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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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sandt; in der Regel sind diese Unglücklichen nach ein paar Tagen scheinbar her¬
gestellt, und sobald sie wieder in Reih und Glied stehn, fängt das Übel von neuem
an. Einer meiner Kameraden hatte das Unglück, jedesmal mit wunden Füßen
irgendwo hinter der Front zu liegen, wenn es zum Schießen kam; er war ein
braver Soldat, aber er geriet in den Verdacht, ein "Drücker" zu sein, und der
blieb an ihm hängen. Andre sind geborne Marschsoldaten, die nie eine Blase an
der Sohle, keine wunde Stelle am Knöchel, kein Hühnerauge gehabt und sich be¬
sonders keinen Wolf gelaufen haben. Wenn sich die andern am Ziel eines Tages¬
marsches ins Stroh legen, wandern diese frisch umher und erzählen jedem, der es
hören will, das komme alles von einem frischen Walnußblatt, täglich in den Helm
gelegt, oder von der absoluten Vermeidung jedes Fußwnschwassers. Für uns ge¬
wöhnliche Menschen war es jedoch nie eine Kleinigkeit, dreißig Kilometer auf
staubiger Landstraße zwischen Bäumen, die keinen Schatten warfen, in Hitze und
Staub, in einer dichten ausdünstenden Masse von Menschen zu wandern, wo zuletzt
jeder schweigt, mechanisch in die Spuren seines Vordermanns tritt und dessen
Helmbeschlag oder auf den Tornister geschnallten Blechkessel wie in Hypnose be¬
trachtet. Man zählt die Schritte, die Telegraphenstangen, die Straßenbäume, und
höchstens ein Kilometerstein oder ein Wegweser gewinnt einem oder dem andern,
der noch verhältnismäßig frisch geblieben ist, einen Ruf oder mindestens eine Hand-
bewegung ab. Die Gesichter sind dann übermäßig gerötet, das Blut kann durch
den mit dreißig Kilogramm Gewicht beschwerten Körper nicht rasch genug seine
Wege machen. Das Weiße der Augen sogar ist gerötet, die weiße Staubmolke, die
weithin über der Landstraße liegt, pudert die glühende Stirn im Kampfe mit den
Rinnen des niederfließenden Schweißes. Und doch sitzen die Helme nicht im
Nacken und macht das Gewehr keinen größern Winkel als fünfzig Grad mit Kopf
und Hals seines Trägers. Aber mit dem Kommando "Halt!" liegen diese rast¬
losen Marschierer auf beiden Seiten der Straße, keiner nimmt sich Zeit, den Tor¬
nister abzuschnallen, könnte doch in einer Minute der Marsch fortgesetzt werden,
nur einen Haken am Gürtel macht man mit der Rechten frei, es handelt sich vor
allem darum, dem Blute freiern Lauf zu lassen und möglichst viel Luft in tiefen
Atemzügen zu gewinnen. Ob auf Steinhaufen oder im Straßengraben, im Gras
oder im Staub, sie fallen automatisch nieder. Aber instinktiv lassen sie die mittlere
Straße frei, denn sie wissen aus Erfahrung, daß in solchen Situationen die vor¬
rasselnden Batterien wie der Blitz da sind. Nach zwei Minuten ist der regelmäßige
Gang des Adams wiedergewonnen, das Blut zirkuliert frei, die bestaubte Kolonne
setzt ihren Marsch fort.

Der Bauernsohn marschiert von vornherein anders als das Stadtkind, er ist
besonders ein Virtuos im leichten Wegschreiten über Feld und Stein, besonders
über srischgecickertes Feld, wo am schwersten durchzukommen ist. Solche Märsche
sind ja sehr oft der Anfang einer Schlacht oder eines Gefechts, und sie ermüden
einen Teil der Mannschaft außerordentlich und gewiß zur Unzeit. Die Kompagnien
in eine breite Front auseinandergezogen, der Schützenzug ein paar hundert Schritte
zurück, so sieht man sie durch Schollen und über Löcher hin sich vorarbeiten;
immer ein mühseliger Anfang. Wie viel frischer und heiterer geht es auf braunem
Heideboden vorwärts, wie man ihn in den Vogesenhohen und wieder auf den
Hügeln an der Garthe hatte! Um über frischgepflügten Acker mit Behagen hin¬
zusteigen, mußt du in der Furche hinter dem Pflug gegangen sein und mit harter
Sohle die Erdschollen zertreten oder zur Seite geschleudert haben; Spaziergänger,
die nur Pflaster und Asphalt betreten, lernen nie diese volle Rücksichtslosigkeit des
"durch" und "drauf."

Es gibt noch einen andern fachmäßigen Marschiervirtuosen: das ist der Land¬
briefträger in Waffen, dessen Beine auf lange und viele Wege "eingegangen" sind;
er fällt beim Gehen, wie eins von den Blechmännchen auf dem Jahrmarkt, die
mit Uhrwerk gehn. Außerdem hat er eine eigentümliche Vertrautheit mit der


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sandt; in der Regel sind diese Unglücklichen nach ein paar Tagen scheinbar her¬
gestellt, und sobald sie wieder in Reih und Glied stehn, fängt das Übel von neuem
an. Einer meiner Kameraden hatte das Unglück, jedesmal mit wunden Füßen
irgendwo hinter der Front zu liegen, wenn es zum Schießen kam; er war ein
braver Soldat, aber er geriet in den Verdacht, ein „Drücker" zu sein, und der
blieb an ihm hängen. Andre sind geborne Marschsoldaten, die nie eine Blase an
der Sohle, keine wunde Stelle am Knöchel, kein Hühnerauge gehabt und sich be¬
sonders keinen Wolf gelaufen haben. Wenn sich die andern am Ziel eines Tages¬
marsches ins Stroh legen, wandern diese frisch umher und erzählen jedem, der es
hören will, das komme alles von einem frischen Walnußblatt, täglich in den Helm
gelegt, oder von der absoluten Vermeidung jedes Fußwnschwassers. Für uns ge¬
wöhnliche Menschen war es jedoch nie eine Kleinigkeit, dreißig Kilometer auf
staubiger Landstraße zwischen Bäumen, die keinen Schatten warfen, in Hitze und
Staub, in einer dichten ausdünstenden Masse von Menschen zu wandern, wo zuletzt
jeder schweigt, mechanisch in die Spuren seines Vordermanns tritt und dessen
Helmbeschlag oder auf den Tornister geschnallten Blechkessel wie in Hypnose be¬
trachtet. Man zählt die Schritte, die Telegraphenstangen, die Straßenbäume, und
höchstens ein Kilometerstein oder ein Wegweser gewinnt einem oder dem andern,
der noch verhältnismäßig frisch geblieben ist, einen Ruf oder mindestens eine Hand-
bewegung ab. Die Gesichter sind dann übermäßig gerötet, das Blut kann durch
den mit dreißig Kilogramm Gewicht beschwerten Körper nicht rasch genug seine
Wege machen. Das Weiße der Augen sogar ist gerötet, die weiße Staubmolke, die
weithin über der Landstraße liegt, pudert die glühende Stirn im Kampfe mit den
Rinnen des niederfließenden Schweißes. Und doch sitzen die Helme nicht im
Nacken und macht das Gewehr keinen größern Winkel als fünfzig Grad mit Kopf
und Hals seines Trägers. Aber mit dem Kommando „Halt!" liegen diese rast¬
losen Marschierer auf beiden Seiten der Straße, keiner nimmt sich Zeit, den Tor¬
nister abzuschnallen, könnte doch in einer Minute der Marsch fortgesetzt werden,
nur einen Haken am Gürtel macht man mit der Rechten frei, es handelt sich vor
allem darum, dem Blute freiern Lauf zu lassen und möglichst viel Luft in tiefen
Atemzügen zu gewinnen. Ob auf Steinhaufen oder im Straßengraben, im Gras
oder im Staub, sie fallen automatisch nieder. Aber instinktiv lassen sie die mittlere
Straße frei, denn sie wissen aus Erfahrung, daß in solchen Situationen die vor¬
rasselnden Batterien wie der Blitz da sind. Nach zwei Minuten ist der regelmäßige
Gang des Adams wiedergewonnen, das Blut zirkuliert frei, die bestaubte Kolonne
setzt ihren Marsch fort.

Der Bauernsohn marschiert von vornherein anders als das Stadtkind, er ist
besonders ein Virtuos im leichten Wegschreiten über Feld und Stein, besonders
über srischgecickertes Feld, wo am schwersten durchzukommen ist. Solche Märsche
sind ja sehr oft der Anfang einer Schlacht oder eines Gefechts, und sie ermüden
einen Teil der Mannschaft außerordentlich und gewiß zur Unzeit. Die Kompagnien
in eine breite Front auseinandergezogen, der Schützenzug ein paar hundert Schritte
zurück, so sieht man sie durch Schollen und über Löcher hin sich vorarbeiten;
immer ein mühseliger Anfang. Wie viel frischer und heiterer geht es auf braunem
Heideboden vorwärts, wie man ihn in den Vogesenhohen und wieder auf den
Hügeln an der Garthe hatte! Um über frischgepflügten Acker mit Behagen hin¬
zusteigen, mußt du in der Furche hinter dem Pflug gegangen sein und mit harter
Sohle die Erdschollen zertreten oder zur Seite geschleudert haben; Spaziergänger,
die nur Pflaster und Asphalt betreten, lernen nie diese volle Rücksichtslosigkeit des
„durch" und „drauf."

Es gibt noch einen andern fachmäßigen Marschiervirtuosen: das ist der Land¬
briefträger in Waffen, dessen Beine auf lange und viele Wege „eingegangen" sind;
er fällt beim Gehen, wie eins von den Blechmännchen auf dem Jahrmarkt, die
mit Uhrwerk gehn. Außerdem hat er eine eigentümliche Vertrautheit mit der


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[0050] Bilder ans dem deutsch-französischen Kriege sandt; in der Regel sind diese Unglücklichen nach ein paar Tagen scheinbar her¬ gestellt, und sobald sie wieder in Reih und Glied stehn, fängt das Übel von neuem an. Einer meiner Kameraden hatte das Unglück, jedesmal mit wunden Füßen irgendwo hinter der Front zu liegen, wenn es zum Schießen kam; er war ein braver Soldat, aber er geriet in den Verdacht, ein „Drücker" zu sein, und der blieb an ihm hängen. Andre sind geborne Marschsoldaten, die nie eine Blase an der Sohle, keine wunde Stelle am Knöchel, kein Hühnerauge gehabt und sich be¬ sonders keinen Wolf gelaufen haben. Wenn sich die andern am Ziel eines Tages¬ marsches ins Stroh legen, wandern diese frisch umher und erzählen jedem, der es hören will, das komme alles von einem frischen Walnußblatt, täglich in den Helm gelegt, oder von der absoluten Vermeidung jedes Fußwnschwassers. Für uns ge¬ wöhnliche Menschen war es jedoch nie eine Kleinigkeit, dreißig Kilometer auf staubiger Landstraße zwischen Bäumen, die keinen Schatten warfen, in Hitze und Staub, in einer dichten ausdünstenden Masse von Menschen zu wandern, wo zuletzt jeder schweigt, mechanisch in die Spuren seines Vordermanns tritt und dessen Helmbeschlag oder auf den Tornister geschnallten Blechkessel wie in Hypnose be¬ trachtet. Man zählt die Schritte, die Telegraphenstangen, die Straßenbäume, und höchstens ein Kilometerstein oder ein Wegweser gewinnt einem oder dem andern, der noch verhältnismäßig frisch geblieben ist, einen Ruf oder mindestens eine Hand- bewegung ab. Die Gesichter sind dann übermäßig gerötet, das Blut kann durch den mit dreißig Kilogramm Gewicht beschwerten Körper nicht rasch genug seine Wege machen. Das Weiße der Augen sogar ist gerötet, die weiße Staubmolke, die weithin über der Landstraße liegt, pudert die glühende Stirn im Kampfe mit den Rinnen des niederfließenden Schweißes. Und doch sitzen die Helme nicht im Nacken und macht das Gewehr keinen größern Winkel als fünfzig Grad mit Kopf und Hals seines Trägers. Aber mit dem Kommando „Halt!" liegen diese rast¬ losen Marschierer auf beiden Seiten der Straße, keiner nimmt sich Zeit, den Tor¬ nister abzuschnallen, könnte doch in einer Minute der Marsch fortgesetzt werden, nur einen Haken am Gürtel macht man mit der Rechten frei, es handelt sich vor allem darum, dem Blute freiern Lauf zu lassen und möglichst viel Luft in tiefen Atemzügen zu gewinnen. Ob auf Steinhaufen oder im Straßengraben, im Gras oder im Staub, sie fallen automatisch nieder. Aber instinktiv lassen sie die mittlere Straße frei, denn sie wissen aus Erfahrung, daß in solchen Situationen die vor¬ rasselnden Batterien wie der Blitz da sind. Nach zwei Minuten ist der regelmäßige Gang des Adams wiedergewonnen, das Blut zirkuliert frei, die bestaubte Kolonne setzt ihren Marsch fort. Der Bauernsohn marschiert von vornherein anders als das Stadtkind, er ist besonders ein Virtuos im leichten Wegschreiten über Feld und Stein, besonders über srischgecickertes Feld, wo am schwersten durchzukommen ist. Solche Märsche sind ja sehr oft der Anfang einer Schlacht oder eines Gefechts, und sie ermüden einen Teil der Mannschaft außerordentlich und gewiß zur Unzeit. Die Kompagnien in eine breite Front auseinandergezogen, der Schützenzug ein paar hundert Schritte zurück, so sieht man sie durch Schollen und über Löcher hin sich vorarbeiten; immer ein mühseliger Anfang. Wie viel frischer und heiterer geht es auf braunem Heideboden vorwärts, wie man ihn in den Vogesenhohen und wieder auf den Hügeln an der Garthe hatte! Um über frischgepflügten Acker mit Behagen hin¬ zusteigen, mußt du in der Furche hinter dem Pflug gegangen sein und mit harter Sohle die Erdschollen zertreten oder zur Seite geschleudert haben; Spaziergänger, die nur Pflaster und Asphalt betreten, lernen nie diese volle Rücksichtslosigkeit des „durch" und „drauf." Es gibt noch einen andern fachmäßigen Marschiervirtuosen: das ist der Land¬ briefträger in Waffen, dessen Beine auf lange und viele Wege „eingegangen" sind; er fällt beim Gehen, wie eins von den Blechmännchen auf dem Jahrmarkt, die mit Uhrwerk gehn. Außerdem hat er eine eigentümliche Vertrautheit mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/50>, abgerufen am 23.07.2024.