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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel

Plötzlich ging ein Leuchten in ihren nachdenklichen Augen auf. Ovale mußte
die Uhr reparieren! Das war eine Arbeit für ihn. Sie sah ihn schon im Geiste
hinter dem Tische sitzen, auf dem die Lampe brannte, und sah die geschickten Finger
all die kleinen Räder berühren. Ovale mußte bei einem Uhrmacher in die Lehre
gehn. In der Hoogstraat konnten sie wohl einen Uhrendoktor brauchen!

Sie aber durfte ihm nicht mit dem Vorschlag kommen. Selbst mußte er den
Gedanken fassen. Überlistet mußte er werden wie ein eigensinniges Kind.

Wie er schlief, schlich sie an sein Bett und nahm seine große Tombaktaschenuhr
vom Nagel an der Wand, schlug die Kapsel von dem Räderwerk zurück und stach
rücksichtslos mit ihrer Nadel hinein. Dann stahl sie sich wie eine Verbrecherin an
ihren Platz zurück.

Ovale wurde es bald gewahr, daß seine Uhr stehn geblieben war. Nun saß
er zum erstenmal eifrig über eine Arbeit gebückt in seinem Bett. Geduldig bastelte
er an dem Räderwerk herum.

Bringst du es Wirklich zustande. Ovale? Die Kuckucksuhr ist auch krank, wenn
du der auch wieder aufhelfen könntest?

Vater und Sohn hatten eine wichtige Besprechung. Ovale war ein kluger
Gedanke gekommen. Es fehlte dem Quartier des Marolles ein geschickter Uhr¬
macher, und er selbst würde nicht übel Lust zu diesem stillen, künstlichen Handwerk
verspüren. Der gutmütige Papa Toone, erfreut über diese erste lebensfreudige
Regung seines Sohnes, war gleich zu einem Geldopfer bereit und baute die ge¬
fälligsten Luftschlösser von einem zukünftigen großen Uhrengeschäft. Ovale dagegen
verlor nicht viel Worte, wie das seine Art war.

Fintje wurde nicht um Rat gefragt bei dieser Zukunftsberatung der beiden
Männer. Sie saß über ihre Arbeit gebeugt und sah mit glücklichem Lächeln auf
ihr schönes Spitzenmuster hinab.




Auf dem Tische brannte die grünbeschirmte Lampe. Sie warf ihren freund¬
lichen Strahlenkranz über die Tischplatte, auf der die metallnen Werkzeuge, die
Uhrgehäuse und die zackigen Rädchen funkelten, und auf die magern, vorsichtig
arbeitenden Hände des kleinen Uhrendvktors, den sie im Quartier des Marolles
den Uhrenoomke hießen.

Rings an den Wänden dickem die großen und die kleinen Uhren, die kranken
und die schon genehmen ihr traulich eintöniges Lied. Das Uhrenonkelchen kannte
und verstand sie alle. Fintje wischte täglich mit leichter, sorgfältiger Hand den
Staub von den Gehäusen. Die altersschwachen, schlecht behandelten Kuckucksuhren
hatten es einmal in ihrem Leben gut, so lauge sie im Lazarett ihres Doktors
weilen durften.

Noch ein zweites Händepaar arbeitete im Schein der Lampe. Ovale sah es
gern, wenn Fintje des Abends mit ihrem Klöppelkissen ihm gegenüber am Tische saß.

Fintje arbeitete mit rastloser Emsigkeit. Vom Nebenzimmer her schallte die
dröhnende Stimme Papa Toones, der sich mit seinen Getreuen beim Kartenspiel
vergnügte. Die Gicht in deu Füßen hinderte ihn jetzt häufig am Ausgehn; daun
mußte Fintje laufen, den Farokrug in der Wirtschaft füllen zu lassen. Papa Toone
war kein Rechenkünstler, er machte sich nicht klar, daß er nur dank Fintjes müh¬
samem Verdienst noch imstande war, den dickbäuchigen Krug so häufig füllen zu
lassen. Der joviale Rentier hatte seine Freunde gar zu oft freigehalten beim
"Captainje" und "Al Marmitte," und die Etablierung des Sohnes als Uhrmacher
hatte in sein kleines Kapital vollends eine bedenkliche Bresche gerissen. Und Ovale
war ein zu pünktlicher, heikler Arbeiter, als daß er aus seiner Zeit viel Geld hätte
schlagen können. Da war es denn gut, daß Fintje die Haushaltungskasse in Händen
hatte und deren Fehlbetrag mit dem Erlös ihrer Hände Arbeit ergänzen konnte.
Sie war bescheiden geworden. Den beiden unpraktischen Männern unentbehrlich
geworden zu sein, sich für sie abmühen zu dürfen, tagüber mit Putzen, Kochen,
Bedienen und noch bis in die Nacht hinein mit Klöppeln, das hieß Fintje d'el


Im alten Brüssel

Plötzlich ging ein Leuchten in ihren nachdenklichen Augen auf. Ovale mußte
die Uhr reparieren! Das war eine Arbeit für ihn. Sie sah ihn schon im Geiste
hinter dem Tische sitzen, auf dem die Lampe brannte, und sah die geschickten Finger
all die kleinen Räder berühren. Ovale mußte bei einem Uhrmacher in die Lehre
gehn. In der Hoogstraat konnten sie wohl einen Uhrendoktor brauchen!

Sie aber durfte ihm nicht mit dem Vorschlag kommen. Selbst mußte er den
Gedanken fassen. Überlistet mußte er werden wie ein eigensinniges Kind.

Wie er schlief, schlich sie an sein Bett und nahm seine große Tombaktaschenuhr
vom Nagel an der Wand, schlug die Kapsel von dem Räderwerk zurück und stach
rücksichtslos mit ihrer Nadel hinein. Dann stahl sie sich wie eine Verbrecherin an
ihren Platz zurück.

Ovale wurde es bald gewahr, daß seine Uhr stehn geblieben war. Nun saß
er zum erstenmal eifrig über eine Arbeit gebückt in seinem Bett. Geduldig bastelte
er an dem Räderwerk herum.

Bringst du es Wirklich zustande. Ovale? Die Kuckucksuhr ist auch krank, wenn
du der auch wieder aufhelfen könntest?

Vater und Sohn hatten eine wichtige Besprechung. Ovale war ein kluger
Gedanke gekommen. Es fehlte dem Quartier des Marolles ein geschickter Uhr¬
macher, und er selbst würde nicht übel Lust zu diesem stillen, künstlichen Handwerk
verspüren. Der gutmütige Papa Toone, erfreut über diese erste lebensfreudige
Regung seines Sohnes, war gleich zu einem Geldopfer bereit und baute die ge¬
fälligsten Luftschlösser von einem zukünftigen großen Uhrengeschäft. Ovale dagegen
verlor nicht viel Worte, wie das seine Art war.

Fintje wurde nicht um Rat gefragt bei dieser Zukunftsberatung der beiden
Männer. Sie saß über ihre Arbeit gebeugt und sah mit glücklichem Lächeln auf
ihr schönes Spitzenmuster hinab.




Auf dem Tische brannte die grünbeschirmte Lampe. Sie warf ihren freund¬
lichen Strahlenkranz über die Tischplatte, auf der die metallnen Werkzeuge, die
Uhrgehäuse und die zackigen Rädchen funkelten, und auf die magern, vorsichtig
arbeitenden Hände des kleinen Uhrendvktors, den sie im Quartier des Marolles
den Uhrenoomke hießen.

Rings an den Wänden dickem die großen und die kleinen Uhren, die kranken
und die schon genehmen ihr traulich eintöniges Lied. Das Uhrenonkelchen kannte
und verstand sie alle. Fintje wischte täglich mit leichter, sorgfältiger Hand den
Staub von den Gehäusen. Die altersschwachen, schlecht behandelten Kuckucksuhren
hatten es einmal in ihrem Leben gut, so lauge sie im Lazarett ihres Doktors
weilen durften.

Noch ein zweites Händepaar arbeitete im Schein der Lampe. Ovale sah es
gern, wenn Fintje des Abends mit ihrem Klöppelkissen ihm gegenüber am Tische saß.

Fintje arbeitete mit rastloser Emsigkeit. Vom Nebenzimmer her schallte die
dröhnende Stimme Papa Toones, der sich mit seinen Getreuen beim Kartenspiel
vergnügte. Die Gicht in deu Füßen hinderte ihn jetzt häufig am Ausgehn; daun
mußte Fintje laufen, den Farokrug in der Wirtschaft füllen zu lassen. Papa Toone
war kein Rechenkünstler, er machte sich nicht klar, daß er nur dank Fintjes müh¬
samem Verdienst noch imstande war, den dickbäuchigen Krug so häufig füllen zu
lassen. Der joviale Rentier hatte seine Freunde gar zu oft freigehalten beim
„Captainje" und „Al Marmitte," und die Etablierung des Sohnes als Uhrmacher
hatte in sein kleines Kapital vollends eine bedenkliche Bresche gerissen. Und Ovale
war ein zu pünktlicher, heikler Arbeiter, als daß er aus seiner Zeit viel Geld hätte
schlagen können. Da war es denn gut, daß Fintje die Haushaltungskasse in Händen
hatte und deren Fehlbetrag mit dem Erlös ihrer Hände Arbeit ergänzen konnte.
Sie war bescheiden geworden. Den beiden unpraktischen Männern unentbehrlich
geworden zu sein, sich für sie abmühen zu dürfen, tagüber mit Putzen, Kochen,
Bedienen und noch bis in die Nacht hinein mit Klöppeln, das hieß Fintje d'el


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[0522] Im alten Brüssel Plötzlich ging ein Leuchten in ihren nachdenklichen Augen auf. Ovale mußte die Uhr reparieren! Das war eine Arbeit für ihn. Sie sah ihn schon im Geiste hinter dem Tische sitzen, auf dem die Lampe brannte, und sah die geschickten Finger all die kleinen Räder berühren. Ovale mußte bei einem Uhrmacher in die Lehre gehn. In der Hoogstraat konnten sie wohl einen Uhrendoktor brauchen! Sie aber durfte ihm nicht mit dem Vorschlag kommen. Selbst mußte er den Gedanken fassen. Überlistet mußte er werden wie ein eigensinniges Kind. Wie er schlief, schlich sie an sein Bett und nahm seine große Tombaktaschenuhr vom Nagel an der Wand, schlug die Kapsel von dem Räderwerk zurück und stach rücksichtslos mit ihrer Nadel hinein. Dann stahl sie sich wie eine Verbrecherin an ihren Platz zurück. Ovale wurde es bald gewahr, daß seine Uhr stehn geblieben war. Nun saß er zum erstenmal eifrig über eine Arbeit gebückt in seinem Bett. Geduldig bastelte er an dem Räderwerk herum. Bringst du es Wirklich zustande. Ovale? Die Kuckucksuhr ist auch krank, wenn du der auch wieder aufhelfen könntest? Vater und Sohn hatten eine wichtige Besprechung. Ovale war ein kluger Gedanke gekommen. Es fehlte dem Quartier des Marolles ein geschickter Uhr¬ macher, und er selbst würde nicht übel Lust zu diesem stillen, künstlichen Handwerk verspüren. Der gutmütige Papa Toone, erfreut über diese erste lebensfreudige Regung seines Sohnes, war gleich zu einem Geldopfer bereit und baute die ge¬ fälligsten Luftschlösser von einem zukünftigen großen Uhrengeschäft. Ovale dagegen verlor nicht viel Worte, wie das seine Art war. Fintje wurde nicht um Rat gefragt bei dieser Zukunftsberatung der beiden Männer. Sie saß über ihre Arbeit gebeugt und sah mit glücklichem Lächeln auf ihr schönes Spitzenmuster hinab. Auf dem Tische brannte die grünbeschirmte Lampe. Sie warf ihren freund¬ lichen Strahlenkranz über die Tischplatte, auf der die metallnen Werkzeuge, die Uhrgehäuse und die zackigen Rädchen funkelten, und auf die magern, vorsichtig arbeitenden Hände des kleinen Uhrendvktors, den sie im Quartier des Marolles den Uhrenoomke hießen. Rings an den Wänden dickem die großen und die kleinen Uhren, die kranken und die schon genehmen ihr traulich eintöniges Lied. Das Uhrenonkelchen kannte und verstand sie alle. Fintje wischte täglich mit leichter, sorgfältiger Hand den Staub von den Gehäusen. Die altersschwachen, schlecht behandelten Kuckucksuhren hatten es einmal in ihrem Leben gut, so lauge sie im Lazarett ihres Doktors weilen durften. Noch ein zweites Händepaar arbeitete im Schein der Lampe. Ovale sah es gern, wenn Fintje des Abends mit ihrem Klöppelkissen ihm gegenüber am Tische saß. Fintje arbeitete mit rastloser Emsigkeit. Vom Nebenzimmer her schallte die dröhnende Stimme Papa Toones, der sich mit seinen Getreuen beim Kartenspiel vergnügte. Die Gicht in deu Füßen hinderte ihn jetzt häufig am Ausgehn; daun mußte Fintje laufen, den Farokrug in der Wirtschaft füllen zu lassen. Papa Toone war kein Rechenkünstler, er machte sich nicht klar, daß er nur dank Fintjes müh¬ samem Verdienst noch imstande war, den dickbäuchigen Krug so häufig füllen zu lassen. Der joviale Rentier hatte seine Freunde gar zu oft freigehalten beim „Captainje" und „Al Marmitte," und die Etablierung des Sohnes als Uhrmacher hatte in sein kleines Kapital vollends eine bedenkliche Bresche gerissen. Und Ovale war ein zu pünktlicher, heikler Arbeiter, als daß er aus seiner Zeit viel Geld hätte schlagen können. Da war es denn gut, daß Fintje die Haushaltungskasse in Händen hatte und deren Fehlbetrag mit dem Erlös ihrer Hände Arbeit ergänzen konnte. Sie war bescheiden geworden. Den beiden unpraktischen Männern unentbehrlich geworden zu sein, sich für sie abmühen zu dürfen, tagüber mit Putzen, Kochen, Bedienen und noch bis in die Nacht hinein mit Klöppeln, das hieß Fintje d'el

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/522>, abgerufen am 22.12.2024.