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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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Im alten Brüssel
Llara Lzobrath von (Fortsetzung)
20

war etwas geschehen. Die Kunde des sensationellen Ereignisses
!kam eilig und eifrig die Hoogstraat heraufgelaufen.

Der Ovale, das kleine Puppenonkelchen, hat auf einen Herrn
i vom Gericht geschossen. Der Sozialist hat einen der verhaßten Reichen
erschossen. Recke, Papa Toones Sohn, hat auf offner Straße auf
'den Staatsanwalt Jean de Groot geschossen. Röcke ist gleich ver¬
haftet worden. -- Fintje stand schon unten auf der Straße und horchte auf das
Schreckliche und fragte und verstand sogleich. Jean de Groot, das ist der Name,
der vorn in ihrem Büchlein steht. Ovale hatte auf seinen alten Feind, auf Jan
l'Grand geschossen!

Wuuderlicherweise galt ihr erstes mitleidvolles Entsetzen nicht dem Erschossenen,
sondern dem Übeltäter, Ovale, den sie schon verhaftet hatten und mitleidlos ver¬
urteilen würden.

Wußte Pupa Toone das Schreckliche schon? Würden sie jetzt nach dem Ponche-
nelleleller laufen und es dem Ahnungslosen ins Gesicht schreien: Der Recke ist als
Mörder verhaftet worden!

Papa Toone ist immer auf den gebildeten, dichtenden Sohn stolz gewesen
und hat große Hoffnungen auf seine Zukunft gesetzt. So von der Straße her,
so rücksichtslos durfte der harte Schlag ihn nicht treffen. Sie mußte den Leuten
allen zuvorkommen, sie selbst mußte es Papa Toone liebevoll, schonend beibringen,
sie, die mit Ovale aufgewachsen und freundlich gehalten worden war wie feine
Schwester. Papa Toone war der Gespielin seines Sohnes immer zugetan gewesen.
Nur sie durfte ihm von Oomkes Unglück sagen. Nur sie.

Fintje lief noch schneller als das Gerücht nach dem alten Windengang.

Vor dem Pouchenellekeller sammelten sich schon Menschen an, aber es hatte
sich noch keiner hineingetraut, dem Vater die böse Nachricht zu verkünden.

Papa Toone war nicht in der Schenkstube. Oben in Oomkes Zimmer stand
er vor dem Tisch mit einer Anzahl Marionetten im Arm, die er den geschickten
Händen des Sohnes überantworten wollte. Er stand im freundlichen Lichtkreis der
grünbeschirmten Lampe.

Fintje aber durfte nicht zögernd nnter der Tür stehn bleiben. Sie mußte es
gleich und vorsichtig sagen.

Papa Toone, draußen sprechen sie von deinem Sohn. Er hat gehandelt wie
es einem überzeugten -- er ist dazu getrieben und auserkoren worden -- die
andern hatten wohl alle nicht den Mut dazu, aber Ovale, der hat es getan, der
hat Mut, stotterte Fintje. Aber ach, sie mochte es nun einkleiden, wie sie wollte,
einmal mußte sie es doch deutlich sagen: Ovale hat einen vom Gericht erschossen
und ist darüber verhaftet worden.

Und der gutmütige, immer vergnügte und geschwätzige Papa Toone ließ
seine Puppenkinder achtlos ans seinen Armen zu Boden fallen und verstand von all
ihren schönen Reden auch uur das eine wahre Wort. Sein Ovale war ein ver¬
hafteter Mörder.




Im alten Brüssel
Llara Lzobrath von (Fortsetzung)
20

war etwas geschehen. Die Kunde des sensationellen Ereignisses
!kam eilig und eifrig die Hoogstraat heraufgelaufen.

Der Ovale, das kleine Puppenonkelchen, hat auf einen Herrn
i vom Gericht geschossen. Der Sozialist hat einen der verhaßten Reichen
erschossen. Recke, Papa Toones Sohn, hat auf offner Straße auf
'den Staatsanwalt Jean de Groot geschossen. Röcke ist gleich ver¬
haftet worden. — Fintje stand schon unten auf der Straße und horchte auf das
Schreckliche und fragte und verstand sogleich. Jean de Groot, das ist der Name,
der vorn in ihrem Büchlein steht. Ovale hatte auf seinen alten Feind, auf Jan
l'Grand geschossen!

Wuuderlicherweise galt ihr erstes mitleidvolles Entsetzen nicht dem Erschossenen,
sondern dem Übeltäter, Ovale, den sie schon verhaftet hatten und mitleidlos ver¬
urteilen würden.

Wußte Pupa Toone das Schreckliche schon? Würden sie jetzt nach dem Ponche-
nelleleller laufen und es dem Ahnungslosen ins Gesicht schreien: Der Recke ist als
Mörder verhaftet worden!

Papa Toone ist immer auf den gebildeten, dichtenden Sohn stolz gewesen
und hat große Hoffnungen auf seine Zukunft gesetzt. So von der Straße her,
so rücksichtslos durfte der harte Schlag ihn nicht treffen. Sie mußte den Leuten
allen zuvorkommen, sie selbst mußte es Papa Toone liebevoll, schonend beibringen,
sie, die mit Ovale aufgewachsen und freundlich gehalten worden war wie feine
Schwester. Papa Toone war der Gespielin seines Sohnes immer zugetan gewesen.
Nur sie durfte ihm von Oomkes Unglück sagen. Nur sie.

Fintje lief noch schneller als das Gerücht nach dem alten Windengang.

Vor dem Pouchenellekeller sammelten sich schon Menschen an, aber es hatte
sich noch keiner hineingetraut, dem Vater die böse Nachricht zu verkünden.

Papa Toone war nicht in der Schenkstube. Oben in Oomkes Zimmer stand
er vor dem Tisch mit einer Anzahl Marionetten im Arm, die er den geschickten
Händen des Sohnes überantworten wollte. Er stand im freundlichen Lichtkreis der
grünbeschirmten Lampe.

Fintje aber durfte nicht zögernd nnter der Tür stehn bleiben. Sie mußte es
gleich und vorsichtig sagen.

Papa Toone, draußen sprechen sie von deinem Sohn. Er hat gehandelt wie
es einem überzeugten — er ist dazu getrieben und auserkoren worden — die
andern hatten wohl alle nicht den Mut dazu, aber Ovale, der hat es getan, der
hat Mut, stotterte Fintje. Aber ach, sie mochte es nun einkleiden, wie sie wollte,
einmal mußte sie es doch deutlich sagen: Ovale hat einen vom Gericht erschossen
und ist darüber verhaftet worden.

Und der gutmütige, immer vergnügte und geschwätzige Papa Toone ließ
seine Puppenkinder achtlos ans seinen Armen zu Boden fallen und verstand von all
ihren schönen Reden auch uur das eine wahre Wort. Sein Ovale war ein ver¬
hafteter Mörder.


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[0462] [Abbildung] Im alten Brüssel Llara Lzobrath von (Fortsetzung) 20 war etwas geschehen. Die Kunde des sensationellen Ereignisses !kam eilig und eifrig die Hoogstraat heraufgelaufen. Der Ovale, das kleine Puppenonkelchen, hat auf einen Herrn i vom Gericht geschossen. Der Sozialist hat einen der verhaßten Reichen erschossen. Recke, Papa Toones Sohn, hat auf offner Straße auf 'den Staatsanwalt Jean de Groot geschossen. Röcke ist gleich ver¬ haftet worden. — Fintje stand schon unten auf der Straße und horchte auf das Schreckliche und fragte und verstand sogleich. Jean de Groot, das ist der Name, der vorn in ihrem Büchlein steht. Ovale hatte auf seinen alten Feind, auf Jan l'Grand geschossen! Wuuderlicherweise galt ihr erstes mitleidvolles Entsetzen nicht dem Erschossenen, sondern dem Übeltäter, Ovale, den sie schon verhaftet hatten und mitleidlos ver¬ urteilen würden. Wußte Pupa Toone das Schreckliche schon? Würden sie jetzt nach dem Ponche- nelleleller laufen und es dem Ahnungslosen ins Gesicht schreien: Der Recke ist als Mörder verhaftet worden! Papa Toone ist immer auf den gebildeten, dichtenden Sohn stolz gewesen und hat große Hoffnungen auf seine Zukunft gesetzt. So von der Straße her, so rücksichtslos durfte der harte Schlag ihn nicht treffen. Sie mußte den Leuten allen zuvorkommen, sie selbst mußte es Papa Toone liebevoll, schonend beibringen, sie, die mit Ovale aufgewachsen und freundlich gehalten worden war wie feine Schwester. Papa Toone war der Gespielin seines Sohnes immer zugetan gewesen. Nur sie durfte ihm von Oomkes Unglück sagen. Nur sie. Fintje lief noch schneller als das Gerücht nach dem alten Windengang. Vor dem Pouchenellekeller sammelten sich schon Menschen an, aber es hatte sich noch keiner hineingetraut, dem Vater die böse Nachricht zu verkünden. Papa Toone war nicht in der Schenkstube. Oben in Oomkes Zimmer stand er vor dem Tisch mit einer Anzahl Marionetten im Arm, die er den geschickten Händen des Sohnes überantworten wollte. Er stand im freundlichen Lichtkreis der grünbeschirmten Lampe. Fintje aber durfte nicht zögernd nnter der Tür stehn bleiben. Sie mußte es gleich und vorsichtig sagen. Papa Toone, draußen sprechen sie von deinem Sohn. Er hat gehandelt wie es einem überzeugten — er ist dazu getrieben und auserkoren worden — die andern hatten wohl alle nicht den Mut dazu, aber Ovale, der hat es getan, der hat Mut, stotterte Fintje. Aber ach, sie mochte es nun einkleiden, wie sie wollte, einmal mußte sie es doch deutlich sagen: Ovale hat einen vom Gericht erschossen und ist darüber verhaftet worden. Und der gutmütige, immer vergnügte und geschwätzige Papa Toone ließ seine Puppenkinder achtlos ans seinen Armen zu Boden fallen und verstand von all ihren schönen Reden auch uur das eine wahre Wort. Sein Ovale war ein ver¬ hafteter Mörder.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/462>, abgerufen am 22.12.2024.