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Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr.

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in hohem Grade, Wie fühle ich mich glücklich in dem Besitze eines so vortreff¬
lichen, kindlich gesinnten, religiösen und weisen Mannes." Nach achtjähriger
sonniger Ehe starb die Gattin (1838). Als Neumann sie zu Grabe getragen hatte,
schrieb er an Weiß: "Der Herr hat mich erweckt, schrecklich." "Jetzt erst weiß
ich es, daß es nicht das Wissen und die Wissenschaft ist, was Menschen mit
Menschen verbindet, sondern die Liebe und Hingebung" (S. 237). Für sich und
seine Kinder fand er dann eine treue Gehilfin und Mutter in der Cousine seiner
ersten Frau, Wilhelma Hagen.

In Königsberg war er ganz heimisch geworden, und er gehörte zu Königs¬
berg. Einen Ruf nach Dorpat und einen nach Petersburg lehnte er ab. Der
wichtigste Grund dafür war, "daß ich meine Kinder nicht der Wohltat und Er¬
ziehung im Sinne und Geist des preußischen Staates berauben will." Das
schlichte einstöckige Haus am Schloßteich, wo der "alte Neumann" lebte, war
jedem Königsberger bekannt. Für die Nachbarn diente sein regelmäßiges Auf-
und Eingehen unter Umständen als Uhr. Und eben so schlicht und stetig wie
sein Leben war auch seine Arbeit. Drei Tage vor seinem Tode band der Sieben-
undneunzigjährige seine Papiere zusammen, als wollte er sagen, nun ists genug.
Bis in das höchste Alter hatte er eine wunderbare Geistesfrische und Rüstigkeit.
Wenn er in seinem geliebten Riesengebirge weilte, konnte er sich nicht genug
tun mit den anstrengendsten Fußwanderungen bei Regen und Sonnenschein, auf
denen ihn seine Tochter, die Verfasserin des Buchs, treu begleitete. Sie sorgte
auch dafür, daß es ihm nie an geistiger Erfrischung gebrach.

Der alte Freiheitskämpfer, den ein weihevoller Hauch aus jener großen Zeit
umgab, hatte sich allezeit auf das lebendigste an allem, was in das politische
Leben eingriff, beteiligt. Im Jahre 1848 trat er ein für das Volk, in der
Preußischen Konfliktszeit für die Regierung, deren Ziele er verstand. Dann
1870 klagte der Zweiundsiebzigjährige: "Daß es keine Verwendung gibt für alte
Männer im Kriege!" Zu seiner Erholung las er vor allem Geschichtswerke.
Sybel befriedigte ihn mehr als Treitschke. Besonders liebte er Carlyles Helden.
Das war Wahlverwandtschaft. In ihm lebte eine heldenhafte Kraft, wie sie
Carlyle zu entdecken und zu schildern versteht. Aber auch der Pfarrer, der ihn
zum Grabe geleitete, hatte Recht, wenn er ihm das Wort mitgab: "Selig sind,
die reines Herzens sind."

Wären die Erinnerungen an Franz Neumann in England erschienen, so
würden sie von Hand zu Hand gehn und Auflage über Auflage erleben. In
England gilt es ja für Kür, solche Bücher in die Hausbibliothek einzureihen.
Aber wir leben in Deutschland, und wir haben ja Leihbibliotheken und Lesezirkel.


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Grenzboten 1 190S5"
Lin deutscher Professor

in hohem Grade, Wie fühle ich mich glücklich in dem Besitze eines so vortreff¬
lichen, kindlich gesinnten, religiösen und weisen Mannes." Nach achtjähriger
sonniger Ehe starb die Gattin (1838). Als Neumann sie zu Grabe getragen hatte,
schrieb er an Weiß: „Der Herr hat mich erweckt, schrecklich." „Jetzt erst weiß
ich es, daß es nicht das Wissen und die Wissenschaft ist, was Menschen mit
Menschen verbindet, sondern die Liebe und Hingebung" (S. 237). Für sich und
seine Kinder fand er dann eine treue Gehilfin und Mutter in der Cousine seiner
ersten Frau, Wilhelma Hagen.

In Königsberg war er ganz heimisch geworden, und er gehörte zu Königs¬
berg. Einen Ruf nach Dorpat und einen nach Petersburg lehnte er ab. Der
wichtigste Grund dafür war, „daß ich meine Kinder nicht der Wohltat und Er¬
ziehung im Sinne und Geist des preußischen Staates berauben will." Das
schlichte einstöckige Haus am Schloßteich, wo der „alte Neumann" lebte, war
jedem Königsberger bekannt. Für die Nachbarn diente sein regelmäßiges Auf-
und Eingehen unter Umständen als Uhr. Und eben so schlicht und stetig wie
sein Leben war auch seine Arbeit. Drei Tage vor seinem Tode band der Sieben-
undneunzigjährige seine Papiere zusammen, als wollte er sagen, nun ists genug.
Bis in das höchste Alter hatte er eine wunderbare Geistesfrische und Rüstigkeit.
Wenn er in seinem geliebten Riesengebirge weilte, konnte er sich nicht genug
tun mit den anstrengendsten Fußwanderungen bei Regen und Sonnenschein, auf
denen ihn seine Tochter, die Verfasserin des Buchs, treu begleitete. Sie sorgte
auch dafür, daß es ihm nie an geistiger Erfrischung gebrach.

Der alte Freiheitskämpfer, den ein weihevoller Hauch aus jener großen Zeit
umgab, hatte sich allezeit auf das lebendigste an allem, was in das politische
Leben eingriff, beteiligt. Im Jahre 1848 trat er ein für das Volk, in der
Preußischen Konfliktszeit für die Regierung, deren Ziele er verstand. Dann
1870 klagte der Zweiundsiebzigjährige: „Daß es keine Verwendung gibt für alte
Männer im Kriege!" Zu seiner Erholung las er vor allem Geschichtswerke.
Sybel befriedigte ihn mehr als Treitschke. Besonders liebte er Carlyles Helden.
Das war Wahlverwandtschaft. In ihm lebte eine heldenhafte Kraft, wie sie
Carlyle zu entdecken und zu schildern versteht. Aber auch der Pfarrer, der ihn
zum Grabe geleitete, hatte Recht, wenn er ihm das Wort mitgab: „Selig sind,
die reines Herzens sind."

Wären die Erinnerungen an Franz Neumann in England erschienen, so
würden sie von Hand zu Hand gehn und Auflage über Auflage erleben. In
England gilt es ja für Kür, solche Bücher in die Hausbibliothek einzureihen.
Aber wir leben in Deutschland, und wir haben ja Leihbibliotheken und Lesezirkel.


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[0445] Lin deutscher Professor in hohem Grade, Wie fühle ich mich glücklich in dem Besitze eines so vortreff¬ lichen, kindlich gesinnten, religiösen und weisen Mannes." Nach achtjähriger sonniger Ehe starb die Gattin (1838). Als Neumann sie zu Grabe getragen hatte, schrieb er an Weiß: „Der Herr hat mich erweckt, schrecklich." „Jetzt erst weiß ich es, daß es nicht das Wissen und die Wissenschaft ist, was Menschen mit Menschen verbindet, sondern die Liebe und Hingebung" (S. 237). Für sich und seine Kinder fand er dann eine treue Gehilfin und Mutter in der Cousine seiner ersten Frau, Wilhelma Hagen. In Königsberg war er ganz heimisch geworden, und er gehörte zu Königs¬ berg. Einen Ruf nach Dorpat und einen nach Petersburg lehnte er ab. Der wichtigste Grund dafür war, „daß ich meine Kinder nicht der Wohltat und Er¬ ziehung im Sinne und Geist des preußischen Staates berauben will." Das schlichte einstöckige Haus am Schloßteich, wo der „alte Neumann" lebte, war jedem Königsberger bekannt. Für die Nachbarn diente sein regelmäßiges Auf- und Eingehen unter Umständen als Uhr. Und eben so schlicht und stetig wie sein Leben war auch seine Arbeit. Drei Tage vor seinem Tode band der Sieben- undneunzigjährige seine Papiere zusammen, als wollte er sagen, nun ists genug. Bis in das höchste Alter hatte er eine wunderbare Geistesfrische und Rüstigkeit. Wenn er in seinem geliebten Riesengebirge weilte, konnte er sich nicht genug tun mit den anstrengendsten Fußwanderungen bei Regen und Sonnenschein, auf denen ihn seine Tochter, die Verfasserin des Buchs, treu begleitete. Sie sorgte auch dafür, daß es ihm nie an geistiger Erfrischung gebrach. Der alte Freiheitskämpfer, den ein weihevoller Hauch aus jener großen Zeit umgab, hatte sich allezeit auf das lebendigste an allem, was in das politische Leben eingriff, beteiligt. Im Jahre 1848 trat er ein für das Volk, in der Preußischen Konfliktszeit für die Regierung, deren Ziele er verstand. Dann 1870 klagte der Zweiundsiebzigjährige: „Daß es keine Verwendung gibt für alte Männer im Kriege!" Zu seiner Erholung las er vor allem Geschichtswerke. Sybel befriedigte ihn mehr als Treitschke. Besonders liebte er Carlyles Helden. Das war Wahlverwandtschaft. In ihm lebte eine heldenhafte Kraft, wie sie Carlyle zu entdecken und zu schildern versteht. Aber auch der Pfarrer, der ihn zum Grabe geleitete, hatte Recht, wenn er ihm das Wort mitgab: „Selig sind, die reines Herzens sind." Wären die Erinnerungen an Franz Neumann in England erschienen, so würden sie von Hand zu Hand gehn und Auflage über Auflage erleben. In England gilt es ja für Kür, solche Bücher in die Hausbibliothek einzureihen. Aber wir leben in Deutschland, und wir haben ja Leihbibliotheken und Lesezirkel. e?. Grenzboten 1 190S5»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 64, 1905, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341881_87477/445>, abgerufen am 22.12.2024.