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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken

falls nie ganz anerkannt werden wird, dürfte in der Hauptsache auf dreierlei
Ursachen zurückzuführen sein. Auf den schon erwähnten kühlen Gesichtsausdruck,
der auch denen, die den Fürsten kannten und bewunderten, bei jeder neuen
Begegnung von neuem peinlich war, auf die große Bescheidenheit des hohen
Herrn, dem es am wohlsten war, wenn er unbeachtet bleiben konnte, und
-- namentlich seit er zur Regierung gelaugt war -- auf die politischen Leiden¬
schaften der auf den Umsturz des Bestehenden ausgehenden Parteien, die sich
kein Gewissen daraus gemacht haben, sich für ihre Zwecke der abenteuerlichsten
Verleumdungen zu bedienen, und deren unablässigem Hetzen -- wer die Ver¬
leumdung und deren im stillen weiterfressendes Gift kennt, wird sich darüber
kaum wundern -- es in der Tat gelungen ist, weiten Volkskreisen ein Bild
des Königs und des sächsischen Hofes vorzuspiegeln, wie es der Wahrheit
widersprechender kaum gedacht werden kann.

Obwohl nun diese sich bisweilen geradezu zu Albernheiten versteigenden
Verleumdungen auch an dem Sarge des Monarchen nicht verstummt sind, und
obwohl, um keinen hürtern Ausdruck zu gebrauchen, noch immer von Zeit zu
Zeit direkt und indirekt die kalt- und gefühllosesten Angriffe auf das, was er
in wohlmeinendster Absicht getan, gesagt und geschrieben hat, gerichtet werden,
so ist hier nicht der Ort, den Verfassern von Leitartikeln, die hier in Frage
kommen, und die wir ja ohnehin mit allen uns zu Gebote stehenden Waffen
bekämpfen, gegenüberzutreten. König Friedrich August hat, ohne daraus eine
ausdrückliche Anklage gegen irgend jemand zu machen, mit sieben Worten
alles gesagt, was zu sagen war: "Vielleicht wäre ein weniger hochherziger
Monarch verzweifelt." So mag es denn bei dieser allen Jammer, der auf
das Haupt des greisen Königs gelegt war, zusammenfassenden wehmütigen
Klage seines Sohnes fürs erste bewenden: hier sollen für diesesmal nur einige
kleine Beiträge zur Charakterisierung und zur Lebensgeschichte des Königs ge¬
geben werden, wie sie von solchen, die den Vorzug gehabt haben, öfter und
länger in seiner Nähe zu sein, zusammenhängend und ausführlich werden dar¬
gestellt werden und in einem durchaus dokumentierten und auf Selbstwahr-
nehmung beruhenden Abrisse auch schon geschildert worden sind.

Der sächsische Hof war in den vierziger und den fünfziger Jahren des jüngst¬
verflossenen Jahrhunderts, mithin in der Zeit, wo die Kinder des damaligen
Prinzen und spätem Königs Johann die ersten Eindrücke aus ihrer Umgebung
empfingen, was Leichtlebigkeit und Genußsucht anlangt, gerade das Gegenteil
von dem, was er und ein großer Teil der deutschen Höfe in frühern Zeiten
gewesen waren. Nicht nur die sächsischen Prinzen und Prinzessinnen waren
seit Friedrich August dem Gerechten von allem, was man Frivolität zu nennen
Pflegt, frei, auch die Fürstinnen, die, von sächsischen Prinzen zu Lebensgefährtinnen
erwählt, später mit ihren Gemahlen den Thron teilten, paßten ganz in den
vorhandnen ursoliden Rahmen. Die Eltern des Königs Georg, das Prinz
Johcinnsche Ehepaar, insbesondre waren in ihrem Privatleben so bürgerlich,
wie es ein fürstlicher Hof nur irgend sein kann. Da die eigentliche Reprä¬
sentation dem Bruder des Prinzen, dem König Friedrich August dem Zweiten
und dessen Gemahlin zufiel, so lebte das Prinz Johcinnsche Ehepaar auf be¬
scheidnen Landsitzen, wie Janishcmsen und Weesenstein, ganz der Erziehung


Zum Andenken

falls nie ganz anerkannt werden wird, dürfte in der Hauptsache auf dreierlei
Ursachen zurückzuführen sein. Auf den schon erwähnten kühlen Gesichtsausdruck,
der auch denen, die den Fürsten kannten und bewunderten, bei jeder neuen
Begegnung von neuem peinlich war, auf die große Bescheidenheit des hohen
Herrn, dem es am wohlsten war, wenn er unbeachtet bleiben konnte, und
— namentlich seit er zur Regierung gelaugt war — auf die politischen Leiden¬
schaften der auf den Umsturz des Bestehenden ausgehenden Parteien, die sich
kein Gewissen daraus gemacht haben, sich für ihre Zwecke der abenteuerlichsten
Verleumdungen zu bedienen, und deren unablässigem Hetzen — wer die Ver¬
leumdung und deren im stillen weiterfressendes Gift kennt, wird sich darüber
kaum wundern — es in der Tat gelungen ist, weiten Volkskreisen ein Bild
des Königs und des sächsischen Hofes vorzuspiegeln, wie es der Wahrheit
widersprechender kaum gedacht werden kann.

Obwohl nun diese sich bisweilen geradezu zu Albernheiten versteigenden
Verleumdungen auch an dem Sarge des Monarchen nicht verstummt sind, und
obwohl, um keinen hürtern Ausdruck zu gebrauchen, noch immer von Zeit zu
Zeit direkt und indirekt die kalt- und gefühllosesten Angriffe auf das, was er
in wohlmeinendster Absicht getan, gesagt und geschrieben hat, gerichtet werden,
so ist hier nicht der Ort, den Verfassern von Leitartikeln, die hier in Frage
kommen, und die wir ja ohnehin mit allen uns zu Gebote stehenden Waffen
bekämpfen, gegenüberzutreten. König Friedrich August hat, ohne daraus eine
ausdrückliche Anklage gegen irgend jemand zu machen, mit sieben Worten
alles gesagt, was zu sagen war: „Vielleicht wäre ein weniger hochherziger
Monarch verzweifelt." So mag es denn bei dieser allen Jammer, der auf
das Haupt des greisen Königs gelegt war, zusammenfassenden wehmütigen
Klage seines Sohnes fürs erste bewenden: hier sollen für diesesmal nur einige
kleine Beiträge zur Charakterisierung und zur Lebensgeschichte des Königs ge¬
geben werden, wie sie von solchen, die den Vorzug gehabt haben, öfter und
länger in seiner Nähe zu sein, zusammenhängend und ausführlich werden dar¬
gestellt werden und in einem durchaus dokumentierten und auf Selbstwahr-
nehmung beruhenden Abrisse auch schon geschildert worden sind.

Der sächsische Hof war in den vierziger und den fünfziger Jahren des jüngst¬
verflossenen Jahrhunderts, mithin in der Zeit, wo die Kinder des damaligen
Prinzen und spätem Königs Johann die ersten Eindrücke aus ihrer Umgebung
empfingen, was Leichtlebigkeit und Genußsucht anlangt, gerade das Gegenteil
von dem, was er und ein großer Teil der deutschen Höfe in frühern Zeiten
gewesen waren. Nicht nur die sächsischen Prinzen und Prinzessinnen waren
seit Friedrich August dem Gerechten von allem, was man Frivolität zu nennen
Pflegt, frei, auch die Fürstinnen, die, von sächsischen Prinzen zu Lebensgefährtinnen
erwählt, später mit ihren Gemahlen den Thron teilten, paßten ganz in den
vorhandnen ursoliden Rahmen. Die Eltern des Königs Georg, das Prinz
Johcinnsche Ehepaar, insbesondre waren in ihrem Privatleben so bürgerlich,
wie es ein fürstlicher Hof nur irgend sein kann. Da die eigentliche Reprä¬
sentation dem Bruder des Prinzen, dem König Friedrich August dem Zweiten
und dessen Gemahlin zufiel, so lebte das Prinz Johcinnsche Ehepaar auf be¬
scheidnen Landsitzen, wie Janishcmsen und Weesenstein, ganz der Erziehung


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[0481] Zum Andenken falls nie ganz anerkannt werden wird, dürfte in der Hauptsache auf dreierlei Ursachen zurückzuführen sein. Auf den schon erwähnten kühlen Gesichtsausdruck, der auch denen, die den Fürsten kannten und bewunderten, bei jeder neuen Begegnung von neuem peinlich war, auf die große Bescheidenheit des hohen Herrn, dem es am wohlsten war, wenn er unbeachtet bleiben konnte, und — namentlich seit er zur Regierung gelaugt war — auf die politischen Leiden¬ schaften der auf den Umsturz des Bestehenden ausgehenden Parteien, die sich kein Gewissen daraus gemacht haben, sich für ihre Zwecke der abenteuerlichsten Verleumdungen zu bedienen, und deren unablässigem Hetzen — wer die Ver¬ leumdung und deren im stillen weiterfressendes Gift kennt, wird sich darüber kaum wundern — es in der Tat gelungen ist, weiten Volkskreisen ein Bild des Königs und des sächsischen Hofes vorzuspiegeln, wie es der Wahrheit widersprechender kaum gedacht werden kann. Obwohl nun diese sich bisweilen geradezu zu Albernheiten versteigenden Verleumdungen auch an dem Sarge des Monarchen nicht verstummt sind, und obwohl, um keinen hürtern Ausdruck zu gebrauchen, noch immer von Zeit zu Zeit direkt und indirekt die kalt- und gefühllosesten Angriffe auf das, was er in wohlmeinendster Absicht getan, gesagt und geschrieben hat, gerichtet werden, so ist hier nicht der Ort, den Verfassern von Leitartikeln, die hier in Frage kommen, und die wir ja ohnehin mit allen uns zu Gebote stehenden Waffen bekämpfen, gegenüberzutreten. König Friedrich August hat, ohne daraus eine ausdrückliche Anklage gegen irgend jemand zu machen, mit sieben Worten alles gesagt, was zu sagen war: „Vielleicht wäre ein weniger hochherziger Monarch verzweifelt." So mag es denn bei dieser allen Jammer, der auf das Haupt des greisen Königs gelegt war, zusammenfassenden wehmütigen Klage seines Sohnes fürs erste bewenden: hier sollen für diesesmal nur einige kleine Beiträge zur Charakterisierung und zur Lebensgeschichte des Königs ge¬ geben werden, wie sie von solchen, die den Vorzug gehabt haben, öfter und länger in seiner Nähe zu sein, zusammenhängend und ausführlich werden dar¬ gestellt werden und in einem durchaus dokumentierten und auf Selbstwahr- nehmung beruhenden Abrisse auch schon geschildert worden sind. Der sächsische Hof war in den vierziger und den fünfziger Jahren des jüngst¬ verflossenen Jahrhunderts, mithin in der Zeit, wo die Kinder des damaligen Prinzen und spätem Königs Johann die ersten Eindrücke aus ihrer Umgebung empfingen, was Leichtlebigkeit und Genußsucht anlangt, gerade das Gegenteil von dem, was er und ein großer Teil der deutschen Höfe in frühern Zeiten gewesen waren. Nicht nur die sächsischen Prinzen und Prinzessinnen waren seit Friedrich August dem Gerechten von allem, was man Frivolität zu nennen Pflegt, frei, auch die Fürstinnen, die, von sächsischen Prinzen zu Lebensgefährtinnen erwählt, später mit ihren Gemahlen den Thron teilten, paßten ganz in den vorhandnen ursoliden Rahmen. Die Eltern des Königs Georg, das Prinz Johcinnsche Ehepaar, insbesondre waren in ihrem Privatleben so bürgerlich, wie es ein fürstlicher Hof nur irgend sein kann. Da die eigentliche Reprä¬ sentation dem Bruder des Prinzen, dem König Friedrich August dem Zweiten und dessen Gemahlin zufiel, so lebte das Prinz Johcinnsche Ehepaar auf be¬ scheidnen Landsitzen, wie Janishcmsen und Weesenstein, ganz der Erziehung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/481>, abgerufen am 23.12.2024.