Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz stete. Da ist der gewaltige Hugold der Dritte von Schleinitz, Obermarschall des In diese Zeit fiel die unglückselige Leipziger Teilung der Wettiner Gebiete Aber es gibt auch unglückliche Gestalten unter den Geschlechtsgenossen. Da Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz stete. Da ist der gewaltige Hugold der Dritte von Schleinitz, Obermarschall des In diese Zeit fiel die unglückselige Leipziger Teilung der Wettiner Gebiete Aber es gibt auch unglückliche Gestalten unter den Geschlechtsgenossen. Da <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/87990"/> <fw type="header" place="top"> Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz</fw><lb/> <p xml:id="ID_2190" prev="#ID_2189"> stete. Da ist der gewaltige Hugold der Dritte von Schleinitz, Obermarschall des<lb/> Kurfürsten Ernst und des Herzogs Albrecht des Beherzten, in den wichtigen<lb/> sächsisch-böhmischen Händeln seiner Zeit vielleicht der einflußreichste Staatsmann des<lb/> sächsischen Hofes, der 1459 den Egerer Vertrag und die aussichtsreiche Heirat<lb/> Albrechts mit Sidonie, der Tochter des Böhmenkönigs Georg Podiebrad, ver¬<lb/> mittelte und im Verein mit dem papstfeindlichen Humanisten Gregor Heimburg<lb/> eine Zeit lang die Erhebung Albrechts auf den böhmischen Thron betrieb. Als<lb/> ihn einst der brandenburgische Kurprinz Johann Cicero in seiner Abwesenheit<lb/> „einen verräterischen Bösewicht" genannt hatte, der auch am sächsischen Prinzen¬<lb/> raube beteiligt sei — seine Mutter war eine geborne Kunz von Kauffungen —,<lb/> forderte er diesen zum ritterlichen Zweikampf und drohte, als sich Johann Cicero<lb/> nicht dazu versteh» wollte, mit Krieg. Auch die wettinischen Fürsten forderten<lb/> um den Brandenburger auf, „die ihrem Marschall angetane Beschwerung zu ent¬<lb/> ledigen," und Kurfürst Albrecht Achilles warnte seinen Sohn allen Ernstes, durch<lb/> sächsisches, hessisches oder magdeburgisches Gebiet zu reiten, weil der Obermarschall<lb/> Schleinitz viele Gefreundte habe und in den Landen gefürchtet sei. Endlich wurde<lb/> der Streit 1485 durch einen Berliner Gerichtstag beigelegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2191"> In diese Zeit fiel die unglückselige Leipziger Teilung der Wettiner Gebiete<lb/> (1485), die den Zwiespalt der Ernestiner und der Albertiner begründete. Als es<lb/> zu spät war, kam beiden Fürsten die zuvor fehlende politische Einsicht, und das<lb/> tragische Opfer ihres Unmuts wurde Hugold von Schleinitz, der beide beraten<lb/> hatte. Aus dem Jahre 1489 ist eine Anklageschrift Albrechts gegen seinen greisen<lb/> Obermarschall vorhanden, die den denkwürdigen Satz enthält: „Zum andern, so<lb/> hat er mir gemacht, daß sich mein lieber Bruder mit mir geteilt hat und unser<lb/> aller Land dermaßen voneinander gerissen, daß ich in Sorgen bin beiden Teilen<lb/> zu künftigen Zeiten viel Irrtums und Schadens bringen werde, dann unser aller<lb/> Lande war nichts Nutzers gewesen, denn daß sie vor einen Mann gestanden wären<lb/> in diesen schweren Läuften, so um uns sind, und nichts schädlicher gewesen, denn<lb/> in der Gestalt zu rissen, wie wohl er mich unter die Leute getragen hat, als wär<lb/> ich Ursach zu der Teilung, und drang mein Bruder dahin, daß er sich mit mir<lb/> teilen mußte." Wir hören nichts von einer Rechtfertigung des Beklagten, aber<lb/> ich möchte daraus nicht ohne weiteres schließen, daß er sich schuldig fühlte: Kur¬<lb/> fürst Ernst war seit 1436 tot, also verbot dem Obermarschall vielleicht die Ritter¬<lb/> lichkeit, diesem die Schuld beizumessen. Überdies ist die Schrift in allen ihren<lb/> vierzehn Punkten ein Beweis für die patriarchalischen Verhältnisse der damaligen<lb/> deutschen Höfe, ein Standesunterschied zwischen dem Fürsten und seinen Vasallen<lb/> tritt kaum hervor; außerdem erscheint Hugold Schleinitz als ein konservativer<lb/> Mann, der die Leistungen der Stände für den Fürsten nicht erhöht wissen will<lb/> und dem eindringenden römischen Rechte feindlich gegenübersteht. Als er 1490<lb/> auf seinem Schlosse Kriebstein bei Waldheim gestorben war, wohnte Herzog<lb/> Albrecht mit seinen beiden Söhnen, zahlreiche Prälaten und viele vom Adel,<lb/> darunter allein vierundachtzig Damen, dem Leichenbegängnis zu Se. Afra in<lb/> Meißen bei.</p><lb/> <p xml:id="ID_2192" next="#ID_2193"> Aber es gibt auch unglückliche Gestalten unter den Geschlechtsgenossen. Da<lb/> ist vor allem der Oberkriegskommissar und Oberst zu Roß und zu Fuß Joachim<lb/> vou Schleinitz, der eine ehrenvolle mehr als vierzigjährige militärische Laufbahn<lb/> 1642 damit abschloß, daß er vor Torstenson in Leipzig kapitulieren mußte. Er<lb/> fiel seitdem bei seinem Kurfürsten in Ungnade, aber erst im April 1644, als er<lb/> krank in seinem Prachtvoll eingerichteten Hause in Dresden lag, wurde der Prozeß<lb/> gegen ihn eröffnet. Während des Prozesses am 21. Juli 1644 starb er. Seine<lb/> Leiche wurde in aller Stille aus der Stadt geschafft und auf einem Elbschiffe<lb/> nach Zehren und von da nach Schieritz gebracht. Erst nach einiger Zeit erlaubte<lb/> der Kurfürst die stille Beisetzung in der Zehrener Kirche. Den Erben wurden<lb/> nur die Lehnsgüter verabfolgt, das bare Vermögen, die zuerkauften Güter, das</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0512]
Lommatzscher Pflege und das Geschlecht derer von Schleinitz
stete. Da ist der gewaltige Hugold der Dritte von Schleinitz, Obermarschall des
Kurfürsten Ernst und des Herzogs Albrecht des Beherzten, in den wichtigen
sächsisch-böhmischen Händeln seiner Zeit vielleicht der einflußreichste Staatsmann des
sächsischen Hofes, der 1459 den Egerer Vertrag und die aussichtsreiche Heirat
Albrechts mit Sidonie, der Tochter des Böhmenkönigs Georg Podiebrad, ver¬
mittelte und im Verein mit dem papstfeindlichen Humanisten Gregor Heimburg
eine Zeit lang die Erhebung Albrechts auf den böhmischen Thron betrieb. Als
ihn einst der brandenburgische Kurprinz Johann Cicero in seiner Abwesenheit
„einen verräterischen Bösewicht" genannt hatte, der auch am sächsischen Prinzen¬
raube beteiligt sei — seine Mutter war eine geborne Kunz von Kauffungen —,
forderte er diesen zum ritterlichen Zweikampf und drohte, als sich Johann Cicero
nicht dazu versteh» wollte, mit Krieg. Auch die wettinischen Fürsten forderten
um den Brandenburger auf, „die ihrem Marschall angetane Beschwerung zu ent¬
ledigen," und Kurfürst Albrecht Achilles warnte seinen Sohn allen Ernstes, durch
sächsisches, hessisches oder magdeburgisches Gebiet zu reiten, weil der Obermarschall
Schleinitz viele Gefreundte habe und in den Landen gefürchtet sei. Endlich wurde
der Streit 1485 durch einen Berliner Gerichtstag beigelegt.
In diese Zeit fiel die unglückselige Leipziger Teilung der Wettiner Gebiete
(1485), die den Zwiespalt der Ernestiner und der Albertiner begründete. Als es
zu spät war, kam beiden Fürsten die zuvor fehlende politische Einsicht, und das
tragische Opfer ihres Unmuts wurde Hugold von Schleinitz, der beide beraten
hatte. Aus dem Jahre 1489 ist eine Anklageschrift Albrechts gegen seinen greisen
Obermarschall vorhanden, die den denkwürdigen Satz enthält: „Zum andern, so
hat er mir gemacht, daß sich mein lieber Bruder mit mir geteilt hat und unser
aller Land dermaßen voneinander gerissen, daß ich in Sorgen bin beiden Teilen
zu künftigen Zeiten viel Irrtums und Schadens bringen werde, dann unser aller
Lande war nichts Nutzers gewesen, denn daß sie vor einen Mann gestanden wären
in diesen schweren Läuften, so um uns sind, und nichts schädlicher gewesen, denn
in der Gestalt zu rissen, wie wohl er mich unter die Leute getragen hat, als wär
ich Ursach zu der Teilung, und drang mein Bruder dahin, daß er sich mit mir
teilen mußte." Wir hören nichts von einer Rechtfertigung des Beklagten, aber
ich möchte daraus nicht ohne weiteres schließen, daß er sich schuldig fühlte: Kur¬
fürst Ernst war seit 1436 tot, also verbot dem Obermarschall vielleicht die Ritter¬
lichkeit, diesem die Schuld beizumessen. Überdies ist die Schrift in allen ihren
vierzehn Punkten ein Beweis für die patriarchalischen Verhältnisse der damaligen
deutschen Höfe, ein Standesunterschied zwischen dem Fürsten und seinen Vasallen
tritt kaum hervor; außerdem erscheint Hugold Schleinitz als ein konservativer
Mann, der die Leistungen der Stände für den Fürsten nicht erhöht wissen will
und dem eindringenden römischen Rechte feindlich gegenübersteht. Als er 1490
auf seinem Schlosse Kriebstein bei Waldheim gestorben war, wohnte Herzog
Albrecht mit seinen beiden Söhnen, zahlreiche Prälaten und viele vom Adel,
darunter allein vierundachtzig Damen, dem Leichenbegängnis zu Se. Afra in
Meißen bei.
Aber es gibt auch unglückliche Gestalten unter den Geschlechtsgenossen. Da
ist vor allem der Oberkriegskommissar und Oberst zu Roß und zu Fuß Joachim
vou Schleinitz, der eine ehrenvolle mehr als vierzigjährige militärische Laufbahn
1642 damit abschloß, daß er vor Torstenson in Leipzig kapitulieren mußte. Er
fiel seitdem bei seinem Kurfürsten in Ungnade, aber erst im April 1644, als er
krank in seinem Prachtvoll eingerichteten Hause in Dresden lag, wurde der Prozeß
gegen ihn eröffnet. Während des Prozesses am 21. Juli 1644 starb er. Seine
Leiche wurde in aller Stille aus der Stadt geschafft und auf einem Elbschiffe
nach Zehren und von da nach Schieritz gebracht. Erst nach einiger Zeit erlaubte
der Kurfürst die stille Beisetzung in der Zehrener Kirche. Den Erben wurden
nur die Lehnsgüter verabfolgt, das bare Vermögen, die zuerkauften Güter, das
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |