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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege

Landstraße, ist auf du und du mit Meilensteinen und Wegzeigern und kann keinem
Hund einen Steinwurf ersparen.

Solange der Soldat nicht stumpfsinnig geworden ist, bietet er seine letzten
Kräfte ans, in seinem Verbände zu bleiben. Ich möchte sagen: in Reih und Glied
zu bleiben, ist die Bedingung des guten Gewissens beim Soldaten. Er schleppt
sich in seinem Bataillon mit, bis er zusammenbricht. Das ist nicht bloß Marsch¬
disziplin, es steckt darin das Hängen des Menschen am Menschen, besonders an
denen, die er gewöhnt ist, denen er gern folgt und gehorcht. Kein schlechteres
Zeichen von innerm Verfall einer Armee, als wenn viele aus Reih und Glied
treten und in irgendeiner Entfernung nachziehn. Der Soldat, der seine Neben¬
männer, seinen Vor- und Hintermann verläßt, mit denen er sozusagen verwachsen
sein muß, gibt sich selbst auf, ist kein rechter Soldat mehr, ist, auch rein menschlich
genommen, ein Tor oder ein Subjekt, das auf Schlechtes sinnt. Die Entfernung
zwischen ihm und der Truppe nimmt nicht bloß räumlich rasch zu; sie wächst
moralisch mit der Entfernung noch schneller, verderblich und verführerisch schnell,

Daß aus dem Marsch das Trinken mit der Zeit eine Sache von entscheidender
Bedeutung wird, weiß jeder Fußgänger. Der Durst ist eine Qual, und was tut
der Soldat nicht, um sich ihrer zu erwehren! Damals lastete noch der medizinische
Unsinn ans uns, daß auf dem Marsch nicht getrunken werden durfte, unter den
vielen Sünden, die die höhern Militärärzte auf dem Gewissen haben, eine der
leichtsinnigsten, denn damals schon mußte man wissen, daß müßiges Trinken den
von Hitze und Staub halb Erstickten uicht schadet. Statt dessen sahen wir in so
manchem elsttssischen Dorf die Kübel voll kühlen Wassers, die die mitleidigen Ein¬
wohner an die Straße stellten, einfach ausleeren. Der Herr Stabsarzt befahl das
vom hohen Rosse herab. Der Durst hat etwas Bohrendes, das Gemüt Beun¬
ruhigendes und zugleich Verlockendes. Welcher Hochgenuß, ein kühler Trunk! Nur
die Liebe ist noch verführerischer. Der Hunger dagegen ist ein sozusagen ruhigeres,
schwereres Gefühl, das langsamer vorrückt und belastet. Daher die häufigen
Disziplinarvergehen aus Durst. Wenn Fröschweiler Wasser gehabt hätte, wäre es
besser auch für die Sieger gewesen; dem schweren Elsässerwein verdankt man einige
dunkle Flecken in der Geschichte des achtzehnhunderlsiebziger Feldzugs. Sonst war
ja der Wein eine unbeschreibliche Wohltat, und natürlich ganz besonders auf dem
Marsch. Schon der Anblick einer vollen Feldflasche rief heitere Empfindungen wach,
und noch wenn sie leer war, würzten Gespräche von ihrem gewesnen Inhalt die
langen Marschstunden, und es wurde das Zitat darauf angewandt: Aber ging es
leuchtend nieder, leuchtets lange noch zurück! Allgemein war längere Zeit die Klage,
daß man nicht sehe, was man trinke, nicht bloß den Wein, auch die Fliegen und
andre Zufälligkeiten. Da brachte ein sinnreicher Kamerad eine homme Wagschale
"zustande," die in einem Kramladen gedient haben mochte, und diese kreiste,
verehrt und begrüßt wie der Becher des Königs vou Thule, voll des purpurrotem
Sciöneweins und Burgunders reihein reihcms und weckte immer neue Heiterkeit,
besonders nach dem sinnreichen Vergleich mit einer altdeutschen Trinkschale aus dem
Schädel eines Feindes, die Reiske irgendwo in einem "Nibelnngenmuseuni" gesehen
haben wollte. "Der liebe melancholische Kaffee," wie ihn die sächsische Minna
von Barnhelm nennt, wurde zwar seiner Wärme wegen frühmorgens gern ge¬
schlürft; aber gleich danach galt er nur noch als "schwarze Brühe," und diese in
die Feldflasche zu füllen, wie einige Aufgeklärte anrieten, leuchtete nicht ein, so
lange man über roten Wein zu diesem Zweck verfügte. Purpur erweckt ein Gefühl
von Reichtum, erinnerte sich jemand irgendwo gelesen zu haben; nun, dieses Gefühls
wollten wir, vou allem andern abgesehen, uns nicht ohne weiteres begeben.

Nachtmarsch, bei deinem Namen senkt sichs düster wie späte Dämmerung um
mich herab, und ich höre die Kolonne schlürfend, schweigend dahinziehn. Töne, die
am Tage verwehen oder sich im Licht verflüchtigen, werden nun laut; man hört
jeden Fehltritt, jedes Straucheln und das Klappern des Schlosses, wenn das Gewehr


Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege

Landstraße, ist auf du und du mit Meilensteinen und Wegzeigern und kann keinem
Hund einen Steinwurf ersparen.

Solange der Soldat nicht stumpfsinnig geworden ist, bietet er seine letzten
Kräfte ans, in seinem Verbände zu bleiben. Ich möchte sagen: in Reih und Glied
zu bleiben, ist die Bedingung des guten Gewissens beim Soldaten. Er schleppt
sich in seinem Bataillon mit, bis er zusammenbricht. Das ist nicht bloß Marsch¬
disziplin, es steckt darin das Hängen des Menschen am Menschen, besonders an
denen, die er gewöhnt ist, denen er gern folgt und gehorcht. Kein schlechteres
Zeichen von innerm Verfall einer Armee, als wenn viele aus Reih und Glied
treten und in irgendeiner Entfernung nachziehn. Der Soldat, der seine Neben¬
männer, seinen Vor- und Hintermann verläßt, mit denen er sozusagen verwachsen
sein muß, gibt sich selbst auf, ist kein rechter Soldat mehr, ist, auch rein menschlich
genommen, ein Tor oder ein Subjekt, das auf Schlechtes sinnt. Die Entfernung
zwischen ihm und der Truppe nimmt nicht bloß räumlich rasch zu; sie wächst
moralisch mit der Entfernung noch schneller, verderblich und verführerisch schnell,

Daß aus dem Marsch das Trinken mit der Zeit eine Sache von entscheidender
Bedeutung wird, weiß jeder Fußgänger. Der Durst ist eine Qual, und was tut
der Soldat nicht, um sich ihrer zu erwehren! Damals lastete noch der medizinische
Unsinn ans uns, daß auf dem Marsch nicht getrunken werden durfte, unter den
vielen Sünden, die die höhern Militärärzte auf dem Gewissen haben, eine der
leichtsinnigsten, denn damals schon mußte man wissen, daß müßiges Trinken den
von Hitze und Staub halb Erstickten uicht schadet. Statt dessen sahen wir in so
manchem elsttssischen Dorf die Kübel voll kühlen Wassers, die die mitleidigen Ein¬
wohner an die Straße stellten, einfach ausleeren. Der Herr Stabsarzt befahl das
vom hohen Rosse herab. Der Durst hat etwas Bohrendes, das Gemüt Beun¬
ruhigendes und zugleich Verlockendes. Welcher Hochgenuß, ein kühler Trunk! Nur
die Liebe ist noch verführerischer. Der Hunger dagegen ist ein sozusagen ruhigeres,
schwereres Gefühl, das langsamer vorrückt und belastet. Daher die häufigen
Disziplinarvergehen aus Durst. Wenn Fröschweiler Wasser gehabt hätte, wäre es
besser auch für die Sieger gewesen; dem schweren Elsässerwein verdankt man einige
dunkle Flecken in der Geschichte des achtzehnhunderlsiebziger Feldzugs. Sonst war
ja der Wein eine unbeschreibliche Wohltat, und natürlich ganz besonders auf dem
Marsch. Schon der Anblick einer vollen Feldflasche rief heitere Empfindungen wach,
und noch wenn sie leer war, würzten Gespräche von ihrem gewesnen Inhalt die
langen Marschstunden, und es wurde das Zitat darauf angewandt: Aber ging es
leuchtend nieder, leuchtets lange noch zurück! Allgemein war längere Zeit die Klage,
daß man nicht sehe, was man trinke, nicht bloß den Wein, auch die Fliegen und
andre Zufälligkeiten. Da brachte ein sinnreicher Kamerad eine homme Wagschale
„zustande," die in einem Kramladen gedient haben mochte, und diese kreiste,
verehrt und begrüßt wie der Becher des Königs vou Thule, voll des purpurrotem
Sciöneweins und Burgunders reihein reihcms und weckte immer neue Heiterkeit,
besonders nach dem sinnreichen Vergleich mit einer altdeutschen Trinkschale aus dem
Schädel eines Feindes, die Reiske irgendwo in einem „Nibelnngenmuseuni" gesehen
haben wollte. „Der liebe melancholische Kaffee," wie ihn die sächsische Minna
von Barnhelm nennt, wurde zwar seiner Wärme wegen frühmorgens gern ge¬
schlürft; aber gleich danach galt er nur noch als „schwarze Brühe," und diese in
die Feldflasche zu füllen, wie einige Aufgeklärte anrieten, leuchtete nicht ein, so
lange man über roten Wein zu diesem Zweck verfügte. Purpur erweckt ein Gefühl
von Reichtum, erinnerte sich jemand irgendwo gelesen zu haben; nun, dieses Gefühls
wollten wir, vou allem andern abgesehen, uns nicht ohne weiteres begeben.

Nachtmarsch, bei deinem Namen senkt sichs düster wie späte Dämmerung um
mich herab, und ich höre die Kolonne schlürfend, schweigend dahinziehn. Töne, die
am Tage verwehen oder sich im Licht verflüchtigen, werden nun laut; man hört
jeden Fehltritt, jedes Straucheln und das Klappern des Schlosses, wenn das Gewehr


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[0051] Bilder aus dein deutsch-französischen Kriege Landstraße, ist auf du und du mit Meilensteinen und Wegzeigern und kann keinem Hund einen Steinwurf ersparen. Solange der Soldat nicht stumpfsinnig geworden ist, bietet er seine letzten Kräfte ans, in seinem Verbände zu bleiben. Ich möchte sagen: in Reih und Glied zu bleiben, ist die Bedingung des guten Gewissens beim Soldaten. Er schleppt sich in seinem Bataillon mit, bis er zusammenbricht. Das ist nicht bloß Marsch¬ disziplin, es steckt darin das Hängen des Menschen am Menschen, besonders an denen, die er gewöhnt ist, denen er gern folgt und gehorcht. Kein schlechteres Zeichen von innerm Verfall einer Armee, als wenn viele aus Reih und Glied treten und in irgendeiner Entfernung nachziehn. Der Soldat, der seine Neben¬ männer, seinen Vor- und Hintermann verläßt, mit denen er sozusagen verwachsen sein muß, gibt sich selbst auf, ist kein rechter Soldat mehr, ist, auch rein menschlich genommen, ein Tor oder ein Subjekt, das auf Schlechtes sinnt. Die Entfernung zwischen ihm und der Truppe nimmt nicht bloß räumlich rasch zu; sie wächst moralisch mit der Entfernung noch schneller, verderblich und verführerisch schnell, Daß aus dem Marsch das Trinken mit der Zeit eine Sache von entscheidender Bedeutung wird, weiß jeder Fußgänger. Der Durst ist eine Qual, und was tut der Soldat nicht, um sich ihrer zu erwehren! Damals lastete noch der medizinische Unsinn ans uns, daß auf dem Marsch nicht getrunken werden durfte, unter den vielen Sünden, die die höhern Militärärzte auf dem Gewissen haben, eine der leichtsinnigsten, denn damals schon mußte man wissen, daß müßiges Trinken den von Hitze und Staub halb Erstickten uicht schadet. Statt dessen sahen wir in so manchem elsttssischen Dorf die Kübel voll kühlen Wassers, die die mitleidigen Ein¬ wohner an die Straße stellten, einfach ausleeren. Der Herr Stabsarzt befahl das vom hohen Rosse herab. Der Durst hat etwas Bohrendes, das Gemüt Beun¬ ruhigendes und zugleich Verlockendes. Welcher Hochgenuß, ein kühler Trunk! Nur die Liebe ist noch verführerischer. Der Hunger dagegen ist ein sozusagen ruhigeres, schwereres Gefühl, das langsamer vorrückt und belastet. Daher die häufigen Disziplinarvergehen aus Durst. Wenn Fröschweiler Wasser gehabt hätte, wäre es besser auch für die Sieger gewesen; dem schweren Elsässerwein verdankt man einige dunkle Flecken in der Geschichte des achtzehnhunderlsiebziger Feldzugs. Sonst war ja der Wein eine unbeschreibliche Wohltat, und natürlich ganz besonders auf dem Marsch. Schon der Anblick einer vollen Feldflasche rief heitere Empfindungen wach, und noch wenn sie leer war, würzten Gespräche von ihrem gewesnen Inhalt die langen Marschstunden, und es wurde das Zitat darauf angewandt: Aber ging es leuchtend nieder, leuchtets lange noch zurück! Allgemein war längere Zeit die Klage, daß man nicht sehe, was man trinke, nicht bloß den Wein, auch die Fliegen und andre Zufälligkeiten. Da brachte ein sinnreicher Kamerad eine homme Wagschale „zustande," die in einem Kramladen gedient haben mochte, und diese kreiste, verehrt und begrüßt wie der Becher des Königs vou Thule, voll des purpurrotem Sciöneweins und Burgunders reihein reihcms und weckte immer neue Heiterkeit, besonders nach dem sinnreichen Vergleich mit einer altdeutschen Trinkschale aus dem Schädel eines Feindes, die Reiske irgendwo in einem „Nibelnngenmuseuni" gesehen haben wollte. „Der liebe melancholische Kaffee," wie ihn die sächsische Minna von Barnhelm nennt, wurde zwar seiner Wärme wegen frühmorgens gern ge¬ schlürft; aber gleich danach galt er nur noch als „schwarze Brühe," und diese in die Feldflasche zu füllen, wie einige Aufgeklärte anrieten, leuchtete nicht ein, so lange man über roten Wein zu diesem Zweck verfügte. Purpur erweckt ein Gefühl von Reichtum, erinnerte sich jemand irgendwo gelesen zu haben; nun, dieses Gefühls wollten wir, vou allem andern abgesehen, uns nicht ohne weiteres begeben. Nachtmarsch, bei deinem Namen senkt sichs düster wie späte Dämmerung um mich herab, und ich höre die Kolonne schlürfend, schweigend dahinziehn. Töne, die am Tage verwehen oder sich im Licht verflüchtigen, werden nun laut; man hört jeden Fehltritt, jedes Straucheln und das Klappern des Schlosses, wenn das Gewehr

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/51>, abgerufen am 22.12.2024.