich ferner aus den Vor¬
schriften, wonach der Vormund bei der Verwaltung des Mündelvermögens
gewisse genau bestimmte Anordnungen des Vormundschaftsgerichts zu befolgen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/540>, abgerufen am 26.08.2024.