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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Zum Andenken

von dein Charakter, der Sinnesart und den Anschauungen des Prinzen zu be¬
richten gehabt hatten. Hatte, als man am 17. Oktober so billig -- und es
muß hinzugefügt werden, so richtig und so gerecht -- urteilte, der Tod, der
mit seiner gewaltigen Hand manche Vorurteile und Ungerechtigkeiten aus dem
Wege räumt, in dem kurzen seit dem Verscheiden des Fürsten verstrichnen Zeit¬
räume schon Zeit gehabt, wild wie Unkraut aus dem Boden geschossenen
Legenden den Garaus zu machen und oberflächliche, für Tatsachen ausgegebne
Vermutungen auf ihr Nichts zurückzuführen, oder war das, was an jenem
Abend in den verschiedensten Gruppen behauptet und bestätigt wurde, nicht
vielmehr das Ergebnis von Wahrnehmungen, die man in den zwei für das
wirtschaftliche Gedeihen des Landes so kritischen, für die königliche Familie so
schweren und prüfungsreichen Negierungsjahren des verstorbnen Fürsten trotz
aller gegenteiligen Deklamationen eines großen Teils der sächsischen Presse
schließlich doch mit richtigem, unparteiischen Blicke gemacht hatte?

Einem Fürsten, der der großen Masse des Volks weder als Prinz noch
als König in des Wortes erwärmender, erhebender und hinreißender Bedeutung
wirklich nahe gestanden hatte, und dessen lautere, zuverlässige, im Grunde
überaus wohlwollende, nachsichtige und teilnahmevolle Gesinnungen und Gefühle
erst ganz allmählich anfingen, auch in weitern Kreisen empfunden und anerkannt
zu werden, konnte kein die Gediegenheit und den wahren Adel seiner Natur
besser bezeichnendes Enkomium in die Gruft mitgegeben werden, als dieses zwar
nicht widerwillige, aber noch immer zögernde, frühere unbillige Urteile aus
reinem Gerechtigkeitsgefühl kassierende: "im Grunde doch." Mit welcher Be¬
wunderung und Verehrung die über den Entschlafnen dachten und denken, die
ihn kannten, und deren Urteil darum das in der Frage: War er beliebt? war
er volkstümlich? aufgehende Urteil der Menge reichlich aufwiegt, wird erst all¬
mählich bekannt werden. Große herzliche Beliebtheit beim Volke ist freilich
eine schöne, alle andern Errungenschaften des Regenten für die Mehrzahl in
den Schatten stellende Segnung, und dem großen deutschen wie dem kleinem
sächsischen Vaterlands ist es in lebhafter Erinnerung, daß Volkstümlichkeit nicht
bloß blendenden und hinreißenden Cüsareneigenschaften zuteil wird, sondern
ebensogut durch den bescheidensten Sinn, durch die anspruchlosesten, obwohl
edelsten und echtesten Eigenschaften des Mannes gewonnen werden kann, aber
nicht jede Vortrefflichkeit ist derart, daß sie rasche und rechtzeitige Anerkennung
findet. Sie ist nicht weniger ausgezeichnet, weil ihr liebende Bewunderung
gefehlt hat, aber sie ist dann ein köstliches Kleinod, dessen Wert der Menge
unbekannt geblieben ist, und das nicht, wie der Ring des Mannes im grauen
Osten, die geheime Kraft besaß, vor Gott und Menschen angenehm zu machen.
Wenn man den volkstümlichen Fürsten einer wärmenden, jedes Wachstum
mächtig fördernden Sonne vergleicht, so erscheint uns der nicht volkstümliche,
wenn er dabei in jeder Beziehung ein ausgezeichneter Mensch ist, wie ein
Planet, dessen reines kaltes Licht wir bewundern, aber dem wir nicht, wie der
Sonne, vom Grunde unsers Herzens zujauchzen. Dem nicht volkstümlichen
Fürsten fehlt -- ein für ihn wie für sein Volk überaus fühlbarer Mangel --
das, was uns die Sonne so lieb macht, der erwärmende Strahl, aber was den
König Georg betrifft, so verklärt für uns reines, hell und stetig strahlendes


Zum Andenken

von dein Charakter, der Sinnesart und den Anschauungen des Prinzen zu be¬
richten gehabt hatten. Hatte, als man am 17. Oktober so billig — und es
muß hinzugefügt werden, so richtig und so gerecht — urteilte, der Tod, der
mit seiner gewaltigen Hand manche Vorurteile und Ungerechtigkeiten aus dem
Wege räumt, in dem kurzen seit dem Verscheiden des Fürsten verstrichnen Zeit¬
räume schon Zeit gehabt, wild wie Unkraut aus dem Boden geschossenen
Legenden den Garaus zu machen und oberflächliche, für Tatsachen ausgegebne
Vermutungen auf ihr Nichts zurückzuführen, oder war das, was an jenem
Abend in den verschiedensten Gruppen behauptet und bestätigt wurde, nicht
vielmehr das Ergebnis von Wahrnehmungen, die man in den zwei für das
wirtschaftliche Gedeihen des Landes so kritischen, für die königliche Familie so
schweren und prüfungsreichen Negierungsjahren des verstorbnen Fürsten trotz
aller gegenteiligen Deklamationen eines großen Teils der sächsischen Presse
schließlich doch mit richtigem, unparteiischen Blicke gemacht hatte?

Einem Fürsten, der der großen Masse des Volks weder als Prinz noch
als König in des Wortes erwärmender, erhebender und hinreißender Bedeutung
wirklich nahe gestanden hatte, und dessen lautere, zuverlässige, im Grunde
überaus wohlwollende, nachsichtige und teilnahmevolle Gesinnungen und Gefühle
erst ganz allmählich anfingen, auch in weitern Kreisen empfunden und anerkannt
zu werden, konnte kein die Gediegenheit und den wahren Adel seiner Natur
besser bezeichnendes Enkomium in die Gruft mitgegeben werden, als dieses zwar
nicht widerwillige, aber noch immer zögernde, frühere unbillige Urteile aus
reinem Gerechtigkeitsgefühl kassierende: „im Grunde doch." Mit welcher Be¬
wunderung und Verehrung die über den Entschlafnen dachten und denken, die
ihn kannten, und deren Urteil darum das in der Frage: War er beliebt? war
er volkstümlich? aufgehende Urteil der Menge reichlich aufwiegt, wird erst all¬
mählich bekannt werden. Große herzliche Beliebtheit beim Volke ist freilich
eine schöne, alle andern Errungenschaften des Regenten für die Mehrzahl in
den Schatten stellende Segnung, und dem großen deutschen wie dem kleinem
sächsischen Vaterlands ist es in lebhafter Erinnerung, daß Volkstümlichkeit nicht
bloß blendenden und hinreißenden Cüsareneigenschaften zuteil wird, sondern
ebensogut durch den bescheidensten Sinn, durch die anspruchlosesten, obwohl
edelsten und echtesten Eigenschaften des Mannes gewonnen werden kann, aber
nicht jede Vortrefflichkeit ist derart, daß sie rasche und rechtzeitige Anerkennung
findet. Sie ist nicht weniger ausgezeichnet, weil ihr liebende Bewunderung
gefehlt hat, aber sie ist dann ein köstliches Kleinod, dessen Wert der Menge
unbekannt geblieben ist, und das nicht, wie der Ring des Mannes im grauen
Osten, die geheime Kraft besaß, vor Gott und Menschen angenehm zu machen.
Wenn man den volkstümlichen Fürsten einer wärmenden, jedes Wachstum
mächtig fördernden Sonne vergleicht, so erscheint uns der nicht volkstümliche,
wenn er dabei in jeder Beziehung ein ausgezeichneter Mensch ist, wie ein
Planet, dessen reines kaltes Licht wir bewundern, aber dem wir nicht, wie der
Sonne, vom Grunde unsers Herzens zujauchzen. Dem nicht volkstümlichen
Fürsten fehlt — ein für ihn wie für sein Volk überaus fühlbarer Mangel —
das, was uns die Sonne so lieb macht, der erwärmende Strahl, aber was den
König Georg betrifft, so verklärt für uns reines, hell und stetig strahlendes


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[0478] Zum Andenken von dein Charakter, der Sinnesart und den Anschauungen des Prinzen zu be¬ richten gehabt hatten. Hatte, als man am 17. Oktober so billig — und es muß hinzugefügt werden, so richtig und so gerecht — urteilte, der Tod, der mit seiner gewaltigen Hand manche Vorurteile und Ungerechtigkeiten aus dem Wege räumt, in dem kurzen seit dem Verscheiden des Fürsten verstrichnen Zeit¬ räume schon Zeit gehabt, wild wie Unkraut aus dem Boden geschossenen Legenden den Garaus zu machen und oberflächliche, für Tatsachen ausgegebne Vermutungen auf ihr Nichts zurückzuführen, oder war das, was an jenem Abend in den verschiedensten Gruppen behauptet und bestätigt wurde, nicht vielmehr das Ergebnis von Wahrnehmungen, die man in den zwei für das wirtschaftliche Gedeihen des Landes so kritischen, für die königliche Familie so schweren und prüfungsreichen Negierungsjahren des verstorbnen Fürsten trotz aller gegenteiligen Deklamationen eines großen Teils der sächsischen Presse schließlich doch mit richtigem, unparteiischen Blicke gemacht hatte? Einem Fürsten, der der großen Masse des Volks weder als Prinz noch als König in des Wortes erwärmender, erhebender und hinreißender Bedeutung wirklich nahe gestanden hatte, und dessen lautere, zuverlässige, im Grunde überaus wohlwollende, nachsichtige und teilnahmevolle Gesinnungen und Gefühle erst ganz allmählich anfingen, auch in weitern Kreisen empfunden und anerkannt zu werden, konnte kein die Gediegenheit und den wahren Adel seiner Natur besser bezeichnendes Enkomium in die Gruft mitgegeben werden, als dieses zwar nicht widerwillige, aber noch immer zögernde, frühere unbillige Urteile aus reinem Gerechtigkeitsgefühl kassierende: „im Grunde doch." Mit welcher Be¬ wunderung und Verehrung die über den Entschlafnen dachten und denken, die ihn kannten, und deren Urteil darum das in der Frage: War er beliebt? war er volkstümlich? aufgehende Urteil der Menge reichlich aufwiegt, wird erst all¬ mählich bekannt werden. Große herzliche Beliebtheit beim Volke ist freilich eine schöne, alle andern Errungenschaften des Regenten für die Mehrzahl in den Schatten stellende Segnung, und dem großen deutschen wie dem kleinem sächsischen Vaterlands ist es in lebhafter Erinnerung, daß Volkstümlichkeit nicht bloß blendenden und hinreißenden Cüsareneigenschaften zuteil wird, sondern ebensogut durch den bescheidensten Sinn, durch die anspruchlosesten, obwohl edelsten und echtesten Eigenschaften des Mannes gewonnen werden kann, aber nicht jede Vortrefflichkeit ist derart, daß sie rasche und rechtzeitige Anerkennung findet. Sie ist nicht weniger ausgezeichnet, weil ihr liebende Bewunderung gefehlt hat, aber sie ist dann ein köstliches Kleinod, dessen Wert der Menge unbekannt geblieben ist, und das nicht, wie der Ring des Mannes im grauen Osten, die geheime Kraft besaß, vor Gott und Menschen angenehm zu machen. Wenn man den volkstümlichen Fürsten einer wärmenden, jedes Wachstum mächtig fördernden Sonne vergleicht, so erscheint uns der nicht volkstümliche, wenn er dabei in jeder Beziehung ein ausgezeichneter Mensch ist, wie ein Planet, dessen reines kaltes Licht wir bewundern, aber dem wir nicht, wie der Sonne, vom Grunde unsers Herzens zujauchzen. Dem nicht volkstümlichen Fürsten fehlt — ein für ihn wie für sein Volk überaus fühlbarer Mangel — das, was uns die Sonne so lieb macht, der erwärmende Strahl, aber was den König Georg betrifft, so verklärt für uns reines, hell und stetig strahlendes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/478>, abgerufen am 22.12.2024.